Franz Grillparzer
Sappho
Trauerspiel in fünf Aufzügen

[715]

[Widmung]

Dem Herrn Carl August West

widmet diesen

seinen zweiten dramatischen Versuch,

als Zeichen der

Dankbarkeit und Freundschaft,


Der Verfasser.

[715]

Personen

Personen.

    • Sappho

    • Phaon

    • Eucharis,
    • Melitta, Dienerinnen Sapphos

    • Rhamnes, Sklave

    • Ein Landmann

    • Dienerinnen, Knechte und Landleute
    • [716]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Zimbeln und Flöten und verworrener Volkszuruf in der Ferne Rhamnes stürzt herein.

RHAMNES.
Auf, auf vom weichen Schlaf! Sie kommt, sie naht!
O daß doch nur die Wünsche Flügel haben,
Und träg der Fuß, indes das Herz lebendig.
Heraus ihr faulen Mädchen! Zögert ihr?
Der trifft euch nicht, der Jugend vorschnell nennt.

Eucharis, Melitta und Dienerinnen aus dem Säulengange.
MELITTA.
Was schiltst du uns, da sind wir ja!
RHAMNES.
Sie naht.
MELITTA.
Wer? – Götter!
RHAMNES.
Sappho naht!
GESCHREI
hinter der Bühne.
Heil, Sappho, Heil!
RHAMNES.
Ja wohl, Heil, Sappho, Heil! Du braves Volk!
MELITTA.
Doch was bedeutet –
RHAMNES.
Nun, bei allen Göttern,
Was frägt das Mädchen auch so wunderlich.
Sie kehret von Olympia, hat den Kranz,
Den Kranz des Sieges hat sie sich errungen;
Im Angesicht des ganzen Griechenlands,
Als Zeugen edlen Wettkampfs dort versammelt,
Ward ihr der Dichtkunst, des Gesanges Preis.
Drum eilt das Volk ihr jauchzend nun entgegen,
Schickt auf des Jubels breiten Fittigen
Den Namen der Beglückten zu den Wolken.
Und diese Hand wars, ach, und dieser Mund,
Der sie zuerst der Leier Sprach entlocken
Und des Gesanges regellose Freiheit
Mit süßem Band des Wohllauts binden lehrte.
[717]
VOLK
hinter der Bühne.
Heil Sappho, Sappho Heil!
RHAMNES
zu den Mädchen.
So freut euch doch!
Seht ihr den Kranz?
MELITTA.
Ich sehe Sappho nur!
Wir wollen ihr entgegen!
RHAMNES.
Bleibt nur, bleibt!
Was soll ihr eurer Freude schlechter Zoll?
Sie ist an andern Beifall nun gewohnt!
Bereitet lieber alles drin im Hause,
Nur dienend ehrt der Diener seinen Herrn.
MELITTA.
Siehst du an ihrer Seite –
RHAMNES.
Was?
MELITTA.
Siehst du?
Hoch eine andre, glänzende Gestalt,
Wie man der Leier und des Bogens Gott
Zu bilden pflegt!
RHAMNES.
Ich sehe! Doch ihr geht!
MELITTA.
Und erst nur riefst du uns!
RHAMNES.
Ich rief euch, ja!
Ihr solltet wissen, daß die Herrin naht,
Ihr solltet wissen, daß euch Freude Pflicht,
Doch freuen mögt ihr euch nur drin im Haus.
Der Mann mag das Geliebte laut begrüßen,
Geschäftig für sein Wohl liebt still das Weib.
MELITTA.
So laß uns nur –
RHAMNES.
Nicht doch! Nur fort, nur fort!

Er treibt die Mädchen fort.

Nun mag sie kommen, nun wird Albernheit
Ihr vorlaut nicht die schöne Feier stören.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Sappho, köstlich gekleidet, auf einem mit weißen Pferden bespannten Wagen, eine goldne Leier in der Hand, auf dem Haupte den Siegeskranz. Ihr zur Seite steht Phaon in einfacher Kleidung. Volk umgibt laut jubelnd den Zug.

VOLK
auftretend.
Heil Sappho, Heil!
RHAMNES
sich unter sie mischend.
Heil Sappho, teure Frau!
[718]
SAPPHO.
Dank Freunde, Landsgenossen Dank.
Um euretwillen freut mich dieser Kranz,
Der nur den Bürger ziert, den Dichter drückt,
In eurer Mitte nenn ich ihn erst mein.
Hier, wo der Jugend träumende Entwürfe,
Wo des Beginnens schwankendes Bestreben,
Wo des Vollbringens wahnsinnglühnde Lust
Mit eins vor meine trunkne Seele treten,
Hier, wo Zypressen von der Eltern Grab
Mir leisen Geistergruß herüberlispeln,
Hier, wo so mancher Frühverblichne ruht,
Der meines Strebens, meines Wirkens sich erfreut,
In eurem Kreis, in meiner Lieben Mitte,
Hier dünkt mir dieser Kranz erst kein Verbrechen,
Hier wird die frevle Zier mir erst zum Schmuck.
EINER AUS DEM VOLKE.
Wohl uns, daß wir dich, Hohe, unser nennen!
Habt die bescheidne Rede ihr vernommen,
Mehr als ganz Griechenland hat sie ihr Wort geschmückt!
RHAMNES
sich hinzudrängend.
Sei mir gegrüßt, gegrüßt, du Herrliche!
SAPPHO
vom Wagen herabsteigend und die Umstehenden freundlich begrüßend.
Mein treuer Rhamnes sei gegrüßt! – Artander,
Du auch hier, trotzend deines Alters Schwäche?
Kallisto – Rhodope – Ihr weinet, Liebe! –
Das Auge zahlt so richtig als das Herz –
Für Tränen Tränen, seht! – O schonet mein!
EINER AUS DEM VOLKE.
Willkommen auf der Heimat altem Boden,
Willkommen in der Deinen frohem Kreis!
SAPPHO.
Umsonst sollt ihr die Bürgerin nicht grüßen,
Sie führt zum Dank euch einen Bürger zu.
Hier Phaon. Von den Besten stammet er
Und mag auch kühn sich stellen zu den Besten!
Obschon die Jahre ihn noch Jüngling nennen,
Hat ihn als Mann so Wort als Tat erwiesen.
Wo ihr des Kriegers Schwert bedürft,
Des Redners Lippe und des Dichters Mund,
[719] Des Freundes Rat, des Helfers starken Arm,
Dann ruft nach ihm und suchet länger nicht.
PHAON.
Du spottest, Sappho, eines armen Jünglings!
Wodurch hätt ich so reiches Lob verdient?
Wer glaubt so Hohes von dem Unversuchten?
SAPPHO.
Wer sieht, daß du errötest, da ichs sage.
PHAON.
Ich kann, beschämt, nur staunen und verstummen.
SAPPHO.
Du sicherst dir, was du von dir entfernst,
Geschwister sind ja Schweigen und Verdienst.
Ja, meine Freunde, mögt ihrs immer wissen,
Ich liebe ihn, auf ihn fiel meine Wahl.
Er war bestimmt, in seiner Gaben Fülle,
Mich von der Dichtkunst wolkennahen Gipfeln
In dieses Lebens heitre Blütentäler
Mit sanft bezwingender Gewalt herabzuziehn.
An seiner Seite werd ich unter euch
Ein einfach stilles Hirtenleben führen;
Den Lorbeer mit der Myrte gern vertauschend
Zum Preise nur von häuslich stillen Freuden
Die Töne wecken dieses Saitenspiels.
Die ihr bisher bewundert und verehrt,
Ihr sollt sie lieben lernen, lieben, Freunde.
VOLK.
Preis dir, du Herrliche! Heil, Sappho, Heil!
SAPPHO.
Es ist genug! Ich dank euch, meine Freunde!
Folgt meinem Diener, er wird euch geleiten,
Daß ihr bei Speis und Trank und frohen Tänzen
Die Feier unsers Wiedersehns vollendet,
Der Wiederkehr der Schwester zu den Ihren!

Zu den Landleuten, die sie begrüßen.

Lebt wohl – auch du – und du – ihr alle – alle!

Rhamnes mit den Landleuten ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Sappho. Phaon.

SAPPHO.
Siehst du, mein Freund, so lebt nun deine Sappho!
Für Wohltat Dank, für Liebe – Freundlichkeit.
So ward mirs stets im Wechseltausch des Lebens;
[720] Ich war zufrieden und bin hoch beglückt,
Gibst du auch halb nur wieder das Empfangne,
Wenn du dich nicht für übervorteilt hältst.
Ich hab gelernt verlieren und entbehren;
Die beiden Eltern sanken früh ins Grab,
Und die Geschwister, nach so mancher Wunde,
Die sie dem treuen Schwesterherzen schlugen,
Teils Schicksals Laune und teils eigne Schuld
Stieß früh sie schon zum Acheron hinunter.
Ich weiß wie Undank brennt, wie Falschheit martert,
Der Freundschaft und der – Liebe Täuschungen
Hab ich in diesem Busen schon empfunden,
Ich hab gelernt verlieren und entbehren!
Nur eins verlieren könnt ich wahrlich nicht,
Dich, Phaon, deine Freundschaft, deine Liebe!
Drum, mein Geliebter, prüfe dich!
Du kennst noch nicht die Unermeßlichkeit,
Die auf und nieder wogt in dieser Brust.
O laß michs nie, Geliebter, nie erfahren,
Daß ich den vollen Busen legte an den deinen
Und fänd ihn leer!
PHAON.
Erhabne Frau!
SAPPHO.
Nicht so!
Sagt dir dein Herz denn keinen süßern Namen?
PHAON.
Weiß ich doch kaum, was ich beginne, was ich sage.
Aus meines Lebens stiller Niedrigkeit
Hervorgezogen – an den Strahl des Lichts,
Auf einen luftgen Gipfel hingestellt,
Nach dem der Besten Wünsche fruchtlos zielen,
Erliege ich der unverhofften Wonne,
Kann ich mich selbst in all dem Glück nicht finden.
Die Wälder und die Ufer seh ich fliehn,
Die blauen Höhn, die niedern Hütten schwinden,
Und kaum vermag ichs, mich zu überzeugen,
Daß alles fest steht und nur ich es bin,
Der auf des Glückes Wogen taumelnd wird getragen.
SAPPHO.
Du schmeichelst süß, doch, Lieber, schmeichelst du!
[721]
PHAON.
Und bist du wirklich denn die hohe Frau,
Die von der Pelops-Insel fernstem Strand
Bis dahin, wo des rauhen Thrakers Berge
Sich an die lebensfrohe Hellas knüpfen,
Auf jedem Punkt, den, Land und Menschen fern,
Ins Griechenmeer Kronions Hand geschleudert,
An Asiens reicher, sonnenheller Küste,
Allüberall, wo nur ein griechscher Mund
Die heitre Göttersprache singend spricht,
Der Ruf mit Jubel zu den Sternen hebt?
Und bist du wirklich jene hohe Frau,
Wie fiel dein Auge denn auf einen Jüngling,
Der dunkel, ohne Namen, ohne Ruf,
Sich höhern Werts nicht rühmt als – diese Leier,
Die man verehrt, weil du sie hast berührt.
SAPPHO.
Pfui doch, der argen, schlechtgestimmten Leier!
Tönt sie, berührt, der eignen Herrin Lob?
PHAON.
O, seit ich denke, seit die schwache Hand
Der Leier Saiten selber schwankend prüfte,
Stand auch dein hohes Götterbild vor mir!
Wenn ich in der Geschwister frohem Kreise
An meiner Eltern niederm Herde saß,
Und nun Theano, meine gute Schwester,
Die Rolle von dem schwarzen Simse holte,
Ein Lied von dir, von Sappho uns zu sagen,
Wie schwiegen da die lauten Jünglinge,
Wie rückten da die Mädchen knapp zusammen,
Um ja kein Korn des Goldes zu verlieren;
Und wenn sie nun begann, vom schönen Jüngling,
Der Liebesgöttin liebeglühnden Sang,
Die Klage einsam hingewachter Nacht,
Von Andromedens und von Atthis Spielen,
Wie lauschte jedes, seinen Atemzug,
Der lusterfüllt den Busen höher schwellte,
Ob allzulauter Störung still verklagend.
Dann legte wohl die sinnige Theano
Das Haupt zurück an ihres Stuhles Lehne
Und in der Hütte räumig Dunkel blickend,
[722] Sprach sie, wie mag sie aussehn wohl, die Hohe?
Mir dünkt, ich sehe sie! Bei allen Göttern,
Aus tausend Frauen wollt ich sie erkennen.
Da war der Zunge Fessel schnell gelöst
Und jedes quälte seine Phantasie,
Mit einem neuen Reize dich zu schmücken,
Der gab dir Pallas Aug, der Heres Arm,
Der Aphroditens reizdurchwirkten Gürtel;
Nur ich stand schweigend auf und ging hinaus
Ins einsam stille Reich der heilgen Nacht.
Dort an den Pulsen der süß schlummernden Natur,
In ihres Zaubers magisch-mächtgen Kreisen,
Da breitet ich die Arme nach dir aus;
Und wenn mir dann der Wolken Flockenschnee,
Des Zephyrs lauer Hauch, der Berge Duft,
Des bleichen Mondes silberweißes Licht
In eins verschmolzen um die Stirne floß,
Dann warst du mein, dann fühlt ich deine Nähe,
Und Sapphos Bild schwamm in den lichten Wolken!
SAPPHO.
Du schmückest mich von deinem eignen Reichtum,
Weh, nähmst du das Geliehne je zurück!
PHAON.
Und als der Vater nach Olympia
Mich zu des Wagenlaufes Streit nun sandte,
Und auf dem ganzen Wege mirs erscholl,
Daß Sapphos Leier um der Dichtkunst Krone
In diesem Kampfe streiten, siegen werde;
Da schwoll das Herz von sehnendem Verlangen
Und meine Renner sanken tot am Wege,
Eh ich Olympias Türme noch erschaut.
Ich langte an, der Wagen flüchtger Lauf,
Der Ringer Kunst, des Diskus frohes Spiel
Berührten nicht den ahnungsvollen Sinn;
Ich fragte nicht, wer sich den Preis errungen,
Hatt ich den schönsten, höchsten doch erreicht,
Ich sollte sie sehn, sie, der Frauen Krone.
Jetzt kam der Tag für des Gesanges Kämpfe.
Alkäos sang, Anakreon, umsonst,
Sie konnten meiner Sinne Band nicht lösen.
[723]
Da, horch! Da tönt Gemurmel durch das Volk,
Da teilt die Menge sich, jetzt wars geschehn. –
Mit einer goldnen Leier in der Hand
Trat eine Frau durchs staunende Gewühl.
Das Kleid, von weißer Unschuldfarbe, floß
Hernieder zu den lichtversagten Knöcheln,
Ein Bach, der über Blumenhügel strömt.
Der Saum, von grünen Palm- und Lorbeerzweigen,
Sprach, Ruhm und Frieden sinnig zart bezeichnend,
Aus, was der Dichter braucht und was ihn lohnt.
Wie rote Morgenwolken um die Sonne
Floß rings ein Purpurmantel um sie her
Und durch der Locken rabenschwarze Nacht
Erglänzt', ein Mond, das helle Diadem,
Der Herrschaft weithinleuchtend, hohes Zeichen –
Da riefs in mir: Die ist es; und du warsts.
Eh die Vermutung ich noch ausgesprochen,
Rief tausendstimmig mir des Volkes Jubel
Bestätigung der süßen Ahnung zu.
Wie du nun sangst, wie du nun siegtest, wie,
Geschmückt mit der Vollendung hoher Krone,
Nun in des Siegs Begeisterung die Leier
Der Hand entfällt, ich durch das Volk mich stürze
Und, von dem Blick der Siegerin getroffen,
Der blöde Jüngling schamentgeistert steht;
Das weißt du, Hohe, besser ja als ich,
Der ich, kaum halb erwacht, noch sinnend forsche,
Wieviel davon geschehn, wieviel ich nur geträumt.
SAPPHO.
Wohl weiß ichs, wie du stumm und schüchtern standst.
Das ganze Leben schien im Auge nur zu wohnen,
Das sparsam aufgehoben von dem Grund,
Den nicht verlöschten Funken laut genug bezeugte.
Ich hieß dich folgen und du folgtest mir
In ungewisses Staunen tief versenkt.
PHAON.
Wer glaubte auch, daß Hellas erste Frau
Auf Hellas letzten Jüngling würde schauen!
SAPPHO.
Dem Schicksal tust du Unrecht und dir selbst!
Verachte nicht der Götter goldne Gaben,
[724] Die sie bei der Geburt dem Kinde, das
Zum Vollgenuß des Lebens sie bestimmt,
Auf Wang und Stirn, in Herz und Busen gießen!
Gar sichre Stützen sinds, an die das Dasein
Die leichtzerrißnen Fäden knüpfen mag.
Des Leibes Schönheit ist ein schönes Gut
Und Lebenslust ein köstlicher Gewinn,
Der kühne Mut, der Weltgebieter Stärke,
Entschlossenheit und Lust an dem was ist,
Und Phantasie, hold dienend, wie sie soll,
Sie schmücken dieses Lebens rauhe Pfade,
Und leben ist ja doch des Lebens höchstes Ziel!
Umsonst nicht hat zum Schmuck der Musen Chor
Den unfruchtbaren Lorbeer sich erwählt,
Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt,
Dem er Ersatz versprach für manches Opfer.
Gar ängstlich steht sichs auf der Menschheit Höhn
Und ewig ist die arme Kunst gezwungen,

Mit ausgebreiteten Armen gegen Phaon.

