[95] Schreiben an Herrn D. Joh. Gottfr. Hahn nach Breszlau

Aus Lauben A. 1720. den 6. April.


Erwarthe nicht, mein Freund, vor so viel Werth und Huld
Ein lang und nett Geschwäz. Ich bin in deiner Schuld,
Doch lieb ich dich dabey. Dies sind die reichsten Zinsen;
Der schöne Wörterkram bezahlt kein Maas voll Linsen,
Zu schweigen Trost und Rath und allzeit gleiche Treu.
Mein Zustand ist, du weist's, das Leben; nichts dabey
Als Wüntsche voll Gedult, ist ja so leicht zu tragen
Als Thraso, wenn er schwazt, und alter Leute Klagen.
Das wißen leider wir, ich und der Praetendent,
Mit dem mir Gottes Zorn viel Gleichheitsehre gönnt.
Wir hofen beide falsch und beides in die Länge;
Wir bringen nach und nach die Wirthschaft in die Enge;
Er soll wie ich kein Sohn des eignen Vaters seyn,
Und keiner weis gewis, doch glauben wir gemein.
Er sucht ein großes Reich, ich möcht es auch wohl haben.
Die Sehnsucht crönt ihn schon und mich des Phoebus Gaben.
Er speiset Gnadenbrodt und solches auf der Flucht,
Wie etwan auch mein Tisch verschiedne Wirthe sucht.
Jezt nährt ihn Kirchengut; nechst hatt ich noch von Jauer
Zwölf Säckel auf den Weg, es war nur wenig Dauer.
Man trennt ihn von der Braut, sie muß nun in der Still
Den Klostermauren zu; mein Mägdgen aber will.
Nur etwas läst mich ihm nicht ganz und gar vergleichen:
Der Wind verschlug sein Schif, mir will es beßer streichen;
Dein Breßler richt es wohl. Ach, wär er jezt so groß
Und riß er noch einmahl den Rock von Pathen los,
Ich wollte statt des Dancks ihn nimmermehr beschweren
Und zu so großer Noth den Rath nicht mehr begehren.
Ja, lieber Hahn, so geht's, Wind wird auch hier zu Wind
Und dient nicht wie vorhin. Mein kurzes Unschlit rinnt,
Als wollt es mir sogar die Freude nicht mehr gönnen,
Die stille Finsternüß dir schriftlich weihn zu können.
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Die Nahrung in der Welt ist oft wohl wunderlich.
Zum Helfen wüntsch ich Gott, zum Ansehn aber dich.
Kein Härchen meint es treu, sie wollen alle fliegen,
Nur die nicht, welche mir in Brey und Butter liegen.
Vom Morgen in die Nacht und durch die Nacht bis früh
Schreibt Phoebus neben mir auf Bettbret, Holz und Knie.
Sonst, glaube, wird von uns wohl wenig vorgenommen
Als leiden, hungrig seyn und täglich gehn und kommen.
Wie soll ich das verstehn? Gleich, gleich, gedulde dich!
(Der Feder fehlt das Naß; doch Waßer tröstet mich.)
Drey Wochen sind es schon, seitdem ich Lauben drücke
Und hier wohl weiter nichts als eine Gaß erblicke,
Sonst komm ich nirgends hin. Ich hab ein doppelt Haus,
Zum Betteln mein ich nur; des Abends zieh ich aus
Und schlafe dort bey dem. Das heist wohl recht geschoren,
Der das mit Tuchen thut, was Kutscher mit den Ohren 1
Und ich der ganzen Welt und mir das Glücke thut.
Nun höre ja mit Fleiß: Es ist noch eine Ruth,
Die, seit der Corporal, ihr Mann, nicht mehr genesen,
Auch Ähren um das Feld des Schwagers aufgelesen.
Die lehnet, daß ich nicht den Schlafrock schleppen darf,
Den Mantel, den ihr Mann bey Posen um sich warf
Und Schlacht und Feind verlies. So muß, um mich zu zieren,
So lange Zeit vorher ein ganzes Volck verlieren.
Bey Tage bin ich hier. Wo ist das Hier? Nicht dort.
