[213] Tristia ex Ponto

1. Böse Stunde

Begeisterung, was ruf ich dir
Und fleh dich fruchtlos an?
Begeisterung? Wornach? Wofür?
Bist du selbständig außer mir?
In dir? Und wo und wann?
Sag mir, wo du dein Haus gebaut,
Welch Zauber dich bewacht;
Voraus dich nehmend, hochvertraut,
Hol ich begeistert dich als Braut,
Durch Sturm und Kampf und Nacht.
Begeistert für Begeisterung?
Der Weg zugleich das Ziel?
Wer ist so ungeübt und jung,
Der nicht gewahrt den argen Sprung?
Wer hat und sucht noch viel?
Du also selber fehlest nicht.
Was sonst denn, wenn ich kalt? –
Wärst etwa du die Flamm am Licht,
Verlöschend, wenns an Stoff gebricht,
An Nahrung, an Gehalt?
Wärst du das Wie und brauchst ein Was?
Nur Was durch ein Warum?
Wer Wasser schöpft ohn Unterlaß
Und schöpft ins Danaidenfaß,
Treibt wohl sich fruchtlos um.
Drum auf ins Leben, mutbewährt!
Gestrebt, geliebt, gehaßt!
Ist dir der Stoff erst, der sie nährt,
Fällt Glut vom Himmel auf den Herd
Und lodert ohne Rast.

[214] 2. Polarszene

Auf blinkenden Gefilden
Ringsum nur Eis und Schnee,
Verstummt der Trieb zu bilden.
Kein Sänger in der Höh.
Kein Strauch, der Labung böte,
Kein Sonnenstrahl, der frei,
Und nur des Nordlichts Röte
Zeigt wüst die Wüstenei.
So siehts in einem Innern,
So stehts in einer Brust,
Erstorben die Gefühle,
Des Grünens frische Lust.
Nur schimmernde Ideen,
Im Kalten angefacht,
Erheben sich, entstehen
Und schwinden in die Nacht.

3. Frühlings Kommen

Der Wächter auf den Zinnen
Treibt gar gewaltgen Spuk.
Sieht er wohl Gäste kommen?
Er schreit: »Guck, guck! Guckguck!«
Ein Diener auf sein Rufen
Herum im Hause geht,
Der nimmt die weißen Hüllen
Vom schimmernden Gerät.
Ein andrer breitet Teppich,
Milchfarb und rosenrot;
Baumwollen das Gewebe:
Der Baum die Wolle bot.
Drauf kommen Musikanten,
Sie stimmen, proben nie,
[215]
Und doch, kommts nun zum Spielen,
Wie herrlich stimmen sie.
Ein Vorhang, rot von Seide,
Fliegt weichend von der Tür,
Der Pförtner, golden schimmernd,
Kommt öffnend draus herfür.
Halb zieht er nur den Vorhang,
Daß Tag und Dunkel gleich,
Da tritt herein der Fremdling,
Ein König in sein Reich.
Was Augen hat, schließt auf sie,
Im Garten Haupt an Haupt,
Am Raine schiebt und drängt sichs,
Die Gänge stehn umlaubt.
Am Tor auch pochts des Herzens.
Willst hier auch freien Lauf?
Nun, bringst du schöne Lieder,
So mach ich dir wohl auf.

