Auf den Geburtstag eines Mannes, im Namen seiner Ehegattinn

1731 den 21 Dec.


Nimm hin dieß höchsterfreute Blatt,
Geliebter Schatz, von deren Händen,
Die sich vorlängst entschlossen hat,
Dir Herz und Seele zu verpfänden.
Nimm hin das Zeichen wahrer Treu,
Das zarte Liebe dir geweihet,
Und glaube, daß mein Sinn dabey
Sich über deine Wohlfahrt freuet.
[62]
Dein froher Jahrstag stellt sich ein;
Und was kann mir vergnügter fallen,
Als wenn nach überstandner Pein
Mir Blut und Adern freudig wallen?
Die Traurigkeit hat dieses Jahr
Um meines Vaters Gruft geweinet;
Nun stellt sich auch die Freude dar,
Da dein erwünschtes Fest erscheinet.
Mein nasses Auge, stille dich,
Und sey bemüht, dich aufzuklären;
Der Thränenbrunn verstopfe sich;
Was soll das Aechzen länger währen?
Die Leichen können von der Fluth
Nicht den geringsten Trost verspüren;
Und wenn man noch so kläglich thut,
So läßt sich doch der Tod nicht rühren.
So kehr ich denn den frohen Blick,
Mein andres Herz, nach deiner Wiegen,
Und seh darinnen auch mein Glück,
Mit dir, auf weichen Küssen, liegen.
Der Himmel hat dich ausersehn,
Und mir zum Ehgemahl erkohren:
Ja, dieß ist auch bey mir geschehn;
Ich selber bin für dich gebohren.
Ich denke noch der langen Zeit,
Der Zeit von zweymal sieben Jahren,
Die mir von deiner Zärtlichkeit
Die allerstärksten Zeugen waren.
Ich denke deiner Treue noch,
[63]
Die mir ganz unverrückt geblieben,
Bis meine Brust sich endlich doch,
Auch dir geneigt zu seyn, verschrieben.
Zwey volle Jahre sind es fast,
Seit dem sich Herz und Hand verbunden,
Seit dem ich dich, in Lust und Last,
In Lieb und Leid, bewährt erfunden.
Je länger unser Ehstand währt,
Je fester wird das Band sich schlingen;
Und da die Zeit auch Stahl verzehrt,
Mit uns bis in die Grube dringen.
O sollt ich nur den Jammertag
Von deinem Sterben nicht erleben!
Denn was ein Mensch ersinnen mag,
Das wollt ich, dich zu retten, geben.
O würde mir dereinst von dir
Mein sterbend Auge zugedrücket:
So glaubt ich, daß der Himmel mir
Die größte Wohlthat zugeschicket.
Drum lebe, liebster Schatz, vergnügt.
Geneuß die Lust von deinen Jahren:
Der Himmel hat es wohl gefügt,
Indem er uns gewußt zu paaren.
Dein Wohlseyn bloß vergnüget mich,
Denn deine Lust ist mein Ergetzen:
Sonst kann ich alles, außer dich,
Für schlecht und für verächtlich schätzen.
Der Höchste stärke Geist und Leib,
Kein Zufall kränke Haupt und Glieder!
Denn was dich schmerzet, schmerzt dein Weib,
[64]
Und deine Schwachheit schlägt mich nieder.
Erlebe diesen Tag noch oft!
So werden sich die Freunde freuen;
So hab ich, was mein Herz gehofft;
So wird sich meine Lust verneuen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Oden. Auf den Geburtstag eines Mannes. Auf den Geburtstag eines Mannes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3F7-1