[172] Dritter Zeitraum

(Ein von Felsen umgebenes Thal.)


(Mahomed kommt hastig von dem Felsen. Das Chor folgt ihm.)

Beide Chöre.

Fliehe durch das Felsgewinde,
Denn dir folgt der Fuß der Rache,
Birg dich in der Berge Schlünde,
Daß ihr Dunkel dich bewache.

Mahomed.

Ich bleibe. Warum soll ich fliehen vor den Koreschiten? ein größerer Feind, als sie, verfolgt mich. – Mein Gestirn geht unter, das Licht meines Geistes ist erloschen, verstummt sind die Weissagungen meines Busens, die Kraft Gottes ist nicht mehr allein sieghaft in mir. – Der Zweifel hat den Himmel aus mir verdrängt. – Das Heiligthum Gottes ist ein Tummelplatz der Leidenschaften. Wie anders bin ich geworden, der Geist herrscht nicht mehr in mir, mein Wunsch und Entschluß, Muth und Zagheit, Glauben und Furcht kämpfen menschlich in meiner Seele, – jetzt muß ich sorgen, sinnen, suchen, – Gott, wie bist du von mir gewichen! wie hast du mich verlassen am heißen Tage! dein Antlitz von mir gewendet in der Nacht!


(Er setzt sich zwischen den Felsen.)


In Mekkas Boden, sagte einst der Engel, muß der Baum gepflanzet werden, [173] der die Erde überschatten soll. – Und Mekka verstößt mich! –


(Zum Chor.)


Ihr Männer geht nach jenem Felsen, wenige Schritte von hier ist eine Höhle, in der ein hundertjähriger Magier wohnt; er kann Geister beschwören, kennt der Kabala geheime Gebräuche und den Lauf der Gestirne, geht! befragt ihn um des Korans Schicksal, und wie ihr euch retten möget vor meinen Verfolgern, meiner aber gedenket nicht.


(Erstes Chor ab.)


(Es wird Nacht, man hört in der Ferne donnern.)

Zweites Chor.

So will er andre Götter fragen,
Weissagung aus dem Abgrund ziehn?
An seines Busens Gott verzagen
Und zu den Unterirrdschen fliehn?
Doch Schuld bewohnt die dunkle Schwelle,
Die zu den Unterirrdschen führt;
Ich fürcht', es ist die Kunst der Hölle
Zu der sein Geist verzweifelnd irrt.

(Das Gewitter wird immer stärker.)

(Mahomed springt auf.)

Blitze zürnen,
Donner rollen,
Winde heulen,
Sie verklagen
Mein Verzagen,
Furchtbar schreiten
Mir zur Seiten
Todesengel,
Und es öffnet
Seine Tiefen
[174]
Schon der Abgrund;
Seine Dämpfe,
Sie verwirren
Meine Sinne! – –

(Er wirft sich zwischen die Felsen, das Gewitter nimmt ab.)

Zweites Chor.

Weh uns! was ist aus ihm geworden?
Er rast; sein Blick ist fürchterlich. –
O öffnet euch ihr Himmelspforten!
Ihr Engel! lächelt gnädiglich.
Kehrt voll Erbarmen zu ihm wieder,
Haucht Gottes Friede auf ihn nieder.
Halima (Hinter der Scene.)

Ali! Nahlid! wo seyd ihr?
Ali (Hinter der Scene.)

Hier! wer ruft?

(Ali und Nahlid kommen von der einen, Halima von der andern Seite.)

Halima.

Ali! Nahlid! eilt, um Gotteswillen rettet den Propheten.
Ali.

Sag', was ist denn geschehen?

Halima.

Eine treue Sclavin hat mich ereilt, sie sagt, mein Vater sey an der Spitze von hundert Koreschiten auf dem Wege, den Propheten zu ermorden; auch Omar hat ihm nachgesetzt, rettet! um Gotteswillen rettet ihn!


(sie wird Mahomed gewahr.)


Da ist er selbst, ich glaube er schläft, Mahomed! Mahomed! – Nein, er schläft nicht, seine Augen sind offen, seine Lippen zucken, sagt, was ist das?