4. Reiselust

Kam zurück die Lust zu schweifen?
Wunsch zugleich und Scheu der Rast;
Drängts den Mißmut abzustreifen
In gedankenloser Hast?
Sieh die Pferde schon bereitet,
Das Geräte schon beschickt,
Der Gesichtskreis ist erweitet,
Der Gesichtspunkt ist verrückt.
Und so gehts durch Deutschlands Gauen,
Peitschenstreichs von Ort zu Ort;
Müd das Auge schon zu schauen,
Und die Lippe müd des Worts. –
[216]
Roma, Roma! Goldne Stunden,
Als ich deine Zauber sah.
Jahre sind seitdem entschwunden,
Und dein Reiz noch immer nah.
Damals auch trieb bittrer Kummer
Mich aus meinem Heimatland,
Einer Mutter Grabesschlummer,
Trüb ein mißgeschlungnes Band.
Doch wie anders und wie besser!
Die Erinnrung kam zur Rast,
Schwächer wie der Abstand größer,
Jeder Schritt nahm eine Last;
Und von jeder hohen Schwelle
Sah ein Himmlischer mich an,
Rückte sacht auf dem Gestelle,
Lud zu sich den Wandersmann.
Nun sind müder meine Füße,
Kummer hält schon gleichen Schritt,
Wo ich Tempel ehrend grüße,
Nahm die Zeit die Götter mit.
Einer nur ist mir erschienen,
Aber ich ertrug ihn nicht,
Und der Abglanz seiner Mienen
Ward statt Flügel mir Gewicht.
Schien er wie ein Zeus zu schreiten,
Mir hielt er, ein Chronos, vor
All den Unterschied der Zeiten,
Ach, und all, was ich verlor.

5. Der Fischer

Hier sitz ich mit lässigen Händen,
In still behaglicher Ruh,
Und schaue den spielenden Fischlein
Im glitzernden Wasser zu.
[217]
Sie jagen und gehen und kommen;
Doch werf ich die Angel aus,
Flugs sind sie von dannen geschwommen,
Und leer kehr ich abends nach Haus.
Versucht ichs und trübte das Wasser,
Vielleicht geläng es eh;
Doch müßt ich dann auch verzichten,
Sie spielen zu sehen im See.

6. Verwünschung

Wärst du so gut, als schön du bist vor vielen,
Die Krone wärst du dessen, was man sieht;
So aber mußtest du mit Wort und Treue spielen,
Und freun dich noch des Unheils, das geschieht.
Und wenn auch! Hätte nicht ein Gott im Grimme
So bunt vermengt, was feindlich sonst und zwei,
Man lobte, wo du gut, und tadelte das Schlimme,
Zu wählen dich, zu lassen stünde frei.
Nun aber löscht des Trachtens böse Tücke
Nicht einen Zug des Reizes, der dich schmückt,
Indes, verschönt durch einen deiner Blicke,
Der Bosheit Stich, wie Unschuldshauch entzückt.
Und so, gemischt aus Wonne und aus Grauen,
Stehst du, ein Todesengel, neben mir,
Ein Engel zwar, doch auch ein Tod zu schauen,
Und wer da lebt, der hüte sich vor dir.

7. Verwandlungen
1

Wie bist du schaurig,
Du dunkle Nacht!
Hier waren Wiesen,
War Farbenpracht.
[218]
Doch kaum zur Rüste
Der Sonne Schein,
So sank zur Wüste
Das Eden ein.
Hier ist die Stelle,
Hier stand das Haus.
Ich such, ich taste
Und finds nicht aus.

2

Doch stand es einmal,
So stehts wohl noch.
Harr du der Sonne,
Sie kommt wohl doch.
O wäre jeder,
Nur jeder Nacht
So nah und sicher,
Was hell sie macht!

3

Nur einmal zögerts,
Stellt sich nicht ein,
Das helle Frühlicht,
Der Sonnenschein.
Das ist am Morgen
Zu jener Frist,
Da nachts du vorher
Gestorben bist.

8. Die Porträtmalerin

»Malet keine toten Bilder,
Tote Bilder des Lebendgen.«
So spricht Mahom der Prophete,
»Denn am Tage des Gerichtes
Werden sie vor euch hintreten,
Leben fordernd, Seel und Geist.«
[219]
Ach, ich kenne Malerhände,
Die beleben ihr Gemälde
Schöpferisch mit wahrem Leben.
Doch die Seele, die sie geben,
Ward dem Urbild erst geraubt.

