Leopold Friedrich Günther von Goeckingk
Die Schlittenfahrt

[5] Erster Abschnitt

Von Adlerkant und Nettchen will ich singen! –
Was? singen? nun das wäre wahrlich schön!
Ich muß die Luft beim Sprechen schon erzwingen!
Wer würde mir denn für die Schwindsucht stehn?
Auch ließ' ich gern wohl eine Leier klingen;
Nur hab' ich nie ein solches Ding gesehn.
Drum will ich bloß erzählen, welchen Lohn –
Allein wozu vorher den Inhalt schon?
O Muse! – ja! da sitzt die Muse gleich!
Und hätt' ich laut, wie Ajar einst, geschrien,
So würde doch, aus Helikons Gesträuch,
Nicht eine sich herab zu mir bemühen.
Darum, ihr Herrn, versichr' ich bieder euch,
Das, was ihr hört, sind meine Phantasien. –
Nun, Herr Poet! frisch! setz' er sich in Wuth!
Denn macht er's gut – je nun! – so macht er's gut!
Verlangt er mehr? Er kennt die Welt noch nicht!
Und billig sollt' ein Dichter doch sie kennen.
Bei seinem Fleiß', muß er sein Holz und Licht
Noch oben ein, für ihre Gunst, verbrennen.
Indeß steht er dabei so übel nicht;
Um Rang und Gold kann jeder Schurke rennen,
Der Dichter nur lauft fast noch ganz allein
Die grade Bahn, sich selbst genug zu seyn.
[6]
So sey es denn, geneigte Hörer, drum!
Habt ihr Verstand? so möcht' ich euch gefallen!
Doch wäret ihr – wie drück' ich's aus? hum! hum! –
Gott Stupors Spießgesellen und Vasallen:
So kenn' ich euer Privilegium,
Verehr' es tief mit den Autoren allen,
[6]
Und schicke mich darinn, so gut ich kann. –
Prologs genug! Das Stück hebt endlich an.
Herr Adlerkant war Steuersekretär;
War groß – wie groß? das hab' ich nicht gemessen!
Er war auch reich – wie reich? das weiß nur er!
Ob nun der Mann Verstand dabei besessen?
Verstand! Verstand! – Sagt, brauchte Rabener,
Als Steuerrath sich rund und fett zu essen,
Und ein Geschäft zu treiben, wie er trieb,
So ganz den Geist, der sich unsterblich schrieb?
Zum Ueberfluß' besaß Herr Adlerkant,
(Denn, was ist Witz? fragt Hamburg nur undBremen.)
Viel feinen Witz, und folglich auch Verstand;
Wenn's anders nicht die Herren übel nehmen,
Die diesen kaum, und jenen nie gekannt,
Doch oft – wie fein! – zu sagen sich nicht schämen:
Ein schöner Geist zu werden, ist nicht schwer;
Er braucht nur Witz; und Witz, was ist das mehr?
[7]
Durch seinen Witz kam unser junge Mann
Beim Kriegesrath von Brunnenhain – in Gnade.
Ein schöner Geist, ein Bürgerlicher, kann
Mehr nicht als die verlangen. Zur Parade
Hat man im Zimmer gern das Buch, doch nicht den Mann:
Und desto besser denn für ihn, dem grade
Nichts lieber ist, als daß, wenn ja die Schrift,
Nur nicht ihn selbst, die Schmach des Umgangs trifft.
Der Kriegesrath war alt und fein genug,
Den Edelmann zur Unzeit nicht zu spielen.
Was seinen Stolz ein wenig niederschlug,
War, oft den Werth von Bürgergold zu fühlen.
Das Heirathsgut der Fräulein Töchter trug
Nur just so viel, als, Liebesglut zu kühlen,
Mama Natur den Mädchen allen gibt;
Doch, wann macht das die Freier schon verliebt?
Man weiß, daß in Romanen und Gedichten
Die Mädchen schön bis zum Entzücken sind.