Ali.

Sein ganzes Wesen ist fürchterlich, mir schauert, ihn zu sehen.

Nahild.

Laßt ihn, es geht vorüber, ich sah ihn [175] schon einmal so, es ist ein Zustand der Verzückung, sein äußeres Auge ist todt, aber sein inneres betrachtet die Tiefen der Dinge.


Ali.


So bleibe hier bei ihm, Nahlid! ich will unsere Freunde versammlen und jenen engen Weg vertheidigen, bis Mahomed erwacht und uns gebietet, was wir sollen. Komm, Halima! ich werde dich mit deinen Sclavinnen nach Medina senden.


(Ali und Halima ab.)


(Das erste Chor kommt.)

Zweites Chor.

Sprich, welche Kunde
Bringst du vom Priester,
Der der Kabala
Diensten sich weiht?
Erstes Chor.

Ungern vernahm er,
Was wir gefraget;
Schüttelt die weißen,
Lockigten Haare;
Zog um uns Kreise,
Murmelte Sprüche,
Sprach dann die Worte:
»Eilet und schauet,
Die Nacht ist vorüber,
Die Zukunft geboren,
Die Welt ist erstanden,
Gekommen die Zeit.«
(Der Himmel ist während dieser Zeit hell geworden.)
[176] Mahomed (Steht langsam auf.)

Sterne! gewaltig sind eure Schritte in euren Bahnen; das Rauschen eures Umflugs tönt noch in meinem Ohr; die blauen Wellen des unermeßlichen Luftmeer's brechen sich ächzend an euren Ufern. Und durch all die unermeßliche Räume hat sich der Baum des Lebens gepflanzt, Jahrhunderte und Jahrtausende ziehen flüsternd durch seine Zweige, wie leichte Frühlingslüfte.


(Pause.)


Das Zepter des Orients wird sich emporheben aus Mekka, es wird, einem Meteor gleich, gen Westen und Osten seine Strahlen senden.


(Er wird den Nahlid gewahr.)

Nahlid, du hier? Lebst du noch? Ist es nicht hundert Jahre, daß wir Mekka verließen?
Nahild.

Nein Herr, es ist noch nicht lange Zeit.

Mahomed.

Wahrlich, Nahlid! ich sage dir, es bedarf ein Jahrhundert, um zu sehen, zu hören, zu erkennen, was ich in dieser Zeit gesehn, gehört und erkannt habe. Aber doch hast du recht, es ist noch nicht lange, daß wir Mekka verließen, obgleich indeß der rasche Strom der Begebenheiten die träge Zeit gewaltsam in seine Wirbel mit gerissen hat.


Nahild.


O Herr! gedenke jetzt an deine Rettung, der schreckliche Omar und der rachedurstige Sofian verfolgen uns, flieh! rette dich! ehe es zu spät ist.


Mahomed.


Laß sie kommen. Ich war ertödtet, aber zehenfaches Leben ist erwacht in mir; nach dem Zweifel ist das Vertrauen am stärksten, nach der Vergehung die Barmherzigkeit am süßesten.


[177] Nahild.

Aber denke doch auf Mittel, daß uns der Feind nicht überrasche.

Mahomed.

Sey unbesorgt, ich bin zwar nur ein Mensch, ein Gefäß von Staub und Asche, wie ihr, aber ein Tropfen aus dem Brunn des ewigen Lebens ist in mir aufbewahrt, darum werde ich nicht die Beute meiner Feinde werden.


(Pause.)


Das Schicksal der Völker ist in mir, die Saat der Zukunft ist in meine Brust gesäet, muß ich nicht leben, daß die Erndte reife und die künftigen Geschlechter erquicke?


Nahild.

Herr! ich begreife deine Sicherheit nicht.

Mahomed.