9. Trennung

So laß uns scheiden denn, tuts not zu scheiden,
Allein als Freunde, ohne Groll und Haß.
Ein unerklärtes Etwas zwischen beiden
Stört den Erguß und hemmt ohn Unterlaß.
Ob ich dies Etwas, ewig störend, kenne?
O gebe Gott, daß ich es nicht erkannt!
Denn ist es, was ich denk, obgleich nicht nenne,
So bist du, Weib, in einer furchtbarn Hand.
In einer Hand, die einmal schon die Klauen
Nach deiner Jugend Blüten ausgestreckt,
Und die, zum zweitenmal genaht in Grauen,
Ihr Opfer hält, bis es die Erde deckt.
Doch ob es ist? Ich weiß nicht, mags nicht wissen!
Und so, beim Scheiden, das, wie schwer! verletzt,
Nimm das Geständnis, mir zuletzt entrissen:
Nie kannt ich dich, noch kenn ich selbst dich jetzt.
Ein Rätsel warst du mir, wie man beim Spiele,
Den Nachbar neckend, wohl zusammenflicht,
Jetzt los und leicht, leichtfertig selbst, wie viele,
Drauf wieder ernst und streng, wie viele nicht.
Bald sah ich Hohn durch deine Züge schweifen,
Drauf sie verklärt von warmer Tränen Hauch,
Nun mühsam dich das Leichtste nicht begreifen,
Dann selbst das Tiefste wieder fassen auch.
Was offen mir auch stand, dein innres Wesen,
Es blieb verschlossen mir bis diesen Tag,
[220]
Und so geb ich, ein Rätsel, noch zu lösen,
Dem Weisern dich, ders lösen darf und mag.
War mirs vergönnt, in ungestörter Fülle
Dir nah zu sein, vielleicht tat es sich auf,
Doch wars, ob unser, nicht des Schicksals Wille,
So habe denn, was not tut, seinen Lauf.
Du bist nun frei und doch nicht ungebunden,
Denn eines ist, was nimmer dich entläßt:
Erinnerung der letztverfloßnen Stunden,
Und halt sie immer nur im Herzen fest!
Denn wie du jetzt bemühst dich, halb vergebens,
Zu malen dir dies Band als schwere Last,
Es bleibt denn doch die Krone deines Lebens,
Für alle Zeit das beste, was du hast.
Du wirst dein Herz zu dem, zu jenem neigen,
Doch wie er fühlt und was er sich vermißt,
Wird er dir doch zuletzt den Abstand zeigen,
Der zwischen ihm und mir befestigt ist.
Und immer wirds dich wieder übereilen,
Sooft Zerstreuung der Besinnung weicht,
Wenn man mich nennt, bei jeder meiner Zeilen,
Denkst du: er wars! Verlor ich ihn so leicht?
Und sollt es einst dir ganz vergessen scheinen,
Dann ists das Zeichen einer furchtbarn Zeit:
Du bist umstellt vom Niedern und Gemeinen,
Dann hat es dich, dann bist du ihm geweiht.
Und selber dann noch, suchend, spät im Schranke,
Halb achtlos, müßig, fändest du dies Blatt,
Und plötzlich stünd er vor dir, der Gedanke
An das, was war und ist an seiner Statt.
Weit ob dem Zwischenraum der dunkeln Jahre
Trüg es dich hin ins frühre Blumenreich,
Die Hand gedrückt in deine schönen Haare,
Stündst du, ein Marmorbild, erstarrend, bleich.
[221]
Und wie aus Wolken, lauten Stürmen weichend,
Der Mond hervortritt in verklärter Pracht,
So käme blaß dein Bild, nun nicht mehr gleichend,
Entgegen dir aus des Vergangnen Nacht.
Der stille Reiz der unschuldsvollen Züge,
Die klare Stirn, von keiner Schuld gedrückt,
Der Mund, noch wahr bei halb bewußter Lüge,
Das Aug ein Adler, der zur Sonne blickt,
Und weinend – doch wozu uns jetzt erweichen?
Der Augenblick scheint viel, die Zukunft hohl.
Laß uns die Hand zum letzten Abschied reichen,
Und so, für alle Zukunft, lebe wohl.