Zu betteln von des Lebens Überfluß.
PHAON.
Was kannst du sagen, holde Zauberin,
Das man für wahr nicht hielte, da dus sagst?
SAPPHO.
Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund,
Uns beider Kränze um die Stirn zu flechten,
Das Leben aus der Künste Taumelkelch,
Die Kunst zu schlürfen aus der Hand des Lebens.
Sieh diese Gegend, die der Erde halb
Und halb den Fluren, die die Lethe küßt,
An einfach stillem Reiz scheint zu gehören;
In diesen Grotten, diesen Rosenbüschen,
In dieser Säulen freundlichen Umgebung,
Hier wollen wir, gleich den Unsterblichen,
Für die kein Hunger ist und keine Sättigung,
Nur des Genusses ewig gleiche Lust,
Des schönen Daseins uns vereint erfreun.
Was mein ist, ist auch dein. Wenn dus gebrauchst,
So machst du erst, daß der Besitz mich freut.
Sieh um dich her, du stehst in deinem Hause.
[725] Den Dienern zeig ich dich als ihren Herrn,
Der Herrin Beispiel wird sie dienen lehren.
Heraus, ihr Mädchen! Sklaven! Hierher!
PHAON.
Sappho!
Wie kann ich so viel Güte je bezahlen?
Stets wachsend fast erdrückt mich meine Schuld!
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Eucharis. Melitta. Rhamnes. Diener und Dienerinnen. Vorige.

RHAMNES.
Du riefst, Gebieterin!
SAPPHO.
Ja, tretet näher!
Hier sehet euern Herrn!
RHAMNES
verwundert, halblaut.
Herrn?
SAPPHO.
Wer spricht hier?

Gespannt.

Was willst du sagen?
RHAMNES
zurücktretend.
Nichts.
SAPPHO.
So sprich auch nicht!
Ihr seht hier euern Herrn. Was er begehrt,
Ist euch Befehl, nicht minder als mein eigner.
Weh dem, der ungehorsam sich erzeigt,
Den eine Wolke nur auf dieser Stirn
Als Übertreter des Gebots verklagt!
Vergehen gegen mich kann ich vergessen,
Wer ihn beleidigt, wecket meinen Zorn! –
Und nun, mein Freund, vertrau dich ihrer Sorgfalt,
Schwer liegt, ich sehs, der Reise Last auf dir.
Laß sie des Gastrechts heilig Amt versehen,
Genieße freundlich Sapphos erste Gabe!
PHAON.
O, könnt ich doch mein ganzes frühres Leben
Umtauschend, wie die Kleider, von mir werfen,
Besinnung mir und Klarheit mir gewinnen,
Um ganz zu sein, was ich zu sein begehre!
So lebe wohl! Auf lange, denk ich, nicht!
SAPPHO.
Ich harre dein. Leb wohl. – Du bleib, Melitta!

Phaon und Diener ab.

[726]
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Sappho. Melitta

SAPPHO
nachdem sie ihm lange nachgesehen.
Melitta, nun?
MELITTA.
Was, o Gebieterin,
SAPPHO.
So wallt denn nur in diesen Adern Blut,
Und rinnend Eis stockt in der andern Herzen?
Sie sahen ihn, sie hörten seine Stimme,
Dieselbe Luft, die seine Stirn gefächelt,
Hat ihre lebenleere Brust umwallt,
Und dumpf ist ein: was, o Gebieterin?
Der erste Laut, der ihnen sich entpreßt.
Fürwahr, dich hassen könnt ich! – Geh!

Melitta geht schweigend.
SAPPHO
die sich unterdessen auf die Rasenbank geworfen.
Melitta!
Und weißt du mir so gar nichts denn zu sagen,
Was mich erfreuen könnte, liebes Kind?
Du sahst ihn doch, bemerktest du denn nichts,
Was wert gesehn, erzählt zu werden wäre?
Wo waren deine Augen, Mädchen?

Sie bei der Hand ergreifend und an ihre Kniee ziehend.
MELITTA.
Du weißt wohl noch, was du uns öfters sagtest;
Daß Jungfraun es in Fremder Gegenwart
Nicht zieme, frei die Blicke zu versenden.
SAPPHO.
Und armes Ding, du schlugst die Augen nieder?

Küßt sie.

Das also wars? Mein Kind, die Lehre galt
Nicht dir, den Ältern nur, den minder Stillen!
Dem Mädchen ziemt noch, was der Jungfrau nicht.

Sie mit den Augen messend.

Doch sieh einmal; wie hast du dich verändert,
Seit ich dich hier verließ. Ich kenne dich nicht mehr.
Um so viel größer und –

Küßt sie wieder.

Du süßes Wesen!
[727] Du hattest recht, die Lehre galt auch dir!

Aufstehend.

Warum so stumm noch immer und so schüchtern?
Du warst doch sonst nicht so. Was macht dich zagen?
Nicht Sappho, die Gebietrin, steht vor dir,
Die Freundin Sappho spricht mit dir, Melitta.
Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel
Und was sonst schlimm an deiner Freundin war,
Es ist mit ihr nach Hause nicht gekehret;
Im Schoß der Fluten hab ich es versenkt,
Als ich an seiner Seite sie durchschiffte.
Das eben ist der Liebe Zaubermacht,
Daß sie veredelt, was ihr Hauch berührt,
Der Sonne ähnlich, deren goldner Strahl
Gewitterwolken selbst in Gold verwandelt.
Hab ich dich je mit rascher Rede, je
Mit bitterm Wort gekränkt, o so verzeih!
In Zukunft wollen wir als traute Schwestern
In seiner Nähe leben, gleichgepaart,
Allein durch seine Liebe unterschieden.
O, ich will gut noch werden, fromm und gut!
MELITTA.
Bist dus nicht jetzt, und warst du es nicht immer?
SAPPHO.
Ja, gut, wie man so gut nennt, was nicht schlimm!
Doch gnügt so wenig für so hohen Lohn?
Glaubst du, er wird sich glücklich fühlen, Mädchen?
MELITTA.
Wer wär es denn in deiner Nähe nicht?
SAPPHO.
Was kann ich Arme denn dem Teuern bieten?
In seiner Jugend Fülle steht er da,
Geschmückt mit dieses Lebens schönsten Blüten.
Der erst erwachte Sinn, mit frohem Staunen
Die Zahl der eignen Kräfte überblickend,
Spannt kühn die Flügel aus, und nach dem Höchsten
Schießt gierig er den scharfen Adlerblick.
Was schön nur ist und groß und hoch und würdig,
Sein ists! Dem Kräftigen gehört die Welt!
Und ich! – O ihr des Himmels Götter alle!
O gebt mir wieder die entschwundne Zeit.
Löscht aus in dieser Brust vergangner Leiden,
[728] Vergangner Freuden tiefgetretne Spur.
Was ich gefühlt, gesagt, getan, gelitten,
Es sei nicht, selbst in der Erinnrung nicht.
Laßt mich zurückekehren in die Zeit,
Da ich noch scheu mit runden Kinderwangen,
Ein unbestimmt Gefühl im schweren Busen,
Die neue Welt mit neuem Sinn betrat.
Da Ahnung noch, kein quälendes Erkennen
In meiner Leier goldnen Saiten spielte,
Da noch ein Zauberland mir Liebe war,
Ein unbekanntes, fremdes Zauberland!

Sich an Melittens Busen lehnend.
MELITTA.
Was fehlt dir? Bist du krank, Gebieterin?
SAPPHO.
Da steh ich an dem Rand der weiten Kluft,
Die zwischen ihm und mir verschlingend gähnt;
Ich seh das goldne Land herüberwinken.
Mein Aug erreicht es, aber nicht mein Fuß. –

Weh dem, den aus der Seinen stillem Kreise
Des Ruhms, der Ehrsucht eitler Schatten lockt.
Ein wildbewegtes Meer durchschiffet er
Auf leichtgefügtem Kahn. Da grünt kein Baum,
Da sprosset keine Saat und keine Blume,
Ringsum die graue Unermeßlichkeit.
Von ferne nur sieht er die heitre Küste,
Und mit der Wogen Brandung dumpf vermengt,
Tönt ihm die Stimme seiner Lieben zu.
Besinnt er endlich sich und kehrt zurück
Und sucht der Heimat leichtverlaßne Fluren,
Da ist kein Lenz mehr, ach, und keine Blume,

Den Kranz abnehmend und wehmütig betrachtend.

Nur dürre Blätter rauschen um ihn her!
MELITTA.
Der schöne Kranz! Wie lohnt so hohe Zier,
Von Tausenden gesucht und nicht errungen!
SAPPHO.
Von Tausenden gesucht und nicht errungen!
Nicht wahr, Melitta? Nicht wahr, liebes Mädchen?
Von Tausenden gesucht und nicht errungen!

Den Kranz wieder aufsetzend.

[729] Es schmähe nicht den Ruhm, wer ihn besitzt,
Er ist kein leer-bedeutungsloser Schall,
Mit Götterkraft erfüllet sein Berühren!
Wohl mir, ich bin so arm nicht. Seinem Reichtum
Kann gleichen Reichtum ich entgegensetzen,
Der Gegenwart mir dargebotnem Kranz
Die Blüten der Vergangenheit und Zukunft!
Du staunst, Melitta, und verstehst mich nicht.
Wohl dir! O lerne nimmer mich verstehen!
MELITTA.
Zürnst du?
SAPPHO.
Nicht doch, nicht doch, mein liebes Kind!
Geh zu den andern jetzt und sag mirs an,
Wenn dein Gebieter wünscht, mich zu empfangen.

Melitta ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
SAPPHO
allein.

Sie legt, in Gedanken versunken, die Stirn in die Hand, dann setzt sie sich auf die Rasenbank und nimmt die Leier in den Arm, das Folgende mit einzelnen Akkorden begleitend.

Golden thronende Aphrodite,
Listenersinnende Tochter des Zeus,
Nicht mit Angst und Sorgen belaste,
Hocherhabne, dies pochende Herz!

Sondern komm, wenn jemals dir lieblich
Meiner Leier Saiten getönt,
Deren Klängen du öfters lauschtest,
Verlassend des Vaters goldenes Haus.

Du bespanntest den schimmernden Wagen,
Und deiner Sperlinge fröhliches Paar,
Munter schwingend die schwärzlichen Flügel,
Trug dich vom Himmel zur Erde herab.

Und du kamst; mit lieblichem Lächeln,
Göttliche! auf der unsterblichen Stirn,
Fragtest du, was die Klagende quäle?
Warum erschalle der Flehenden Ruf?
[730]

Was das schwärmende Herz begehre?
Wen sich sehne die klopfende Brust
Sanft zu bestricken im Netz der Liebe?
Wer ists, Sappho, der dich verletzt?

Flieht er dich jetzt, bald wird er dir folgen,
Verschmäht er Geschenke, er gibt sie noch selbst,
Liebt er dich nicht, gar bald wird er lieben,
Folgsam gehorchend jeglichem Wink.

Komm auch jetzt und löse den Kummer,
Der mir lastend den Busen beengt,
Hilf mir erringen, nach was ich ringe,
Sei mir Gefährtin im lieblichen Streit.

Sie lehnt matt das Haupt zurück.
Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
PHAON
kommt.
Wohl mir, hier ist es still. Des Gastmahls Jubel,
Der Zimbelspieler Lärm, der Flöten Töne,
Der losgelaßnen Freude lautes Regen,
Es tönt nicht bis hier unter diese Bäume,
Die leise flüsternd, wie besorgt zu stören,
Zu einsamer Betrachtung freundlich laden.

Wie hat sich alles denn in mir verändert,
Seit ich der Eltern stilles Haus verließ
Und meine Renner gen Olympia lenkte?
Sonst konnt ich wohl in heiterer Besinnung
Verworrener Empfindung leise Fäden
Mit scharfem Aug verfolgen und entwirren,
Bis klar es als Erkennen vor mir lag.
Doch jetzt, wie eine schwüle Sommernacht,
Liegt brütend, süß und peinigend zugleich
[731] Ein schwerer Nebel über meinen Sinnen,
Den der Gedanken fernes Wetterleuchten,
Jetzt hier, jetzt dort, und jetzt schon nicht mehr da,
In quälender Verwirrung rasch durchzuckt.
Ein Schleier deckt mir die Vergangenheit,
Kaum kann ich heut des Gestern mich erinnern,
Kaum in der jetzgen Stund der erst geschiednen.
Ich frage mich: warst dus denn wirklich selber,
Der in Olympia stand an ihrer Seite,
An ihrer Seite in des Siegs Triumph?
War es dein Name, den des Volkes Jubel
Vermischt mit ihrem in die Lüfte rief?
Ja sagt mir alles und doch glaub ichs kaum.
Was für ein ärmlich Wesen ist der Mensch,
Wenn, was als Hoffnung seine Sinne weckte,
Ihm als Erfüllung sie in Schlaf versenkt.
Als ich sie noch nicht sah und kannte, nur
Die Phantasie ihr schlechtgetroffnes Bild
In graue Nebel noch verfließend malte,
Da schien mirs leicht, für einen Blick von ihr,
Ein gütges Wort, das Leben hinzuwerfen;
Und jetzt, da sie nun mein ist, mir gehört,
Da meiner Wünsche winterliche Raupen
Als goldne Schmetterlinge mich umspielen,
Jetzt frag ich noch und steh und sinn und zaudre!

Weh, ich vergesse hier mich selber noch
Und sie und Eltern und –
O meine Eltern!
Muß ich erst jetzt, jetzt eurer mich erinnern!
Konnt ich so lang euch ohne Botschaft lassen?
Vielleicht beweint ihr meinen Tod, vielleicht
Gab des Gerüchtes Mund euch schon die Kunde,
Daß euer Sohn, den ihr zu lieben nicht,
Den ihr zum Kampfe nach Olympia sandtet,
In Sapphos Arm –
Wer wagt es, sie zu schmähn!
Der Frauen Zier, die Krone des Geschlechts!
[732] Mag auch des Neides Geifer sie bespritzen,
Ich steh für sie, seis gegen eine Welt!
Und selbst mein Vater, sieht er sie nur erst,
Gern legt er ab das alte Vorurteil,
Das frecher Zitherspielerinnen Anblick
Mit frommer Scheu ihm in die Brust geprägt.

In Gedanken versinkend.

Wer naht? – der laute Haufen dringt hierher.
Wie widerlich! – Schnell fort! – Wohin? – Ah hier!

Geht in die Grotte.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Eucharis. Melitta. Sklavinnen mit Blumen und Kränzen.

EUCHARIS
lärmend.
Ihr Mädchen auf! Mehr Blumen bringt herbei!
Zu ganzen Haufen Blumen. Schmückt das Haus
Und Hof und Halle, Säule, Tür und Schwelle,
Ja, selbst die Blumenbeete schmückt mit Blumen!
Tut Würze zum Gewürz; denn heute feiert
Das Fest der Liebe die Gebieterin.
MÄDCHEN
ihre Blumen vorweisend.
Hier sieh!

Sie fangen an, die Säulen und Bäume umher mit Kränzen und Blumenketten zu behängen.
EUCHARIS.
Recht gut, recht gut! Doch du, Melitta,
Wo hast du, Mädchen, deine Blumen?
MELITTA
ihre leeren Hände betrachtend.
Ich? –
EUCHARIS.
Ja du! – Ei seht mir doch die Träumerin!
Kommst du allein hierher mit leeren Händen?
MELITTA.
Ich will wohl holen –
EUCHARIS.
Ich will holen, spricht sie
Und regt sich nicht vom Platz, und will und holt nichts.
Du kleine Heuchlerin, bekenne nur,
Was hast du denn? Was war das heut bei Tisch,
Daß die Gebieterin so oft nach dir
Mit leisem Lächeln schlau hinüberblickte
[733] Und dann die Augen spottend niederschlug?
Sooft sies tat, sah ich dich heiß erröten,
Und mit dem Zittern peinlicher Verwirrung
Des oftversehnen Dienstes dich vergessen.
Und als sie nun dich ruft, den großen Becher
Dem schönen Fremden zu kredenzen und
Du scheu den Rand durch deine Lippen ziehst,
Da rief sie plötzlich aus: Die Augen nieder!
Und ach, des großen Bechers halber Inhalt
Ergoß mit eins sich auf den blanken Estrich.
Da lachte Sappho selbst! Was war das alles?
Bekenne nur, da hilft kein Leugnen, Mädchen.
MELITTA.
O laßt mich!
EUCHARIS.
Nichts da, ohne Gnade, Kind!
Den Kopf empor, und alles frisch bekannt!
O weh, da quillt wohl gar ein kleines Tränchen! –
Du arges Ding! Ich sage ja nichts mehr!
Doch weine nicht! Wenn dus so öfters treibst,
So werd ich noch so böse – Weine nicht! –
Sind eure Blumen alle? Nun so kommt,
Hier sind noch Rosen, hilf uns Kränze winden.
Sei fleißig, Kind! Doch hörst du? Weine nicht!

