Scandinavische Weissagungen

[23] Erläuterungen


Odin ist der König der Scandinavischen Götter
Frigga, Odins Weib
Baldur, Odins und Frigga's Sohn, der schönste, beste und freundlichste der Götter
Notta, die Göttin der Nacht
Loke, der böse Gott der Scandinavier
Hela ist seine Tochter, und Herrscherin der Unterwelt
Ymer, der Vater der Riesen, das Erdelement
Nilfheim, die Unterwelt, das Nebelland
Der Gialstrom, der Styx der Scandinavier
Asgard, die Götterstadt

[24]
Warnende Träume
Ängsteten Baldur,
Baldur den Schönen,
Odins Erzeugten,
Liebling der Frigga.
Und zu des Vaters
Weisheit sich wendend
Forschete Baldur
Was ihn bedräue!
Aber der Große
Herrliche König
Wußte des Sohnes
Frage nicht Antwort,
Rief seiner Gattin;
Daß sie zum Eingang
Gehe der Erde,
Hieß sie der König.
Daß sie befrage
Dorten die Wole
Um die Geschicke
Baldur des guten
Freundlichen Gottes.
Frigga, wie Odin
Hatte geboten,
Eilte zur alten
[25]
Furchtbaren Seh'rin,
Nahm mit sich Fulla
Ihre Gespielin.
Und es verliesen
Frühe die Straßen
Asgards die Frauen;
Stiegen zur Tiefe
Drunten wo Notta
Zögernd noch weilte,
Wo aus der Mähne
Thauige Perlen
Schüttelt das Nachtroß;
Kamen zum Saume
Hin dann des Norden,
Wo mit dem Winter
Frühling nicht wechselt,
Sommer nicht wärmet,
Herbstliche Früchte
Reisend nicht schwellen.
Wo sich die feuchten
Nebel erzeugen,
Eisichte Regen,
Nächtliches Dunkel.
Dort war die Höle
Wo die Prophetin
Wohnt in der Tiefe.

Fulla.

Sag' mir, o Frigga
Wes ist die Höle,
[26]
Die so gewaltig
Odem hier holet,
Daß mich ihr Lufthauch
Zieht fast hinunter?
Frigga.

Wisse, der Eingang
Hier ist zum finstern
Reiche der Hela.
Schlangengleich windet
Krümmt sich die Höle
Neunmal den Tag lang
Hin bis zum Strome,
Neunmal die Nacht lang
Hin zum Gialstrom.
Über dem Strome
Wölbt sich die Brücke,
Welche die Todten
Führet nach Nilfheim.
Fulla.

Frigga! Du führst mich
Lebend zur Stelle
Wo seine Schleier
Hebet der Abgrund!
Nicht will ich schauen,
Augen voll Lichtes,
Dunkel von Nilfheim.
Nicht mag ich sehen
Kriege der Todten,
Schlachten der Schatten,
[27]
Luftigen Erzes
Blutlose Wunden.
Wahrlich verwirren
Mögt es die Sinne
Körperlos träumen,
Schauspiel der Schatten
Lebend zu sehen.
Frigga.

Odin mich sendet
Fragend zur Wole
Wegen des düstern
Traumes von Baldur.
Sie die Prophetin
Schauet die Zukunft,
Kennet was da ist,
Weis was gewesen.
Fulla.

Sag wer bedräuet
Selige Götter!
Wohnt nicht in Hallen
Schimmernder Säulen
Baldur gesichert?
Mächtig ist Baldur,
Trägt in der Linken
Glänzenden Goldes
Dreifache Speere.
Trägt in der Rechten
Drohend sein Schlachtschwert,
Welcher der Götter
Mag ihn verderben?
[28] Frigga.

Nahet die Stunde,
Fallen auch Starke.
Viele der Lager
Stehen bereitet
Drunten in Nilfheim;
Gierig ist Hela,
Zählet die Gäste,
Hält sie in düstren
Burgen gefangen.
Fulla.

Müssen auch Götter
Wandeln nach Nilfheim?
Herrschet nicht Odin
Droben im Lichte,
Drunten im Dunkel?
Kann auch geschehen
Was er nicht wolle?
Frigga.

Mächtig sind Riesen
Nennen die Erde
Trotzig ihr Erbtheil.
Fulla.

Wer sind die Riesen
Welche der Götter
Erbe bestreiten?
Frigga.

Hör', was ich sage,
Rückwärts die Seele
Schauend gewendet.
Einst war der Mond nicht,
War nicht die Erde;
[29]
Feuer im Raume
Ewiglich brannte,
Drunten war Dunkel
Kälte und Nachtfrost.
Einstens das Feuer
Mischte dem Dunkel
Lebende Kräfte.
Mächtig erwuchs da
Ymer, ein Riese,
Welcher erzeugte
Viele der Riesen.
Uneins sie wurden,
Tödteten Ymer,
Daß er gewaltig
Rollt in die Tiefe,
Und aus dem Haupte
Wuchsen die Berge,
Und aus dem Odem
Wölbt sich der Luftkreis,
Und aus dem Leibe
Wurden die Ebnen.
Aber es kamen
Droben vom Lichte
Viele der Götter;
Odin sie führte;
Und es entzweiten
Schreckliche Kriege
Selige Götter,
Irdische Riesen.
[30]
Friede noch fern ist,
Denn zu den Feinden
Hat sich der böse
Loke gesellet,
Hat sich mit Riesen-
Töchtern vermählet,
Fenris den argen
Wolf so erzeuget,
Und die Verruchte
Schlange von Midgard,
Dann auch der Todten
Herrscherin, Hela.
Diese sind mächtig,
Trotzen mit gleichen
Kräften den Göttern,
Diese befürchtet
Odin für Baldur,
Darum zur Alles-
Seherin sendet
Odin mich nieder.
Fulla.