Der Geist hat zu mir gesprochen: Prophet! stehe auf und gründe die Gemeinschaft der Gläubigen, stifte das Reich, an dem ich Wohlgefallen habe. Nun aber sind unsere Feinde zahleich, sie kämpfen nicht allein mit ihrem Geist gegen uns, nein, auch noch mit all ihrer irrdischen Kraft und Gewalt. Daher sind unsere Waffen ungleich, wenn wir uns nur mit Worten und Unterwerfung ihrer erwehren, der Gedanke allein kann die Schlacht nicht gewinnen, es bedarf dazu des Armes und des Schwerdtes. Dem irrdischen Trotz müssen wir eine irrdische Gewalt entgegensetzen, und diese wollen wir uns erschaffen.


Nahild.

Wann aber, und wie kann das geschehen?

Mahomed.

Das wollen wir der Zukunft ablernen, glaube mir, auch die Begebenheiten und Erscheinungen im Laufe der Schicksale sind Hieroglyphen, [178] in denen das Auge des Sehers oft den tiefen Sinn Gottes schauet. –


(Pause.)


Wir haben einen köstlichen Zweig vom Baum der göttlichen Seligkeit erhalten, diesen sollen wir der Erde einimpfen; daß er aber gedeihen möge, thut es Noth, daß wir einen guten Stamm erlesen, mit dem er sich leichtlich vermische, und daß wir ihm einen fruchtbaren Boden erwerben, in dem er kräftig wachsen und sich ausbreiten möge. Aber auch vor den ungestümen Winden müssen wir ihn bewahren, daß nicht der brennende Samum seine Blüthen entblättere. Daß dies alles geschehe, gab uns Gott den unbezwinglichen Muth, das Mark des Löwen und die Schärfe des Schwerdtes.


Nahild.

So sollen wir den Boden mit dem Schwerdte erwerben und mit Blut besprützen?

Mahomed.

Was Noth thut, das geschehe; wer für die Wahrheit stirbt, der lebt zehnfach in Gottes Herrlichkeit; der Tod der Gottlosen aber giebt der erkrankten Welt Genesung und frischeres Leben, denn ihre bösen Thaten sind die Fäulniß der Erde, und Heil dem Schwerdte, das sie trennt von dem gesunden Leibe.


(Man hört Getümmel hinter der Scene.)

(Ali, mehrere Freunde Mahomeds, die Vorigen.)
Ali.

Omar hat uns erreicht, wir wollten ihm den Eingang in dies Thal mit dem Schwerdte wehren, aber er begehrte eine Unterredung mit dir.


[179] Nahild.

Ist er allein oder sind viele bei ihm?

Ali.

Kaled ist mit ihm und noch einige Bewaffnete, seine übrigen Begleiter sind wohl noch hundert Schritte zurück.


Mahomed.

Führt den Omar zu mir.

(Ali ab.)

Nahild.

Herr, ich fürchte nur, Omar will dich ermorden oder hintergehen, du kennst seinen wilden Haß.
Mahomed.

Omar ist rauh, ungestüm, doch kein Verräther. Horch! sie kommen.

(Alle ziehen die Schwerdter bis auf Mahomed.)


(Omar, Kaled, einige Krieger mit gezogenen Schwerdtern.)

(Ali und die Vorigen, Mahomed tritt bei Seite.)
Kaled.

Was soll diese Unterredung? Wollt ihr euch bethören lassen? Ihr hättet besser gethan bei Sofian und Abu-Johl zu bleiben.


Omar.

Schweigt oder geht.
Kaled.

Nein, ich bleibe, ihr habt nichts Geheimes zu unterhandlen mit dem Feind der Koreschiten.
Omar.

Nun so bleibt und fügt euch.

Mahomed (hervortretend.)

Was wollt ihr von mir? Was verfolgt ihr mich, ihr Bürger von Mekka? Könnt ihr noch Schlimmeres an mir thun? Ich bin unschuldig und ihr habt mich aus der geweihten Stadt Mekka hinausgestoßen zu den Raubthieren der Wüste. Bin ich nicht ein Koreschite, wie ihr? Arabiens edelstes Blut fließt in meinen Adern; ich, des weisen Abdahlas Sohn, der Ueberwinder der [180] Kenaniten, werde hinausgeworfen aus der heiligen Gemeinschaft meines Volkes wie ein Uebelthäter?