Mit den Mädchen ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
MELITTA
allein.

Sie setzt sich auf die Rasenbank und beginnt einen Kranz zu flechten. Nach einer Weile schüttelt sie schmerzlich das Haupt und legt das Angefangene neben sich hin.

Es geht nicht! – Weh, der Kopf will mir zerspringen,
Und stürmisch pocht das Herz in meiner Brust!

Da muß ich sitzen, einsam und verlassen,
Fern von der Eltern Herd im fremden Land,
Und Sklavenketten drücken diese Hände,
Die ich hinüberstrecke nach den Meinen.
Weh mir, da sitz ich einsam und verlassen,
Und niemand höret mich und achtet mein!
[734] Mit Tränen seh ich Freunde und Verwandte
Den Busen drücken an verwandte Brust;
Mir schlägt kein Busen hier in diesem Lande,
Und meine Freunde wohnen weit von hier.
Ich sehe Kinder um den Vater hüpfen,
Die fromme Stirn, die heilgen Locken küssen,
Mein Vater lebt getrennt durch ferne Meere,
Wo ihn nicht Gruß und Kuß des Kinds erreicht!
Sie tun wohl hier so, als ob sie mich liebten,
Und auch an sanften Worten fehlt es nicht,
Doch ist es Liebe nicht, 's ist nur Erbarmen,
Das auch der Sklavin milde Worte gönnt;
Der Mund, der erst von Schmeicheln überflossen,
Er füllt sich bald mit Hohn und bitterm Spott!

Sie dürfen lieben, hassen, was sie wollen,
Und was das Herz empfindet, spricht die Lippe aus,
Sie zieret Gold und Purpur und Geschmeide,
Nach ihnen wendet staunend sich der Blick;
Der Sklavin Platz ist an dem niedern Herde,
Da trifft kein Blick sie, ach und keine Frage,
Kein Auge, kein Gedanke und kein Wunsch! –

Ihr Götter, die ihr mich schon oft erhört,
Mit reicher Hand Erfüllung mir gesendet,
Wenn ich mit frommem Sinne zu euch flehte,
O leiht auch diesmal mir ein gnädig Ohr!
Führt gütig mich zurücke zu den Meinen,
Daß ich an des Vertrauens weiche Brust
Die kummerheiße Stirne kühlend presse.
Führt zu den Meinen mich, ach, oder nehmt mich
Hinauf zu euch, zu euch! – zu euch!
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Phaon. Melitta

PHAON
der während des vorigen Selbstgespräches am Eingange der Grotte erschienen ist, sich aber lauschend zurückgezogen hat, tritt jetzt vor und legt Melitten von hinten die Hand auf die Schulter.
So jung noch und so traurig, Mädchen?
[735]
MELITTA
zusammenschreckend.
Ah!
PHAON.
Ich hörte dich erst zu den Göttern rufen
Um eines Freundes Brust. Hier ist ein Freund!
Es bindet gleicher Schmerz, wie gleiches Blut,
Und Trauernde sind übrall sich verwandt.
Auch ich vermisse ungern teure Eltern,
Auch mich ziehts mächtig nach der Heimat zu;
Komm laß uns tauschen, daß des einen Kummer
Zum Balsam werde für des andern Brust.
Du schweigst – Woher dies Mißtraun, gutes Mädchen?
Blick auf zu mir! Nicht schlimm bin ich gesinnt.

Er hebt ihr das Haupt am Kinne empor.

Ei sieh! Du bist wohl gar der kleine Mundschenk,
Der statt des Gasts den blanken Estrich tränkte.
Darum so bang? Nicht doch! Es hat der Unfall
So mich als die Gebieterin belustigt.
MELITTA
die bei dem letzten Worte etwas zusammengefahren, schlägt nun die Augen empor und blickt ihn an, dann steht sie auf und will gehen.
PHAON.
Nicht wollt ich dich beleidigen, mein Kind.
Hat dieses sanfte Aug so ernste Blicke?
Du mußt mir Rede stehn, ich laß dich nicht!
Schon unterm Mahle hab ich dich bemerkt,
Die jungfräuliche Stille glänzte lieblich
Durch all den wilden Taumel des Gelags.
Wer bist du und was hält dich hier zurück.
Du warst nicht mit zu Tisch, ich sah dich dienen,
Es schien der Sklavinnen Vertraulichkeit
Gefährtin dich zu nennen und –
MELITTA.
Ich bins.

Wendet sich ab und will gehen.
PHAON
sie zurückhaltend.
Nicht doch!
MELITTA.
Was willst du von der Sklavin, Herr?
Laß einer Sklavin Brust sie suchen und –

Tränen ersticken ihre Stimme.

Nehmt mich hinauf zu euch, zu euch, ihr Götter!
PHAON
sie anfassend.
Du bist bewegt, du zitterst, fasse dich!
[736] Es binden Sklavenfesseln nur die Hände,
Der Sinn, er macht den Freien und den Knecht.
Sei ruhig, Sappho ist ja gut und milde,
Ein Wort von mir, und ohne Lösegeld
Gibt sie den Deinen dich, dem Vater wieder.
MELITTA
schüttelt schweigend das Haupt.
PHAON.
Glaub mir, sie wirds gewiß! Wie, oder ist
Die heiße Sehnsucht nach dem Vaterlande,
Die erst dich so ergriff, so schnell verschwunden?
MELITTA.
Ach sag mir erst, wo ist mein Vaterland?
PHAON.
Du kennst es nicht?
MELITTA.
In zarter Kindheit schon
Ward ich entrissen seiner treuen Hut,
Nur seine Blumen, seine Täler hat
Behalten das Gedächtnis, nicht den Namen.
Nur, glaub ich, lag es, wo die Sonne herkömmt,
Denn dort war alles gar so licht und hell.
PHAON.
So ist es weit von hier?
MELITTA.
O weit, sehr weit!
Von andern Bäumen war ich dort umgeben
Und andre Blumen dufteten umher,
In blauern Lüften glänzten schönre Sterne
Und freundlich-gute Menschen wohnten dort.
In vieler Kinder Mitte lebt ich da,
Ach, und ein Greis mit weißen Silberlocken,
Ich nannte Vater ihn, liebkoste mir,
Dann noch ein andrer Mann, so schön und hold,
Mit braunem Haar und Aug, fast so wie – du –
PHAON.
Du schweigst? Der Mann?
MELITTA.
Er auch –
PHAON.
Liebkoste dir,
Nicht so?

Sie bei der Hand ergreifend.
MELITTA
leise.
Ich war ein Kind!
PHAON.
Ich weiß es wohl!
Ein süßes, liebes, unbefangnes Kind!

Ihre Hand loslassend.

Nur weiter!
[737]
MELITTA.
So ging alles schön und gut.
Doch einst erwacht ich nachts. Ein wild Geschrei
Drang laut von allen Seiten in mein Ohr.
Die Wärtrin naht, man rafft mich auf
Und trägt mich in die wilde Nacht hinaus.
Da sah ich rings herum die Hütten flammen
Und Männer fechten, Männer fliehn und fallen.
Jetzt naht ein Wütrich, streckt die Hand nach mir,
Nun war Geheul, Gejammer, Schlachtgeschrei;
Ich fand mich erst auf einem Schiffe wieder,
Das pfeilschnell durch die dunklen Wogen glitt.
Noch andre Mädchen, Kinder sah ich weinen,
Doch immer kleiner ward der Armen Zahl,
Je weiter wir uns von der Heimat trennten,
Gar viele Tag und Nächte fuhren wir,
Ja Monden wohl, zuletzt war ich allein
Von all den Armen bei den wilden Männern.
Da endlich trat uns Lesbos Strand entgegen,
Man schifft mich aus ans Land. Da sah mich Sappho,
Da bot sie Geld, und ihrer ward Melitta.
PHAON.
War denn dein Los so schwer in Sapphos Händen?
MELITTA.
O nein. Sie nahm mich gütig, freundlich auf;
Sie trocknete die Tränen mir vom Aug
Und pflegte mein und lehrte mich voll Liebe,
Denn wenn auch heftig manchmal, rasch und bitter,
Doch gut ist Sappho, wahrlich lieb und gut.
PHAON.
Und doch kannst du die Heimat nicht vergessen.
MELITTA.
Ach, ich vergaß sie leider nur zu bald,
In Tanz und Spiel und bei des Hauses Pflichten
Dacht ich gar selten der verlaßnen Lieben.
Nur manchmal, wenn mich Schmerz und Kummer drückt,
Dann schleicht die Sehnsucht mir ins bange Herz,
Und die Erinnerung mit schmerzlich süßer Hand
Enthüllt die goldumflorte, lichte Ferne.
Und so auch heut! Mir war so schwer und ängstlich,
Ein jedes leisgesprochne Wort fiel schmerzend
Hernieder, wie auf fleischentblößte Fibern,
Da – Doch jetzt ist es gut und ich bin froh.
[738]
MAN RUFT DRINNEN.
Melitta!
PHAON.
Horch, man ruft!
MELITTA.
Man ruft? – Ich gehe.

Sie liest den angefangenen Kranz und die Blumen auf.
PHAON.
Was hast du hier?
MELITTA.
Ei, Blumen!
PHAON.
Und für wen?
MELITTA.
Für dich! – Für dich und Sappho.
PHAON.
Bleib!
MELITTA.
Man ruft!
PHAON.
Du sollst so finstern Blicks nicht von mir gehn!
Zeig deine Blumen!
MELITTA.
Hier!
PHAON
eine Rose herausnehmend.
Nimm diese Rose!

Er steckt sie ihr an den Busen.

Sie sei Erinnrung dir an diese Stunde,
Erinnerung, daß nicht bloß in der Heimat,
Daß auch in fernem Land es – Freunde gibt.

Melitta, die bei seiner Berührung zusammengefahren, steht jetzt mit hoch klopfender Brust, beide Arme hinabhängend, mit gesenktem Haupt und Aug unbeweglich da. Phaon hat sich einige Schritte entfernt und betrachtet sie von weitem.
MAN RUFT VON INNEN.
Melitta!
MELITTA.
Riefst du mir?
PHAON.
Ich nicht! – Im Hause!
MELITTA
die Kränze, die ihr entfallen sind, zusammenraffend.
Ich komme schon!
PHAON.
Bist du so karg, Melitta?
Verdient denn meine Gabe kein Geschenk?
MELITTA.
Ich, ein Geschenk? Was hätt ich Arme wohl?
PHAON.
Gold schenkt die Eitelkeit, der rauhe Stolz,
Die Freundschaft und die Liebe schenken Blumen.
Hier hast du Blumen ja –
MELITTA
die Blumen von sich werfend.
Wie? diese hier,
Die jene wilden Mädchen dort gepflückt,
Sie, die bestimmt für – Nimmermehr!
PHAON.
Was sonst?
[739]
MELITTA.
Daß sie doch diese Sträuche so geplündert!
Da ist auch nirgends einer Blume Spur,

Am Rosenstrauche emporblickend.

An jenem Zweige hängt wohl eine Rose,
Doch ist sie allzuhoch, ich reiche nicht!
PHAON.
Ich will dir helfen!
MELITTA.
Ei, nicht doch!
PHAON.
Warum?
So leicht geb ich nicht meinen Anspruch auf!
MELITTA
auf die Rasenbank steigend.
So komm; ich beuge dir den Zweig!
PHAON.
Ganz recht!
MELITTA
auf die Zehen emporgehoben, den Zweig, an dessen äußerstem Ende die Rose hängt, herabbeugend.
Reichst du?
PHAON
der, ohne auf die Rose zu achten, nur Melitten betrachtet hat.
Noch nicht!
MELITTA.
Doch jetzt! – Weh mir, ich gleite!
Ich falle!
PHAON.
Nein, ich halte dich!

Der Zweig ist ihren Händen emporschnellend entschlüpft, sie taumelt und sinkt in Phaons Arme, die er ihr geöffnet entgegenhält.
MELITTA.
O laß mich!
PHAON
sie an sich haltend.
Melitta!
MELITTA.
Weh mir, laß mich! Ach!
PHAON.
Melitta!

Er drückt rasch einen Kuß auf ihre Lippen.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Sappho, einfach gekleidet, ohne Kranz und Leier. Vorige.

SAPPHO
eintretend.
Du läßt dich suchen, Freund! – Doch ha, was seh ich?
MELITTA.
Horch, die Gebieterin?
PHAON.
Wie, Sappho hier?

Er läßt sie los.
Pause.
[740]
SAPPHO.
Melitta!
MELITTA.
Hohe Frau!
SAPPHO.
Was suchst du hier?
MELITTA.
Ich suchte Blumen.
SAPPHO.
Und nicht ohne Glück!
MELITTA.
Die Rose hier –
SAPPHO.
Sie brennt auf deinen Lippen.
MELITTA.
Sie hängt so hoch.
SAPPHO.
Vielleicht nicht hoch genug!
Geh!
MELITTA.
Soll ich etwa? –
SAPPHO.
Geh nur immer, geh!

Melitta ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Sappho. Phaon.

SAPPHO
nach einer Pause.
Phaon!
PHAON.
Sappho!
SAPPHO.
Du standst so früh
Von unserm Mahle auf. Du wardst vermißt!
PHAON.
Den Becher lieb ich nicht, noch laute Freuden!
SAPPHO.
Nicht laute. Das scheint fast ein Vorwurf
PHAON.
Wie?
SAPPHO.
Ich habe wohl gefehlt, daß ich die Feier
Der Ankunft laut und rauschend angestellt! –
PHAON.
So war es nicht gemeint!
SAPPHO.
Das volle Herz,
Es sucht oft lauter Freude vollen Jubel,
Um in der allgemeinen Lust Gewühl
Recht unbemerkt, recht stille sich zu freun.
PHAON.
Ja, so!
SAPPHO.
Auch mußt ich unsern guten Nachbarn
Für ihre Liebe wohl mich dankbar zeigen,
Das freut sich nur bei Wein! Du weißt es wohl!
In Zukunft stört kein lästig Fest uns wieder
Die Stille, die du mehr nicht liebst als ich!
[741]
PHAON.
Ich danke dir.
SAPPHO.
Du gehst?
PHAON.
Willst du? Ich bleibe!
SAPPHO.
Zu gehn oder zu bleiben bist du Herr!
PHAON.
Du zürnest!
SAPPHO
bewegt.
Phaon!
PHAON.
Willst du etwas?
SAPPHO.
Nichts. –
Doch eins!

Mit Überwindung.

Ich sah dich mit Melitten scherzen –
PHAON.
Melitta? Wer? Ei ja, ganz recht! Nur weiter!
SAPPHO.
Es ist ein liebes Kind!
PHAON.
So scheints, o ja!
SAPPHO.
Die liebste mir von meinen Dienerinnen.
Von meinen Kindern möcht ich sagen, denn
Ich habe stets als Kinder sie geliebt.
Wenn ich die Sklavenbande nicht zerreiße,
So ist es nur, da die Natur uns süßre
Versagt, um jene Eltern-, Heimatlosen
Nicht vor der Zeit dem Aug der Lehrerin,
Der Mutter zarter Sorgfalt zu entziehn.
So war ichs stets gewohnt, und in dem Kreise
Von Mytilenes besten Bürgerinnen
Ist manche, die in freudiger Erinnrung
Sich Sapphos Werk aus frühern Tagen nennt.
PHAON.
Recht schön, recht schön!
SAPPHO.
Von all den Mädchen,
Die je ein spielend Glück mir zugeführt,
War keine teurer mir als sie, Melitta,
Das liebe Mädchen mit dem stillen Sinn.
Obschon nicht hohen Geists, von mäßgen Gaben
Und unbehilflich für der Künste Übung,
War sie mir doch vor andern lieb und wert
Durch anspruchsloses, fromm-bescheidnes Wesen,
Durch jene liebevolle Innigkeit,
Die langsam, gleich dem stillen Gartenwürmchen,
Das Haus ist und Bewohnerin zugleich,
[742] Stets fertig, bei dem leisesten Geräusche
Erschreckt sich in sich selbst zurückzuziehn,
Und um sich fühlend mit den weichen Fäden,
Nur zaudernd waget Fremdes zu berühren,
Doch fest sich saugt, wenn es einmal ergriffen,
Und sterbend das Ergriffne nur verläßt.
PHAON.
Recht schön, fürwahr, recht schön!
SAPPHO.
Ich wünschte nicht,
Verzeih, mein teurer Freund! ich wünschte nicht,
Daß je ein unbedachtsam flüchtger Scherz
In dieses Mädchens Busen Wünsche weckte,
Die, unerfüllt, mit bitterm Stachel martern,
Ersparen möcht ich gern ihr die Erfahrung,
Wie ungestillte Sehnsucht sich verzehret,
Und wie verschmähte Liebe nagend quält.
Mein Freund! –
PHAON.
Wie sagtest du?
SAPPHO.
Du hörst mich nicht!
PHAON.
Ich höre: Liebe quält!
SAPPHO.
Wohl quält sie !
Mein Freund, du bist jetzt nicht gestimmt, wir wollen
Ein andermal noch diesen Punkt besprechen!
PHAON.
Ganz recht, ein andermal!
SAPPHO.
Für jetzt, leb wohl!
Ich pflege diese Stunde sonst den Musen
In jener stillen Grotte dort zu weihn.
Hoff ich gleich nicht die Musen heut zu finden,
So ist doch mindstens Stille mir gewiß
Und ich bedarf sie. Leb indessen wohl!
PHAON.
So gehst du also?
SAPPHO.
Wünschest du –
PHAON.
Leb wohl!
SAPPHO
sich rasch umwendend.
Leb wohl!

