[25] An Jungfer Ludovica Adelgunda Victoria, gebohrne Kulmus

Im Junius 1729 zu Danzig.


Victoria! du hast gesieget,
Ich bin dein Knecht, Victoria!
Den seine Dienstbarkeit vergnüget,
So bald er deine Schönheit sah.
So laß mich denn die Fessel küssen,
Die deine Macht mir angelegt;
Und wenn dein Stral mich niederschlägt,
Nicht meiner Schwachheit Fehler büßen;
Die leichter Feinde, Schwert und Mann,
Als deinen Angriff, hemmen kann.
Des edlen Geistes Frühlingsfrüchte,
Die Werke deiner klugen Hand,
Sind durch das preisende Gerüchte
Mir schon seit langer Zeit bekannt.
Dort, wo in Meißens fetten Auen
Die schlanke Pleiße rauschend fließt;
Dort, wo der Musenhügel ist,
Darauf ganz Deutschland pflegt zu schauen;
Da hat es mir zuerst geglückt,
Daß ich ein Lied von dir erblickt.
Im weit entlegnen Sachsenlande
Ertönte deiner Seyten Klang;
[26]
Von dem entfernten Weichselstrande,
Entzückte mich dein Lustgesang.
Die Nymphen jener Philurenen,
Sammt jeder muntern Huldgöttinn,
Entsetzten sich in ihrem Sinn
Vor solchen Proben einer Schönen;
Und zweifelten wohl gar dabey:
Ob Famens Nachricht glaublich sey?
Ich selber sprach in meinem Herzen:
Wer weis, ob mich der Ruf nicht trügt?
Vieleicht will jener Freund nur scherzen,
Indem er merkt, daß michs vergnügt.
Ich wagte mich, an dich zu schreiben,
Da sah ich bald ein neues Blatt,
Und an des alten Zweifels statt,
Nichts, als Erstaunung, übrig bleiben:
Weil jede Zeile deiner Schrift
Fast Wunsch und Hoffnung übertrifft.
Erwünschtes Schicksal! sey gepriesen,
Daß deiner Führung Wunderzug
Mir That und Wahrheit selbst gewiesen,
Als mich dein Wink nach Danzig trug.
Der edlen Kulmus Seelengaben
Erhöht der frischen Jugend Pracht,
In welcher so viel Anmuth lacht,
Als hundert andre Schönen haben,
Die doch, denn ihr Verstand ist blind!
Nur todte Marmorbilder sind.
O wären meine Lobgesänge
Der Schönheit deiner Bildung gleich,
Und so, wie deiner Glieder Länge,
[27]
An reizerfülltem Wesen reich!
Ach, unvergleichliche Louise!
So würde bald ein Blatt erfüllt,
Darauf ich dein entzückend Bild
In lebhaftschönen Farben wiese.
Allein du bist ganz ungemein;
Wie kann mein Lied dir ähnlich seyn?
Was sag ich von der klugen Zungen,
Die durch der Sprachen Zierlichkeit,
Der Franzen zartes Ohr bezwungen,
Sammt unsrer deutschen Lüsternheit?
Auf deinem holden Rosenmunde
Ist aller Charitinnen Sitz;
Und deiner heitern Augen Blitz
Steht mit Minerven selbst im Bunde;
Weil jeder Stral, der von dir schießt,
Ein Herold deines Geistes ist.
Ihr sanften Hände, laßt mich wissen,
Ob euch Mercur so schnell gemacht;
Der an den schwarzen Höllenflüssen
Die Schatten außer sich gebracht?
Schlägt Orpheus selbst durch euch die Seyten,
Der auch den Cerber eingewiegt,
Und Plutons harten Sinn besiegt,
Die todte Gattinn zu erbeuten?
Nein! Phöbus und sein Chor zugleich
Begeistert, rührt und treibet euch.
Zu zaubern scheint ihr, nicht zu spielen,
Sobald man eure Laute spürt:
Ja Mark und Adern könnens fühlen,
Wenn ihr den Flügel kaum berührt.
[28]
O Reichthum neuer Fantasien!
Wie schnell, wie fertig, voll und schön
Hört man die bunten Fugen gehn?
Wie wenig dörft ihr euch bemühen?
Weil, wie man deutlich hört und sieht,
Was höhers Nerv und Finger zieht.
O sollt ich sie doch alle küssen!
O sollt ich es doch zehnmal thun!
So könnte mein gestillt Gewissen,
Als nach erfüllter Dankpflicht, ruhn.
O könnt ich täglich sehn und hören,
Wie schön, geschickt und klug du bist!
Und, weil ein Odem in mir ist,
Dein ungemeines Wesen ehren:
So gäbe mir mein zeitlich Glück
Den allerschönsten Gnadenblick!
Ach dörft ich solches auch nur hoffen!
Doch wie vergeht sich Hand und Kiel?
Was hat sie für ein Fall betroffen?
Verstumme, mattes Seytenspiel!
Die Vorsicht deckt mit dunkeln Tüchern
Die Spuren ihrer Fügung zu;
Und will, man soll in stiller Ruh
Sich ihrer steten Huld versichern.
Wohlan, ich bin damit vergnügt:
Sie hat es stets sehr wohl gefügt.
Voritzo reißt mich mein Geschicke
Mit Macht aus dieser Weichselstadt;
Dahin es mich, durch süße Blicke,
Gelockt, doch nicht bestimmet hat.
Ach! soll ich dich denn nicht mehr sprechen?
[29]
O hartes Wort! o schwerer Satz!
Die Feder macht den Thränen Platz,
Und will das Reimen unterbrechen.
O hätt ich dich doch nie gesehn!
So dörfte nicht der Riß geschehn.
Ach! tröste mich bey solchem Schmerze,
Ach tröste mich, geliebtes Kind!
Und schaffe, daß mein mattes Herze
Durch deinen Zuspruch Kraft gewinnt.
Die Krone der gelehrten Damen.
Die voller Geist und Klugheit ist,
Und der du völlig ähnlich bist,
Verdient den Philosophennamen;
Und könnte mir in dieser Pein
Durch weise Lehren nutzbar seyn.
Vergiß nur, englische Louise!
Vergiß nur deines Dieners nicht,
Der dich sehr gern nach Würden priese,
Doch itzt vor Gram sein Rohr zerbricht.
Entschuldige mein freyes Schreiben,
Und wenn ich gleich entfernet bin:
So glaube doch, daß Herz und Sinn
Dir ewiglich ergeben bleiben;
Und meiner fest beschloßnen Treu
Die Trennung selbst nicht schädlich sey.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. An Jungfer Ludovica Adelgunda Victoria. An Jungfer Ludovica Adelgunda Victoria. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E47B-F