[260] Aubry's Hund 1

In König Karls, des weisen, Gnade
Wuchs Aubry von Montdidier,
Gleich einem Oelbaum' am Gestade
Der Marne, in die Höh'.
Denn er, kein Schmeichler und kein Zwitter
Von Schurk' und Biedermann,
Hing eifriger als alle Ritter
Bei Hof, der Wahrheit an.
[261]
Schnell sah der Ritter von Macaire
Im Glanz' des Throns den Liebling blühn,
Und er, der gern gewesen wäre,
Was, ohne sein Bemühn,
Jetzt Aubry war, legt' diesem Schlingen,
Fein, wie der Neid sie flicht,
Und grub ihm Gruben, doch gelingen
Wollt' alle List ihm nicht.
Von einem Jagdhund' nur begleitet,
Ging Aubry einstens in den Wald
Von Bondy. Siehe! plötzlich reitet
Sein Feind daher. »Halt! Halt!
Du Memme!« rief er. Aubry kannte
Die Stimm', und hielt's für Scherz;
Doch jener zog sein Schwert und rannte
Die Spitz' in Aubry's Herz.
Noch warm verscharrt' er Aubry's Leiche,
Bedeckte den blutrothen Ort
Mit Erde, Rasen und Gesträuche
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Sorgfältig, und ritt fort.
Der Hund, fast in den letzten Zügen,
Bedeckt mit Wunden, blieb
Auf Aubry's Grabe winselnd liegen,
Bis Hunger fort ihn trieb.
Von Aubry's Sippschaft fast vergessen,
Kam Herkul mager nach Paris;
Sie gab ihm gern ihr eignes Essen,
Doch, hastig schlingend, ließ
Er halb es stehn, und rannte wieder
In Bondy's finstern Hain,
Legt' auf der Gruft des Herrn sich nieder,
Und kratzt' ein Loch hinein.
So trieb er's lange Zeit. Man spürte
Des Hundes Fährte nach, und fand
Tief im Gehölz', wohin sie führte,
Den Hund auf seinem Stand'.
Als man die Stelle voll Gesträuche
Und frisch gegraben sah,
[263]
Grub man sie auf, und Aubry's Leiche
Lag halb verweset da.
Man fuhr sie nach Paris. Die Ohren
Gesenkt, lief Herkul nebenher.
Schon alle Hoffnung war verloren,
Je zu entdecken, wer
Der Mörder sey? Da packt, voll Rache,
Einst Herkul seinen Mann
Im Kreis der Armbrustschützenwache
Des Königs, grimmig an.
Was schlagen konnte, schlug den Treuen,
Der seines Herren Mörder biß,
Doch immer faßt' er ihn von neuen,
Bis man hinweg ihn riß.
In allen Häusern, allen Gassen,
Sucht' er den Feind nun auf,
Und konnt' er ihn nach Wunsch nicht fassen,
So bellt' er drauf und drauf.
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Dem Adel, der den Hund wohl kannte,
Schien das verdächtig. Bald erfuhr
Der König selbst es. Dieser brannte
Noch näher auf die Spur
Zu kommen, ließ, umringt von Rittern,
Den Mörder Aubry's stehn,
Und dennoch war, heraus ihn wittern,
In einem Hui! geschehn.
Und Herkul kündigt mit Gebelle,
So schlau sich dieser auch verbirgt,
Den Thäter an. Gleich auf der Stelle
Hätt' er ihn auch erwürgt,
Doch Karl gebot, huldvoll und weise,
Macaire zu befrein.
»Das scheint doch – murrte mancher leise –
Begünstigung zu seyn!«
Karl aber zog ihn auf die Seite.
»Gesteht mit Offenherzigkeit,
Ob Ihr – so glauben alle Leute –
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Nicht Aubry's Mörder seyd?
Bedenkt! Wenn gar verloren sollte
Selbst Eure Seele gehn!« –
Allein aus Furcht vor Strafe, wollte
Macaire nichts gestehn.
»Nun wohl!« sprach König Karl, »so mache
Gott selber denn die Wahrheit kund!
Denn Aubry's Blut schreit laut um Rache
Durch seinen treuen Hund.
Drum soll ein Zweikampf zwischen beiden
Den sonderbaren Streit
Den nächsten Freitag gleich entscheiden,
Und wenn Ihr schuldig seyd!« –
Karl drohte mit den Augenbrauen
Dem Mörder noch, und hieß ihn gehn.
Die Insel unsrer lieben Frauen,
Zum Kampfplatz' ausersehn,
Ward eingefasset mit Staketen,
Dem Hof' ein Pavillon
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Erbaut; der König kam; Trompeten
Erschallten vom Balkon.
Macair' erschien; in seiner rechten
Mit einem Prügel, einen Schild
In seiner linken; doch zum Fechten
Hatt' Herkul nichts, der wild
Um seinen Feind, und um die Keule,
Die hoch der Bube schwang,
Mit Zähnefletschen und Geheule
Herum im Kreise sprang.
Doch blitzschnell fuhr er zu, und packte
Den, der verhöhnend vor ihm lief,
So fest, daß jedes Glied ihm knackte,
Und daß er angstvoll rief:
»Ach! Gnad'! Ihr sollet alles wissen!
Reißt nur die Bestie fort!« –
Und als der Hund war losgerissen,
Gestand er seinen Mord.
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Welch Drängen, Herkuln liebzukosen!
»Es lebe,« schrien aus Einem Mund'
Enthusiastisch die Franzosen,
»Der König und der Hund!« –
So? rief jetzt vom Balkon der König,
Wohlan! du Schlangenbrut!
Recht und Gerechtigkeit versöhn' ich
Nunmehro durch dein Blut.
Macair' erzittert' und erbleichte;
Er bat; – umsonst! – Ein Priester führt'
In einen Winkel ihn zur Beichte,
Dann ward er absolvirt.
Jetzt, als er noch sich sträuben wollte,
Packt' ihn der Henker fest, und band
Ihn an den Stuhl, und schnappend rollte
Sein Kopf hin in den Sand.

Fußnoten

1 Die folgende Geschichte trug sich unter Karl V. oder dem weisen, von Frankreich, am 8 Oct. 1371 zu. In Montfaucon's Monuments de la Monarchie Française, findet man Tom. 3. p. 6. nach einem alten Kupferstiche eine Abbildung davon.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Drittes Buch. Aubry's Hund. Aubry's Hund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E21E-4