[158] Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Elegien

[159] [161]Als sie sich auf einem Balle von ihm getrennt hatte

Ellrich, 1774.


Noch seh' ich sie im Tanze leicht sich drehen,
Und schweben, daß sie mit den Zehen
Den Boden kaum berührt.
Abkühlend seh' ich noch sie auf und nieder gehen,
Und, ohne daß sie selbst es spürt,
Durch sie sogar der Greise Herz gerührt.
Ich sehe noch sie reisefertig stehen,
Und, wenn mich nicht die Eigenliebe trügt,
So spricht ihr Auge: Freund! nicht mißvergnügt!
Kann ich, gerührt, kein Lebewohl dir sagen,
So ist es doch nicht meine Schuld,
[161]
Allein ein Weilchen nur Geduld,
So wird die rechte Stunde schlagen. –
O lebten wir noch in den Feenzeiten,
Und könnt' ich schnell durch einen Talismann
Ein Täubchen werden, könnte dann
Nach Hause sie auf ihrer Fahrt begleiten!
So aber seh' ich starr von weiten
Dem gar zu schnellen Wagen nach,
Blick' auf zum Himmel, seufzend: Ach!
Ihr Engel wollet sie geleiten!
Da steh' ich! Einsam, wie im Meer'
Ein Fels, um dessen Haupt ein Dohlenheer
Vom Morgen bis zum Abend flattert,
An dessen Fuß so manche Seegans schnattert,
Doch ist er um und um von Nachtigallen leer.
Von allen Freunden, die mich lieben,
Drei Jahre durch den Harz getrennt,
Bin ich nur hier, mich zu betrüben,
Hier, wo mein Herz fast Niemand kennt.
[162]
Das Städtchen dünkt mich eine Wüste,
Denn ach! aus Liebe schlug mein Herz noch nie darin,
Bis Nantchen, o die frohe Sängerin!
Mich Schwermuthsvollen freundlich grüßte,
Von ihr ein Tropfen Lob, von ihr, der Charitin!
Den Wermuthsbecher mir versüßte!
Doch ach! Nun ist auch meine Ruh' dahin!
Was sucht' ich? Schönheit bloß? Sucht' ich Verstand allein?
Sucht' ich nur Witz? Das alles ließ sich finden!
Doch will das Herz durch mehr befriedigt seyn.
O warum kann die Sympathie allein
Mich fest mit Rosenschnüren binden?
Warum verweigert Herzen sie,
Die, wie es scheint, für mich empfinden,
Mein schmachtend Herz? Umsonst! Ein Plato selbst wird nie
Den Eigensinn der Sympathie,
So viel er grübeln mag, ergründen.
[163]
Heut war sie bettelarm, ist morgen Crösus reich;
Sie weiß den Diamant zu finden,
Und läg' er neben Aetna's Feuerschlünden
Auch unter tausend Schlacken gleich.
Dem Schiffer ähnlich, der in schwarz bewölkter Nacht
Umher in Klippen irrt, ohn' einen Port zu finden,
Dem endlich schnell ein Stern am Himmel lacht,
Um plötzlich wieder zu verschwinden,
Starr' ich ins Dunkle hin, und glaube zu erblinden,
Und frage mich: Träumst, oder bist erwacht? –
Sie kam, sie ging die Treppe nieder.
Und ach! wann kehrt sie je zurück?
Sie fährt davon! Wann seh' ich je sie wieder?
Doch, selbst mit Schmerz sie lieben, ist schon Glück.
Ist doch mein Daseyn nie so lieb mir noch gewesen,
[164]
Als seit dieß Herz, der Schöpfung Meisterstück!
Dieß Herz ich fand, das mich so ganz versteht!
Wohl! – Mag das mein' auch nimmer gleich genesen,
Als bis mit mir es einst zu Grabe geht.