10. Sorgenvoll

Mein Kummer ist mein Eigentum,
Den geb ich nicht heraus.
Was gut wohl sonst an mir und schlimm,
Besitzt und teilt! Das hab und nimm!
Mit ihm nur halt ich Haus.
Und wie der Geizge seinen Schatz
Des Nachts besieht bei Licht,
So zähl ich ihn, wenn alles Ruh,
Entsprungne Körner leg ich zu
Und lausch und atme nicht.
Und kommts zu sterben, leg ich ihn
Als Obol in den Mund,
Vielleicht zahlt er den Fährmann mir
Und zähmt das Frohen neidsche Tier,
Des schwarzen Orkus Hund.

[222] 11. Ablehnung

Was folgst du mir auf jedem Schritt
Mit prüfendem Gesicht,
Und forschest meinem Kummer nach,
Läßt leuchten hell dein Licht?
Natur gab mir wohl selber Sinn,
Nicht Rat ists, was gebricht,
Und wenn du mir nicht helfen kannst,
So tröstest du mich nicht.

12. Intermezzo

Im holden Mond der Maien,
Wenn lichte Blumen blühn,
Geflügelte Schalmaien
Die Waldesnacht durchziehn,
Da hebt sich eine Scholle,
Die Liebe lauscht hervor,
Ob noch der Winter grolle,
Noch laut der Stürme Chor?
Sieht grün sie nun die Weite,
Erträgt sies nicht im Haus,
Sie fliegt auf Spiel und Beute
Gleich andern Vögeln aus.
Doch friert es etwa nächtig,
Sucht sie der Menschen Dach
Und schürt ein Feuer mächtig
In jungen Herzen wach.

13. Noch einmal in Gastein

Du, dieses Ortes Einsamkeit,
Hast du mich nicht erquickt vor zehen Jahren,
Da schien die Welt, das Tal so weit,
Wie in den Schacht, der goldne Schätze beut,
[223]
Kam ich durch deine Klamm gefahren.
Und war dein Umfang schmal umgrenzt,
Mein Geist stand auf der Hoffnung Sonnenhügeln,
Und höher als dein ewger Schnee erglänzt,
Trugs mich empor auf Adlerflügeln.
Nun bin ich müd, gestört, entzweit,
Nur Mauern läßt die Bergwand mir gewahren,
O, eine ganze Ewigkeit
Liegt in dem Raum von zehen Jahren!

14. Naturszene

Das Wasser rinnt vom Felsgestein
Und furcht die moosge Bank,
Die Gräser, hellgrün, schmal und klein,
Sie stehn umher und saugens ein,
Gesättigt ohne Dank.
Und an die Blumen unterm Grün,
Wie Bürgerstöchter stolz,
In blau und rot und goldner Tracht,
Hat sich der Schmetterling gemacht;
Der saugt und küßt und schaukelt sich,
Und fliegt zuletzt davon,
So achtlos, daß am nächsten Tag
Er kaum noch mehr erkennen mag,
Wo er genossen schon.
Und drüber rauscht der Baum, als ob
Nichts unter ihm geschäh,
Nach rückwärts strebt der Fels empor,
Schaut gradaus in die Höh.
Die Wolken aber allzuhöchst
Ziehn hin mit Sturmsgewalt,
Sie weilen nicht, sie säumen nicht,
Rasch wechselnd die Gestalt.
Und durch das All voll Eigensucht
Geh ich mit finstrer Brust,
Vordem genoßner Treu und Lieb
Halb wie im Traum bewußt.