Kaled.


Wisse, man war zu gelinde gegen dich, so lange du lebst ist die Eintracht ferne von uns. Deine Anhänger nähren die Zwietracht in unserer Vaterstadt, daß wir Ruhe erlangen, mußt du sterben.


Mahomed.


Die Ruhe, die ihr suchet, ist eine Ruhe der Schlaffheit, des Absterbens und der Knechtschaft; Krieg ist besser denn solch ein Friede.


Kaled.


Es ist bekannt, daß Mahomed kein Freund der Ruhe und Ordnung ist, er lebt von der Zwietracht, kein Wunder also, wenn er sie preist.


Mahomed.


Zu dir, Omar, wende ich mich, ich habe mit dem Kaled nichts zu schaffen. Wisse also, meine Feinde mißtrauen dir, sie fürchten, du möchtest durch mich von der Blindheit des Unglaubens genesen; dies zu verhindern, haben sie den Kaled mit funfzig Goldstücken gewonnen, dich zu beobachten, und wenn du wanktest, dich ihrer Rache auszuliefern.


Kaled.


Ha! das sind des Lügners Künste, hieran, Omar! erkenne den Mahomed; so weiß er in den festesten Verein das giftige Scheidewasser der Verläumdung zu träufeln; so will er sich retten durch dein Mißtrauen.


Mahomed (Er winkt seinen Begleitern.)


Gehet, durchsuchet den Kaled, er trägt die funfzig Goldstücke, für welche er den Omar verrathen wollte, bei sich.


(Sie durchsuchen ihn.)

[181] Ali.

Hier sind die Goldstücke.
Mahomed.

Führt den Kaled hinweg.

(Sie schleppen ihn fort.)

Nun, Omar, das sind deine Freunde, deine Bundesgenossen, ich muß dich retten aus ihren Fallstricken. Was blickst du so zur Erde? Hebe deine Augen gen Himmel, denn der Gott, den ich verkünde, gab mir die Weisheit, das nächtliche Beginnen der Bosheit zu durchschauen.


Omar.

Was soll ich sagen? Meine Seele ist dahingerissen auf ein stürmisches Meer.

Mahomed.

Damit du glaubest, daß ich ein Seher tiefer Geheimnisse bin, will ich mit dem Lichte der Weissagung auch die Gründe deiner verschlossenen Brust erhellen. Seit dem Tage, da du den Koran lasest, bist du mein Feind nicht mehr, aber deine Seele war gefangen in Zweifel, zu Boden gedrückt von der irrdischen Bangigkeit. Vor einigen Tagen giengst du in deinem Baumgarten auf und nieder, da sprach deine Seele zu sich selbst: Wenn Mahomed ein Betrüger ist, so wäre ihm besser, er wäre nie geboren, wenn er aber ein Prophet Gottes ist, so trifft Fluch den Arm, der sich aufhebt, ihn zu verderben. In dieser Stunde beschlossest du, mich aufzusuchen und zu erforschen.


Omar (sich vor ihm niederwerfend.)


Ja, wahrlich, Mahomed! du bist ein Seher, du hast die tiefen Gedanken meines Geistes, die nie Worte wurden, durchschaut. Ja, ich bekenne, du bist der Prophet des einzigen Gottes.


[182] Mahomed (ihn aufhebend.)

Omar, du hast meine Seele von einem großen Schmerz geheilet, denn dein Haß bekümmerte mein Herz.

Omar.

Ich kam mit dem Vorsatz hierher, dich zu tödten, wenn ich dich falsch befinden würde, dir zu dienen, wenn du wahr seyest. Von heute an gehöre ich zu den Deinen, meine Brust sey dein Schild, sorglicher als mein eigenes Leben vertheidige ich jetzt das deinige.


Mahomed.


