[166] Aus Krain

[167][169]

Nachruf an Preschérn 1

1849.


»Kdo zna

Noč tamno rasjasnit', ki tare duha?

Kdo vé

Kregulja odgnati, ki kluje sercé

Od zora do mraka, od mraka do dné!«

Prešérn.


Wer kann

Erhellen die Nacht, die den Geist umspann?

Wer jag'

Den Geier vom Herzen, daß er's nicht nag'

Vom Morgen zum Abend, vom Abend zum Tag!

In würz'ger Luft, auf blumenbuntem Grunde
Ragt eine Linde neben einer Eiche,
Die Zweige sanft verschränkt zum grünen Bunde,
Als ob ein Freund dem Freund die Hände reiche;
Ob hier das Blatt gezackt sei, dort sich's runde,
Des Laubs und Schattens Farbe bleibt die gleiche!
Uns Nachbarkinder, spielend auf den Matten,
Umwölbt des grünen Doms vereinter Schatten.
[169]
Da ward kredenzt Gluthwein vom letzten Jahre,
Der Keltersegen schwüler Sonnenbrände,
Und als ob Feuer in die Adern fahre
In Kampflust flogen an das Schwert die Hände;
Den Reigen löst das Volk, auf daß sich's schaare
Zur Linde hier, sich dort zur Eiche wende;
»Hie Slave!« – »hie Germane!« scholl es grimmig
Und Zornesworte brausten tausendstimmig.
Noch schwoll der Zwist; da strich ein flüsternd Klagen
Dahin durchs Säuseln der Slovenenlinde,
Ein Zittern ging, als mocht' ein Herz ihr schlagen,
Vom Stamm zum Wipfel ihr, vom Mark zur Rinde;
Von Männern ward ein Leichnam hergetragen,
Sie lehnten an den Stamm sein Haupt gelinde,
Ein Dichterhaupt! Dem Volke starb sein Seher;
Erschüttert trat ich von der Eiche näher.
Er war mein Lehrer einst! Aus dumpfen Hallen
Entführt' er mich zu Tiburs Musenfeste,
Zum Wunderstrand, wo Maro's Helden wallen,
Zur Laube, wo der Tejer Trauben preßte,
Zum Kap Sigeums, dran die Wogen prallen
Wie Waffentosen, bis zu Priam's Veste;
Sein Geisterschiff trug keine Flagg' am Ständer,
Nicht blau-roth-weiß', nicht schwarz-roth-goldne Bänder.
Wir sahn der Griechenfreiheit Todesbette,
Wir sahn im Blachfeld Rom und Hellas ringen,
Den Sieger dann, sich schmückend mit der Kette,
Um des Besiegten Haupt den Lorbeer schlingen,
[170]
Den Kriegspfeil sinken vor des Marmors Glätte,
Vom Hauch der mildern Sitte morsch die Klingen!
Im Glast zerbrochner Römerschwerter gleiten
Mir Spiegelbilder spätrer Kämpferzeiten.
Auf dieses Todten Herz, – das nie gewittert,
Geleuchtet nur, – leg' ich die Hände gerne;
Die Weltenseele quillt, vom Markt zersplittert,
Ins Dichterherz zu ruhigem klaren Kerne;
Das Licht, das rings verirrt in Funken zittert,
Im Dichterherzen sammelt sich's zum Sterne;
Wenn Haß zum Streit hinaus das Volk getrieben,
Vergräbt's, wie Gold, ins Dichterherz sein Lieben.
Was dieses Leichenmundes heitrer Friede
Sein Volk gemahnt, der Tod kann's nimmer schwächen:
»Die Zunge löst' ich dir mit meinem Liede,
Wie Christ den Stummgebornen lehrte sprechen;
Ich war der Schmied, der dir die Pflugschar schmiede,
Der Sprache langverödet Feld zu brechen;
Und willst du froh ans Erntefest schon denken,
Noch manches Korn mußt du zur Furche senken.
Der goldne Eimer geht im Völkerringe
Von Hand zu Hand, aus deutscher dir zu thauen;
Du zückst das Schwert, daß deinen Dank es bringe,
Die Hand, doch nicht die Wohlthat, kann's zerhauen!
Der Hauch der Zeiten fährt in Faust und Klinge,
Wenn Haupt und Herz den Eingang ihm verbauen;
O thöricht eitles Mühn, des Geistes Blitze
Ablenken wollen in die Degenspitze!
[171]
Das Weltgestirn entsteigt atlant'scher Welle
Glanzvoll, unhemmbar deinem Widerstreben;
Der West ward Ost! Liebst du die Morgenhelle,
Gen West, zum Aufgang, mußt dein Haupt du heben;
Willst du den reinen Born, schöpf' an der Quelle,
Der Rheingott keltert nicht blos ird'sche Reben;
Behagt dir nicht die kunstreich goldne Schale!
So trink' aus holzgeschnitztem Feldpokale! –
Es geht vom Hunnenkampf ein altes Sagen;
So rast der Grimm, daß, die im Feld gefallen,
Als Schatten noch fortkämpfen, luftgetragen,
Die Geisterfaust noch in den Wolken ballen!
Ein milder' Kampfrecht gilt in mildern Tagen:
Das Licht vereint die Streiter und es wallen
Versöhnte Geister durch die Feuerwolke,
Im Stern des Ruhms vorleuchtend allem Volke.«