[224] 15. Jugenderinnerungen im Grünen

Dies ist die Bank, dies sind dieselben Bäume,
Wo einst, das dunkle Schulbuch in der Hand,
Der Prüfung bang, den Kopf voll Frühlingsträume,
Vor manchem Jahr sich oft der Knabe fand.
Wie er da saß, glitt von den finstern Lettern,
Zu manchem fremden Worte schwer gefügt,
Der Blick hinauf zu jenen frischen Blättern,
In denen sich der Westwind spielend wiegt.
Und künftiger Gestalten Geisterreigen
Und künftigen Vollbringens Schöpferlust
Erschienen ihm in jener Wipfel Neigen,
Erklangen ihm in ahnungsvoller Brust.
Es ward erfüllt das kaum gewagte Hoffen,
Die Ahnung hielt, was sie vorhergesagt,
Des Wirkens goldne Tore stehen offen,
Ein Schritt gelang, ein zweiter ward gewagt.
Und nun nach manchen Jahres Zwischenräumen,
Zum Mann gereift, gewogen und erkannt,
Find ich mich wieder unter diesen Bäumen,
Den Blick, wie damals, über mir gewandt,
Und Seufzer, so wie damals, schwellend heben
Die müde Brust, von mancher Sorge schwer,
Bis auf die Träne, die nicht mehr gegeben,
Ist alles so wie damals, ringsumher.
Ungnügsam Herz, warum bist du beklommen?
Was du so heiß ersehnet, stehet da!
Die Stunde der Erfüllung ist gekommen,
Du hast es, was dein Wunsch in weiter Ferne sah.
Wie? oder war der bunten Bilder Fülle
Der Inhalt nicht von dem, was du begehrt,
War nur der tiefern Sehnsucht äußre Hülle,
Das Kleid nur dessen, was dir wünschenswert?
[225]
Hast Schönes du vielleicht gestrebt zu bilden,
Um schöner dich zu fühlen selber mit?
War Schreiten in des Wissens Lichtgefilden
Im Land des Wollens dir zugleich ein Schritt?
Hast du vielleicht nach Ehr und Ruhm getrachtet,
Vermengend in Gedanken, jugendlich,
Das Aug, mit dem die Welt den Mann betrachtet,
Und das, womit er selbst betrachtet sich?
Schien dir die Welt mit ihren weiten Fernen
Ein Urbild, wert des Nachgebilds zu sein?
Hast, wo sie schimmert, du geträumt von Sternen?
Von Wirklichkeit bei jedem holden Schein?
O Trügerin von Anfang, du, o Leben!
Ein reiner Jüngling trat ich ein bei dir,
Rein war mein Herz und rein war all mein Streben,
Du aber zahltest Trug und Täuschung mir dafür.
Die Freundschaft sprach, mein Innres tönte wieder,
Wir stießen, zwei, kühn schwimmend ab vom Strand.
Er sank, ich hielt ihn noch, er zog mich nieder
Und rettete ermattet sich ans Land.
Gewaltger regten sich geheimre Triebe,
Ein unbekanntes Sehnen wurde wach,
Sie nannten es, ich selber nannt es Liebe,
Und einer Holden ging mein Streben nach.
Kaum nur gesehn, kein Wort von ihr vernommen,
Schien sie entstammt aus höherm Lichtgefild,
Durch Berg und Tal, vom innern Brand entglommen,
Verfolgt ich, das mich floh, ihr holdes Bild.
Da kam der Tag, der Schleier war zerrissen,
Gemeinheit stand, wo erst ein Engel flog.
Sich selber träumte Sehnsucht, gleich Narzissen,
Und starb, wie er, am Quell, der sie betrog.
Ein Vorhang deckt, die darauf folgt, die Stelle;
Ich lüft ihn nicht, Erwähnung schon genügt,
[226]
Zwei Sphingen ruhn an der verborgnen Schwelle,
Das Götterhaupt dem Tierleib angefügt.
Der Eintritt scheint zu Hoffnungen berechtigt,
Das Ende wär als Anfang gut genug,