[165] Auf den Tod meines Sohns, Moritz Günthers 1

Als ich jüngst an Exters Seite
Mich des Wonnemondes freute;
Als ich an la Roche's Hand
Jedem Rheinschiff' das Geleite
Mit den Augen gab am Strand',
Bis in dunkelblauer Weite
Mast und Wimpel uns verschwand;
Als bei Moser's Druck der Hand
Ihm mein Herz entgegen hüpfte,
[166]
Und, vor Lauren an der Wand, 2
Ich mit Uz ein Freundschaftsband
Wie Petrarch und Laura knüpfte;
Als ich weinend vor dem blinden,
Doch zufriednen Pfeffel, stand;
Als in seinen Veilchengründen
Kleinzog mir ein Sträußchen band;
Als so rasch am Krückenstabe
Bodmer mir entgegen kam,
Und mein Herz, als kleine Gabe
Auf der Pilgrimschaft zum Grabe,
Nah am Ziel', noch mit sich nahm;
Als mit mir bei Mondenscheine
In dem blühnden Lindenhaine 3
[167]
Lavater spatzieren ging,
Ich am Fall' des Rheins, von Schaume
Naßgesprützt, ihm wie im Traume,
Staunend an dem Arme hing:
Ach! da war mir wohl! Noch besser,
(Seufzt' ich dann für mich allein,)
Als am lieblichsten Gewässer,
Wird am Zorgafluß' dir seyn,
Wenn dein Günther dir entgegen
Auf dem Steckenpferde springt,
Und dir alle sein Vermögen –
Seine bunte Trommel – bringt;
Um mein Knie die Arme schlägt,
Hererzählet seine Thaten
Und Vocabeln, und mich frägt:
Bleibst nun bei uns über Nacht?
Hast nicht bleyerne Soldaten
Mir von Nürnberg mitgebracht?
[168]
Aber ach! mit bleichen Wangen,
Und in traurendem Gewand',
Kam die Mutter, an der Hand
Unsern Fritz, dahergegangen.
Beide schwiegen; ich verstand
Dieses fürchterliche Schweigen. –
Schönes Veilchen, mußtest du
Schon so früh der Erde zu
Deinen Kelch mit Balsam, neigen?
Wein' dich aus, du volles Herz!
Thränen kannst du nur vergeuden.
Meiner Liebe lange Leiden,
Meiner Augen Folterschmerz,
Konnt' ich mir versingen. Doch
Meine Lipp' ist itzt verstummet!
Denn vor meinem Ohre summet
Günthers letztes Rufen noch.
Hätt' ich deinen Ruf gehört:
Ach mein Sohn! aus fernem Lande
[169]
Wär' ich schnell zurückgekehrt.
Doch wozu? Um dich im Sande
Zu verscharren? O mein Sohn!
Trankest du den süßen Mohn
Aus des Todes Becher schon,
Eh' ich selbst ihn kosten durfte?
Wär' es möglich: Gott! ich schlurfte
Rein, für dich, noch itzt ihn aus,
Hülfe dir aus deinem Grabe
Wieder an das Licht heraus!
Denn seit ich nicht dich mehr habe,
Losch die Freud' ihr Lämpchen aus.
Deine Mutter sitzt versteint,
Auf dem Schooß' dein Schifferhütchen,
Hört von Fritz dein Wiegenliedchen,
Blickt auf deinen Hut, und weint.
Trösten soll ich sie? besiegt
Wörterschwall, den Schmerz um deinen
[170]
Tod? – Wir wollen beide weinen,
Bis der Thränen Quell versiegt.
Wer uns liebet, o! der weine
Mit uns! Wer ihn hat gekannt,
Weint von selbst um ihn, dem keine
Mutter, jemals leer die Hand
Reichte, ach! um ihn, der seine
Schmerzen, wie ein Mann bestand!
Wär' er einstens auf dem langen
Rauhen Pfad', ins Heiligthum
Hoher Weisheit, eingegangen:
Aller seiner Ahnen Ruhm
Hätt' er sicher überschattet,
Und den meinigen ergänzt,
Ja! am Ziel' hätt' ich ermattet
Ihn vielleicht noch selbst bekränzt.

Fußnoten

1 Er starb während einer Reise des Verf. durch das südliche Deutschland und die Schweitz.

2 In Herrn Uz Zimmer hing ein Porträt der Laura: eine sehr getreue Kopie von dem Originale, welches die Familie de Sade noch besitzt.

3 Bei Bülach, einem Städtchen zwischen Zürich undSchafhausen; Herr Lavater gab dem Verfasser bis nach Schafhausen das Geleit.