Bald werde ich deine Treue erproben, doch auch ohne Probe glaube ich dir, du bist ein edler Mann, das wußte ich, als du noch mein Feind warst, heute trittst du in die Gemeinschaft der Gläubigen, unter ihnen ist kein Falsch, sie haben eine Liebe und eine gute Sache, daß diese siege, ist ihr aller Zweck, andern Gewinn kennen sie nicht, sie sind nicht zusammen getreten, um sich Ehre, Reichthum oder Wohlleben zu erwerben. Durch ihre Verbindung soll der Tempel Gottes erbauet werden, daß dieses Werk gelinge, dafür opfern sie Leben, Ruhe und Glück, sie wollen keine andere Heimath haben, als in dem Reiche Gottes, das sie gründen werden, darum haben sie kein ander Vaterland, als ihre heilige Gemeinschaft.


Omar.


So laß' uns mit dem Schwerdt ein Vaterland erwerben, indem du den Tempel Gottes mit Ruh und Sicherheit gründest. Sprich, wie kann ich dir dienen? enthülle dich mir.


Mahomed.


Wie? das muß ich selbst erst lernen; [183] ich habe nicht mit irrdischer Klugheit einen Plan für die ferne Zukunft ersonnen und jeden Umstand bedacht, der kommen könnte. In jedem Augenblicke Gottes Willen erspähen, ihn in den Begebenheiten und dem, was man Zufälle nennt, lesen, das ist meine Weisheit.


Omar.


Wie, du hättest keinen Plan, der alle mögliche Zufälle in sich begreift und selbst die Ungünstigen klug zu deinem Vortheil verwendet? Das hättest du versäumt? In solcher Kindheit wäre noch dein Werk?


Mahomed.


Ich weiß, daß wir von Mekka aus ein Reich gründen sollen, wann aber, und durch welche Hilfsmittel, das weiß ich jetzt noch nicht.


Omar.


Willst du das alles dem Zufalle überlassen? Du streitest gegen Menschen, so bediene dich auch menschlicher Mittel.


Mahomed.

Das thue ich auch, doch habe ich sie immer im Augenblicke, da ich sie bedurfte, gefunden.
Omar.

Es ist eine frevelhafte Verwegenheit in dieser Art zu handeln.

Mahomed.

Ist nicht Gott der Urborn alles Wissens und aller Erkenntniß? Und ist es nicht höhere Weisheit, sich seinen Fügungen hingeben, als sich von ihm losreißen und einen eignen Plan haben wollen, der vielleicht dem Willen Gottes zuwider ist?


Omar.

Ich denke, man sollte erst alle menschliche Klugheit anwenden, eh' man den Himmel versucht.

[184] Mahomed.

Das hieße ungefähr: ein eigenes Werk beginnen, und wenn es mißlänge, sich dem Himmel entsagend, wie seinem bösen Schicksal überlassen.


(Lange Pause.)


Schau um dich, Omar! Die Erde ist reif für unser Werk, Krankheit und innere Gährung zerrütten sie, wir sollen ihr wieder einen gesunden Lebensodem einhauchen, sie ist entzweit von Partheisucht und blutigem Haß, wir sollen die Partheien vereinigen, den Haß versöhnen. Das uralte, vielköpfige Ungeheuer, das Heidenthum, ist verdrängt aus dem Westen, im Osten kämpft es verzweifelnd den letzten Kampf gegen das Christenthum. Das Christenthum hat sich von seinem Erzeuger, dem Judenthum, losgerissen, es hat das elterliche Haus verlassen und ist hinausgewandert nach allen vier Winden, es sendet aus der Ferne die giftigen Pfeile der Verfolgung nach seines Vaters heiligem Haupte; zugleich ist es uneins mit sich selbst, seine Theile bestreiten sich in grimmigem Zwist und sein sonst wohlgebauter Körper ist voll wilder, gräulicher Auswüchse. So verworren ist der Sinn der Menschen, so widerstrebend ihre heiligsten Gefühle und Meinungen, so erkrankt sind die Zeiten und Religionen. – Daß Friede, Eintracht und Gesundheit wiederkehren auf Erden, dazu hat mich Gott gesandt; die Völker sollen in einen Tempel versammelt, das Heidenthum an dem neuen Altare als ein Gott wohlgefälliges Opfer geschlachtet werden; das Christenthum soll zurückkehren zu dem Judenthum und sich [185] in meiner Lehre mit ihm versöhnen und vereinigen. – Sieh, Omar! dies ist das Werk, das ich vollbringen muß, dieses hat mir der Geist geboten. Willst du dieser That theilhaftig werden, so reiche mir deine Hand, wir theilen dann treulich Gefahr und Sieg.