Ab in die Höhle.

[743]
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
PHAON
allein, nachdem er eine Weile starr vor sich hingesehen.
Und hast du wirklich? –

Sich umsehend.

Sie ist fort! –
Ich bin verwirrt, mein Kopf ist wüst und schwer!

Auf die Rasenbank blickend.

Hier saß sie, hier, das heiter blühnde Kind,

Setzt sich.

Hierher will ich mein Haupt zur Ruhe legen!

Legt ermattet den Kopf in die Hand.
Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
SAPPHO
kömmt aus der Grotte.
Es ist umsonst! Weit schwärmen die Gedanken
Und kehren ohne Ladung mir zurück!
Was ich auch tue, was ich auch beginne,
Doch steht mir jenes tiefverhaßte Bild,
Dem ich entfliehen möchte, wär es auch
Weit über dieser Erde dunkle Grenzen,
Mit frischen Farben vor der heißen Stirn!
Wie er sie hielt! Wie sie sein Arm umschlang!
Und nun, dem Drange weichend hingegeben,
Auf seinen Mund sie – fort! ich wills nicht denken!
Schon der Gedanke tötet tausendfach! –

Doch bin ich denn nicht töricht, mich zu quälen
Und zu beklagen, was wohl gar nicht ist.
Wer weiß, welch leichtverwischter, flüchtger Eindruck,
Welch launenvolles Nichts ihn an sie zog,
Das, schnell entschwunden so wie schnell geboren,
Der Vorwurf wie der Vorsatz nicht erreicht?
[744]
Wer heißt den Maßstab denn für sein Gefühl
In dieser tiefbewegten Brust mich suchen?

Nach Frauenglut mißt Männerliebe nicht,
Wer Liebe kennt und Leben, Mann und Frau!
Gar wechselnd ist des Mannes rascher Sinn,
Dem Leben untertan, dem wechselnden.
Frei tritt er in des Daseins offne Bahn,
Vom Morgenrot der Hoffnung rings umflossen,
Mit Mut und Stärke wie mit Schild und Schwert
Zum ruhmbekränzten Kampfe ausgerüstet.
Zu eng dünkt ihm des Innern stille Welt,
Nach außen geht sein rastlos wildes Streben,
Und findet er die Lieb, bückt er sich wohl,
Das holde Blümchen von dem Grund zu lesen,
Besieht es, freut sich sein und steckts dann kalt
Zu andern Siegeszeichen auf den Helm.
Er kennet nicht die stille, mächtge Glut,
Die Liebe weckt in eines Weibes Busen!
Wie all ihr Sein, ihr Denken und Begehren,
Um diesen einzgen Punkt sich einzig dreht,
Wie alle Wünsche, jungen Vögeln gleich,
Die angstvoll ihrer Mutter Nest umflattern,
Die Liebe, ihre Wiege und ihr Grab
Mit furchtsamer Beklemmung schüchtern hüten;
Das ganze Leben als ein Edelstein
Am Halse hängt der neugebornen Liebe!
Er liebt, allein in seinem weiten Busen
Ist noch für andres Raum als bloß für Liebe!
Und manches, was dem Weibe Frevel dünkt,
Erlaubt er sich als Scherz und freie Lust.
Ein Kuß, wo er ihm immer auch begegnet,
Stets glaubt er sich berechtigt ihn zu nehmen.
Wohl schlimm, daß es so ist, doch ist es so!

Sich umwendend und Phaon erblickend.

Ha sieh, dort in des Rosenbusches Schatten –
Er ist es, ja, der liebliche Verräter!
Er schläft, und Ruh und stille Heiterkeit
[745] Hat weich auf seine Stirne sich gelagert.
So atmet nur der Unschuld frommer Schlummer,
So hebt sich nur die unbeladne Brust.
Ja, Teurer, deinem Schlummer will ich glauben,
Was auch dein Wachen Schlimmes mir erzählt.
Verzeihe, wenn im ersten Augenblicke,
Geliebter, mit Verdacht ich dich gekränkt,
Wenn ich geglaubt, es könnte niedre Falschheit
Den Eingang finden in so reinen Tempel!
Er lächelt – seine Lippen öffnen sich –
Ein Name scheint in ihrem Hauch zu schweben.
Wach auf und nenne wachend deine Sappho,
Die dich umschlingt. Wach auf!

Sie küßt ihn auf die Stirne.
PHAON
erwacht, öffnet die Arme und spricht mit halbgeschloßnen Augen.
Melitta!
SAPPHO
zurückstürzend.
Ha!
PHAON.
Ah! Wer hat mich geweckt? Wer scheuchte neidisch
Des süßen Traumes Bilder von der Stirn?
Du, Sappho? Sei gegrüßt! Ich wußt es wohl,
Daß Holdes mir zur Seite stand, darum
War auch so hold des Traumes Angesicht!
Du bist so trüb! Was fehlt dir? Ich bin froh!
Was mir den Busen ängstigend belastet,
Fast wunderähnlich ists von mir gesunken,
Ich atme wieder unbeklemmt und frei.
Und gleich dem Armen, den ein jäher Sturz
Ins dunkle Reich der See hinabgeschleudert,
Wo Grausen herrscht und ängstlich dumpfes Bangen,
Wenn ihn empor nun hebt der Wellen Arm
Und jetzt das heitre, goldne Sonnenlicht,
Der Kuß der Luft, des Klanges freudge Stimme
Mit einemmal um seine Sinne spielen:
So steh ich freudetrunken, glücklich, selig,
Und wünsche mir, erliegend all der Wonne,
Mehr Sinne oder weniger Genuß!
SAPPHO
vor sich hin.
Melitta!
[746]
PHAON.
Fröhlich, Liebe, sei und heiter!
Es ist so schön hier, o, so himmlisch schön.
Mit weichen Flügeln senkt der Sommerabend
Sich hold ermattet auf die stille Flur,
Die See steigt liebedürstend auf und nieder,
Den Herrn des Tages bräutlich zu empfangen,
Der schon dem Westen zu die Rosse lenkt,
Ein leiser Hauch spielt in den schlanken Pappeln,
Die, kosend mit den jungfräulichen Säulen,
Der Liebe leisen Gruß herüberlispeln!
Zu sagen scheinen: Seht, wir lieben! Ahmt uns nach!
SAPPHO
für sich.
Fast wills von neuem mir die Brust beschleichen,
Doch nein! zu tief hab ich sein Herz erkannt!
PHAON.
Der Fiebertaumel ist mit eins verschwunden,
Der mich ergriffen seit so langer Zeit.
Und glaube mir, ich war dir nie so gut,
So wahrhaft, Sappho, gut, als eben jetzt.
Komm laß uns froh sein, Sappho, froh und heiter! –
Doch sprich, was hältst du wohl von Träumen, Sappho,
SAPPHO.
Sie lügen, und ich hasse Lügner!
PHAON.
Sieh,
Da hatt ich eben, als ich vorhin schlief,
Gar einen seltsam wunderlichen Traum.
Ich fand mich nach Olympia versetzt,
Gerade so wie damals, als ich dich
Zuerst beim frohen Kampfspiel dort gesehn.
Ich stand im Kreis des fröhlich lauten Volks,
Um mich der Wagen und des Kampfs Getöse.
Da klingt ein Saitenspiel, und alles schweigt.
Du warsts, du sangst der goldnen Liebe Freuden,
Und tief im Innersten ward ich bewegt.
Ich stürze auf dich zu, da – denke doch!
Da kenn ich dich mit einem Mal nicht mehr.
Noch stand sie da, die vorige Gestalt,
Der Purpur floß um ihre runden Schultern,
Die Leier klang noch in der weißen Hand;
Allein das Antlitz wechselt schnell verfließend
[747] Wie Nebel, die die blauen Höhn umziehn.
Der Lorbeerkranz, er war mit eins verschwunden,
Der Ernst verschwunden von der hohen Stirn,
Die Lippen, die erst Götterlieder tönten,
Sie lächelten mit irdisch-holdem Lächeln,
Das Antlitz, einer Pallas abgestohlen,
Verkehrt sich in ein Kindesangesicht
Und kurz, du bists und bist es nicht, es scheint
Mir Sappho bald zu sein und bald –
SAPPHO
schreiend.
Melitta!
PHAON.
Fast hast du mich erschreckt! Wer sagte dir,
Daß sie es war? Ich wußt es selber kaum! – –
Du bist bewegt, und ich –

Sappho winkt ihm mit der Hand Entfernung zu.
PHAON.
Wie? gehen soll ich?
Nur eines laß mich, Sappho, dir noch sagen –

Sappho winkt noch einmal.
PHAON.
Du willst nicht hören, ich soll gehen? Ich gehe!

Ab.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
SAPPHO
allein, nach einer Pause.
Der Bogen klang,

Die Hände über der Brust zusammenschlagend.

es sitzt der Pfeil! –
Wer zweifelt länger noch? Klar ist es, klar!
Sie lebt in seinem schwurvergeßnen Herzen,
Sie schwebt vor seiner schamentblößten Stirn,
In ihre Hülle kleiden sich die Träume,
Die schmeichelnd sich des Falschen Lager nahn.
Sappho verschmäht um ihrer Sklavin willen!
Verschmähet? wer? Beim Himmel, und von wem?
Bin ich dieselbe Sappho denn nicht mehr,
Die Könige zu ihren Füßen sah,
Und, spielend mit der dargebotnen Krone,
Die Stolzen sah und hörte und entließ!
[748] Dieselbe Sappho, die ganz Griechenland
Mit lautem Jubel als sein Kleinod grüßte?
O Törin! warum stieg ich von den Höhn,
Die Lorbeer krönt, wo Aganippe rauscht,
Mit Sternenklang sich Musenchöre gatten,
Hernieder in das engbegrenzte Tal,
Wo Armut herrscht und Treubruch und Verbrechen?
Dort oben war mein Platz, dort an den Wolken,
Hier ist kein Ort für mich, als nur das Grab.
Wen Götter sich zum Eigentum erlesen,
Geselle sich zu Erdenbürgern nicht,
Der Menschen und der Überirdschen Los,
Es mischt sich nimmer in demselben Becher,
Von beiden Welten eine mußt du wählen,
Hast du gewählt, dann ist kein Rücktritt mehr!
Ein Biß nur in des Ruhmes goldne Frucht,
Proserpinens Granatenkernen gleich,
Reiht dich auf ewig zu den stillen Schatten,
Und den Lebendigen gehörst du nimmer an.
Mag auch das Leben noch so lieblich blinken,
Mit holden Schmeichellauten zu dir tönen,
Als Freundschaft und als Liebe an dich locken:
Halt ein, Unselger! Rosen willst du brechen
Und drückst dafür dir Dornen in die Brust! –

Ich will sie sehn, die wundervolle Schönheit,
Die solchen Siegs sich über Sappho freut!
Was soll ich glauben? Lügt denn mein Gedächtnis,
Das, wenn ichs frage, mir ein albern Kind
Mit blöden Mienen vor die Sinne bringt.
Mit Augen, die den Boden ewig suchen,
Mit Lippen, die von Kinderpossen tönen,
Und leer der Busen, dessen arme Wellen
Nur Lust zu spielen noch und Furcht vor Strafe
Aus ihrer dumpfen Ruhe manchmal weckt.
Wie? oder meinem Aug entging wohl jener Reiz,
Der ihn so mächtig zieht in ihre Nähe? –
Melitta! – Ja, ich will sie sehn! – Melitta!–
[749]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Eucharis. Sappho

EUCHARIS.
Befiehlst du, hohe Frau?
SAPPHO.
Melitten rief ich.
Wo ist sie?
EUCHARIS.
Wo? auf ihrer Kammer, denk ich.
SAPPHO.
Sucht sie die Einsamkeit! – Was macht sie dort?
EUCHARIS.
Ich weiß nicht. Aber seltsam ist ihr Wesen,
Und fremd ihr Treiben schon den ganzen Tag.
Des Morgens war sie still und stets in Tränen,
Doch kurz nur erst traf ich sie heitern Blicks.
Mit Linnen ganz beladen und mit Tüchern,
Wie sie hinabging zu dem klaren Bache,
Der kühl das Myrtenwäldchen dort durchströmt!
SAPPHO.
Sie freut sich ihres Siegs! Nur weiter, weiter!
EUCHARIS.
Neugierig zu erfahren, was sie suche,
Schlich leis ich ihr ins stille Wäldchen nach.
Da fand ich sie –
SAPPHO.
Mit ihm?
EUCHARIS.
Mit wem?
SAPPHO.
Nur weiter!
EUCHARIS.
Ich fand sie dort im klaren Wasser stehn.
Die Kleider lagen ringsumher am Ufer,
Und hoch geschürzt – sie dachte keines Lauschers –
Wusch, mit den kleinen Händen Wasser schöpfend,
Sie sorgsam reibend Arme und Gesicht,
Die von dem Schein der Sonne durch die Blätter,
Von ihrem Eifer und der rauhen Weise,
Mit der die Kleine eilig rasch verfuhr,
In hellem Purpur feurig glühten.
Wie sie da stand, für eine ihrer Nymphen,
Der jüngsten eine, hätte sie Diana –
SAPPHO.
Erzählung wollt ich hören und nicht Lob!
EUCHARIS.
Als nun des Bades langes Werk vollbracht,
Getrocknet Angesicht und Brust und Wange,
Ging fröhlich singend sie ins Haus zurück,
Also vertieft und so in sich verloren,
[750] Daß sie der Blätter, die ich aus dem Dickicht
Nach ihr warf, sie zu schrecken, nicht gewahrte.
Hier angelangt, trat sie in ihre Kammer,
Schloß ab, und was sie schafft, das weiß ich nicht.
Nur hört ich sie in Schränken emsig suchen,
Dazwischen tönte heiterer Gesang!
SAPPHO.
Sie singt und Sappho – nein, ich weine nicht!
Bring sie zu mir!
EUCHARIS.
Melitten?
SAPPHO.
Ja, wen sonst? –
Melitten! – Ach ein süßer, weicher Name,
Ein ohrbezaubernd, liebevoller Name!
Melitta – Sappho! – Geh, bring sie zu mir!

Eucharis ab.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
SAPPHO
allein, sie setzt sich auf die Rasenbank und stützt das Haupt in die Hand.

Pause.

Ich kann nicht! Weh! – Umsonst ruf ich den Stolz,
An seiner Statt antwortet mir die Liebe.

Sinkt in die vorige Stellung zurück.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Melitta. Sappho

MELITTA
kommt, einfach aber mit Sorgfalt gekleidet, Rosen am Busen und in den Haaren.
Sie bleibt am Eingange stehen, tritt aber, da Sappho sich nicht regt, näher hinzu.
Hier bin ich.
SAPPHO
sich schnell umkehrend und zurückfahrend.
Ah! – – Beim Himmel, sie ist schön!