[171] Auf Lessings Tod

Der Engel, der mit leichtem Flug'
Die Fackel seines schönen Lebens
Helleuchtend sonst voran vor einem Lessing trug,
Kehrt rasch mit einem mal sie um,
Und das Erstaunen fragt vergebens:
Warum so früh, o Gott! warum?
Zu kühn ist zwar schon diese Frage,
Und nur der unersetzliche Verlust
Macht sie verzeihlich; doch der Klage
Bleibt's wohl erlaubt, daß sie sich vor die Brust,
[172]
An eines Lessings Sarge schlage.
So vielen Witz, so viel Verstand,
Als wir in ihm verloren haben,
Kann selten, selten nur ein Land
In einem einz'gen Mann begraben.
Denn Einer Kunst nur Meister seyn,
So viel das ist, war dennoch ihm zu wenig,
Und schritt er in ein neues Feld hinein:
Erobert ward es ganz, und er darin der König.
Hat er nicht oft in zwanzig Mauren
Die Abende dem Volk' durch Spott verkürzt?
Und das Vergnügen, Unschuld zu bedauren,
Mit süßen Thränen ihm gewürzt?
Doch alles das heißt halb den Mann nur kennen.
Ach! wer ihn selbst, wie ich, gekannt,
Ihn, den wir kaum den Engeln gönnen,
Der fühlet, nun er uns entschwand,
[173]
Im Auge heiße Thränen brennen.
So heiter, und so offen, und so bieder,
Wie ihn mein Auge hier im Bilde noch erblickt,
War auch sein Herz. Ach! nie seh' ich ihn wieder!
Auf immer ist er mir entrückt!
Wenn noch zuletzt mit einem Lorbeerkranze
Die Dankbarkeit den Sarg des Dichters schmückt,
So ist das mehr, als wenn bei Kerzenglanze
Die Eitelkeit mit ihrem Firlefanze
Des Menschenquälers Leiche drückt.
Wann tausend Fürsten längst vergessen,
Mit sammt dem sammtnen Sarg' voll Schilder und voll Tressen,
In ihrem eignen Lande sind,
Und nach der Zeit ein Sandkorn nur hernieder
Aus ihrem Stundenglase rinnt,
Schallt Lessings Name noch von Pol zu Pole wieder.
[174]
Wohl dir, daß dort in glücklichern Gefilden,
Als die du hier durchwandelt hast,
Du ruhig deinen Geist kannst bilden,
Befreiet von des Körpers Last,
Befreiet von den heuchelnden Zeloten,
Die, Sanftmuth lehrten, und voll Wuth,
Als wärest du der Hölle Brut,
Dir mit dem Scheiterhaufen drohten;
Die uns als Pflicht die Demuth priesen,
Und mit Schulmeisters Stolze doch
Zurecht dich Polyhistor wiesen,
Als wärst du ein Quintaner noch.
Wie wird dir nicht bei den Platonen
Und Sophokles, so wohl itzt seyn!
Indeß pedantische Dämonen
Hier wie die Gassenbuben schreyn.
Sie alle rufen ihre Waare,
Angeblich Wahrheit, Haus für Haus,
[175]
Zum Kauf' mit Lobpreisungen aus,
Doch die bischöfliche Thiare,
Nicht Wahrheit, ist im Spiel' ihr Daus.
Dich ekelte des widerlichen Schalles,
Doch warst du nicht von Jesu Christ,
Von Götz nur ein Antagonist;
Dir war die Wahrheit alles, alles!
Jetzt weißt du endlich, was sie ist.

[176] Auf Bürger's Tod

1796.


