[336] »Naderer da!«

In des Wirthes Gartenlaube saß ich sinnend ganz allein,
Rings um mich des Dörfleins Giebel blinkten hell im Sonnenschein,
Frühlingswind zog übers Saatfeld, daß es grüne Wogen rollt',
Und die nahen Rebenhügel standen glänzend ganz in Gold.
Wie das Auge jener Holden, die ich einst so heiß geliebt,
Blaute drüber hin der Himmel, wolkenlos und ungetrübt,
Und er sah auch mir ins Auge, drang mir bis ins Herz hinein,
Daß auch drin es Himmel wurde, heiter, wolkenlos und rein!
Uebers Haupt mir spannten kühlend dichte Zweig' ihr grünes Zelt,
Sorgsam hat mit edler Labung mir den Tisch der Wirth bestellt;
Weißes Brod, das jene Saaten dargebracht als reichen Zoll,
Süßer goldner Wein, der saftig einst von jenen Hügeln quoll!
Und des Waldes duft'ge Beeren, runde Kirschen, purpurroth,
Die mich fast wie Küsse mahnten, die das schöne Land mir bot,
Wenn nicht eine süßre Botin eben dort trät' aus dem Haus;
Doch die schöne Schelmin richtet ihre Botschaft mir nicht aus!
[337]
Selig wie des Frühlings Rosen warst du da, mein Herz, erblüht,
Heiter, wie des Frühlings Sonne, warst du, Auge, aufgeglüht!
Sieh, da tritt ein Mann, ein fremder, durch die offne Gartenthür,
Wallt heran zu meiner Laube, setzt sich an den Tisch zu mir.
O ihr fernen, sel'gen Brüder, die ihr wohnt in freierm Land,
Rasch und froh dem neuen Gaste hättet ihr gedrückt die Hand,
Und willkommen ihn geheißen, mitzutrinken euren Wein,
Festgenosse all des Glanzes rings und Reichthums euch zu sein!
Aber ach, ich dachte bange, als der fremde Mann genaht:
Ist es nicht vielleicht ein Diener unsrer finstern Hermandad,
Der da lauert auf Gedanken, wie im Forst der Wilddieb lauscht,
Ob kein Hirsch, kein allzufreier, arglos aus dem Busch nicht rauscht?
Der da spähet, was für Blätter meines Geistes Rebe treibt?
Ob des Sprößlings luft'ge Ranke fein am alten Stocke bleibt?
Der da die geheimsten Perlen meines Herzens wühlt empor,
Daß er dann die hellsten werfe den gefräß'gen Schweinen vor?
Also dacht' ich und verwandelt war mein Wein in Galle schier,
Und des Frühlings Purpurküsse mundeten nun nimmer mir,
Meines Herzens heitre Rosen dorrten ab, verwelkt alsbald,
Und ich sprang empor und stürzte in den öden finstern Wald!
Meine Stirne lehnt' am Baumstamm, und des Auges Thräne rann:
Ach, vielleicht mit bittrem Unrecht kränkt' ich jenen fremden Mann!
Und vielleicht wohl ist er würdig, daß Vertraun ins Aug' ihm blickt,
Und des besten Mannes Liebe treu und warm die Hand ihm drückt!
[338]
O ihr Mächt'gen, die mit Arglist Brüder ihr auf Brüder hetzt,
Und dem edelsten der Völker Mißtraun in die Herzen setzt,
Könnt ihr diesem blauen Himmel frei ins freie Auge seh'n?
Könnt ihr jenen lichten Fluren, jenen Bergen Rede steh'n?
Rings ist Glanz und Tageshelle, aber Nacht ist eure That!
Rings ist Offenheit und Freiheit, aber Mißtraun eure Saat!
Wollt ihr unsre Herzen wandeln, o verwandelt erst das Land!
Nimmermehr dann will ich murren, Wunsch und Thräne sei verbannt.
Laßt die frischen grünen Felder öde fahle Haiden sein,
Drauf statt reicher goldner Saaten Dorn und Unkraut nur gedeih'n!
Setzt ein Volk auf diese Fluren, zwergig, träg' und ungestalt,
Statt des starken, schönen, heitren, das sie blühend jetzt durchwallt!
Starr zu kahlem Krüppelholze sei der Hochwald eingeschrumpft,
Und der Strom, der blaue schnelle, sei zur Pfütze träg versumpft!
Jene Kette stolzer Berge sei ein Haufe Schutt und Sand,
Und die graue Distel krieche, wo die Rebe glorreich stand!
Es verhüll' ein ew'ger Nebel unsern Himmel, blau und licht!
Solchem Land paßt eure Satzung, doch dem unsern paßt sie nicht!
Dann trompete euer Herold sie in Nebelnacht hinaus!
Dann entsendet eure Späher hündisch auf die Lauer aus!
Ob kein Hirsch, kein allzudreister über euren Kirchhof springt?
Ob nicht allzufreie Ranken in dem Schutt' ein Sprößling schlingt?
Ob nicht allzuhelle Perlen jene trübe Pfütze hegt?
Allzuschwer wird er nicht schleppen an dem Funde, den er trägt!
[339]
Doch, so lang das Land noch blühend, saatenreich und frühlingsgrün,
Und das Volk gesund und fröhlich, kräftig noch und jugendkühn,
Mögt ihr nicht sein Brod vergiften, seine grüne Flur entweih'n,
Seinen blauen Himmel trüben und vergällen seinen Wein!

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Spaziergänge eines Wiener Poeten. »Naderer da!«. »Naderer da!«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0F55-F