Wirft das Gesicht, in beide Hände verhüllt, auf die Rasenbank. Pause.
MELITTA.
Du riefst nach mir!
SAPPHO.
Wie hat sie sich geschmückt,
Die Falsche! ihrem Buhlen zu gefallen! –
[751] Mit Müh gebiet ich meinem innern Zorn! –
Welch Fest hat heut so festlich dich geschmückt?
MELITTA.
Ein Fest?
SAPPHO.
Wozu dann dieser Putz? die Blumen?
MELITTA.
Du hast wohl oft geschmält, daß ich die Kleider,
Mit denen du so reichlich mich beschenkst,
So selten trage, stets auf andre Zeit,
Auf frohe Tage geizig sie versparend.
Das fiel mir heute ein, und weil nun eben
Gerade heute so ein froher Tag,
So ging ich hin und schmückte mich ein wenig!
SAPPHO.
Ein froher Tag? Nicht weiß ich es, warum?
MELITTA.
Warum? – Ei nu, daß du zurückgekehrt,
Daß du – ich weiß nicht recht, doch fröhlich bin ich.
SAPPHO.
Ha, Falsche!
MELITTA.
Was sagst du?
SAPPHO
sich fassend.
Melitta, komm,
Wir wollen ruhig miteinander sprechen. –
Wie alt bist du?
MELITTA.
Du weißt wohl selbst, o Sappho,
Welch trauriges Geschick der Kindheit Jahre
Mir unterbrach. Es hat sie keine Mutter
Mit sorglicher Genauigkeit gezählt,
Doch glaub ich, es sind sechzehn!
SAPPHO.
Nein, du lügst!
MELITTA.
Ich?
SAPPHO.
Sprichst nicht Wahrheit!
MELITTA.
Immer, hohe Frau!
SAPPHO.
Du zählst kaum fünfzehn!
MELITTA.
Leicht mag es so sein!
SAPPHO.
So jung an Jahren und sie sollte schon
So reif sein im Betrug? Es kann nicht sein,
So sehr nicht widerspricht sich die Natur!
Unmöglich, nein! ich glaub es nicht! – Melitta,
Erinnerst du dich noch des Tages, da
Vor dreizehn Jahren man dich zu mir brachte?
Es hatten wilde Männer dich geraubt.
Du weintest, jammertest in lauten Klagen,
[752] Mich dauerte der heimatlosen Kleinen,
Ihr Flehen rührte mich, ich bot den Preis
Und schloß dich, selber noch ein kindlich Wesen,
Mit heißer Liebe an die junge Brust.
Man will dich trennen, doch du wichest nicht,
Umfaßtest mit den Händen meinen Nacken,
Bis sie der Schlaf, der tröstungsreiche, löste.
Erinnerst du dich jenes Tages noch?
MELITTA.
O könnt ich jemals, jemals ihn vergessen!
SAPPHO.
Als bald darauf des Fiebers Schlangenringe
Giftatmend dich umwanden, o Melitta,
Wer wars, der da die langen Nächte wachte,
Sein Haupt zum Kissen machte für das deine,
Sein selbst vergessend mit dem Tode rang,
Den vielgeliebten Raub ihm abzuringen,
Und ihn errang, in Angst und Qual errang!
MELITTA.
Du warsts, o Sappho! Was besäß ich denn,
Das ich nicht dir, nicht deiner Milde dankte?
SAPPHO.
Nicht so, hierher an meine Brust, hierher!
Ich wußt es wohl, du kannst mich nicht betrüben,
Mit Willen mich, mit Vorsatz nicht betrüben!
Laß unsre Herzen aneinander schlagen,
Das Auge sich ins Schwesteraug versenken,
Die Worte mit dem Atem uns vermischen,
Daß das getäuschte Ohr, die gleichgestimmte Brust,
Von der Gesinnung Einklang süß betrogen,
In jedem Laut des lieblichen Gemisches
Sein Selbst erkenne, aber nicht sein Wort.
MELITTA.
O Sappho!
SAPPHO.
Ja, ich täuschte mich. Nicht wahr?
MELITTA.
Worin?
SAPPHO.
Wie könntest du? Du kannst nicht! Nein!
MELITTA.
Was, o Gebieterin?
SAPPHO.
Du könntest – Geh!
Leg diese eiteln Kleider erst von dir,
Ich kann dich so nicht sehn! Geh! Andre Kleider!
Der bunte Schmuck verletzt mein Auge! Fort!
Einfach ging stets die einfache Melitta,
[753] So viele Hüllen deuten auf Verhülltes!
Geh! Andre Kleider, sag ich dir! Nur fort! –
Halt, wohin gehst du? Bleib! Sieh mir ins Auge!
Warum den Blick zu Boden? Fürchtest du
Der Herrin Aug? du bist so blöde nicht!
Damals als Phaon –
Ha! errötest du?
Verräterin, du hast dich selbst verraten!
Und leugnest du? Nicht deiner falschen Zunge,
Dem Zeugnis dieser Wangen will ich glauben,
Dem Widerschein der frevelhaften Flammen,
Die tief dir brennen in der Heuchlerbrust!
Unselige, das also wars, warum
Du dich beim Mahle heut so seltsam zeigtest?
Was ich als Zeichen nahm der blöden Scham,
Ein Fallstrick wars der listgen Buhlerin,
Die spinnenähnlich ihren Raub umgarnte;
So jung noch und so schlau, so heiter blühend
Und Gift und Moder in der argen Brust?
Steh nicht so stumm! Soll dirs an Worten fehlen?
Die Zunge, die so sticht, kann sie nicht zischen?
Antworte mir!
MELITTA.
Ich weiß nicht, was du meinst.
SAPPHO.
Nicht? armes Kind! Nun Tränen! Weine nicht!
Die Tränen sind des Schmerzes heilig Recht!
Mit Worten sprich, sie sind ja längst entweiht,
Doch brauche nicht der Unschuld stumme Sprache!
So schön geschmückt, so bräutlich angetan!
Fort diese Blumen, fort, sie taugen wenig,
Die schlechtversteckte Schlange zu verbergen!
Herab die Rosen!

Melitta nimmt schweigend den Kranz ab.
SAPPHO.
Mir gib diesen Kranz,
Bewahren will ich ihn dir zum Gedächtnis,
Und fallen frühverwelkt die Blätter ab,
Gedenk ich deiner Treu und meines Glücks.
[754] Was schonest du die Rose an der Brust?
Leg sie von dir!

Melitta tritt zurück.
SAPPHO.
Wohl gar ein Liebespfand?
Fort damit!
MELITTA
beide Arme über die Brust schlagend und dadurch die Rose verhüllend.
Nimmermehr!
SAPPHO.
Umsonst dein Sträuben!
Die Rose!
MELITTA
die Hände fest auf die Brust gedrückt, vor ihr fliehend.
Nimm mein Leben!
SAPPHO.
Falsche Schlange!
Auch ich kann stechen!

Einen Dolch ziehend.

Mir die Rose!
MELITTA.
Götter!
So schützt denn ihr mich! Ihr, erhabne Götter!
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Phaon. Vorige

PHAON.
Wer ruft hier? – du Melitta, fort den Dolch!

Pause.
PHAON.
Was war hier? Sappho, du? –
SAPPHO.
Frag diese hier!
PHAON.
Melitta, hättest du? –
MELITTA.
Die Schuld ist mein,
Ich sprach, wie es der Sklavin nicht geziemt!
SAPPHO.
Du sollst mit falscher Schuld dich nicht beladen,
Zu drückend liegt die wahre schon auf dir.
Weh mir, bedürft ich jemals deiner Großmut!

Mit starkem Ton.

Die Rose von der Brust hab ich begehrt,
Und sie verschmähte zu gehorchen! –
PHAON.
Tat sies?
Bei allen Göttern, sie hat recht getan,
Und niemand soll der Blume sie berauben!
[755] Ich selber gab sie ihr, als Angedenken
An eine schöne Stunde, als ein Zeichen,
Daß nicht in jeder Brust das Mitgefühl
Für unverdientes Unglück ist erloschen,
Als einen Tropfen Honig in den Becher,
Den fremder Übermut ihr an die Lippen preßt,
Als Bürgen meiner innern Überzeugung,
Daß stiller Sinn des Weibes schönster Schmuck,
Und daß der Unschuld heitrer Blumenkranz
Mehr wert ist, als des Ruhmes Lorbeerkronen. –
Sie weint! – O weine nicht, Melittion!
Hast diese Tränen du auch mitbezahlt,
Als du sie von dem Sklavenmäkler kauftest?
Der Leib ist dein, komm her und töte sie,
Doch keine Träne sollst du ihr erpressen!
Schaust du mich mit den milden Augen an,
Um Mitleid flehend für die Mitleidlose?
Du kennst sie nicht, du kennst die Stolze nicht!
Schau hin, blinkt nicht ein Dolch in ihrer Hand
Und noch zwei andre liegen tiefversteckt
Dort unter den gesenkten Augenlidern?

Den Dolch aufraffend, der Sapphon entglitten ist.

Mir diesen Stahl! Ich will ihn tragen
Hier auf der warmen, der betrognen Brust,
Und wenn mir je ein Bild verfloßner Tage
In süßer Wehmut vor die Seele tritt,
Soll schnell ein Blick auf diesen Stahl mich heilen!
SAPPHO
ihn starr anblickend.
Phaon!
PHAON.
O höre nicht den süßen Ton,
Er lockt dich schmeichelnd nur zu ihrem Dolch!
Auch mir ist er erklungen! Lange schon
Eh ich sie sah, warf sie der Lieder Schlingen
Von ferne leis verwirrend um mich her,
An goldnen Fäden zog sie mich an sich,
Und mocht ich ringen, enger stets und enger
Umschlangen mich die leisen Zauberkreise.
Als ich sie sah, da faßte wilder Taumel
[756] Den aufgeregten Sinn, und willenlos
Stürzt ich gebunden zu der Stolzen Füßen.
Dein Anblick erst gab mich mir selber wieder,
Erbebend sah ich mich in Circes Hause
Und fühlte meinen Nacken schon gekrümmt!
Doch war ich nicht gelöst, sie selber mußte,
Sie selber ihren eignen Zauber brechen!
SAPPHO
noch immer starr nach ihm blickend.
Phaon!
PHAON.
O hör sie nicht! Blick nicht nach ihr,
Ihr Auge tötet so wie ihre Hand.
MELITTA.
Sie weint!
PHAON.
Fort, weinend spinnt sie neuen Zauber!
MELITTA.
Soll ich die Teure leidend vor mir sehn?
PHAON.
Auch mich ergreift sie, darum eilig fort!
Eh sie noch ihre Schlingen um dich wirft.

Er führt sie fort.
MELITTA.
Ich kann nicht! – Sappho!
SAPPHO
mit aufgelöster Stimme.
Melitta, rufst du mir?
MELITTA
umkehrend und ihre Kniee umfassend.
Ich bin es, Sappho! Hier, die Rose, nimm!
Nimm ihn! Mein Leben nimm! Wo ist dein Dolch?
PHAON
herzu eilend, die Rose, die beide halten, wegreißend und Melitten aufhebend.
Dein ist sie, dein, kein Gott soll dir sie rauben!

Melitten fortziehend.

Komm! Schnell aus ihrer Nähe! Fort!

Führt sie ab.
SAPPHO
mit ausgestreckten Armen, verhallend.
Phaon!

Der Vorhang fällt.
[757]

4. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
SAPPHO
kommt, in tiefe Gedanken versenkt.
– Sie bleibt stehen. – Nach einer Pause.
Bin ich denn noch, und ist denn etwas noch?
Dies weite All, es stürzte nicht zusammen
In jenem fürchterlichen Augenblick?
Die Dunkelheit, die brütend mich umfängt,
Es ist die Nacht und nicht das Grab!
Man sagt ja doch, ein ungeheurer Schmerz,
Er könne töten? – Ach, es ist nicht so! –

Still ist es um mich her, die Lüfte schweigen,
Des Lebens muntre Töne sind verstummt,
Kein Laut schallt aus den unbewegten Blättern
Und einsam, wie ein spätverirrter Fremdling,
Geht meines Weinens Stimme durch die Nacht.

Wer auch so schlafen könnte, wie die Vögel,
Doch lang und länger, ohne zu erwachen;
Im Schoße eines festern, süßern Schlummers,
Wo alles, alles, selbst die Pulse schlafen,
Kein Morgenstrahl zu neuen Qualen weckt,
Kein Undankbarer – Halt! – Tritt nicht die Schlange!

Mit gedämpfter Stimme.

Der Mord ist wohl ein gräßliches Verbrechen,
Und Raub und Trug, und wie sie alle heißen,
Die Häupter jener giftgeschwollnen Hyder,
Die, an des Abgrunds Flammenpfuhl erzeugt,
Mit ihrem Geifer diese Welt verpestet,
Wohl gräßlich, schändlich, giftige Verbrechen!
Doch kenn ich eins, vor dessen dunkelm Abstich
Die andern alle lilienweiß erscheinen,
Und Undank ist sein Nam! Er übt allein,
Was alle andern einzeln nur verüben,
Er lügt, er raubt, betrügt, schwört falsche Eide,
Verrät und tötet! Undank! Undank! Undank!
[758] Beschützt mich, Götter, schützt mich vor mir selber!
Des Innern düstre Geister wachen auf
Und rütteln an des Kerkers Eisenstäben!

Ihn hatt ich vom Geschicke mir erbeten,
Von allen Sterblichen nur ihn allein,
Ich wollt ihn stellen auf der Menschheit Gipfel,
Erheben hoch vor allen, die da sind,
Und über Grab und Tod und Sterblichkeit
Ihn tragen auf den Fittigen des Ruhms
Hinüber in der Nachwelt lichte Fernen.
Was ich vermag und kann und bin und heiße,
Als Kranz wollt ich es winden um sein Haupt,
Ein mildes Wort statt allen Lohns begehrend,
Und er – lebt ihr denn noch, gerechte Götter? –

Wie von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt.

Ihr lebet, ja! – Von euch kam der Gedanke,
Der leuchtend sich vor meine Seele drängt.
Laß mich dich fassen, schneller Götterbote,
Vernehmen deines Mundes flüchtig Wort! –
Nach Chios, sprichst du: soll Melitta hin,
Nach Chios, dort getrennt von dem Verräter
In Reue wenden ihr verlocktes Herz,
Mit Liebesqual der Liebe Frevel büßen?
So sei es, Rhamnes, Rhamnes, ja so seis!
Unsterbliche, habt Dank für diesen Wink
Ich eile zu vollführen.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rhamnes. Sappho

RHAMNES.
Was gebeutst du, Herrin?
SAPPHO.
Sie ist mein Werk! Was wär sie ohne mich?
Und wer verwehrt dem Bildner wohl sein Recht,
Das zu zerstören, was er selber schuf?
Zerstören! Kann ich es? Weh mir, ihr Glück,
Es steht zu hoch für meine schwache Hand!
Wenn ihr nach Chios seine Liebe folgt,
[759] Ist sie am Sklavenherd nicht seliger,
Als ich im goldnen, liebeleeren Haus?
Für das Geliebte leiden ist so süß,
Und Hoffnung und Erinnrung sind ja Rosen
Von einem Stamme mit der Wirklichkeit,
Nur ohne Dornen! O, verbannet mich
Weit in des Meeres unbekannte Fernen
Auf einen Fels, der, schroff und unfruchtbar,
Die Wolken nur und Wellen Nachbar nennt,
Von jedem Pfad des Lebens rauh geschieden,
Nur löschet aus dem Buche der Erinnrung
Die letztentflohnen Stunden gütig aus;
Laßt mir den Glauben nur an seine Liebe,
Und ich will preisen mein Geschick und fröhlich
Die Einsamkeit, ach, einsam nicht, bewohnen!
Bei jedem Dorn, der meine Füße ritzte,
In jeder Qual wollt ich mir selber sagen:
O, wüßt er es! und: o, jetzt denkt er dein!
Was gäb er, dich zu retten! Ach, und Balsam
Ergösse kühlend sich in jede Wunde!
RHAMNES.
Du hast gerufen, hocherhabne Frau!
SAPPHO.
Phaon, Phaon! Was hab ich dir getan? –
Ich stand so ruhig in der Dichtung Auen,
Mit meinem goldnen Saitenspiel allein,
Hernieder sah ich auf der Erde Freuden,
Und ihre Leiden reichten nicht zu mir.
Nach Stunden nicht, nach holden Blumen nur,
Dem heitern Kranz der Dichtung eingewoben,
Zählt ich die Flucht der nimmerstillen Zeit.
Was meinem Lied ich gab, gab es mir wieder,
Und ewge Jugend grünte mir ums Haupt.
Da kommt der Rauhe und mit frechen Händen
Reißt er den goldnen Schleier mir herab,
Zieht mich hernieder in die öde Wüste,
Wo rings kein Fußtritt, rings kein Pfad,
Und jetzt, da er der einzge Gegenstand,
Der in der Leere mir entgegenstrahlt,
Entzieht er mir die Hand, ach und entflieht!
[760]
RHAMNES.
O Herrin, magst du weilen so im Dunkeln,
Beim feuchten Hauch der Nacht, der Meeresluft?
SAPPHO.
Kennst du ein schwärzres Laster als den Undank?
RHAMNES.
Ich nicht!
SAPPHO.
Ein giftigers?
RHAMNES.
Nein, wahrlich nicht!
SAPPHO.
Ein fluchenswürdgeres, ein strafenswerters?
RHAMNES.
Fürwahr, mit Recht belastets jeder Fluch!
SAPPHO.
Nicht wahr? Nicht wahr? Die andern Laster alle,
Hyänen, Löwen, Tiger, Wölfe sinds,
Der Undank ist die Schlange! Nicht? Die Schlange!
So schön, so glatt, so bunt, so giftig! – Oh! –
RHAMNES.
Komm mit hinein. Drin fühlst du dich wohl besser,
Mit Sorgfalt ist das Haus dir ausgeschmückt
Und Phaon wartet deiner in der Halle!
SAPPHO.
Wie, Phaon, harret meiner?
RHAMNES.
Ja, Gebietrin!
Ich sah ihn sinnend auf und nieder schreiten.
Bald stand er still, sprach leise vor sich hin,
Trat dann ans Fenster, suchend durch die Nacht.
SAPPHO.
Er harret meiner? Lieber, sagt er es,
Er harre meiner? Sapphos?
RHAMNES.
Das wohl nicht!
Doch sah ich ihn erwartend, lauschend stehn,
Und wessen sollt er harren?
SAPPHO.
Wessen? Wessen?
Nicht Sapphos harrt er, doch er harrt umsonst!
Rhamnes!
RHAMNES.
Gebieterin!
SAPPHO.
Du weißt, zu Chios
Wohnt, noch vom Vater her, ein Gastfreund mir!
RHAMNES.
Ich weiß es!
SAPPHO.
Löse schnell vom Strand den Nachen,
Der dort sich schaukelt in der nahen Bucht,
Denn diese Nacht noch mußt du fort nach Chios!
RHAMNES.
Allein?
SAPPHO.
Nein!