Kaum vermocht' ich vor ihm mein schwimmendes Auge zu bergen,
Als ich, Jahre getrennt, endlich ihn wieder umfing!
Feuer im Auge, wohin? – Zu todter Asche verglommen!
Und du Stimme voll Klang? Tief in den Busen versenkt!
Thränen erpreßte mir da der Sohn, den Kummer und Liebe
Mit einander gezeugt, zärtlich die Muse gestillt.
[177]
Als auch diese zuletzt, gleich einer alternden Amme,
Immer launigter ward, winkte der freundliche Tod.
Und ich traure nicht mehr, obgleich ich ihn scheiden gesehen,
Kehrt er gleich nimmer zurück, dieser mein ältester Freund.
Endlich hätte vielleicht mein lange vergebliches Streben
Ihn mit dem Boden vereint, dem er so lieblich entsproß.
Blüthen trieb er auf ihm, doch seine goldenen Früchte,
Wie sie der Himmel Petrarchs selten zu reifen vermag,
Trug er, – unglückliche Wahl! – am fremden Ufer der Leine,
Aber ein zeitiger Herbst welkte die Blätter zu früh.
[178]
Doch ich traure nicht mehr, denn selbst ans Ufer der Spree,
Oder und Saale verpflanzt, hätt' er nicht länger gegrünt.
Vormals konnt' ich ja bloß mit meinen Thränen ihn netzen,
Jetzt kam aber zu spät freundliche Sorge für ihn. 1
Nein! ich traure nicht mehr. Er windet aus bleyernem Schlafe
Nicht am Morgen sich noch mühevoll dehnend empor,
Ungewissen Erfolg im Auge des Arztes zu lesen,
Das an der Grenze der Kunst trübe zur Erde sich senkt.
[179]
Ihm verwandelt nicht mehr Bocazes betrogener Eh'mann,
Den ein Fremder belacht, plötzlich in Galle den Wein.
Und nun ruhet der Streit des Geistes, der immer nach Thaten,
Und des Körpers, der stets sich nach der Ruhe gesehnt.
So, so sank er dahin im schönsten männlichen Alter,
Den ich schon herzlich geliebt, als er dem Rehe noch glich,
Als sein kräftiger Arm den Federball über die Spitze
Jenes Denkmals trieb, das sich einst Franke gebaut. 2
[180]
Warum kehrtest du nicht zurück zur wartenden Heimath?
Hofftest du leichtere Bahn, irgendwo größeren Preis?
Du! Am Ufer der Lein' ein Fremdling! Hatte die Spree
Dem Verdienste vielleicht engere Schranken gesetzt?
Ach! dort ließest du dich mit Schnüren binden, von Amorn
Zwar aus Myrthen geknüpft, aber so haltbar wie Hanf.
Dennoch verziehen wir leicht dem ausgewanderten Freunde,
Denn der Gebundene war froher als nimmer zuvor.
Wie zufrieden er saß bei seinem ländlichen Mahle!
Denn mit eigener Hand hatt' er die Bohnen gelegt,
[181]
Selbst gebrochen das Obst, und selbst gewölbet die Laube,
Die dem brennenden Strahl' Gattin und Freunde verbarg.
Wie so ruhig er schlief in seiner reinlichen Hütte!
Denn er hatte des Amts treulich am Tage gewahrt.
Konnt' er wohl glücklicher seyn? Ein Landmann, Weiser und Dichter,
Einig mit andern und sich: Konnt' er wohl glücklicher seyn?
Jüngling! hüte dein Herz! Ach! dünke gegen die Schönheit
Nie dich weise genug, nimmer dich stärker als sie.
Lob verdienet die Flucht, und Tadel der mißliche Zweikampf,
Der des biedersten Manns Herzen den Untergang droht.
[182]
Hast der Kräfte du mehr, als Bürger? Möchtest du wissen,
Welchen gewaltigen Kampf Jahre lang dieser bestand!
Doch, wenn nicht der Tod, so sieget am Ende die Liebe,
Wenn man sich ihrer Gewalt kecklich zu trotzen vermißt.
Sey es dem noch vergönnt, der, gleich dem germanischen Spieler, 3
Seine Freiheit sogar setzet aufs trügliche Spiel.
Aber die hatte bereits der zärtliche Sänger verloren,
Und so ward es ein Kampf, Himmel! auf Leben und Tod!
[183]
Einem Stummen gleich saß er beim ländlichen Mahle,
Denn er hatte nicht mehr selber die Bohnen gelegt.
Jede Stunde der Nacht vernahm er das Krähen der Hähne,
Denn der vergangene Tag füllte mit Träumen die Nacht.
Gab um einen Preis, der ihm selbst Thränen erpreßte,
Gleich die verlorene Ruh' Hymen ihm wieder zurück,
O so gab er doch nicht, (wie konnt' er?) den Frohsinn ihm wieder,
Dem, ein schweres Gewicht leichter zu fühlen, genügt.
Dennoch hätte vielleicht die zweite Pflegerin lange
Frei von Falten die Stirn ihm zu erhalten gewußt;
[184]
Sie, die ein hohes Lied selbst fremder Barden verdiente,
Tausendfach mehr noch seins, das ihr Unsterblichkeit gab;
Sie, die Alles für ihn erduldet, Alles geopfert,
Seine Freude zu seyn! – wurde, verscheidend, sein Schmerz.
Mitten im frohen Gewühl' der Jünglinge schwankte sein Leben,
Wenn ein düsterer Gram Leben zu heißen verdient.
Siehe! da bringet ein holdes Geschöpf, die Thräne des Mitleids
In dem Auge voll Geist, Lieder im rosichten Mund',
Ihm aus Schwaben ihr Herz, zufrieden, fände der Wittwer
Nur zur Hälfte darin seines Verlustes Ersatz.
[185]
Was bedurft' es denn mehr, die Seele des Dichters zu wecken,
Der, so dürftig er war, höher dieß schätzte als Gold?
Ach! es spornte so lange des Eremiten Entschlüsse,
Bis der gefährliche Sprung nicht mehr ein Wagestück schien,
Bis er, taumelnd, vergaß, ob eingefallene Wangen,
Und ein Auge, das kaum Sternengeflimmer noch glich,
Lange der Schwärmerin wohl auch da zu gefallen vermöchten,
Wo der Adonen ein Heer Augen und Ohren bestürmt.
Nein! ich traure nicht mehr. Er wandelt im Lande der Ruhe,
Frei von dem feurigen Blut', welches sein Treiber hier war.
[186]
Ein zu zärtliches Herz – was werfet, ihr kälteren Tadler,
Sonst dem Sänger noch vor, kanntet ihr anders sein Herz?
Aber ihr kennet vielleicht nur seiner Leyer Gesänge?
Also – dieß schwöret sein Freund! – grade sein kleinstes Verdienst.