Fußnoten

1 Dr. Franz Preschérn (geb. 30. Dez. 1800 zu Verba in Oberkrain, als Advokat in Krainburg gest. 8. Febr. 1849) der hervorragendste slovenische Dichter der Neuzeit, ein vieljähriger Freund und einstiger Lehrer des Verfassers. Die gesammelten Dichtungen des Verewigten (Poezije etc. Laibach, 1847) sind, abgesehen von ihrem poetischen Werthe, insbesondere für die Ausbildung und Bereicherung der Schriftsprache seines Volksstammes von großer und bleibender Bedeutung.

[172] In Veldes

1. Ausblick

Du grünendes Thal, du kristallener See,
Du liebliches Eiland mit blinkendem Kirchlein,
Ihr trotzigen Felsen, ihr lauschigen Forste,
Die ihr mir Aug' und Sinne umstrickt,
O löst mir das Räthsel und nennt mir das Wunder,
Womit ihr das Herz auch in Wonnen berauscht,
Den Geist auch in fesselnden Zauber mir bannt?
Dort ragt er empor hoch über den Seinen
Triglav, der uralte, das heilige Dreihaupt,
Mit weithin leuchtender Zackenkrone,
Der Erste, der Morgens den Purpur trägt,
Der Letzte, der Abends ihn fallen läßt,
Der Urahn eines Geschlechts von Giganten,
Vom Silberbart die athletische Brust,
Von eisigen Locken die Schultern umwallt,
Die Stirne getaucht in sonnige Glorie,
Doch auch umflort von ziehenden Wolken,
Wie von den Schatten tiefernster Gedanken.
[173]
Und wie zum festlichen Rathe versammelt,
Umstehn den Altvater die Hünengestalten
Von Söhnen und Enkeln und Enkelkindern,
Die Berge und Hügel, in faltigen Mänteln
Der Wälder mit blumengesticktem Saum;
Darunter schon Greise mit Schnee auf den Häuptern,
Doch Knochen von Marmor und Mark von Erz.
Am Seestrand wacht ein Jüng'rer der Sippe,
Der Fels mit der Burg, ein Krieger in Waffen,
Zum Hüter bestellt dem geheiligten Becken;
In glattem Panzer, in steinerner Rüstung,
Das Haupt mit dem Ritterschloß behelmt,
So ragt er steil und starr und senkrecht;
Und um die Brust ihm flüstern und schauern
Die Todeslüfte des schwindelnden Abgrunds.
Das Eiland doch mit dem schimmernden Kirchlein
Inmitten des blinkenden, flimmernden See's,
Das jüngste wohl ist's der Enkelkinder.
Es breiten die Wellen sich ihm zum Teppich
Wie blinkendes Linnen, wie flimmernde Seide,
Drauf kniet das Kindlein, die Hände gefaltet
Zu stillem Gebete in gläubiger Andacht;
Dann wieder erhebt es ein Singen und Klingen
Mit reiner silberner Glockenstimme.
Am Ufer liegen die Stätten der Menschen
Zerstreut wie sein fallen gelassenes Spielzeug,