Omar.


Ja, ich will es, obgleich es ein ungeheurer Entschluß ist; unserer sind siebenzig, uns gegenüber steht die ganze gewaltige Welt, und nichts ist für uns, als unser Muth und unser Entschluß.


Mahomed.


Ich habe die Erde durchwandert im Osten, der Staaten und der Völker Verhältnisse sind mir bekannt. Der Römer mächtiges Reich im Abendlande ist untergegangen, langsam erstirbt an innerer Entnervung ihr Kaiserthum im Orient; vergebens glänzte in der Reihe schwacher und willenloser Beherrscher der große Justinian wie ein Gestirn hervor; vergebens besiegte er die Gothen und Vandalen, er stärkte des Reiches Arme, doch das kranke, erschlaffte Herz konnte er nicht heilen; seit Heraklius dort herrscht, hat sich das Uebel dem ganzen trägen Körper mitgetheilt. – Wende jetzt deinen Blick in unsre Nähe, der Perser zweites Reich hat den höchsten Gipfel der Macht unter dem ersten Cosru erreicht, der zweite Cosru setzt zwar seines Vaters Siegesbahn gegen die Ost-Römer fort, doch er überwindet mehr durch seiner Feinde Schwäche als durch eigene Kraft. Dieser Cosru ist kein großherziger Mann, wie sein Vater. Der Perser große Zeit ist doch vorüber, die hohe Fluth ihres [186] Ruhms ist dahin, die Ebbe kommt so schnell, als gewiß. Betrachte jetzt mit mir unser Vaterland, die schöne Blume unsers Landes ist verblättert in viele Stämme, die sich kaum ihrer gemeinschaftlichen Abkunft erinnern, die sich hassen, beneiden und verfolgen. – Sieh, Omar! das ist der Schauplatz, den wir betreten, er ist günstig; leicht vermählen sich die Umstände mit unserm Beginnen; unserer sind zwar Wenige, aber Gottes Kraft ist mit uns, unsere Feinde sind nicht gewaltig, und die That nicht unmöglich.


Omar.


In Mekka sind seit deiner Abwesenheit die Umstände günstiger geworden; die Koreschiten haben deinen und deiner Freunde Namen verflucht, aber der Stamm von Haschem ist dir geneigt geworden, er wünscht deine Zurückberufung und klagt laut über die Ungerechtigkeit deiner Feinde.


(Ein Krieger kommt.)
Krieger.

Es ist Geräusch drunten im Thale, man sieht Waffen glänzen, wahrscheinlich sind Abu-Sofians Schaaren gegen uns im Anzug.


Mahomed.


Wir wollen die Blutgierigen nicht erwarten, Omar! wir wollen ihnen entgegenziehen, meiner Freunde sind wenig, aber sie sind alle entschlossen für den Koran zu sterben.


Omar.

Ja, für dich und den Koran.
Mahomed.

Geh voraus, Ali! gebiete den Unserigen, daß sie sich zum Kampfe bereit halten.

(Ali ab.)

Gott des Sieges sey mit uns! Komm, Omar! dein[187] tapferer Arm wird Thaten finden. Kommt, meine Freunde! meine Seele braust über von Muth und Kampflust.


(Er zieht sein Schwerdt. Alle, bis auf die Chöre, ab. Man hört Waffengeklirr aus der Ferne.)

Erstes Chor.