Fußnoten

1 Der Verfasser hatte sich für Bürger verwendet, ihn als besoldeten Professor in Halle anzustellen, und große Hoffnung, dieß bei der ersten schicklichen Vacanz erfüllt zu sehen, als Bürger starb.

2 Das Pädagogium zu Halle, auf dem Bürger und der Verfasser zu gleicher Zeit erzogen wurden.

3 Tacitus, von den Sitten Germaniens, im 23. Cap.

[187] Marcus Herz, gestorben den 20sten Januar 1803

Tausenden, (und auch mir!) hat er das Leben verlängert,
Nur das seinige hat leider! sein Eifer verkürzt.
Und doch hätt' er so gern sich länger des Lebens gefreuet;
Aber federleicht wog es ihm gegen die Pflicht.
Lauschend mit spähendem Blick', erforscht' an der dunkelen Werkstatt
Der Natur, sein Geist ihre verheimlichte Kraft.
Hofft' er, irgend den Kreis des menschlichen Wissens und Wohlseyns
Noch erweitert zu sehn, um eine Linie nur:
[188]
Wie erheiterte sich sein Auge! Wie freut' er der Nachwelt
Glückes, sich im voraus, gleich als genöß' er es selbst.
Eine Gattin war sein, mit immer noch blühenden Reitzen,
Hatte der Lenze sie gleich zwanzig schon mit ihm verlebt.
Doch es konnt' ihr Reitz im ersten Frühlinge schwinden,
Klein war dieser Verlust, blieb ihr der schönere Geist,
Blieb der zarte Scherz nur immer in ihrem Gefolge,
Und lebendig der Wunsch, heiter den Gatten zu sehn,
Und der bescheidene Sinn, der alle Tugenden hebet,
Wie der Puder den Grund einer Aurikel verschönt.
[189]
Welch ein liebender Kreis von weisen Freunden umgab ihn!
Jeder schätzte den Arzt, Denker und Spötter in ihm;
Aber alle noch mehr den Mann, deß Leben ein Einklang
Süßerer Töne war, als sie die Stoa noch gab.
Gleich den Weisen Athens liebt' er die fröhlichen Zirkel;
Seine Sorgen allein blieben im Herzen versteckt;
Alles opfert' er sonst auf dem Altare der Freundschaft,
Seinen Witz und Wein, seine Erfahrungen gern.
Von den Pfeilen, geschnellt von fremden Bogen, ging keiner
Je verloren für ihn; wie er behende sie fing!
[190]
Und wie schickt' er sie oft, bei lächelndem Munde, mit Rosen
Ihre Spitzen besteckt, hurtig dem Schützen zurück!
Und so glich sein Lebensgenuß den schlängelnden Gängen
Eines englischen Parks, ja! noch verdoppelt sogar!
Denn die Armuth hatt' am kalten eisernen Arme
Ihn in früherer Zeit rauhere Pfade geführt.
Ach! drum hätt' er so gern sich länger des Lebens gefreuet,
Aber federleicht wog es ihm gegen die Pflicht,
Und so verließ er uns früh! Ihn tadlen möchte die Freundschaft,
Nur die Bewunderung hält jeglichen Tadel zurück.

