[19] Die Deutsche Poesie an Herrn M. Joh. Fr. Mäy

Freund! wir sind der Huld nicht werth
Die das Glück uns schon beschert,
Phöbus schenckt uns grosse Dichter,
Aber wir sind Midas-Richter,
Hören offt den Waldgott Pan
Lieber als die Musen an.
Opitz, Dach, und Gryph, und Rist,
Flemming, Schoch und Tscherning ist
Voll von Phöbus Geist gewesen:
Aber sprich, wer mag sie lesen?
Sprich, wem ist ihr hoher Stand
In Apollens Huld bekannt?
Les' ich unsern Kindermann,
Stimm ich Gerhards Oden an,
Hör ich einen Abschatz nennen:
O so will mein Geist entbrennen,
Zürnend, daß die Deutsche Welt
Sie nicht mehr in Ehren hält.
Muntrer Weidner, wo bleibst du?
Du gehörst gewiß dazu,
Da du uns mit Deutscher Zungen
Flaccus Lieder vorgesungen,
Jenes Römers, dessen Kiel
Roms August so wohl gefiel.
[20]
Niemahls hörte dich Mäcen,
Göttlicher Horatz! so schön
In der Römer Mundart singen,
Als hier Weidners Oden klingen:
Weidners Oden, die so rein,
Geistreich, hoch und edel seyn.
Kommt, ihr Weisen, kommt hervor,
Widerlegt den Pythagor,
Laßt den Irrthum seiner Lehren
Von der Seelen Wandrung hören,
Doch umsonst! weil Flaccus Geist
Sich in Weidnern zwiefach weist.
Schnödes Deutschland, schäme dich,
Daß dergleichen Geister sich
Allgemach bey dir verlieren;
Denn sie sind kaum mehr zu spüren:
Seit dich Welschlands Schwulst bestrickt,
Und dir Witz und Sinn verrückt.
Himmel hilf! was seh ich hier?
Steht nicht ein Pallast vor mir,
Welchem Diamantne Seulen
Grund und Festigkeit ertheilen,
Dessen Boden Marmorstein,
Sims und Dach Saphir muß seyn.
Warlich Bau und Pracht ist stoltz!
Wände von Cypressen-Holtz,
Thurn und Thore von Topasen,
Rings umher Smaragdne Rasen,
Voller Schmeltz und Chrysolith,
Der an statt der Blumen blüht.
[21]
Macht mir nicht die Zauber-Kunst
Durch Verblendung blauen Dunst?
Nein! die Phantasey der Dichter
Trügt mir Geist und Augenlichter,
Zeigt und stellt so wunderbar
Ein Poetisch Lufft-Schloß dar.
Bloß die Tyber und der Po
Blenden unsre Deutsche so,
Daß der Bach der Castalinnen,
Viel zu ruhig scheint zu rinnen:
Wenn sie sich um den Marin
Mehr als den Virgil bemühn.
Freunde, was bezaubert euch?
Werdet doch den Griechen gleich,
Folgt der alten Römer Thönen,
Nicht Italiens Sirenen,
Die durch ihrer Hoheit Schein
Der Vernunfft ein Fallbret seyn.
Weg mit Gold und Elfenbein,
Nectar, Muscateller-Wein,
Mosch, Zibeth und Amber-Kuchen,
Hofmannswaldau mag sie suchen,
Lohensteins Geruch und Art
Sey der Biesam vorgespart!
Neukirch! du hast wohl verdient,
Daß dein Lorber ewig grünt,
Du entgiengst den leeren Schrancken
Ubersteigender Gedancken,
Suchtst und fandst die alte Spur
Der Vernunfft und der Natur.
[22]
Folgt, ihr Brüder! folgt ihm nach,
Seht wie Canitz Lorbern brach,
Den uns Neukirch angewiesen,
Als er den von Fuchs gepriesen:
Stimmt, wie Günther längst gethan,
Ausgespielte Flöten an.
Du, mein höchstgeliebter Mäy!
Fliehst der Faunen Wald-Geschrey,
Kennst und liebst die reinen Thöne
Kunst-geübter Musen-Söhne.
Sage doch, was mir gebricht,
Denn ich weiß, du schmeichelst nicht!

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Die Deutsche Poesie an Herrn M. Joh. Fr. Mäy. Die Deutsche Poesie an Herrn M. Joh. Fr. Mäy. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E4D1-D