Wie farbiger Tand nürnbergischen Schnitzwerks
Von Häusern und Hütten und zierlichen Villen.
[174]
O Thal der Zauber, voll Größe, voll Anmut,
Erhaben, wie in den Wolken der Donn'rer,
Liebreizend, wie die erblühende Jungfrau;
Das Menschenherz hat wiedergefunden
In dir sich selbst, sein Streben, sein Lieben;
Denn weil es zu Kleinerm sich niedergebeugt,
Und weil es zu Höherm empor sich schwingt,
Belebt es das All mit dem eigenen Sein.
Hier unter des Landmanns ärmlichem Strohdach,
Aus dem ich hinaus in die Landschaft blicke,
Hier lebt es und webt es, den Herzen näher,
Das heilige Band, mit welchem umschlungen
Mein Geist die gigantische, steinerne Sippe.
Hier sitzen in traulicher Tafelrunde
Der Ahn, die Söhne und Enkel versammelt,
Da fehlt auch nimmer der jüngere Krieger;
Hier kniet auch das betende Enkelkind,
Andächtig die kleinen Hände gefaltet,
Und spielt und klingelt und singt dazwischen
Und nennt mir das Wunder und löst mir das Räthsel.

[175] 2. Liebfrauenkirche

Tönend fließt im See die Welle,
Kähne schaukeln in den Kieden,
Auf der Insel die Kapelle
Blinkt aus grünem Waldesfrieden.
Ihre Glockenrufe gleiten
Zitternd über Wellenkreise,
Ringen tönend in die Weiten,
Sterben dann verhallend leise,
Daß die Schwalben, die da fliegen,
In Musik die Schwingen baden,
In Musik sich lieblich wiegen
Schifflein auf den Wellenpfaden.
Bald wie Sehnsucht, bald wie Klagen
Kommt der Glockenton gezogen,
Jetzt ein schüchtern stockend Fragen,
Jetzt der Hoffnung voll'res Wogen.
Wundersames, eignes Klingen,
Als ob Fühlen im Metalle!
Um zu Herzen so zu dringen,
Pocht ein Herz wohl in dem Schalle.
[176]
Nicht des Glöckners Hände führen
Taktgerecht die Glockenstränge;
Gläubig an das Seil zu rühren,
Drängt sich hier die Pilgermenge.
Denn die Sage kündet's Allen:
Wem vergönnt, dieß Seil zu schwingen,
Was er bei der Glocke Hallen
Wünschen mag, es soll gelingen!
Ruhlos tönt das Glöcklein immer,
Tönt zu allen Tageszeiten;
Denn die Wünsche schlummern nimmer,
Pilgern ruhlos in die Weiten.
Ob die Klänge voller schwellen,
Ob im Wind sie leis vergehen,
Immer über diesen Wellen
Schwebt des Geistes mächtig Wehen.
Und du fühlst, vom Hauch getroffen,
Durch die eigne Brust die Fluthen
All der Andern Leid und Hoffen,
Fremde Schauer, fremde Gluthen;
Fühlst, was Herzen kann bedrängen,
Was sie sporne, was sie quäle;
Denn es tönt in jenen Klängen
Durch das All die Menschenseele.