Doch eh der Geist der Folge sich bemächtigt,
Ist auch vorüber schon der grobe Trug.
Da fand ich sie, die nimmer mir entschwinden,
Sich mir ersetzen wird im Leben nie,
Ich glaubte meine Seligkeit zu finden,
Und mein geheimstes Wesen rief: nur sie!
Gefühl, das sich in Herzenswärme sonnte,
Verstand, wenngleich von Güte überragt;
Ans Märchen grenzt, was sie für andre konnte,
An Heilgenschein, was sie sich selbst versagt.
Der Zweifel, der mir schwarz oft nachgestrebet:
Ob Güte sei? durch sie ward er erhellt;
Der Mensch ist gut, ich weiß es, denn sie lebet,
Ihr Herz ist Bürge mir für eine Welt.
In Glutumfassen stürzten wir zusammen,
Ein jeder Schlag gab Funken und gab Licht;
Doch unzerstörbar fanden uns die Flammen,
Wir glühten, aber ach, wir schmolzen nicht.
Denn Hälften kann man aneinanderpassen,
Ich war ein Ganzes und auch sie war ganz,
Sie wollte gern ihr tiefstes Wesen lassen,
Doch allzufest geschlungen war der Kranz.
So standen beide, suchten sich zu einen,
Das andre aufzunehmen ganz in sich,
Doch all umsonst, trotz Ringen, Stürmen, Weinen,
Sie blieb ein Weib, und ich war immer ich.
Ja, bis zum Grimme ward erhöht das Mühen,
Gesucht im Einzeln, was im Ganzen lag,
Kein Fehler ward, kein Wort ward mehr verziehen,
Und neues Quälen brachte jeder Tag.
[227]
Da ward ich hart. Im ewgen Spiel der Winde,
Im Wettersturm, von Sonne nie durchblickt,
Umzog das stärkre Bäumchen sich mit Rinde,
Das schwächre neigte sich und war zerknickt.
O seliges Gefühl der ersten Tage,
Warum mußt du ein Traum gewesen sein?
Lebt denn das Schöne nur in Bild und Sage,
Und schlürfts die Wirklichkeit wie Nebel ein?
Auch dort nicht heimatlos in Bild und Worte,
Floh ich, dem meerbedrängten Schiffer gleich,
Sooft den Stürmen aufgetan die Pforte,
In jenes Hafens schützenden Bereich.
Gelagert in dem Dufte fremder Kräuter,
Umspielt von fremder Wipfel leisem Wehn,
Sah ich im Traum die hohe Himmelsleiter,
An der die Geister ab- und aufwärts gehn.
Und angeregt, sie selber zu besteigen,
Umherzuschauen in dem weiten Raum,
Versucht ich, rückgekehrt, es anzuzeigen,
Was ich gesehn, halb Wahrheit und halb Traum.
»Den Armen, dem sich ab ein Gott gewendet,
Des Dichters blendend, trauriges Geschick,
Wie das Gemüt im eignen Abgrund endet,
Der Erdengröße schnellverwelktes Glück.«
Und flammend gab ich das Geschaute wieder,
Der Hörer, ob auch kalt, entging mir nicht,
Denn Lebenspulsschlag zog durch meine Lieder,
Und wahr, wie mein Gefühl, war mein Gedicht.
Vorahnend durft ich zu den Großen sagen,
Die längst umwallt der Ruhm wie Opferrauch:
So hoch als euch mag mich kein Flügel tragen,
Doch, Meister, schaut! ein Maler bin ich auch.
Da kam die Nüchternheit in ihrer Blöße,
Die groß sich dünkt, weil hohl sie zwar, doch weit;
[228]
Nach Ellen maß sie meiner Menschen Größe,
Nach Pfund und Lot der Stoffe Hältigkeit.
Doch kann die Formel Leben je bereiten?
Was ungeheuer, ist darum nicht groß.
Ein Mögliches ragt über alle Weiten,
Das Wirkliche zeigt sich im Raume bloß.
Wo tausend Tinten meine Blicke spürten,
Da sah der Stumpfsinn schroffes Grün und Blau,
