[75] Mahomets Traum in der Wüste

Bei des Mittags Brand
Wo der Wüste Sand
Kein kühlend Lüftchen erlabet,
Wo heiß, vom Samum nur geküsset,
Ein grauer Fels die Wolken grüßet
Da sinket müd der Seher hin.
Vom trügenden Schein
Will der Dinge Seyn
Sein Geist, betrachtend hier, trennen.
Der Zukunft Geist will er beschwören,
Des eignen Herzens Stimme hören,
Und folgen seiner Eingebung.
Hier flieht die Gottheit,
Die der Wahn ihm leiht,
Der eitle Schimmer verstiebet.
Und ihn, auf den die Völker sehen,
Den Siegespalmen nur umwehen,
Umkreist der Sorgen dunkle Nacht.
Des Sehers Traum
Durchflieget den Raum
Und all' die künftigen Zeiten,
Bald kostet er, in trunknem Wahne,
Die Seligkeit gelung'ner Plane,
Dann sieht er seinen Untergang,
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Entsetzen und Wuth,
Mit wechselnder Fluth,
Kämpfen im innersten Leben,
Von Zweifeln, ruft er, nur umgeben!
Verhauchet der Entschluß sein Leben!
Eh' Reu ihn und Mißlingen straft.
Der Gottheit Macht,
Zerreiße die Nacht
Des Schicksals, vor meinen Blicken!
Sie lasse mich die Zukunft sehen,
Ob meine Fahnen siegreich wehen?
Ob mein Gesetz die Welt regiert?
Er sprichts; da bebt
Die Erde, es hebt
Die See sich auf zu den Wolken,
Flammen entlodern den Felsenklüften,
Die Luft, erfüllt von Schwefeldüften,
Läßt träg die müden Schwingen ruhn.
Im wilden Tanz,
Umschlinget der Kranz
Der irren Sterne, die Himmel;
Das Meer erbraußt in seinen Gründen,
Und in der Erde tiefsten Schlünden
Streiten die Elemente sich.
Und der Eintracht Band,
Das mächtig umwand
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Die Kräfte, es schien gelöset.
Der Luft entsinkt der Wolken Schleier
Und aus dem Abgrund steigt das Feuer,
Und zehret alles Ird'sche auf.
Mit trüberer Fluth
Steigt erst die Gluth,
Doch brennt sie stets sich reiner,
Bis hell ein Lichtmeer ihr entsteiget
Das lodernd zu den Sternen reichet
Und rein, und hell, und strahlend wallt.
Der Seher erwacht
Wie aus Grabesnacht
Und staunend fühlt er sich leben,
Erwachet aus dem Tod der Schrecken,
Harr't zagend er, ob nun erwecken
Ein Gott der Wesen Kette wird.
Von Sternen herab
Zum Seher hinab
Ertönt nun eine Stimme:
»Verkörpert hast du hier gesehen
Was allen Dingen wird geschehen
Die Weltgeschichte sahst du hier.
Es treibet die Kraft
Sie wirket und schafft,
In unaufhaltsamem Regen;
Was unrein ist das wird verzehret,
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Das Reine nur, der Lichtstoff, währet
Und fließt dem ew'gen Urlicht zu.«
Jetzt sinket die Nacht
Und glänzend ertagt
Der Morgen in seiner Seele.
Nichts! ruft er, soll mich mehr bezwingen:
Daß Licht nur werde! sey mein Ringen,
Dann wird mein Thun unsterblich seyn.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Gedichte und Phantasien. Mahomets Traum in der Wüste. Mahomets Traum in der Wüste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-201C-B