[177] 3. Glockenruf

Es keimt ein Saatkorn künft'ger Thaten
In jedem Wunsch; – drum wünsche nur!
Doch streu' auf deine Lebensflur
Nur gutes Korn und reine Saaten.
So will auch ich die Glocke wiegen,
Daß weit ihr Aufschrei widerhallt,
Und daß, so lang ihr Ton mir schallt,
Zum Himmel meine Wünsche fliegen:
»Aus der Betäubung dumpfer Träume,
Mein Heimatland, mein Volk, wach' auf!
Sieh deiner Nachbarn Siegeslauf!
O Schmach, wer da im Wettkampf säume!
Den wüsten Schlaf reib' aus den Augen,
Die noch umflort, obschon es Tag;
Blick' in den Glanz! – Lichtscheue mag
Dem Olm in deinen Grotten taugen.
Bist scharfen Blicks, geweckten Geistes,
Bist klug, wie schon dein Dichter sang;
Der Schlaftrunk doch wirkt stark und lang,
Den man im Kelch kredenzt, du weißt es!
[178]
Von Berg zu Berg das Feuerzeichen
Rief einst zur Wacht in Türkennoth,
Der Sklaverei, die dir gedroht,
Zu wehren mit des Schwertes Streichen.
Doch Greise jetzt und Neugebor'ne
Umschnürt ein andres Sklavenband:
Kaftan und Kutte sind verwandt,
Sowie Beschnitt'ne und Geschor'ne.
Von Haupt zu Haupt des Lichtes Zeichen,
Das auch die neuen Türken bannt,
Laß flammen jetzt durchs weite Land
Und diese Flammen nie erbleichen!
Das Licht, entquollen einst in Strahlen
Dem Lämpchen jenes Bergmannssohns,
Es flog vom Schacht zu Höhn des Throns
Und leuchtet' einst auch diesen Thalen.
Gesalbte Schergen doch zertraten
Mit plumpem Fuß den Funkenrest;
Die Finsterniß begann ihr Fest
Und Geistesnacht reift ihre Saaten.
Sie heimsen ein; welch lustig Treiben!
Hei, wie der Peterspfennig springt!
Doch wo des Tetzels Büchse klingt
Wird auch nicht fern der Luther bleiben. –
[179]
Vom öden Karst, von eis'gen Tauern
Umschlossen ist dein Wunderland;
Die Berge sind nicht Kerkerwand,
In Einsamkeit dich einzumauern.
Doch Zinnen sind's und die erklimme!
Halt Umschau! Sieh, wie dir die Welt
Den Eisenarm entgegenhält,
Dir zuruft mit des Blitzes Stimme.
Tritt in des Weltmarkts offne Hallen,
Du siehst, was Menschenkunst ersann,
Was dir das Sein verschönern kann,
Hörst aller Völker Sprachen schallen.
Aus allen tönt wie Eines Mundes
Die Losung, die auch dich erfaßt;
Du bist nicht mehr ein fremder Gast,
Ein treuer doch des Völkerbundes.
Wach' auf, wach' auf! Vom Leibe raffe
Die Lappen finstrer Dienstbarkeit!
Für hohe Ziele kämpft die Zeit,
Umgürt' auch dich mit ihrer Waffe!
Sei wie dein Strom, der in die Klüfte
Des Höhlendunkels jäh verschwand,
Den Weg zum Licht doch wieder fand,
Und funkelnd grüßt die sonn'gen Lüfte.« – –
[180]
Das war mein Wünschen, während dessen
Der Glocke Klang die Luft durchschnitt,
Bis müd' mein Arm vom Seile glitt; –
Mein eigen Selbst hatt' ich vergessen.
Doch ohne Klage will ich tragen
Das Leid, das meine Brust verschließt,
Wenn Glück und Ruhm dieß Land umfließt
Und drüber hell're Sterne tagen.