Da mercke, liebster Hahn, hier hör ich fast kein Wort
Als Klagen, Leichgesang, Fluch, Elend und Bereden
Und, wenn es köstlich ist, von Leinwand, Flachs und Fäden.
Auch tröstet mich kein Buch, wenn nicht von ohngefehr
Ein Blat vom Cicero die lezte Wollust wär.
Es riecht nach Käsefett, mit dem es vor drey Tagen
Herr Schubarth, unser Wirth, vom Trödel heimgetragen.
Du glaubst wohl nimmermehr, wie brünstig sich mein Geist
Durch solchen kleinen Rest des großen Mannes speist.
Ich les es zehnmahl durch und kan doch hoch betheuren:
Die wiederholte Lust hebt zehnmahl an zu feuren.
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Ich lese mehr als steht, und weil ich eifrig thu,
So bring ich aus mir selbst manch sinnreich Wort dazu
Und mein, ich find es da. Dies artige Betriegen
Gebiehrt mir innerlich ein herzliches Vergnügen.
Hier kan ich nicht vorbey, mit Umschweif und Bemühn
Ein Laster, dem du gram, mit Unmuth durchzuziehn.
Bey so viel Noth und Nord, die Herz und Finger schneiden,
Ist, glaub ich, neben mir ein unerträglich Leiden,
Ein rechtes Satanskind, ein ungezogen Weib,
Ein Bild der Gelbensucht und mehr Geripp als Leib.
Sie trieft von lauter Fett. Wo aber? In den Augen,
Die Purpurmuscheln sind und vor die Hexen taugen.
Vor dies kan sie zwar nicht; doch weil ihr Eigensinn
Den Körper mit beschimpft, so geht auch dies nicht hin.
Ich zürne nicht vor mich, nein, wegen andrer Leute.
Sie gönnt dem Nechsten nichts, begeifert Kranz und Bräute,
Flucht heimlich, wenn ein Mensch ein kleines Glück erzehlt
Und wird von fremder Lust mit Bitterkeit gequält.
Sie knirscht, zerbeißt die Hand, zeigt Rachgier über Schaden
Und richtet, wer nur kommt, vom Kopfe bis zur Waden.
Bald muß der König durch. Warum? Die Zeit ist schwer.
Bald heist der Müller Dieb, bald muß der Bäcker her,
Bald wettern Maul und Bliz auf die, so mehr gewinnen
Als sie mit fauler Hand und niemahls rechtem Spinnen.
Ihr fromm-, ihr ehrlicher und wohlgeübter Mann,
Der allerwegen kaum mehr sehn und hören kan,
Muß, wie er gerne thut, von einer Zeit zur andern
(Wie oft erbarmt es mich!) nach Holz und Nahrung wandern.
Sie faulenzt unterdes bey Herd und Müßiggang
Und giebt ihm, kommt er spät, mit losen Worten Danck
Und kan doch, kostet's auch ihr hungervolles Leben,
Von selbsterworbner Müh nicht einen Dreyer heben.
Wahrhaftig, edler Hahn, der gröste Heldenmuth
Vergeht bey solcher Angst. Nur lecken kan sie gut
Und wehlen noch viel mehr und schmazen zehnmahl beßer.
Rührt jemand nur den Mund, so ruft sie schon: Das Meßer!
Und schielt begierig hin. Ja, was der Woche soll,
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Zehrt oft ein Abend auf. Sie ist noch wohl so toll
Und wird, so arm sie ist, viel Ehr und Furcht begehren.
Bestraft sie denn ihr Mann, so fängt sie an zu schwören,
Verwüntscht den Hochzeittag und heult und ächzt und ruft
Zum Zeugen böser Eh die Mutter aus der Gruft,
Die etwan auch wie sie des Vaters Ruhm beflecket
Und also mit der Milch die Tochter angestecket.
Ein Beyspiel ist genung: Den nechsten Ostertag
Gewährt uns Küch und Tisch, was Hausmannskost vermag;
Es war gering und gut, den Magen auszufüllen.
Ich aß mit viel Geschmack; sie sprach mit Widerwillen:
Ein Festtag und kein Kalb, das ist mir nie geschehn;
Kein Fladen, lieber Gott, du lebst und kanst es sehn.
O daß der Teufel doch (ja, denck ich, dich zur Zinse)
Den freßenden Accis, o schwimm, verdammte Linse!
Was hätt ich wohl begehrt und solche Bettelbrüh
Vor diesem eingeschluckt? So rast und donnert sie,
Das ungeheure Thier. Sollt ich es nur nicht hören
Und durch solch Ärgernüß mein fromm Gemüthe stören!
Ich schwör auf ihren Gott (den Geiz, mit dem sie weint).
Wär jemand nicht ihr Sohn und Schubarth nicht mein Freund,
Die Feder würde sich vorwahr nicht halten können,
Sie öfentlich und frey mit Schimpf und Spott zu nennen.
Die Boßheit und der Fluch verlezter Majestät,
Die Ehrsucht, welche sonst nach Unschuldsblute steht,
Mord, Raub und Schwelgerey sind groß- und grobe Sünden,
Doch alle sollten mich viel eher gütig finden;
Der Geiz, der Geiz allein macht den, worein er fährt,
Zum Greuel aller Welt. Ich halt ihn niemahls werth,
Ich, der ich fähig bin, auch Feinden zu vergeben,
Mit Menschen solcher Art getreu und wohl zu leben.
Ich sprizle, schelt und flieh, wo so ein Unding sizt,
Mit größrem Schauder fort, als wo ein Drache blizt,
Und will mich lieber selbst auf Maul und Antliz schlagen
Als, kennst du – – – –? und seines gleichen, tragen.
Da hastu meine Qual, du Schwester armer Kunst,
Und forderstu Bericht nach angebohrner Gunst,
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Was ich doch wohl dabey noch vor Kalender mache?
Wer bin ich? Günther. Gut, was fragst du viel? Ich lache
Und seh die ganze Welt, auch mich, vor thöricht an,
Sie, weil sie nicht genung und richtig wüntschen kan,
Mich, weil ich nicht vermag, die Narren scharf zu kräncken.
Sie schäumen, das ist nichts, sie sollten sich erhencken,
Das zierte meinen Reim. Wer weis, was noch geschieht!
Du kennst den – – –, der Stockfisch ist gebrüht,
Die Würze fehlt mir noch, ihn vollends gar zu kochen,
Und darauf schenck ich ihn Lucinden in die Wochen,
Vor die sein Midas ficht. Die Sachen sind schon alt.
Meüi Freund, gieb neuen Stof, sieh, höre, schreib, und bald
Und viel und oft und gern, erforsche viel Gemüther,
Der Testamente List, die Pracht erlogner Güter,
Der Menschen Heucheley, der Mägdgen Flehn und Pein,
Der Weiber Heimligkeit, der Narren Zeterschreyn,
Der Ärzte güldne Kunst, der Richter schlimme Räncke,
Gespräche, kalten Scherz und tausend andre Schwäncke,
Dies alles schreib genau; denn wenn ich müde bin,
Der Helden ihren Ruhm in Versen hochzuziehn,
So zeigt mein Satyr gern dem Auge später Zeiten,
Giebt Phoebus Zeit und Lust, geheime Kleinigkeiten,
Den Lauf, die Lebensart und Laster unsrer Welt,
Die, wer Geschichte schreibt, nicht eben würdig hält,
Und die gleichwohl einmahl (ein Kluger mag sie schäzen)
Noch manchen Kopf vielleicht so beßern als ergözen.

Fußnoten

1 derer Pferde.

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TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Freundschaftsgedichte und -briefe. Breslau November 1719 - [Liegnitz] Juli 1721. Schreiben an Herrn D. Joh. Gottfr. Hahn nach Breszlau. Schreiben an Herrn D. Joh. Gottfr. Hahn nach Breszlau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-20F6-0