[8]
Vor Körperreitz pflegt Niemand auch zu flüchten,
Denn Niemand ist bei diesen Reitzen blind.
Was Wunder? daß, den Zank einmal zu schlichten,
Die Schönste stets den Helden nur gewinnt?
Drum ist Verstand bei Töchtern wenig werth;
Die Schönheit nur (des Goldes) wird begehrt.
Was fang' ich nun mit meiner Heldin an?
Die kleinste Stadt mag leicht ein Mädchen zeigen,
Die sich mit ihr an Schönheit messen kann.
Drum will ich auch wohlweislich hier verschweigen,
Worüber sonst oft lang ein Dichter sann,
Welch Kolorit und Wuchs der Heldin eigen,
Wie lang die Stirn, wie groß die Nase war?
Es wird kein Bild, und malt' er auf ein Haar.
Antonia, die Heldin der Geschichte,
Ein Töchterchen des Herrn von Brunnenhain,
Trug ihren Geist im Aug' und im Gesichte,
Und nahm damit schnell wie die Schönheit ein.
Das Fräulein las empfindungsvoll Gedichte,
[9]
Kam, durch Gesang, Musik und Malerein
Zu mehr Geschmack, als nöthig möchte seyn,
Den Herrn Gemahl mit Erben zu erfreun.
Des Fräuleins Herz war, um es kurz zu sagen,
Den mehrsten Mädchenherzen völlig gleich.
Es war so gut, so gut zu ganzen Tagen,
Als wär' es schier ein kleines Himmelreich;
Doch Heuchelei und List und Wollust lagen
Zu andrer Zeit, wie Mörder im Gesträuch',
Darin versteckt. Ihr Mädchenkenner, sprecht!
Sieht mein Porträt schief, oder sieht es recht?
Ein Mädchenherz erforscht ein weiser Mann,
Mit kaltem Blut', kaum, kaum in ganzen Jahren,
Wenn er's auch Tag für Tag belauschen kann;
Ja selbst nicht dann, wenn er nicht selbst erfahren,
Was Mädchen sind. Doch rath' ich jedem an,
Er möge ja sein Lehrgeld weislich sparen.
Ein scharf Gesicht ist oft nicht wünschenswerth;
Man sieht nur mehr, als man zu sehn begehrt.
[10]
So hoff' ich denn, man wird aus diesen Gründen
Geneigt verzeihn, daß unser Adlerkant,
Wo Kenner nichts als bloß ein Mädchen finden,
Verliebt und jung, nur einen Engel fand.
Ein Liebender tappt, wie bekannt, im Blinden;
Und leitet auch ein Freund ihn bei der Hand,
Vergebens wird er leiten, wird er schrein:
Da kommt ein Sumpf! er stolpert doch hinein.
Dankt's der Natur, ihr Schönen, allermeist,
Daß Liebe, selbst der Weisen Auge, blendet!
Studirten erst sie euer Herz und Geist:
Wer weiß, ob ihr so hurtig Männer fändet?
Wie käm' es sonst, daß wenn der Faden reißt,
Den Liebe knüpft, das Blatt so schnell sich wendet?
Wir Männer danken wenig der Natur;
Werth gibt uns erst die fleißigste Kultur.

[11] Zweiter Abschnitt

Hervor mit euch, ihr Herren Liebesgötter!
Bringt Leben in das schläfrige Gedicht!
Mythologie spricht zwanzigmal beredter,
Als die Natur, dieß deutsche Mädchen, spricht.
Auch kümmr' ich mich um alle deine Spötter,
Großmächtigster Herr Amor! trotzig nicht.
Ich hoffe steif, durch dich, bei wenig Geist,
Wohl so berühmt zu werden, als ein Kleist.