[191] An den Storch vom Hause

Zu Heydau, während der französischen Einquartirung


1813.


Sage, was klapperst du denn auf deinem Neste, und rufest,
(Was du sonst nicht thatst,) Gattin und Kinder herbei?
Sind dir etwa so früh zu kalt die Nächte geworden,
Und du sehnest dich schon hin in das wärmere Land,
Wo der Bach das Eis, den Reif die Weyde nicht kennet,
Wo noch Niemand sah fallen die Flocken des Schnees?
[192]
Wenn wir gern dich auch als Hausgenossen behielten,
Wenn die Köchin gleich, weil du vor Feuer das Haus
Schützest, mit manchem Hecht' verstohlen dich würde bewirthen,
Dennoch verdenk' ich dir nicht, daß du verlässest die Flur,
Die seit deiner Geburt dich jeden Sommer zurückzog,
Nun der Gallier hier leider! die Frösche dir stiehlt.
Tröste dich, Storch! mit mir; du siehest, er raubet mir alles;
Gold und Silber und Wein, Ruhe und Lebensgenuß.
»Was du hast, gib her, und was du nicht hast, das schaffe!«
Dieß ist, wenn er erwacht, Morgens sein höflichster Gruß.
Hätt' ich Flügel wie du, so flög' ich nach Albions Insel,
Die der Gallier nie, was er auch prahlet, erreicht
[193]
Hätt' ich Kräfte wie sonst, der vorderste wäre mein Säbel,
Hoch in die Lüfte gezückt, niederzuhauen die Brut.
Ach! du ziehest davon, doch ich, ich Armer, muß bleiben. –
An dem Ufer des Nils hauset kein Gallier mehr,
Seines Gewehres Knall wird dich am Delta nicht schrecken,
Seine Knochen allein findest du modernd im Sumpf'.
Lebe denn wohl, o Storch! Ich wünsche dir glückliche Reise!
Aber warte! Noch Eins! Sieh! meine Enkelin winkt,
Bindet ihr Halsband los, und will am Fuße dich zeichnen,
Daß sie dich, kehrst du zurück, wieder erkenne daran.
[194]
Sie, noch ohne Gespielin, allein, sie bittet dich freundlich,
Bring' ihr im Schnabel doch ja dann ein Schwesterchen mit.
Sollst dagegen, wie sonst, Herr seyn der Frösche. Entweder
Findest du mich nicht mehr, oder den Gallier nicht.
Aber ich hoff', o Storch! wir sehen uns wieder im Frühling',
Wer kann zweifeln am Sieg', kennet er Blücher, wie ich.

[195] Wünsche im Alter

1813.