Hörst du die Schilder, die Schwerdter erklingen?
Auf! zu des Kriegsgottes tobender Lust,
Laß uns mitkämpfen, laß und mitringen,
Bieten den Feinden die männliche Brust.
Auf dann! gegriffen zum muthigen Schwerdte,
Fort in des Treffens dickstes Gewühl,
Muthige Kämpfer erbeuten die Erde,
Tod und Gefahren sind ihnen nur Spiel;
Ja, der Tod, der Beherrscher der Feigen,
Er wird der Tapfern Diener und Knecht,
Herrisch führen sie ihn durch die Reigen,
Ihnen gehorcht er im wilden Gefecht.
Zweites Chor.

Ja, ich höre die Schwerdter erklingen,
Muthiges Leben erhebt mir die Brust,
Mit will ich kämpfen, mit will ich ringen,
Stürzen zum Tod mit frohlockender Lust.

(Chöre ab.)


(Eine andre Gegend des Gebirgs.)

Halima allein.
Halima.

Wo soll ich hinfliehen? Ueberall Waffengeklirr, Mord, Verfolgung! – Hier will ich bleiben, bis das Treffen vorüber ist. – Wo mag Mahomed jetzt seyn, ist er vielleicht in Gefahr? Mein Vater, ist er vielleicht getödtet! Schrecklicher Gedanke! Für [188] wen soll ich beten? Für meinen Vater! Verfolgt er nicht des Sehers heiliges, theueres, geliebtes Haupt? Für den Propheten! Wird er nicht vielleicht der Mörder meines Vaters? O wie ist meinem Herzen bange! Mein Leben gleicht der Blüthe des Lotus, sie öffnet ihre Blätter und all ihre duftige Schönheit der Sonne, wenn aber das Gestirn des Tages hinabgesunken ist an den Rand der Erde, so verschließt sie ihren Kelch und trauert verschlossen in sich; leicht verwelklich ist des Lotus Blume, ihre Blätter fallen ab und ihre Stätte wird nimmer gefunden. – Horch! rauscht es nicht durch die Blätter? Nein, mein Ohr täuscht mich mit falschen Schrecken. – Ich ihn lieben, ich den Propheten, den Gesandten Gottes? O frevelhafter Wahnsinn des Staubes. – Horch! man kommt! wo berg' ich mich?


(Sie tritt bei Seite.)

Ali, Nahlid, Bewaffnete.
Ali.

Bleibe hier, Nahlid! mit diesen Männern; Sofian ist von den Seinigen abgeschnitten, dies ist der einzige Weg, auf dem er entfliehen kann, erwarte ihn hier und tödte ihn, wenn er kommt.


(ab.)

Halima (hervortretend.)

Was sagte dir Ali?
Nahild.

Du hier, Halima? Er sagte mir – nein, ich darf es dir nicht sagen.
Halima.

Ich habe es doch gehört, er will, du sollst meinen Vater tödten, wirst du es thun?

[189] Nahild.

O sieh mich nicht mit solchen Blicken an, sie reden zu meinem tiefsten Herzen, und doch muß ich thun, was mir Ali gebot.


Halima.


Du mußt nicht, deine Seele ist sanft und mitleidsvoll, ihr gehorchen, das ist besser als der Rache dienen.


Nahild.

Ich darf, ich kann nicht anders.
Halima.

Man darf viel, wenn man nur will, du bist Mahomeds Liebling, was wird er dir nicht verzeihen?
Nahild.

Ich selber darf es mir nicht verzeihen, denn deines Vaters Leben ist dem Propheten gefährlich.

Halima.

Das verhüte der Himmel. Mahomeds Leben ist mir heilig, wie dir, aber rette, rette meinen Vater; suche der Unbarmherzigkeit keine Entschuldigung und beflecke deine Hände nicht mit dem Blute meines Vaters, ich müßte dich hassen, fliehen, wenn du es könntest.


Nahild.


O Allah! verzeih! Dies Mädchen macht mich zum Verbrecher. Halima, ich werde thun, was du wünschest, obgleich diese Stunde meine Seele auf immer belasten wird. Komm, Halima! ich bringe dich in Sicherheit.


(Zu den Bewaffneten.)

Folgt mir!

(Alle ab.)

Sofian kommt aus dem Gebüsch.
Sofian.

Ha, dieser Weg ist noch offen, jetzt bin ich gerettet. Das war ein Tag! Böse Geister müssen mit dem Mahomed seyn.


