[442] Lob und Tadel

Bey Herrn Doctor Seidemanns Eheverbindung


1731.


Wofern ich, werther Freund! vergnügt, ja freudenvoll,
Bey deinem Hochzeitfest mein Wort erfüllen soll,
Den treuen Glückwunsch dir in Versen abzusingen;
So sey es mir erlaubt, ein Sprüchwort vorzubringen,
Du hältst es sonst zwar auch mit unsrer neuen Welt;
Doch weil dir Ehrlichkeit und alte Treu gefällt,
Dergleichen Tugenden die lieben Alten trieben:
So wirst du auch ein Wort von ihren Lippen lieben;
Ein Wort, darinn die Spur von alter Weisheit steht,
Die leider! täglich mehr bey uns zu Grunde geht.
Es heißt, damit ich auch fein nach der Ordnung schreibe,
Und dir das Thema nicht so lange schuldig bleibe:
Willst du getadelt seyn, so geh, und nimm ein Weib;
Willst du gelobet seyn, so stirb! und wirf den Leib
In Gruft und Moder hin! Bey diesen zwenen Theilen,
Soll mein Gedichte sich für diesesmal verweilen.
Zu Anfang handelt es das späte Lob und Grab,
So dann die Lästerung bey dem Vermählen ab.
In beyden will ich dir den Lauf der Welt erklären,
Und dann den Wunsch an dich und deine Braut gewähren.
Zum ersten ist es wahr, die Welt lobt keinen leicht,
Bevor er in der Gruft sein letztes Ziel erreicht.
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So lange jemand lebt, wird alles, was er machet,
Beginnet und vollbringt, getadelt und verlachet.
Sein Wesen nennt man schlecht. Man lobt und billigt nichts.
In allem, was er thut, gedenkt und sagt, gebrichts,
An hundert wenigstens, wo nicht an tausend Stücken:
Denn besser pflegt es auch dem Klügsten nicht zu glücken.
Allein er sterbe nur: da geht das Loben an!
Was nie ein Mensch vermocht, was niemand glauben kann,
Was hunderte vor ihm vergebens unternommen,
Das alles ist durch ihn in rechten Stand gekommen.
Er hat die Frömmigkeit und Tugend stets geliebt;
Er hat durch Wort und Werk kein kleines Kind betrübt.
Ihm ist die Vaterstadt für all ihr Heil verbunden;
Bey ihm hat allezeit das Armuth Rath gefunden.
Er war der Weysen Trost, der Wittwen Schirm und Schild,
Und kurz, der Unschuld Schutz, der Tugend Ebenbild.
Ja wär er in der That von allem nichts gewesen:
So läßt mans doch gedruckt in mancher Lobschrift lesen.
O! merkt euch dieses an, die ihr aus Eitelkeit
Von toller Ehrsucht krank, nach Lobe durstig seyd!
Was quälet ihr euch viel, berühmt und groß zu werden?
Ist euch mit Ruhm gedient? verkriecht euch in der Erden!
So lang ihr lebend hofft am Lobe reich zu seyn:
So trifft der Wunsch gewiß nur bey den Schmäuchlern ein;
Der abgeschmackten Brut, in deren blöden Augen
Die ärgsten Fehler auch zu Wunderdingen taugen.
Seyd froh! wenn euch der Hof zu seinen Dienern zählt,
Da glaubt nur, daß es euch an keinem Lobe fehlt.
Aus Hoffnung eurer Gunst wird alles sich bemühen,
Wenn ihr gleich Zwerge seyd, euch Riesen vorzuziehen.
Doch wem ein ernstlich Lob, ohn Eigennutz, gefällt,
Der mache sich je ehr je lieber aus der Welt.
Alsdann erfüllt sein Ruhm den weiten Kreis der Erden,
Ja was er niemals war, das wird er dann erst werden.
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Das war mein erster Theil. Zum zweyten merk ich auch,
Nach meines Sprüchworts Sinn, den häßlichen Gebrauch
Des klugen Pöbels an; der, wenn man sich vermählet,
Die Fehler, die man hat, wohl zehnmal überzählet.
Du seyst auch, wer du seyst, ein Junggesell, ein Mann,
Ein Mägdchen, oder Weib; so bist du übel dran,
Dafern du freyen willst. Was du von Kindesbeinen
Begangen oder nicht, wird hier entdeckt erscheinen.
Was du dein Lebenlang geredet und gedacht,
Das wird hervor gesucht, zur Lästerung gemacht,
Und wacker ausposaunt. Ja, was du nie verrichtet,
Ja, was du nie geträumt, wird doch von dir erdichtet.
Bald schrecket man die Braut mit ihres Freyers Art;
Erzählt, wie vielmal er sich wöchentlich den Bart
Herunter nehmen läßt? wie oft er schon purgiret,
Geschwitzt und Ader ließ, und wo das hergerühret?
Wie manches Mägdchen er bald hie, bald da geküßt?
Was er bezahlet hat, und was er schuldig ist?
Bald schildert man das Bild der Bräute bey den Freyern:
Die, heißt es, läßt sich stets das Angesicht erneuern;
Die hat so manchen schon durch ihren Kuß vergnügt;
Die hat kein baares Geld, und nur ihr Staat betrügt;
Die hat ein loses Maul, und sonsten böse Flüsse;
Die ist an Händen plump, und die hat krumme Füße.
So pflegt es denen auch in ihrer Art zu gehn,
Die sonst Verdienst und Glück zu Aemtern will erhöhn.
Da pflegt ein jedes Maul den Neiderzahn zu schärfen,
Und ihm bald dieß, bald das, aus Bosheit, vorzuwerfen.
Bald spricht der Unverstand: die Schrift ist ihm ein Spott!
Bald ruft die Kühnheit nach: er glaubet keinen Gott!
Bis endlich, wenn die Treu ihr Amt geschickt erfüllet,
Die Lästerung sich schämt, die Unvernunft sich stillet.
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Wie glücklich ist denn nicht ein kluger Freyersmann,
Der, wenn er freyen will, es heimlich halten kann:
Und weil dieß nicht gar oft gelinget und gedeihet;
Wie klüglich handelt der, der lieber gar nicht freyet!
Doch nein, geehrter Freund! dein Beyspiel strafet mich.
Du freyest offenbar: und hier erweiset sich
Dein unerschrocknes Herz, das Gott und Tugend ehret,
Und sich in aller Welt an keine Lästrer kehret.
Man sage, was man will, du hast doch wohl gethan.
Du folgtest jederzeit der wahren Ehrenbahn;
Und bist durch Fleiß und Glück nunmehr so weit gedrungen,
Daß dir die Heirath auch nach Herzenswunsch gelungen.
Was schadt es, wenn der Neid bald dieß, bald jenes spricht?
Auf andrer Leute Wort beruht dein Glücke nicht.
Und wenn ein neues Paar einander herzlich liebet,
Den Schwätzern keinen Raum zu leerem Plaudern giebet;
So lebt es doch vergnügt, und lacht in seinem Sinn:
Wie du, mein Seidemann mit deiner Waltherinn.
Glück zu! (der Wunsch ist kurz) der Himmel wird es lenken,
Und eurer neuen Eh sehr viel Vergnügen schenken.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Lehrgedichte. Lob und Tadel. Lob und Tadel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E434-F