Kehret zum Greise zurück, schuldlose Freuden der Kindheit!
Vor den Freuden der Welt ekelte lange mich schon.
Andern befehlen, und mit zu regieren: das suchen die Meisten;
Nicht, zu beglücken den Staat, nein! zu beglücken sich selbst.
Ich auch habe regiert, und tausend andern befohlen,
Strenge nur gegen mich selbst, folgten sie alle mir gern.
[196]
Dennoch beneidet' ich den, der, gleich dem zufriedenen Tiedge,
Keine Befehle empfängt, keine Befehle ertheilt;
Nicht, um zu leben, studirt, nein! um zu studiren nur lebet,
Und mit jedem Tag' weiser und fröhlicher wird;
Nicht auf höchsten Befehl, als trieben die Musen ein Handwerk,
Metastasio gleich, Lieder nach Maaßen ersinnt.
Wenn sein Geist zum Wirken ihn treibt, nicht achtet des Schweißes,
Seinen Eifer erpreßt ja kein Minister-Gebot.
Wenn zum süßen Müßiggang' ihn Erschlaffung ermahnet,
Nichts zu versäumen besorgt, keine Verantwortung scheut,
Um das Schlagen der Uhr ganz unbekümmert, dem Sange
[197]
Einer Nachtigall horcht, oder dem Murmeln des Bachs.
Einen Schwätzer nicht hört, die Stolzen vermeidet, vom Thoren
Weg sich wendet; denn dieß schadet ihm alles ja nicht.
Ach! du Glücklicher! hast nichts mit den Menschen zu theilen!
Du bist keinem im Weg', aber auch keiner dir selbst.
Wenn man Achtung und Liebe dir zollet mit freundlicher Miene,
Dann so weist du, es gilt alles dem Menschen allein.
Denn du sitzest nicht mit im Rath' der Gewaltigen, hältst dich
Gern vom Quelle der Macht, Ehren und Schätze zurück;
[198]
Niemanden locket zu dir der Dampf von Trüffelpasteten,
Der Pokale Klang, oder der Walzer Geräusch.
Dir, o Glücklicher! gleich, zum mindesten ähnlich zu werden,
(Lange mein heißester Wunsch, endlich zur Hälfte erfüllt!)
Trat ich von selbst von einer der höheren Stufen am Throne
In das Dunkle zurück; wenige wissen, wohin.
Aermer stieg ich hinab, als ich die Stufen hinan stieg,
Und doch dünkt mich, so reich war ich noch nimmer zuvor.
Kehret nun wieder zurück, schuldlose Freuden der Kindheit!
Denn ihr findet das Herz, euch zu empfangen, bereit.
[199]
Kommt, ihr Tauben! und klopft wie sonst mit dem Schnabel ans Fenster,
Picket aus meiner Hand goldgelbe Körner, wie sonst.
Ihr, ihr Sprossen vom Stamm' der Sänger kanarischer Inseln,
Hüpfet und singet, und liebt, brütet und pfleget die Brut.
Wohnet ihr doch mit mir im nemlichen ruhigen Zimmer;
Keiner soll hinfort eurer noch pflegen, als ich.
Zupfen will ich die weichsten Fäden zu euren Nestern; o hättet
Ihr der Bedürfnisse doch wenigstens doppelt so viel!
Kümmert, ihr Rosen, ihr Hyacinthen, Syringen und Tulpen,
Um den Kalender euch nicht. Schneyet und frieret es gleich,
[200]
Kommt nur dennoch hervor, denn hier im Zimmer ist Sommer;
Zwiefach verdienet ihr Dank, wenn ihr dem Rufe jetzt folgt;
Denn wer weiß, ob nicht mit euren späteren Schwestern
Schon meine Urne vielleicht Liebe im Lenze bekränzt.
Doch mit dem Bilde hinweg, das meine Freunde nicht lieben!
Kommt, ihr Enkel, ihr gebt allem ein lachendes Bild.
Lasset uns sehen, wer mehr der Kegel werfe, wer öfter
Seines Bogens Pfeil nahe dem Mittelpunkt' schnellt;
[201]
Wer mit der sichersten Hand das Meisenkästchen wird stellen,
Oder den Maulwurf dort, leisesten Trittes beschleicht.
Kehret ihr so zurück, schuldlose Freuden dir Kindheit,
Glücklicher wär' ich ja fast, als ich es jemals noch war.

[202] An die Dichtkunst

1817.


