[230] »Magna charta!«

Februar 1861.


Geschmückt zum Festmal prangt der Tisch
In farb'gem Blumenflore,
In Linnen blendend wie der frisch
Gefall'ne Schnee vorm Thore.
Der Hauswirth sitzt, wie's ziemt dem Mann,
In seiner Kinder Kreise,
Der Ehrenplatz doch obenan
Verblieb dem Tambourgreise.
Die Schüssel dampft, der Becher klirrt,
Gelöste Propfe knallten;
Jetzt hebt vom Lehnstuhl sich der Wirth,
Des Festmals Spruch zu halten:
»Mein Vater, wie's geahnt dein Herz,
In Licht zerfloß die Wolke,
Und es ersteht aus Schmach und Schmerz
Ein besser Loos dem Volke.
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Doch wie die Blumensträuße hier,
Die meine Töchter wanden,
Nur sind ein Frühling von Papier,
Und Winter noch in Landen;
Wie sie nur Bilder, Boten sind
Von jenen duft'gen, echten,
Die wir, wenn wahrhaft Lenz beginnt,
Zu Freudenkränzen flechten;
So dieß Patent, dieß Blatt Papier,
Das ich in Händen halte,
Ist Bot' und Bild des Frühlings mir,
Den erst die Zeit entfalte;
Wenn selbstbewußt das Volksherz schlägt,
Die besten Bürger rathen,
Und gold'ner Rede Strom auch trägt
Die Ladung gold'ner Thaten.
Ein Fest des Geists begehn wir heut,
Dem ich mein Glas erhebe,
Darein die Edelblume streut
Der Geist der Heimatrebe.
Der Schaumwein, der in Perlen rinnt,
Im Fremdland nicht gegohren,
Der Oestreichs Kind, wie wir es sind,
Sei heut' uns auserkoren!
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Nun hebt das Spitzglas hoch und voll!
Schon perlt er rascher, freier;
Er brause unsres Dankes Zoll
Dem fürstlichen Verleiher!«
Und wie er jetzt das Glas erhebt,
Im Weine sprudelt's reicher;
Des Kaisers Name, scheint's, belebt
Auch diesen Oesterreicher.
»Nun laßt uns froh gedenken auch
Der Lenker unsres Staates;
Aufschäume, Wein, nach deinem Brauch
Den Männern kühnen Rathes!«
Schon matter streicht der Schaum hinan,
Die Bläschen sind zerronnen;
Da hub der Söhne einer an:
»Dir helf' ich, träger Bronnen!
Ein Schlag des Unglücks half dem Land
Aus schweren bösen Träumen;
Ein Schlag der Hand flach auf den Rand
Und neu im Kelch wird's schäumen!«
Ha, munter geht es Schlag auf Schlag!
Wie kocht's in jedem Becher!
Im Schmucke neuer Perlen lag
Der Landsmann Sorgenbrecher.
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Der Greis nur blickt nachdenklich drein;
Da frägt der Sohn den Alten:
»Verachtest du den Heimatwein,
Daß deine Stirn' in Falten?«
Der Trommler hebt sein sinnend Haupt:
»Will nicht den Wein verklagen
Und auch den Boden nicht, das glaubt,
Der ihn und uns getragen.
Doch mahnen will mich an ein Reich
Des Kelchs erzwungnes Schäumen,
Das erst des Unglücks Wetterstreich
Erweckt aus schweren Träumen!
Und weil ihr grad in Bildern sprecht,
Will ich's im Bild auch sagen:
Mich dünkt der Geist nicht echt und recht,
Der schäumt, nur wenn geschlagen!
Denn schlugt ihr nicht, lag matt und schal
Der träge wie im Sterben;
Doch schlagt ihr fort, so geht einmal
Der Becher selbst in Scherben.«
Der Alte trommelt auf den Tisch
Von Ulm den Kriegsmarsch leise;
Im Becherklang und Stimmgemisch
Verhallt die ernste Weise.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Der Tambour von Ulm. 1.. »Magna charta!«. »Magna charta!«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0CC5-7