Siehe die fragende
Flamme entglühet,
Siehe, der Runnen
Zeichen sind fertig
Vielfach gemischet,
Wartend der Deutung.
Frigga.

Höre mich alte
Seherin! Wole!
[31]
Mitternachts Tochter!
Mutter der Zeiten!
Du, die mit Armen
Reichet zum Himmel!
Du, deren Fußtritt
Nilfheim erbebet!
Sage was dräuet
Baldur dem Schönen?
Sage was wollen
Ängstliche Träume
Warnend verkünden?
Fulla.

Lausche! sie schweiget,
Mächtiger rede,
Stärkre Beschwörung
Ruf ihr entgegen.
Blicke nach Norden,
Lege die Zeichen,
Schüre die Flamme.
Frigga.

Du! die du zählest
Treffende Pfeile
Wodans, im Köcher,
Eh' sein Geschoß noch
Scheidet vom Bogen,
Höre! Prophetin
Höre, mich höre!
Die Wole.

Bereit ist die Tafel,
Die Becher sind trübe
[32]
Der Wein ist wie Blut roth,
Die Gäste sind düster,
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Thüre,
Denn einer der Stühle
Ist leer noch für Einen;
Des harren die Vielen,
Des zögernden Gastes;
Sie schweigen und sehen
Begierig zur Thüre.
Frigga.

Wem ist der leere
Plaz dort bereitet?
Wo ist die Tafel?
Wer sind die Gäste?
Die Wole.

Die Tafel ist drunten,
Vergangenheit nippet
Mit bleichem Gesichte
An kärglichen Bechern.
Frigga.

Seherin! wehe!
Wird aus dem Kranze
Asgards die Rose
Sinken zum Staube?
Knospe des Tages
Herrlicher Morgen!
Wirst du den Reigen
Fliehen der Stunden? –
Eins mir noch sage,
[33]
Welcher der Götter,
Welcher der Riesen
Dräuet dem Sohne?
Die Wole.

Der listige Loke
Der finsteren Tochter
Gesellet den Schönen.
Frigga.

Wehe mir! wehe!
Röthe, die erste,
Färben wird Helas
Düstere Mienen,
Wenn sie den schönen
Fremdling begrüßet. –
Wehe mir! wehe!
Werden ohnmächtig
Nimmer die Götter
Rächen der Frevel
An dem Geschlechte
Trotziger Riesen?
Nimmer erwürgen
Lokes Erzeugte?
Werden die Götter
Nie sich der Herrschaft
Dauernd erfreuen?
Dieses noch sage
Schweige dann immer.
Die Wole.

Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
[34]
Der Schweigen Gewöhnten.
Die Stirn ist Traum erfüllet
Die Wimper Schlaf bedürfend
Die Lippe Rede müde
Erfahren du viel hast,
Verstummen nun gönne
Der Schweigen Gewöhnten.
Frigga.

Wahrlich, den Schlummer
Würdest dem schweren
Auge entreiben,
Käm' er nur selber
Odin der starke
Herrliche König,
Kundige Rede
Dürftest nicht weigern.
Die Wole.

Es können nicht Götter
Bezwingen im Busen
Das feste uralte
Beständige Herz mir.
Frigga.

Sprüche wohl giebt es
Zahlen und Kreiße
Todten zu öffnen
Selber die Lippen;
Aber nicht herrisch
Will ich gebieten,
Flehend ich komme,
Odin der Starke
Bittet dich, rede!
[35] Die Wole.

Vernimm denn o Frigga!
Nicht können sie dauern
Die Reiche des Zwistes.
Der mächtige Odin
Besiegen nicht konnte
In Fülle der Jugend
Die Stärke der Riesen,
Wird schwerere Kriege
Er ihnen bereiten,
Wann spätere Jahre
Ihn selber besieget?
Zwar Ymer ist todt längst,
Doch lebt ihm im tiefen
Versteinerten Herzen
Der Groll gegen Götter,
Er lebt in den Kindern
Den irdischen Riesen.
Der listige Loke
Hat göttliche Kräfte
Den ihren vermählet,
Des freuet sich Ymer,
Ergözt sich der Siege
Der Enkelin Hela,
Sie spottet im Abgrund
Vergänglicher Herrschaft
Gewaltiger Götter.
Frigga.

Jammervoll Schicksal!
Rauben wird Hela
[36]
Sieghaft den schönen
Göttlichen Sohn mir?
Die Wole.

Die Klage verspare
Dem größeren Weh noch.
Es nahet die Stunde,
Ich sehe sie kommen,
An nächtlichem Schauer
Erkranket der Morgen,
Erbleicht vor Entsetzen;
Das siegende Dunkel
Verdränget den Mittag.
Da rufet der Wächter
Des Himmels zum Kampfe,
Die Götter von Asgard,
Denn Söhne des Feuers
In kriegrischen Reihen
Verderbend bedrohen
Die Sitze der Götter;
Und Loke gesellet
Sich Feinden der Götter;
Es sprenget die Ketten
Der schreckliche Wolf auch;
Es kommen die Riesen
Der Berge gezogen.
Da Odin erkennet
Die Stunde des Falles
In ahndender Seele.
Dem Wolfe erlieget
[37]
Der herrliche König.
Der Himmel erbebet
Es berstet die Erde;
Der hungrige Abgrund
Eröffnet die Lippen,
Verschlinget die irren
Vermischeten Räume,
Verschlinget das Feuer
Und Dunkel und Kälte,
Gedanken und Zeiten
Und Himmel und Götter
In daurender Dämm'rung.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Melete. Scandinavische Weissagungen. Scandinavische Weissagungen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-20AE-1