Wo Rätsel mich zu neuen Rätseln führten,
Da wußten sie die Lösung ganz genau.
War eine Wiese, wo ich Blumen pflückte,
Die Rinderzucht drauf hingetrieben frisch!
Wo nur ihr Fußtritt in den Boden drückte,
Lag Schlamm und Gras in ekligem Gemisch.
Was nicht zu sagen, davon ging die Rede,
Was auszusprechen nicht, das sprach ihr Wort;
Verschmähst du ihre Waffen auch zur Fehde,
Schon Unsinn ists, zu wählen ihren Ort.
Gestalten, die mein Geist in Glut umfangen,
Die Roheit legte dran die schmutzge Hand,
Ich sah die Spur auf den entweihten Wangen,
Und mein Gemüt, es fühlte sich entwandt.
Und wie der Mensch den Ort, den schönsten, werten,
Nicht mehr betritt, wenn Gräulichs ihn betrat,
So floh mein Geist aus meiner Jugend Gärten,
Empört von seines Heiligsten Verrat.
Hart hinterher der Mißgunst lange Zeile,
Der Neid, der Haß, bewaffnet anzusehn,
Mit dopplem Eindruck trafen ihre Pfeile,
Denn, ach, wer singt, kann nicht im Harnisch gehn;
Und stellt er ihnen sich, die nach ihm zielen,
Ergreift des Streites zorniges Gerät,
Der schwere Panzer drücket harte Schwielen,
Drob des Empfindens weicher Sinn entgeht.
[229]
So floh ich aus des Kampfes Glutbeschwerde
Hin zur Natur, wo Leben neu sich schafft,
Den Busen drückt ich an die Mutter Erde,
Um, wie Antäus, zu erstehn in Kraft.
Doch sie, die oft geführt schon meine Sache,
Getröstet mich so oft und gern zuvor,
Verloren hatte sie für mich die Sprache,
Die Sprache, oder ich für sie das Ohr.
Gelehrig sonst an ihrer frommen Seite,
Schien jetzt nur trotzig Schaffen mir Gewinn,
Ihr Wort verklang in meines Busens Weite,
Ihr Wink verschwand vor meinem stumpfen Sinn.
Und schaudernd vor der Welt und ihrem Treiben,
Ein jedes Band verschmähend, das sie flicht,
Mocht ichs nicht leben, konnt ichs nicht beschreiben,
Und selbst den Anblick fast ertragen nicht.
Ja, horchend auf des Innern leise Zungen,
Erschaudert mein Gemüt, wenn es ihm däucht,
Es kling ein Ton, den Tönen nachgeklungen,
Mit denen das Gemeine mich verscheucht.
Und also sitz ich an derselben Stätte,
Wo schon der Knabe träumte, saß und sann.
Wenn erst ich das Verlorne wieder hätte,
Wie gäb ich gern, was ich seitdem gewann.

16. Freundeswort

»Mag dein Schmerz sich roh entladen,
Zeigst du ihn durch stummes Toben?
Wen die Musen so begnaden,
Fühle höher sich erhoben!
Bist ja Maler, brauche Farben!
Bist ja Dichter, brauch das Wort!
Gram und Herz, wenn beide starben,
Dauern so geheiligt fort.«
[230]
Ach, die Worte und die Bilder
Sind für selbstgemachte Leiden!
Wer kann Flammen, wild und wilder,
In Gewand, verhüllend, kleiden?
Drum mein Wort, es sei der Aufschrei,
Nicht an Ton und Maß gebunden,
Und die Farbe, die mir gut däucht,
Hier! das Blut aus meinen Wunden.

17. Schlusswort

Also hatt er lang gesprochen,
Hatte höchste Not geklaget,
Daß man ihm das Herz durchstochen,
Und kein Rettungsmorgen taget.
Da kams durch die Luft gezogen,
Saitenklangs, vernehmlich kaum,
Und sein Kummer war verflogen,
Und sein Leiden war ein Traum.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Tristia ex Ponto. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-EEA8-0