4. Seebild

Durch die Wellen steuert ein Schwan so einsam,
Hell und blank, wie die schimmernde Wasserlilie,
Wie im Azur die ziehende Silberwolke,
Blume der Erde zugleich und Bote des Himmels.
Von Balkonen herab und Blüthenterassen
Streuen ihm weiße Hände nährende Brodsaat.
Feierlich schwebt er heran, fast ohne Regung,
Stäte Bewegung doch in seliger Ruhe,
Gleich dem rückenden Zeiger auf dem Uhrblatt,
Gleich dem reisenden Mondesnachen im Aether.
Wie du feierlich stolz, o Schwan, dahinziehst,
In dem flimmernden See ein einsamer Segler,
Unter dir die glänzenden Spiegelbilder
Blühender Ufer, goldener Himmelswölbung,
Mächtiger Berge, die Natur rings thürmte,
[181]
Freundlicher Stätten, die der Mensch hier geschaffen,
Wird des See's kristallener blanker Spiegel
Mir zum Spiegel der Zeiten und Geschicke,
Wirst du selbst mir ein hehr und mahnend Sinnbild.
Wenn dir Sturm den schneeigen Flaum emporsträubt,
Weithin flattert sein schwarzer Wolkenmantel
Und die Wellen wie drohende Fäuste sich ballen
Sieh, dann liegt der Spiegel zerschlagen, in Splittern,
All die glänzenden Bilder sind zerstoben
Und versunken in die chaotische Brandung.
Doch auch wenn in sonniger Ruhe lautlos
Ueber dir tiefblau der Aether sich breitet,
Seines Lebens wollusthauchender Athem
Leise, leise, wie Blumenduft, den See streift,
Der so glatt und blank, wie metallgegossen,
Daß er sich sanft zu regen beginnt und zu kräuseln;
Da auch über den Spiegel wallt ein Zittern,
Wellengeriesel und glitzernde Flimmerlichter
Reißen tanzende Furchen in seine Flächen,
Und die Risse durchziehn der Bilder Konturen,
Daß ihr Band sich löst in Stücke zerfallend,
Daß der Berge Säulen querüber gespalten,
Wie geborsten die Gletscher, durchsägt die Wälder,
Wie geknickt und zerpflückt die Blumen des Ufers.
Auf den Höhen die Burg, im Thal die Hütte,
Neben dem Römerstein der schimmernde Kirchthurm,
Altes und Neues, sowie die Menschlein dazwischen,
Alles zerschwankend, zerbröckelnd und zerfließend!
Aber feierlich über den Bildertrümmern,
Ueber dem Schwankenden ziehst du, einsamer Lootse,
[182]
Deine Bahnen dahin, in beseligter Ruhe,
Blank und rein, wie die schimmernde Wasserlilie.
Leuchtend, wie im Azur die Silberwolke,
Blume der Erde zugleich und Bote des Himmels.
Also nagen und rütteln an allem Dasein
Selbst die sonnigsten Stunden, wie spielende Wellen;
Durch den lauschenden Weltraum knistert und rieselt
Still und stät ein Verwittern und Verfallen,
Körnlein Sandes im Stundenglase verrinnend.
Aber das Dulden und Wünschen, Ringen und Hoffen
Hingesunkner Jahrhundert' und Menschengeschlechter
Lebt noch fort und fort in geläuterter Klarheit.
Ueber dem Wellenspiel der fliehenden Stunde,
Ueber den Völkertrümmern und Zeitenschutte,
Ueber den Urnen aschegewordener Herzen
Zieht der Wahrheit ewiger Lichtgedanke
Unaufhaltsam die Bahn in beseligter Ruhe,
An der Weltenuhr der weisende Zeiger,
In der Erdennacht die strahlende Leuchte,
Hell und rein, wie du, sein liebliches Sinnbild.