Pause.
[761]
RHAMNES.
Und wer folget mir dahin?
SAPPHO.
Was sagst du?
RHAMNES.
Wer nach Chios mit mir –?
SAPPHO
ihn auf die andre Seite des Theaters führend.
Komm!
Vorsichtig sei und leise, hörst du mich?
Geh in Melittens Kammer und gebeut ihr
Hierher zu kommen, Sappho rufe sie.
Doch still, daß er dich nicht bemerke.
RHAMNES.
Wer?
SAPPHO.
Wer? – Phaon! – Folgt sie dir –

Einhaltend.
RHAMNES.
Was dann?
SAPPHO.
Dann bringe
Sie, seis mit Güte, sei es mit Gewalt,
Doch leise, in den losgebundnen Nachen,
Und fort nach Chios, auf der Stelle fort!
RHAMNES.
Und dort?
SAPPHO.
Dort übergibst du sie dem Gastfreund,
Er soll sie hüten, bis ich sie verlange;
Und streng – Nicht strenge mög er sie mir halten,
Sie ist ja doch gestraft genug! Hörst du?
RHAMNES.
Ich eile!
SAPPHO.
Zögre nicht!
RHAMNES.
Leb wohl, o Sappho!
Der Morgen findet uns schon fern von hier.
Zufrieden sollst du sein mit deinem Diener!

Ab.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
SAPPHO
allein.
Er geht! – Noch – Nein! Ach, die Gewohnheit ist
Ein lästig Ding, selbst an Verhaßtes fesselt sie!

In Gedanken vertieft.

Horch – Tritte – Nein es war der Wind! – Wie bange
Pocht mir das Herz in sturmbewegter Brust! –
Jetzt Stimmen – Ha, sie kommt – Sie folgt so willig! –
Sie ahnet nicht, daß sie zum letzten Male –
Fort! Ich will sie nicht sehn! – Ich will, ich kann nicht!

Schnell ab.

[762]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Melitta. Rhamnes

MELITTA.
Hier sagtest du, sei die Gebieterin,
Sie ist nicht da!
RHAMNES
verlegen umherblickend.
Nicht? Nein, fürwahr – nicht da.
Noch erst vor kurzem war sie hier! – So komm!
MELITTA.
Wohin?
RHAMNES.
Sie mag wohl an der Meeresküste
Hinaufgewandelt sein, dort an der Bucht!
MELITTA.
Dorthin geht sie ja nie.
RHAMNES.
Vielleicht doch heute!
MELITTA.
Und warum heute denn?
RHAMNES.
Warum? – Je nu,
Weil – daß sie eben mir den Auftrag gab!
Nicht ansehn kann ich sie. Was sag ich ihr?
MELITTA.
Du bist so sonderbar! Du kehrst dich ab,
Und deine Augen wagen nicht, die Worte,
Die du mir gibst, freiblickend zu bekräftgen!
Was hast du denn, daß du so bang und ängstlich?
Sag mir, wo Sappho weilt, daß ich ihr nahe,
Und weißt dus nicht, so laß mich gehn!
RHAMNES.
Halt da!
Du darfst nicht fort!
MELITTA.
Warum?
RHAMNES.
Du mußt mit mir!
MELITTA.
Wohin?
RHAMNES.
Nach – Komm nur mit zur nahen Bucht,
Du sollst schon sehn!
MELITTA.
Ihr Götter, was soll das?
RHAMNES.
Komm, Mädchen, Mitternacht ist bald vorüber.
Die Stunde drängt! Mach fort!
MELITTA.
Was hast du vor?
Fort soll ich, fort! – An weitentlegne Küsten?
RHAMNES.
Sei ruhig, Kind! An weitentlegne Küsten?
Was fällt dir ein? Ist Chios denn so weit?
MELITTA.
Nach Chios? Nimmermehr!
[763]
RHAMNES.
Du mußt wohl, Kind!
So will es die Gebietrin!
MELITTA.
Sappho, sagst du?
Fort, hin zu ihr!
RHAMNES.
Nicht doch!
MELITTA.
Zu ihren Füßen!
Sie hör und richte mich!
RHAMNES.
Nicht von der Stelle!
MELITTA.
Wie, Rhamnes, du?
RHAMNES.
Ei was, ich kann nicht anders!
Befohlen ward mirs so und ich gehorche.
MELITTA.
Laß dich erbitten!
RHAMNES.
Ei, was nützt es dir,
Wenn auch in meinen Augen Tränen blinken.
Es muß doch einmal sein! Drum, Kind, mach fort!
MELITTA.
Hier lieg ich auf den Knien! Laß dich erflehn!
– So ist denn niemand, der mich hört und rettet?
RHAMNES.
Umsonst! du rufst das Haus mir wach. Komm mit!
MELITTA.
Nein, nimmermehr! Erbarmt sich niemand meiner?
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Phaon. Vorige

PHAON.
Das ist Melittens Stimme! Ha, Verwegner,
Wagst dus, die Hand zu heben gegen sie?

Rhamnes läßt Melitten los.
PHAON.
So täuschte mich doch meine Ahnung nicht,
Als ich dich sah mit leisespähnden Blicken,
Dem Wolfe gleich, in ihre Nähe schleichen.
Doch hast du dich verrechnet, grimmer Wolf,
Es wacht der Hirt, und dir naht das Verderben!
RHAMNES.
Herr, der Gebietrin Auftrag nur befolg ich.
PHAON.
Wie, Sapphos Auftrag? Sie befahl es dir?
O Sappho, Sappho! Ich erkenne dich!
Doch leider nur zu spät! Warum zu spät?
Noch ist es Zeit, die Bande abzuschütteln
Von mir und ihr; beim Himmel, und ich wills!
[764] Du allzufertger Diener fremder Bosheit –
Warum –? Melitta, du siehst bleich, du zitterst?
MELITTA.
O, mir ist wohl!
PHAON.
Dank du den Göttern, Sklave,
Daß ihr kein Steinchen nur den Fuß geritzt,
Beim Himmel! jede Träne solltest du
Mit einem Todesseufzer mir bezahlen! –
Du scheinst ermattet! lehne dich auf mich,
Du findest nirgends eine festre Stütze!
Blick her, Verruchter, dieses holde Wesen,
Dies Himmelsabbild wolltest du verletzen!
RHAMNES.
Verletzen nicht!
PHAON.
Was sonst?
RHAMNES.
Nur – Doch verzeih,
Was ich gewollt, ich kann es nicht vollführen.
Drum laß mich gehn!
PHAON
Melitten loslassend.
Bei allen Göttern, nein!
Mich lüstets, eurer Bosheit Ziel zu kennen!
Was wolltest du?
RHAMNES.
Sie sollte fort.
PHAON.
Wohin?
RHAMNES.
Nach – das ist der Gebieterin Geheimnis.
PHAON.
Du sagst es nicht?
RHAMNES.
Sie hat es hier verschlossen,
Und fest bewahrt es ihres Dieners Brust.
PHAON.
So öffne denn dies Eisen! Dank dir, Sappho!
Du gabst mir selber Waffen gegen dich!

Den Dolch ziehend.

Verhehle länger nichts, du siehst mich fertig,
Die strengverschloßne Lade zu erbrechen!
MELITTA.
O schone seiner! Hin nach Chios sollt ich!
PHAON.
Nach Chios?
MELITTA.
Ja, ein Gastfreund Sapphos hauset dort,
Er sollte wohl Melitten ihr bewahren!
PHAON.
Wie, übers Meer?
MELITTA.
Ein Kahn dort in der Bucht!
PHAON.
Ein Kahn?
MELITTA.
So sprach er, ists nicht also, Vater?
[765]
RHAMNES.
Nicht Vater nenne mich, du Undankbare,
Die frech du die Gebieterin verrätst.
PHAON.
Ein Kahn? –
MELITTA
zu Rhamnes.
Was tat ich denn, daß du mich schiltst?
Er fragte ja!
PHAON.
Ein Kahn? – So seis! – das Zeichen,
Ich nehm es an! Von euch kömmts, gute Götter!
Zu spät versteh ich eure treue Mahnung!
Sie ist es oder keine dieser Erde,
Die in der Brust die zweite Hälfte trägt
Von dem, was hier im Busen sehnend klopfte!
Ihr zeigt mir selbst den Weg. Ich will ihn gehn!
Melitta, ja, du sollst nach Chios, ja!
Doch nicht allein! – Mit mir, an meiner Seite!
MELITTA.
Mit ihm!
PHAON.
Verlaß dies feindlich-rauhe Land,
Wo Neid und Haß und das Medusenhaupt
Der Rachsucht sich in deine Pfade drängen,
Wo dir die Feindin Todesschlingen legt.
Komm! Dort der Kahn, hier Mut und Kraft und Stärke,
Zu schützen dich, wärs gegen eine Welt!

Faßt sie an.
MELITTA
ängstlich zu Rhamnes.
Rhamnes!
RHAMNES.
Bedenkt doch, Herr!
PHAON.
Bedenk du selber,
Was du gewollt, daß du in meiner Hand!
RHAMNES.
Herr, Sapphos ist sie!
PHAON.
Lügner! Sie ist mein!

Zu Melitten.

Komm folge!
RHAMNES.
Die Bewohner dieser Insel,
Sie ehren Sapphon wie ein fürstlich Haupt,
Sind stets bereit beim ersten Hilferuf,
In Waffen zu beschützen Sapphos Schwelle.
Ein Wort von mir und Hunderte erheben –
PHAON.
Du mahnst mich recht! Fast hätt ich es vergessen,
Bei wem ich bin und wo. – Du gehst mit uns!
[766]
RHAMNES.
Ich, Herr?
PHAON.
Ja du, doch nur bis zum Gestade,
Ich neide Sapphon solche Diener nicht!
Wenn wir in Sicherheit, magst du zurückekehren,
Erzählen, was geschehn und – doch genug,
Du folgst!
RHAMNES.
Nein, nimmermehr!
PHAON.
Ich habe, denk ich,
Was mir Gehorsam schaffen soll!
RHAMNES
sich dem Hause nähernd.
Gewalt!
PHAON
vertritt ihm den Weg und geht mit dem Dolche auf ihn zu.
So fahre hin denn, wie du selber willst!
Geringer Preis für dieser Reinen Rettung
Ist des Verruchten Untergang!
MELITTA.
Halt ein!
PHAON.
Wenn er gehorcht!
RHAMNES
der sich auf die entgegengesetzte Seite zurückgezogen hat.
O wehe, weh dem Alter,
Daß nicht mehr eins der Wille und die Kraft!
PHAON.
Jetzt, Mädchen, komm.
MELITTA.
Wohin?
PHAON.
Zu Schiffe! fort!
MELITTA
von ihm weg in den Vorgrund eilend.
Ihr Götter! Soll ich?
PHAON.
Fort! Es streckt die Ferne
Uns schutzverheißend ihren Arm entgegen.
Dort drüben überm alten, grauen Meer
Wohnt Sicherheit und Ruh und Liebe!
O folge! Unterm breiten Lindendach,
Das still der Eltern stilles Haus beschattet,
Wölbt, Teure, sich der Tempel unsers Glücks.

Sie ergreifend.

Erzitterst du? Erzittre, holde Braut,
Die Hand des Bräutigams hält dich umschlungen!
Komm mit! und folgst du nicht, bei allen Göttern,
Auf diesen Händen trag ich dich von hinnen
Und fort und fort, bis an das End der Welt.
MELITTA.
O Phaon!
[767]
PHAON.
Fort, die Sterne blinken freundlich,
Die See rauscht auf, die lauen Lüfte wehen
Und Amphitrite ist der Liebe hold.

Zu Rhamnes.

Voraus du!
RHAMNES.
Herr!
PHAON.
Es gilt dein Leben, sag ich dir!

Alle ab.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Eine Pause. – Dann erscheint Eucharis auf den Stufen.

EUCHARIS.
Rhamnes! –

Sie steigt herab.

Mir war, als hört ich seine Stimme!
Nein, es ist niemand hier! Ich täuschte mich.
Verwirrend scheint ein böser Geist zu walten
Seit Sapphos Rückkehr über ihrem Haus.
Es fliehen ängstlich scheu sich die Bewohner,
Verdacht und Kummer liegt auf jeder Stirn!
Melitten sucht ich und fand leer ihr Lager,
Einsam irrt die Gebietrin durch die Nacht,
Hier Rhamnes Stimme und er selber nicht.
O, daß erst Morgen wäre! – Horch.
RHAMNES
von weitem.
Zu Hilfe!
EUCHARIS.
Man ruft!
RHAMNES
näher.
Herbei!
EUCHARIS.
Ha, Rhamnes!
RHAMNES
nahe.
Sklaven Sapphos!
EUCHARIS.
Er ist ganz atemlos! Was ist denn, Rhamnes?
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Rhamnes eilig. Eucharis

RHAMNES.
Auf, auf vom weichen Lager! Hierher, Freunde!
Den Flüchtgen nach. Zu Hilfe!
EUCHARIS.
Sage doch –
RHAMNES.
O frage nicht! Ruf Sapphon und die Diener!
[768]
EUCHARIS.
Warum?
RHAMNES.
Zu Worten ist nicht Zeit! Geh nur!
Das ganze Haus erwache, eile, rette!
EUCHARIS.
Was mag das sein?

Die Stufen hinauf.
RHAMNES.
Ich kann nicht mehr! – Verräter,
Frohlocket nicht! des Meeres fromme Götter,
Sie rächen gern so abscheuwürdge Tat.

Es kommen nach und nach mehrere Diener.

Eilt schnell hinab ins Tal, weckt die Bewohner,
Gebt laut der Not, des Hilfeflehens Zeichen,
O fragt nicht, fort! Und laßt den Notruf tönen!

Diener ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Sappho. Vorige.

SAPPHO.
Welch Schreckenslaut tönt durch die stille Nacht
Und greift dem Schlafverscheucher Kummer in sein Amt?
Wer hat hier noch zu klagen außer mir?
RHAMNES.
Ich, o Gebieterin!
SAPPHO.
Du, Rhamnes, hier?
Und wo ist sie?
RHAMNES.
Melitta?
SAPPHO.
Ja doch!
RHAMNES.
Fort!
SAPPHO.
Sie fort und du doch hier!
RHAMNES.
Entflohen mit –
SAPPHO.
Halt ein!
RHAMNES.
Entflohn mit Phaon!
SAPPHO.
Nein!
RHAMNES.
Es ist so!
Er überwältigte mein schwaches Alter,
Und in demselben Kahn, der mir bereitet,
Führt er nun seine Beute durch die Wogen!
SAPPHO.
Du lügst!
RHAMNES.
O daß ich löge – diesmal löge!
[769]
SAPPHO.
Und wo blieb euer Donner, ewge Götter!
Habt ihr denn Qualen nur für Sapphos Herz?
Ist taub das Ohr und lahm der Arm der Rache!
Hernieder euern rächerischen Strahl,
Hernieder auf den Scheitel der Verräter,
Zermalmt sie, Götter, wie ihr mich zermalmt! –
Umsonst! kein Blitz durchzuckt die stille Luft,
Die Winde säuseln buhlerisch im Laube,
Und auf den breiten Armen trägt die See
Den Kahn der Liebe schaukelnd vom Gestade!
Da ist nicht Hilfe! Sappho, hilf dir selbst!

Die Bühne hat sich nach und nach mit Fackeln tragenden Sklaven und Landleuten angefüllt.

Ha, diese hier! Habt Dank, ihr Treuen, Dank!
Gebt, Menschen! was die Götter mir verweigern!
Auf, meine Freunde, rächet eure Sappho!
Wenn ich euch jemals wert, jetzt zeigt es, jetzt!

Unter ihnen herumgehend.

Du, Myron, schwurst mir oft und du, Terpander –
Gedenkst du, Lychas, noch des Liedes – Pheres –
Und du, Xenarchos – alle meine Freunde!
Hinunter zum Gestad! Bemannet Schiffe
Und folget windschnell der Verräter Spur!
Denkt, daß ich eurer hier in Qualen harre
Und jeder Augenblick, bis ihr zurückkehrt,
Mir hundert Dolche in den Busen bohrt!
Wer mir sie bringt, wer mir die Wonne schafft,
Daß ich die Augen bohren kann in seine,
Ihn fragen kann: Was hab ich dir getan,

In Tränen ausbrechend.

Daß du mich tötest? – Nein, nur Wut und Rache!
Wer mir sie bringt, er nehme all mein Gold,
Mein Leben – fort! Auf Windesfittig fort!
EIN LANDMANN.
Mit ihm nur kehren wir zurück.
SAPPHO.
Ich dank euch,

Zu den Abgehenden.

Mein Leben ist gelegt in eure Hand!
[770] Laßt meine Wünsche euern Fuß beflügeln,
Und meine Rache stärke euren Arm –
Nur schnell, nur schnell! Bei allen Göttern, schnell!

