Zwei Herrscher

Vorlängst Alexander der Große,
Aus Mißbrauch so genannt,
Kam aus der Mutter Schöße
Als Herr von wenig Land.
Und daß er ein Großer werde,
Tat Krieg und Schlacht ihm not,
Er färbte mit Blut die Erde
Und tauchte das Leben in Tod.
Du wardst so groß geboren,
Daß fast die Bürde zu schwer,
Dir hat Gehorsam geschworen
Ein Weltteil und wohl noch mehr.
Du brauchst nicht nach außen zu schweifen,
Für dich ist alles zu klein,
Um an die Wolken zu streifen,
Brauchst du nur du selber zu sein.
Wie andre der Ehrgeiz quäle,
Du merkst seinen Stachel kaum,
Und fandest im Innern der Seele
Allein noch zu wachsen Raum.
Wem Gott noch Sieg beschieden,
Ist doch nur Gott bewußt,
Du schöpftest der Welt den Frieden
Aus dem deiner eignen Brust.
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Von deinem Kaiserschlosse
Löst sich die Taube los.
Sei nur Alexander der Große!
Denn Großmut auch ist groß.

Notes
Entstanden 1855.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Zwei Herrscher. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-F3C8-C