[183] Unheimliche Gäste

Das war der Dechant von Haselbach,
Der gastfrei' und ehrenfeste,
Er segnet beim Opfer Brod und Wein,
Doch trinkt und ißt er nicht gern allein,
Und denkt schon der kommenden Gäste.
Da steht mit dem Kännlein der Ministrant
Und flüstert ins Ohr ihm leise:
»Sie kommen nicht! Denn der Eine jagt,
Der Andr' erwartet die neue Magd,
Der Dritte rüstet zur Reise.«
Dem Alten entglitt der Meßkelch fast,
Des heiligen Orts vergessen:
»Der Dachs im Bau nur schmaust allein,
Da lad' ich mir lieber drei Teufel ein!«
Im Schmerze schwört er's vermessen.
Doch kaum gesprochen bereut er's schon;
Im Pfarrhaus sitzt er jetzt betend,
Da klappert im Hofe Pferdegetrab,
Drei seltsame Junker springen ab,
Flink in die Hausflur tretend.
[184]
Er seufzt: »Aha, da sind sie schon!«
Doch artiglich grüßen die andern:
»Wir hörten vom gastlichen geistlichen Herrn
Und lüden auch uns zu Tische gern
Mit Hunger und Durst vom Wandern.«
Er nickt sein Ja, schlägt still sein Kreuz
Und weiß sich schnell zu fassen;
Doch reicht er den Gästen nicht die Hand,
In ihrem Handschuh glimmt ja ein Brand,
Drum wagt er nicht ihn zu fassen.
Er mustert die Drei vom Scheitel zur Zeh,
Ein Büschlein am Hut trägt jeder,
Das Schuhwerk scheint nicht von zierlichstem Bau,
Den Pferdfuß drunter erkennt er genau,
Wie oben die Hahnenfeder.
Er denkt: die Mahlzeit verleid' ich euch,
Ihr sollt's nicht zweimal wagen!
Dann winkt er den Meßnerjungen herbei:
»Zieh deinen Chorrock an als Livrei
Und rothen Talar und Kragen.
Ins Salzfaß streu' Sankt Stefanssalz,
Ein Kruzifix begleit' es,
Gieß' Weihbrunn in die Kannen ein,
Die Krüge füll' mit Kirchenwein,
Zum Imbiß bring' nur Geweihtes.«
[185]
Meßglöcklein rufen die Junker zum Mal,
Doch tafeln sie unerschrocken;
Weihwasser lassen sie Wasser sein,
Sie tauchen den Gaum in den Opferwein,
Ins heilige Salz die Brocken.
Und Abend wird's; vom Altare holt
Der Knabe geweihte Kerzen;
Sie zünden am Licht die Pfeifen an,
Verschwinden in Nebeln und Wolken dann,
Man hört nur ihr Singen und Scherzen.
Wie er so tapfer sie zechen sieht,
Dem Dechant beginnt zu bangen:
»Die Zeiten werden gar schlimm und schwer,
Selbst Teufel glauben an gar nichts mehr!
Mein Mittel will nicht verfangen.«
Da wünschen die Junker ihm: »Wohl bekomm's!«
Und danken für Trank und Speisen:
»Wenn wir dereinst im eigenen Haus,
Vergelten wir gern den heutigen Schmaus,
Dann wollt uns die Ehr' erweisen.«
»Verzeiht, ihr Herrn; mir thun nicht gut
Die überheizten Gemächer;
Auch schmeckt verbrannter Braten nicht fein,
Hab' lieber den eigenen sauern Wein,
Als Pech und Schwefel im Becher.« –
[186]
Längst ward zu Gast von größerem Herrn
Der gute Alte geladen;
Jetzt blickt er von seinem Stern ins Land,
Hat längst in den Gästen von damals erkannt
Studenten auf Wanderpfaden.
Und der Euch gesungen diesen Reih'n,
War selber bei der Geschichte,
War Einer von den fahrenden Drei'n;
Er hat getrunken des Dechants Wein,
Geküßt des Dechants Nichte.

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TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Aus Krain. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0EDB-9