[190] Abu-Johl kommt mit Kriegern.

Abu-Johl.

Seyd ihr hier, Abu-Sofian! ich fürchtete mich gefangen.
Sofian.

Das Glück ist uns noch nicht ganz ungünstig, da es uns noch diesen Weg zur Flucht übrig ließ.

Abu-Johl.

Flucht! o schändliches Wort! Wir fliehen? Wehe mir, daß ich diesen Tag erleben mußte, es ist abscheulich.


Sofian.


Nun, stampft nicht so auf die Erde, und werft mir keine so grimmige Blicke zu, ich bin nicht zuerst geflohen.


Abu-Johl.

Ich auch nicht, wer es sagt, redet schändliche Lügen.

Sofian.

Hab' ich es denn gesagt? Geht, spart euern Unmuth für unsere Feinde und verschont mich mit den wilden Ausbrüchen eurer üblen Launen.


Abu-Johl.


Ihr, Sofian, seyd doch Schuld an unserm Verlust und unsrer Schmach, eure Leichtgläubigkeit hat uns ins Verderben gestürzt. Ihr habt an Omars Treue geglaubt und für ihn gutgesagt.


Sofian.


Euer Mißtrauen hat den Omar so wenig vom Verrath abhalten können, als mein Vertrauen; aber ihr sucht nur eine Entschuldigung und freut euch, wenn ihr mich als die Ursache alles Schadens angeben könnt, denn ihr könnt nicht geschlagen werden, ihr habt geschworen, als Sieger oder nie wieder in Mekka einzuziehen; glüklicher Weise habt ihr doch euer kostbares Leben zu erhalten gewußt.


[191] Abu-Johl.


Ich stoße euch mein Schwerdt in die Brust, wenn ihr nicht schweigt, seyd ihr toll, daß ihr mich so reizt?


Sofian.


Eure Hitze verdirbt alles und hat von jeher alles verdorben; wenn ihr ruhig seyn wolltet, so möcht' ich wohl ein Paar vernünftige Worte mit euch reden, aber man kann nicht, ihr geberdet euch wie ein Rasender, es ist nicht anzusehen.


Abu-Johl.


O Omar! verfluchter, abscheulicher, niederträchtiger Verräther! Glaube mir, Sofian! dieser verdammte Omar ist an allem Schuld, wäre er nicht gegen uns gewesen, wir hätten den Mahomed geschlagen, zertreten, aufgerieben. Omars Verrath hat uns geschlagen, er hat mich aus aller Fassung gebracht, aber ich schwöre bei Al-Ozza, ich will es rächen, blutig, entsetzlich.


Sofian.


Um aller Götter willen, mässiget euch, was hilft das Wüthen? Kommt, wir wollen unsere zerstreuten Krieger sammlen und nach Mekka ziehn, kommt, tröstet euch. Ich habe einen Plan, der unsere Feinde verderben wird. Ihr wißt, daß Habib-Ebn-Malec, der Großemir der nomadischen Stämme, seit gestern zwischen Mekka und Tazef lagert; ihm wollen wir unsere Klagen gegen den Mahomed vortragen und uns seinem Urtheil unterwerfen, er hängt an der alten Religion, Neuerung und Aufruhr sind ihm, dem ruhigen Greis, verhaßt; ich glaube, wir werden es leicht dahin bringen, daß er den Mahomed zum Tode verdammt.


[192] Abu-Johl.


Ihr habt Recht, Sofian, ihr seyd doch ein weiser Mann, jetzt fühle ich wieder Muth und Kraft in meiner Seele. Doch werde ich noch vorher alle meine Freunde aufbieten, den Mahomed zu verfolgen; wenn wir ihn vorher tödten können, so ist es besser, wir bedürfen alsdann keinen fremden Richterspruch.


Sofian.

Ihr thut sehr wohl daran, Abu-Johl.

(Beide ab.)

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TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Poetische Fragmente. Mahomed, der Prophet von Mekka. Dritter Zeitraum. Dritter Zeitraum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2094-A