Diener und Landleute ab.
SAPPHO
die Hände über die Brust gelegt.
Sie gehn! Nun ist mir wohl! – Nun will ich ruhn!
EUCHARIS.
Du zitterst!
RHAMNES.
Weh, du wankst! – o, Sappho!
EUCHARIS
die Wankende in ihre Arme fassend.
Götter!
SAPPHO
in Eucharis Armen.
O, laß mich sinken! Warum hältst du mich?

Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Sappho sitzt halbliegend auf der Rasenbank, unbeweglich vor sich hinstarrend.
In einiger Entfernung steht Eucharis; weiter zurück mehrere Sklavinnen. Rhamnes kömmt

EUCHARIS
den Finger auf dem Munde.
Still! still!
RHAMNES.
Schläft sie?
EUCHARIS.
Die Augen stehen offen,
Der Körper wacht, ihr Geist nur scheint zu schlafen!
So liegt sie seit drei Stunden, regungslos!
RHAMNES.
Ihr solltet sie ins Haus doch –
EUCHARIS.
Ich versucht es,
Allein sie will nicht! – Und noch nichts?
RHAMNES.
Noch nichts!
Soweit das Auge trägt nur See und Wolken,
Von einem Schiffe nicht die kleinste Spur.
SAPPHO
emporfahrend.
Schiff? Wo?
RHAMNES.
Wir sahn noch nichts, Gebieterin!
SAPPHO
zurücksinkend.
Noch nicht! – Noch nicht! –
[771]
RHAMNES.
Die Morgenluft weht kühl,
Erlaube, daß wir dich in dein Gemach –

Sappho schüttelt verneinend den Kopf.
RHAMNES.
Laß dich erbitten, folge mir ins Haus!

Sappho schüttelt noch einmal.
RHAMNES
zurückweichend.
Du willsts – Ihr Anblick schneidet mir ins Herz!
EUCHARIS.
Ei sieh, was drängt sich dort das Volk!
RHAMNES.
Laß sehn!
EUCHARIS.
Es strömt dem Ufer zu. Mir deucht, sie kommen!
SAPPHO
aufspringend.
Ha!

Während des Folgenden steht sie in ängstlich horchender Stellung zurückgebeugt.
EUCHARIS.
Dort tritt an den Felsen und sieh zu,
Vielleicht erblickst du sie!
RHAMNES.
Wohl, ich will sehn!

Steigt auf eine Erhöhung des Ufers.
EUCHARIS.
Nur schnell, nur schnell! Nun, siehst du?
RHAMNES.
Dank den Göttern!
Sie kommen!
SAPPHO.
Ah!
RHAMNES.
Die waldbewachsne Spitze,
Die links dort weit sich ins Gewässer streckt,
Verbarg mir vorher den willkommen Anblick.
Ein Heer von Kähnen wimmelt durcheinander
Mit raschem Ruderschlag dem Ufer zu.
EUCHARIS.
Und die Entwichnen, sind sie unter ihnen?
RHAMNES.
Die Sonne blendet, ich erkenn es nicht!
Doch halt, da naht dem Ufer schon ein Kahn,
Vorausgesendet mit der frohen Botschaft.
Jetzt legt er an! – Der Hirte ists vom Tal –
Er schwenkt den Stab! – Gewiß, sie sind gefangen!
Hierher, mein Freund, hierher! – Er kommt heran!

Herabsteigend.
EUCHARIS.
Gebieterin, sei ruhig, sei gefaßt!
[772]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Ein Landmann. Vorige.

LANDMANN.
Heil, Sappho, dir!
EUCHARIS.
Ist er gefangen?
LANDMANN.
Ja!
RHAMNES.
Wo denn?
EUCHARIS.
Und wie?
LANDMANN.
Sie hatten tüchtgen Vorsprung,
Und er versteht zu rudern. Fast schon glaubt ich,
Wir würden nun und nimmer sie erreichen!
Doch endlich, schon in hoher See, erblickten
Wir seinen Kahn und drauf in rascher Jagd!
Bald ist er eingeholt und schnell umringt.
Wir heißen um ihn lenken, doch er will nicht
Und faßt sein Mädchen mit der linken Hand,
Das blanke Eisen in der Rechten schwingend. –
Begehrt ihr was, erhabne Frau?

Sappho winkt ihm fortzufahren.
LANDMANN.
Nun denn!
Und schwingt das Eisen drohend gegen uns;
Bis nun ein Ruderschlag, der ihm gegolten,
Das kleine Mädchen an der Stirne trifft.

Sappho verhüllt sich die Augen mit der Hand.
LANDMANN.
Sie sinkt, er faßt sie in die Arme, wir,
Den Augenblick benützend, rasch an Bord
Und greifen ihn und bringen ihn zurück!
Sie steigen schon ans Land! Seht ihr die beiden?
Das kleine Mädchen wankt noch taumelnd
SAPPHO.
Ha,
Nicht hierher!
RHAMNES.
Wohin sonst, sie kommen schon!
SAPPHO.
Wer rettet mich vor seinem Anblick? – Mädchen! –
Du, Aphrodite, schütze deine Magd!

Sie eilt dem Hintergrunde zu und umklammert den Altar, ihre Dienerinnen stehen rings um sie her.

[773]
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Phaon, Melitten führend. Landleute. Sappho mit ihren Dienerinnen im Hintergrunde.

PHAON.
Ha, wag es keiner, diese zu berühren!
Nicht wehrlos bin ich, wenn auch gleich entwaffnet!
Zu ihrem Schutz wird diese Faust zur Keule,
Und jedes meiner Glieder wird ein Arm!
Hierher, Melitta, hierher! Zittre nicht,
Dir soll kein Leid geschehn solang ich atme!
Verruchte, konntet ihr dies Haupt verletzen,
Das reine Haupt der Unschuld, und seid Männer?
So grausam dacht ich höchstens mir ein Weib,
Ein schwaches, feiges, aufgereiztes Weib.
Du warsts, der nach ihr schlug, ich kenne dich!
Fort, von mir, fort! Daß ich die Rachegötter
Vorgreifend nicht um ihren Raub betrüge!
Wie fühlst du dich.
MELITTA.
Wohl!
PHAON.
O, dein Blick verneint,
Dies Zittern, diese Blässe, laut verrät sie
Die erste Lüge, die dein Mund gesprochen!
Versuche nicht, den Grimm in mir zu dämpfen,
Zu neuer Glut fachst du die Flammen an!
Hier setze dich auf diesem Rasensitz;
Hier, wo dein mildes, himmelklares Auge
Zum erstenmale mir entgegenglänzte
Und wie des Tages goldner Morgenstrahl
Des Schlafes düstre Bande von mir löste,
In den mich jene Zauberin gesungen,
Hier, wo die Lieb ihr holdes Werk begann,
Auf dieser Stelle sei es auch vollendet!
Sprecht! Wo ist Sappho!
MELITTA.
Phaon, ruf sie nicht!
PHAON.
Sei ruhig! Bin ich nicht ein freier Mann?
Wer gab das Recht ihr, meinen Schritt zu hemmen?
Noch Richterstühle gibts in Griechenland,
[774] Mit Schrecken soll die Stolze das erfahren.
Zu Sappho hin!
EIN LANDMANN.
Du bleibst!
PHAON.
Wer hält mich? Wer?
LANDMANN.
Wir alle hier!
PHAON.
Ich bin ein freier Mann!
LANDMANN.
Du warsts, jetzt bist der Strafe du verfallen!
PHAON.
Der Strafe! und warum?
LANDMANN.
Der Sklavin Raub
Ruft das Gesetz zur Rache wider dich.
PHAON.
Es fordre Sappho Lösegeld für sie,
Und zahlen will ichs, wärens Krösus Schätze!
LANDMANN.
Ihr ziemts zu fordern, und nicht dir zu bieten!
PHAON.
Seid ihr so zahm, daß eines Weibes Rache
Geduldig ihr die Männerhände leiht,
Und dienstbar seid der Liebe Wechsellaunen?
Mir stehet bei, denn Unrecht widerfährt mir!
LANDMANN.
Ob Recht, ob Unrecht? Sappho wirds entscheiden!
PHAON.
So sprichst du, Alter, und errötest nicht?
Wer ist denn Sappho, daß du ihre Zunge
Für jene achtest an des Rechtes Wage?
Ist sie Gebietrin hier im Land?
LANDMANN.
Sie ist es,
Doch nicht weil sie gebeut, weil wir ihr dienen!
PHAON.
So hat sie denn euch alle auch umsponnen,
Ich will doch sehn, wie weit ihr Zauber reicht!

Gegen das Haus zugehend.

Zu ihr!
LANDMANN.
Zurück!
PHAON.
Vergebens dräuet ihr!
Ich muß sie sehen! Sappho, zeige dich!
Wo bist du? oder zitterst du vor mir? –
Ha, dort am Altar ihrer Diener Reihen,
Sie ist es, du entgehst mir nicht! – Zu mir!

Durchbricht die Menge. Auch der Kreis der Sklavinnen öffnet sich. Sappho liegt hingegossen an den Stufen des Altars.
LANDMANN.
Du wagst es, unbesonnen frecher Knabe?
[775]
PHAON.
Was willst du an den Stufen hier der Götter?
Sie hören nicht der Bosheit Flehn. – Steh auf!

Er faßt sie an. Bei seiner Berührung fährt Sappho empor und eilt mit fliegenden Schritten, ohne ihn anzusehen, dem Vorgrunde zu.
PHAON
ihr folgend.
Entweichst du mir? du mußt mir Rede stehn!
Ha, bebe nur! Es ist jetzt Zeit zu beben!
Weißt du, was du getan? Mit welchem Recht
Wagst du es, mich, mich, einen freien Mann,
Der niemand eignet als sich selber, hier
In frevelhaften Banden festzuhalten?
Hier diese da in ungewohnten Waffen,
Hast du sie ausgesandt? Hast du sie? Sprich! –
So stumm? der Dichtrin süße Lippe stumm?
SAPPHO.
Es ist zu viel!
PHAON.
Die Wange rötet sich,
Von Zornes heißen Gluten überflammt.
Recht, wirf die Larve weg, sei, was du bist,
Und tobe, töte, heuchlerische Circe!
SAPPHO.
Es ist zu viel! – Auf, waffne dich, mein Herz!
PHAON.
Antworte! Hast du diese ausgesandt?
SAPPHO
zu Rhamnes.
Geh hin und hol die Sklavin mir zurück,
Nur sie und niemand anders ließ ich suchen!
PHAON.
Zurück! Es wage niemand, ihr zu nahn!
Begehre Lösegeld. Ich bin nicht reich,
Doch werden Eltern mir und Freunde willig steuern,
Mein Glück von deiner Habsucht zu erkaufen!
SAPPHO
noch immer abgewandt.
Nicht Geld verlang ich, nur was mein! Sie bleibt!
PHAON.
Sie bleibet nicht! Bei allen Göttern, nein!
Du selber hast dein Recht auf sie verwirkt,
Als du den Dolch auf ihren Busen zücktest,
Du kauftest ihre Dienste, nicht ihr Leben!
Glaubst du, ich ließe sie in deiner Hand?
Noch einmal, fordre Lösegeld und laß sie!
SAPPHO
zu Rhamnes.
Erfülle, was ich dir befahl!
[776]
PHAON.
Zurück!
Du rührst an deinen Tod, berührst du sie!
So ist dein Busen denn so ganz entmenscht,
Daß er sich nicht mehr regt bei Menschenleiden!
Zerbrich die Leier, gifterfüllte Schlange!
Die Lippe töne nimmerdar Gesang,
Du hast verwirkt der Dichtung goldne Gaben!
Den Namen nicht entweihe mehr der Kunst!
Die Blume soll sie sein aus dieses Lebens Blättern,
Die hoch empor, der reinsten Kräfte Kind,
In blaue Luft das Balsamhaupt erhebt,
Den Sternen zu, nach denen sie gebildet.
Du hast als giftgen Schierling sie gebraucht,
Um deine Feinde grimmig zu verderben!
Wie anders malt ich mir, ich blöder Tor,
Einst Sapphon aus, in frühern, schönern Tagen!
Weich, wie ihr Lied, war ihr verklärter Sinn,
Und makellos ihr Herz, wie ihre Lieder,
Derselbe Wohllaut, der der Lipp entquoll,
Er wiegte sich auch wogend in der Brust
Und Melodie war mir ihr ganzes Wesen!
Wer hat dich denn mit Zauberschlag verwandelt?
Ha, wende nicht die Augen scheu von mir!
Mich blicke an, laß mich dein Antlitz schauen,
Daß ich erkenne, ob dus selber bist,
Ob dies die Lippen, die mein Mund berührt,
Ob dies das Auge, das so mild gelächelt,
Ob, Sappho, du es bist, du Sappho?

Er faßt ihren Arm und wendet sie gegen sich. Sie blickt empor, ihr Auge trifft das seinige.
SAPPHO
schmerzvoll zusammenfahrend.
Weh mir!
PHAON.
Du bist es noch; ja, das war Sapphos Stimme!
Was ich gesagt! Die Winde tragens hin,
Es soll nicht Wurzel schlagen in dem Herzen!
O, es wird helle, hell vor meinem Blick,
Und wie die Sonne nach Gewittersturm,
Strahlt aus der Gegenwart entladnen Wolken
In altem Glanze die Vergangenheit.
[777] Sei mir gegrüßt, Erinnrung schöner Zeit!
Du bist mir wieder, was du einst mir warst,
Eh ich dich noch gesehn, in ferner Heimat,
Dasselbe Götterbild, das ich nur irrend
So lange für ein Menschenantlitz hielt,
Zeig dich als Göttin! Segne, Sappho, segne!
SAPPHO.
Betrüger!
PHAON.
Nein fürwahr, ich bin es nicht!
Wenn ich dir Liebe schwur, es war nicht Täuschung,
Ich liebte dich, so wie man Götter wohl,
Wie man das Gute liebet und das Schöne.
Mit Höhern, Sappho, halte du Gemeinschaft,
Man steigt nicht ungestraft vom Göttermahle
Herunter in den Kreis der Sterblichen.
Der Arm, in dem die goldne Leier ruhte,
Er ist geweiht, er fasse Niedres nicht!
SAPPHO
abgewendet vor sich hin.
Hinab in Meeresgrund die goldne Leier,
Wird ihr Besitz um solchen Preis erkauft!
PHAON.
Ich taumelte in dumpfer Trunkenheit,
Mit mir und mit der Welt im düstern Streite;
Vergebens rief ich die Gefühle auf,
Die ich in Schlummer glaubt und die nicht waren,
Du standst vor mir, ein unbegreiflich Bild,
Zu dems mich hin, von dems mich fort,
Mit unsichtbaren Banden mächtig zog;
Du warst – zu niedrig glaubte dich mein Zorn,
Zu hoch nennt die Besinnung dich – für meine Liebe.
Und nur das Gleiche fügt sich leicht und wohl!
Da sah ich sie, und hoch gen Himmel sprangen
Die tiefen Quellen alle meines Innern,
Die stockend vorher weigerten den Strahl.
Komm her, Melittion, komm her zu ihr,
O, sei nicht bange, sie ist mild und gütig!
Enthüll der Augen schimmernden Kristall,
Daß sie dir blicke in die fromme Brust
Und freudig ohne Makel dich erkenne!
MELITTA
schüchtern nahend.
Gebieterin!
[778]
SAPPHO
sie von sich haltend.
Fort von mir!
MELITTA.
Ach, sie zürnt!
PHAON.
So wär sie doch, was ich zu glauben scheute?
Komm her, Melittion, an meine Seite!
Du sollst nicht zu ihr flehn! Vor meinen Augen
Soll dich die Stolze nicht beleidigen,
Du sollst nicht flehn! Sie kennt nicht deinen Wert,
Nicht ihren, denn auf ihren Knieen würde
Sie sonst, die Schuld der Unschuld, stumm dir huldgen!
Hierher zu mir, hierher!
MELITTA.
Nein, laß mich knien,
Wies wohl dem Kinde ziemt vor seiner Mutter,
Und dünkt ihr Strafe recht, so strafe sie,
Ich will nicht murren wider ihren Willen!
PHAON.
Nicht dir allein, auch mir gehörst du an,
Und mich erniedrigst du durch diese Demut.
Noch gibt es Mittel, das uns zu erzwingen,
Was sie der Bitte störrisch-rauh versagt.
MELITTA.
O, wär es auch, mich freut nur ihre Gabe,
Erzwungen wäre mir das höchste Glück zur Last!
Hier will ich knien, bis mir ein milder Blick,
Ein gütig Wort, Verzeihung angekündigt.
Wie oft schon lag ich hier an dieser Stelle
Und immer stand ich freudig wieder auf;
Sie wird mich diesmal weinend nicht entlassen!
Blick auf dein Kind hernieder, teure Frau!
SAPPHO
steht, das Gesicht auf Eucharis Schulter gelehnt.
PHAON.
Kannst du sie hören und bleibst kalt und stumm!
MELITTA.
Sie ist nicht kalt, und wenn auch schweigt ihr Mund,
Ich fühl ihr Herz zu meinem Herzen sprechen!
Sei Richter, Sappho, zwischen mir und ihm!
Heiß mich ihm folgen und ich folge ihm,
Heiß mich ihn fliehn – o Götter! – alles – alles!
Du zitterst! – Sappho, hörest du mich nicht?
PHAON
Melitten umschlingend und ebenfalls hinknieend.
Den Menschen Liebe und den Göttern Ehrfurcht,
Gib uns, was unser, und nimm hin, was dein!
Bedenke, was du tust und wer du bist!
[779]
SAPPHO
fährt bei den letzten Worten empor und blickt die Knieenden mit einem starren Blicke an, wendet sich dann schnell um und geht.
MELITTA.
Weh mir, sie flieht, sie hat ihr Kind verstoßen!