Selten nur hab' ich von dir im langen Leben gesprochen,
Denn der Geweiheten sind überall wenige nur.
Jetzt laß zu dir selbst zum letzten male mich reden,
Ehe die Stimme mir noch röchelnd im Munde erstirbt.
Liebt' ich dich nicht schon als halb erwachsener Knabe
Mehr als Ball und Roß, mehr als der Jagden Hallo?
Ich erinnre mich nicht, daß mehr mich etwas entzückte;
Außer mein Mädchen allein, und der erprobete Freund.
[203]
Unser Bund war doch der treuesten einer auf Erden!
Nicht der Durst nach Gold, nicht die Begierde nach Macht,
Nicht ein glänzender Hof, nicht freundliche Worte der Fürsten,
Nicht der Geschäfte Gewicht, konnten dich trennen von mir.
Aber du hast mir auch die Treue reichlich belohnet:
Freuden, wie du sie gewährst, schenkten die Fürsten mir nicht.
Ein so zartes Gefühl, wie du im Herzen gebierest,
Ruhe, wie du sie verleihst, kaufte noch keiner für Gold.
Und was kann denn sonst der Mensch auf Erden sich wünschen?
Ist auch dieß nicht Glück: Wahrlich! so gibet es keins.
[204]
Meine Liebe zu dir erzeugte die Liebe zur Weisheit,
Und den dornigten Pfad hat sie mit Rosen bestreut.
Hätte kein Glücklicher noch auf Erden gewandelt, so müßt' ich
Als den ersten mich preisen am Ende der Bahn.
Freilich hab' auch ich geseufzt und Thränen vergossen,
Denn der Tod hat mir Freund' und Geliebte entführt.
Zweimal stand ich selbst, doch ruhig, am Thore des Todes,
Denn ich wußt', auch dort fänd' ich sie wieder, und dich.
Fünfmal drohete mir Verlust des Lichtes der Augen.
Kannst du durch Gesang Ossian, Milton, Homer,
[205]
Pfeffel und Gleim 1 nicht gleichen, so kannst du doch dulden wie diese;
Wenn du erblindest, vergißt dieß sich bei ihrem Gesang'!
So, du schönste der schönen Künste, so hast du
Mich getröstet, und oft Schmerzen vertrieben und Furcht.
Zwar der Gallier nahm die Hälfte meines Vermögens,
Und – das köstlichste mir! auch meiner Ruhe sogar.
Doch auch da hast du mich Traurenden nimmer verlassen,
Durch die Harfe Young's gütig beschwichtigt den Gram.
[206]
Wog ich Leben und Tod mit der Unsterblichkeit Wage,
O wie dünkte mich dann leben und sterben so leicht!
Lärmt' im unteren Stock' bei meinem Weine der Franzmann,
Hatt' ich im oberen nur Ohren für deinen Gesang.
In der wirklichen Welt war nirgend mehr Freude zu finden,
Vor Napoleon war sie in die Wüste geflohn.
In die Welt der Ideale versetzet auf deinen
Flügeln, vergaß ich es bald, daß ich auf Erden noch war.
Daß ich in dreißig Jahren nicht dreißig Opfer dir brachte,
Sey dir ein Beweis meiner Verehrung für dich.
[207]
Was ich zu geben vermochte, war deiner und meiner nicht würdig,
Mindestens weniger noch als was ich brachte zuvor.
Endlich sind zwar Zeit und Wille wiedergekehret,
Doch als schwacher Greis kann ich nichts geben, als Dank.
Könnt' ich noch einmal zum jungen Manne mich machen,
Wär's allein, um dir bessere Opfer zu weihn.
Nichts kann, außer dir, die Mühe zu leben belohnen,
Als nur die Natur, eine Geliebte, ein Freund.
Doch sie alle, auch dich, werd' ich in Kurzem verschönert
Wiederfinden; von dir trenn' ich mich aber zuletzt.

Fußnoten

1 Pfeffel ward schon in seiner Jugend blind, Gleim erst im hohen Alter.


Notes
Erstdruck als Einzeldrucke in verschiedenen Musenalmanachen und Zeitschriften. Gesammelt erstmals veröffentlicht in den verschiedenen Auflagen der »Gedichte«.
License
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