Sappho ab. Eucharis und Dienerinnen folgen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Vorige ohne Sappho und Eucharis.

PHAON.
Steh auf, mein Kind! Zu Menschen flehe nicht,
Noch bleiben uns die Götter und wir selbst!
MELITTA.
Ich kann nicht leben, wenn sie mich verdammt!
Ihr Auge war von jeher mir der Spiegel,
Vor dem ich all mein Tun und Fühlen prüfte!
Er zeigt mir jetzt die eigne Ungestalt!
Was muß sie leiden, die gekränkte Frau!
PHAON.
Du leihst ihr dein Gefühl! Ganz andre Wogen
Erheben sich in dieser Stolzen Brust!
MELITTA.
Scheint sie auch stolz, mir war sie immer gütig,
Wenn oft auch streng, es barg die scharfe Hülle
Mir immer eine süße, holde Frucht!
Weh mir, daß ich das je vergessen konnte!
RHAMNES.
Ja wohl, weh dir, daß du es je vergessen!
PHAON.
Was zittert ihr, kennt ihr sie gar so mild?
RHAMNES.
Sie zürnte, als sie ging, und ohne Schranken,
Wie ihre Liebe, ist ihr Zorn! – Drum weh euch!
PHAON.
Was kann sie drohn?
RHAMNES.
Der flüchtgen Sklavin Tod!
PHAON.
Wer sagt das?
RHAMNES.
Die Gesetze dieses Landes!
PHAON.
Ich schütze sie!
RHAMNES.
Du? Und wer schützet dich?
PHAON.
Und gähnte hier die Erde vor mir auf,
Und donnerte die See mich zu verschlingen,
Vermöchte sie die Kräfte der Natur
In grauses Bündnis wider mich zu einen,
Fest halt ich diese, lachend ihres Zorns,
Sie selbst und ihre Drohungen verachtend!
[780]
RHAMNES.
Verachten? Sapphon! Und wer bist du denn,
Daß du dein Wort magst in die Schale legen,
In der die Menschheit ihre Ersten wiegt,
Zu sprechen wagst, wo Griechenland gesprochen?
Blödsichtger, frevler Tor, dünkt sie dir wertlos,
Weil ohne Maßstab du für ihren Wert,
Nennst du das Kleinod blind, weil es dein Auge?
Daß sie dich liebte, daß sie aus dem Staub
Die undankbare Schlange zu sich hob,
Die nun mit giftgem Zahn ihr Herz zerfleischt,
Daß ihren Reichtum sie an dich vergeudet,
Der keinen Sinn für solcher Schätze Wert,
Das ist der einzge Fleck in ihrem Leben
Und keines andern zeiht sie selbst der Neid!
Sprich nicht! Selbst dieser Trotz, in dem du nun
Dich auflehnst wider sie, er ist nicht dein!
Wie hättest du aus deiner Niedrigkeit,
Von den Vergeßnen der Vergessenste,
Gewagt zu murren wider Hellas Kleinod?
Daß sie dich angeblickt, gab dir den Stolz,
Mit dem du nun auf sie herniedersiehst.
PHAON.
Der Dichtung Ruhm nicht mag ich ihr bestreiten
RHAMNES.
Du magst es nicht? Ei doch! Als ob dus könntest!
Hoch an den Sternen hat sie ihren Namen
Mit diamantnen Lettern angeschrieben,
Und mit den Sternen nur wird er verlöschen!
In fernen Zeiten unter fremden Menschen,
Wenn längst zerfallen diese morschen Hüllen
Und selber unsre Gräber nicht mehr sind,
Wird Sapphos Lied noch von den Lippen tönen,
Wird leben noch ihr Name – und der deine!
Der deine, ja, sei stolz auf die Unsterblichkeit,
Die dir der Frevel gibt an ihrem Haupt!
In fremdem Land bei kommenden Geschlechtern,
Wenn schon Jahrhunderte, noch ungeboren,
Hinabgestiegen in das Grab der Zeit,
Wird es erschallen noch aus jedem Munde:
[781] Sappho hieß die, die dieses Lied gesungen,
Und Phaon heißt er, der sie hat getötet.
MELITTA.
O Phaon –
PHAON.
Ruhig! Ruhig!
RHAMNES.
Armer Tröster!
Gebeutst du Ruh mit unruhvoller Stimme?
Sie kenne ihr Verbrechen und erzittre,
Die Rache wenigstens vermisse Sappho nicht!
Du magst der Dichtung Ruhm ihr nicht bestreiten?
Und welchen sonst bestreitest du ihr denn?
Wagst dus, an ihrem Herzen wohl zu zweifeln,
Der, was er ist, nur ihrem Herzen dankt?
Sieh um dich her! es ist kein einzger hier,
Dem sie nicht wohlgetan, der nicht an sich,
In Haus und Feld, an Gut und bei den Seinen
Von ihrer Milde reiche Spuren trägt,
Nicht einer, dessen Herz nicht höher schlüge,
Wenn er sich Mytilenes Bürger,
Wenn er sich Sapphos Landgenosse nennt.
Frag jene Bebende an deiner Seite,
Genossin, scheints, der Tat mehr als der Schuld,
Wie gegen sich die Herrin sie gefunden?
Was hatte wohl die Sklavin dir zu bieten?
Wenn sie dir wohlgefiel, so war es Sapphos Geist,
War Sapphos milder, mütterlicher Geist,
Der ansprach dich aus ihres Werkes Munde. –
O presse nur die Stirn, du strebst vergebens,
Du löschest die Erinnrung nimmer aus!
Und was willst du beginnen? Wohin fliehn?
Kein Schutzort ist für dich auf dieser Erde,
In jedes Menschen fromm gesinnter Brust
Erhebt ein Feind dem Feinde sich des Schönen.
Vorangehn wird der Ruf vor deinen Schritten,
Und schreien wird er in der Menschen Ohr:
Hier Sapphos Mörder, hier der Götter Feind!
Und vogelfrei wirst du das Land durchirren
Mit ihr, der du Verderben gabst für Schutz.
Kein Grieche öffnet dir sein gastlich Haus,
[782] Kein Gott gewährt dir Eintritt in den Tempel,
Erbebend wirst du fliehn vom Opferaltar,
Wenn Priesters Spruch Unheilige entfernt.
Und fliehst du, wird die grause Eumenide,
Der Unterirdschen schwarze Rachebotin,
Die Schlangenhaare schütteln um dich her,
Dir Sapphos Namen in die Ohren kreischen,
Bis dich das Grab verschlungen, das du grubst!
MELITTA.
Halt ein! Halt ein!
PHAON.
Willst du mich rasend machen?
RHAMNES.
Du warsts, als du die Hohe von dir stießest!
Genieße nun die Frucht, die du gepflanzt!
MELITTA.
Zu ihr!
PHAON.
Wer rettet mich aus dieser Qual!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Eucharis. Vorige

EUCHARIS.
Bist du hier, Rhamnes? Eilig komm!
RHAMNES.
Wohin?
EUCHARIS.
Zu Sapphon.
RHAMNES.
Was –?
EUCHARIS.
Ich fürchte, sie ist krank.
RHAMNES.
Die Götter wendens ab!
EUCHARIS.
Ich folgte ihr von fern
Hinauf zur großen Halle und versteckt
Bewacht ich all ihr Tun mit scharfem Auge.
Dort stand sie an ein Säulenpaar gelehnt,
Hinunterschauend in die weite See,
Die an den Felsenufern brandend schäumt,
Sprach- und bewegungslos stand sie dort oben,
Mit starren Augen und erblaßten Wangen,
Im Kreis von Marmorbildern, fast als ihresgleichen.
Nur manchmal regt sie sich und greift nach Blumen,
Nach Gold und Schmuck und was ihr Arm erreicht
Und wirfts hinunter in die laute See,
Den Sturz mit sehnsuchtsvollem Aug verfolgend,
[783] Schon wollt ich nahn, da tönt ein Klingen durchs Gemach,
Und zuckend fuhr es durch ihr ganzes Wesen,
Die Leier wars, am Pfeiler aufgehangen,
In deren Saiten laut die Seeluft spielte.
Schwer atmend blickt sie auf und fährt zusammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leier starr geheftet,
Beleben sich mit eins die toten Züge
Und fremdes Lächeln spielt um ihren Mund.
Jetzt öffnen sich die strenggeschloßnen Lippen,
Es tönen Worte, schauerlichen Klangs,
Aus Sapphos Munde, doch nicht Sapphos Worte.
Rufst du mir, spricht sie, Freundin? Mahnst du mich?
O, ich versteh dich, Freundin an der Wand!
Du mahnst mich an verfloßne Zeit! Hab Dank! –
Wie sie die Wand erreicht und wie die Leier,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu sagen,
Denn wie ein Blitzstrahl flirrte michs vorüber.
Jetzt blick ich hin, sie hält das Saitenspiel
Und drückt es an die sturmbewegte Brust,
Die hörbar laut den Atem nahm und gab.
Den Kranz dann, den olympischen des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt sie ums Haupt und wirft den Purpurmantel,
Hochglühend, so wie er, um ihre Schultern –
Wer sie jetzt sah, zum erstenmale sah,
Auf des Altares hohen Stufen stehend,
Die Leier in der Hand, den Blick gehoben,
Gehoben ihre ganze Lichtgestalt,
Verklärungsschimmer über sie gegossen,
Als Überirdsche hätt er sie begrüßt,
Und zum Gebet gebeugt die schwanken Kniee.
Doch regungslos und stumm, so wie sie war,
Fühlt ich von Schauder mich und Graun ergriffen,
Ihr lebend toter Blick entsetzte mich,
Drum eilt ich –
RHAMNES.
Und verließest sie! – Zu ihr!
Doch sie! – Naht nicht? Sie ists; sie selber kommt!
[784]
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Sappho, reich gekleidet wie im ersten Aufzuge; den Purpurmantel um die Schultern, den Lorbeer auf dem Haupte, die goldne Leier in der Hand, erscheint, von ihren Dienerinnen umgeben, auf den Stufen des Säulenganges und schreitet ernst und feierlich herunter.
Lange Pause.

MELITTA.
O Sappho, o Gebieterin!
SAPPHO
ernst und ruhig.
Was willst du?
MELITTA.
Gefallen ist die Binde meiner Augen,
O laß mich wieder deine Sklavin sein,
Was dir gehört, besitz es und verzeih!
SAPPHO.
Glaubst du so übel Sapphon denn beraten,
Daß Gaben sie von deiner Hand bedarf?
Was mir gehört, es ist mir schon geworden.
PHAON.
O höre, Sappho –
SAPPHO.
Nicht berühre mich!
Ich bin den Göttern heilig!
PHAON.
Wenn du mich
Mit holdem Auge, Sappho, je betrachtet –
SAPPHO.
Du sprichst von Dingen, die vergangen sind!
Ich suchte dich und habe mich gefunden!
Du faßtest nicht mein Herz, so fahre hin!
Auf festern Grund muß meine Hoffnung fußen!
PHAON.
So hassest du mich also?
SAPPHO.
Lieben! Hassen!
Gibt es kein Drittes mehr? Du warst mir wert
Und bist es noch und wirst mirs immer sein,
Gleich einem lieben Reisgenossen, den
Auf kurzer Überfahrt des Zufalls Laune
In unsern Nachen führte, bis das Ziel erreicht
Und scheidend jeder wandelt seinen Pfad,
Nur manchmal aus der fremden weiten Ferne
Des freundlichen Gefährten sich – erinnernd

Die Stimme versagt ihr.
PHAON
bewegt.
O Sappho!
SAPPHO.
Still! Laß uns in Ruhe scheiden!

Zu den übrigen.

[785] Ihr, die ihr Sapphon schwach gesehn, verzeiht!
Ich will mit Sapphos Schwäche euch versöhnen,
Gebeugt erst zeigt der Bogen seine Kraft!

Auf den Altar im Hintergrunde zeigend.

Die Flamme zündet Aphroditens an,
Daß hell sie strahle in das Morgenrot!

Es geschieht.

Und nun entfernt euch, lasset mich allein,
Alleine mit den Meinen mich beraten!
RHAMNES.
Sie wills, laßt uns gehorchen. Kommt ihr alle!

Ziehen sich zurück.
SAPPHO
vortretend.
Erhabne, heilge Götter!
Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt!
In meine Hand gabt ihr des Sanges Bogen,
Der Dichtung vollen Köcher gabt ihr mir;
Ein Herz zu fühlen, einen Geist zu denken,
Und Kraft, zu bilden, was ich mir gedacht!
Ihr habt mit reichem Segen mich geschmückt,
Ich dank euch!

Ihr habt mit Sieg dies schwache Haupt gekrönt
Und ausgesät in weitentfernte Lande
Der Dichtrin Ruhm, Saat für die Ewigkeit!
Es tönt mein goldnes Lied von fremden Zungen,
Und mit der Erde nur wird Sappho untergehn,
Ich dank euch!

Ihr habt der Dichterin vergönnt, zu nippen
An dieses Lebens süß umkränzten Kelch,
Zu nippen nur, zu trinken nicht.
O seht, gehorsam eurem hohen Wink
Setz ich ihn hin, den süß umkränzten Becher,
Und trinke nicht!

Vollendet hab ich, was ihr mir geboten,
Darum versagt mir nicht den letzten Lohn!
Die euch gehören, kennen nicht die Schwäche,
Der Krankheit Natter kriecht sie nicht hinan,
[786] In voller Kraft, in ihres Daseins Blüte
Nehmt ihr sie rasch hinauf in eure Wohnung –
Gönnt mir ein gleiches, kronenwertes Los! –

O gebt nicht zu, daß eure Priesterin
Ein Ziel des Hohnes werde eurer Feinde,
Ein Spott des Toren, der sich weise dünkt.
Ihr bracht die Blüten, brechet auch den Stamm!
Laßt mich vollenden, so wie ich begonnen,
Erspart mir dieses Ringens blutge Qual.
Zu schwach fühl ich mich, länger noch zu kämpfen,
Gebt mir den Sieg, erlasset mir den Kampf!

Begeistert.

Die Flamme lodert und die Sonne steigt,
Ich fühls, ich bin erhört! Habt Dank, ihr Götter! –
Du Phaon! Du Melitta! Kommt heran!

Phaon auf die Stirne küssend.

Es küsset dich ein Freund aus fernen Welten

Melitten umarmend.

Die tote Mutter schickt dir diesen Kuß!

Nun hin, dort an der Liebesgöttin Altar
Erfülle sich der Liebe dunkles Los!

Eilt dem Altare zu.
RHAMNES.
Was sinnet sie? verklärt ist all ihr Wesen,
Glanz der Unsterblichen umleuchtet sie!
SAPPHO
auf eine Erhöhung des Ufers hintretend und die Hände über die beiden ausstreckend.
Den Menschen Liebe und den Göttern Ehrfurcht!
Genießet, was euch blüht, und denket mein!
So zahle ich die letzte Schuld des Lebens!
Ihr Götter, segnet sie und nehmt mich auf!

Stürzt sich vom Felsen ins Meer.
PHAON.
Halt ein! Halt Sappho!
MELITTA.
Weh, sie stürzt! sie stirbt!
PHAON
mit Melitten beschäftigt.
Schnell Hilfe, fort ans Ufer! Rettung, Hilfe!

Einige ab.
[787]
RHAMNES
der aufs Ufer gestiegen.
Ihr Götter, wendet ab! dort jene Klippe,
Berührt sie die, ist sie zerschellt, zerschmettert! –
Tragt sie vorüber! Weh! Es ist geschehn!
PHAON.
Was kreischest du? Nach Kähnen! Eilet! Rettet!
RHAMNES
herabsteigend.
Halt ein! Es ist zu spät! Gönnt ihr das Grab,
Das sie, verschmähend diese falsche Erde,
Gewählt sich in des Meeres heilgen Fluten!
PHAON.
Tot?
RHAMNES.
Tot!
PHAON.
Weh mir! Unmöglich, nein!
RHAMNES.
Es ist! –
Verwelkt der Lorbeer und das Saitenspiel verklungen!
Es war auf Erden ihre Heimat nicht –

Mit erhobenen Händen.

Sie ist zurückgekehret zu den Ihren!

Der Vorhang fällt.

Ende


Notes
Entstanden 1817. Erstdruck: Wien (Wallishauser) 1819. Uraufführung am 21.4.1818 in Wien.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Sappho. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-FBF6-8