Zwar hält dich selbst die Weisheit noch in Ehren,
Wenn du durch Uz und Hagedorns Gesang,
Bald feinen Scherz, bald süßer Freude Lehren,
Verkündigest. Doch eine Katz' im Fang'
Will mancher Mann von Geist noch lieber hören,
[12]
Als was von dir so manches Knäbchen sang,
Der, wie du selbst, am Bart' noch ohne Haar,
Doch nicht, wie du, ein Kind der Schönheit war.
Kurz um, ich mag bei so gestalt'ten Sachen,
Ob's Boileau und Batteur gleich erlaubt,
Mit Adlerkant dir keine Mühe machen,
Da ohnehin kein Mensch mehr an dich glaubt.
Ein Kritikus wird zwar den Grund verlachen;
Allein mich dünkt, das Herz fragt überhaupt
Den Kritikus nicht leicht: ist's wahr? ist's schön? –
So lebe wohl denn, bis auf's Wiedersehn.
Der Sekretär war jung, doch sehr bescheiden;
Er fühlte schon ein langes, langes Jahr
Ganz in Geheim der Liebe süße Leiden,
So freundlich auch das Fräulein Nettchen war.
Was quäl' ich mich? (so seufzt er) von uns beiden
Nimmt nie den Ring die Lieb' am Traualtar';
Denn, wird bei mir, dem es an Ahnen fehlt,
Wohl auf mein Herz und mein Verdienst gezählt?
[13]
Das kannst du doch so unversucht nicht wissen!
Fiel ihm sogleich die treue Hoffnung ein.
Zwei Tage dich beim Abendpfeifchen missen:
Wie könnte das der alte Brunnenhain?
Was träumst du nun von tausend Hindernissen?
Ein Feiger wird kein schönes Mädchen frein!
Drum wirb, dem Vorurtheile zum Ersatz',
Nur noch zuvor um einen höhern Platz.
Das scheint nun leicht, und ist es in der That.
Denn, wie bekannt, gibt es der Wege viele:
Bestechungskunst schleicht einen andern Pfad,
Als Kriecherei, und jede kommt zum Ziele.
Nur theuer ist wahrhaftig! guter Rath
Für einen Mann, der thöricht die Gefühle
Von Edelmuth und eignem innerm Werth',
Im Vorgemach' Fortunens, in sich nährt.
Herr Adlerkant war auch in diesem Falle;
Geduldig saß er manche liebe Nacht,
Und rechnete, von einem Aktenwalle
[14]
Rund eingefaßt, auf einen Deut, die Pracht
Der Mauten aus, indeß auf einem Balle
Sein Herr Kolleg' am Punschnapf' ihn verlacht',
Und auf der Ehrsucht Rechnung etwas schrieb,
Wozu ihn doch allein die Liebe trieb.
Den Schwärmer rührt nicht gleich ein Ungemach:
Was Wunder nun, daß keins auch unsern rührte,
Ihn, der, aus Vossens Musenalmanach,
Dafür ein Lied vor Nettchen deklamirte,
Am schmalen Tisch' – o Herrlichkeit! – beim Schach,
Ihr rundes Knie mit seinem Knie berührte,
Und am Klavier, durch manches Klagelied,
Versteckt gestand, was Nettchen längst errieth.
Einst, als er so zum Lautenzuge sang,
Sie, neben ihm, auf seinen Arm sich lehnte,
(Vermutlich, um der Noten krummen Gang
Genau zu sehn,) und jede Nerv' ihm dröhnte,
Er sie, sie ihn, keins wußte wie? umschlang,
Ihr Busen hoch sich in der Schnürbrust dehnte,
[15]
Und, küssend, beid' ein Schwindel überfiel,
War er und sie zu gleicher Zeit am Ziel'.
Das Fräulein liebt' ihn, wie ihr eigen Leben;
(Auf kurze Zeit liebt jedes Mädchen so!)
Der kleine Stolz, den sechszehn Ahnen geben –
Auch sie war nicht ganz frei davon – entfloh;
Ihr Herz und ihr Verstand vertrugen eben
Wie Freunde sich: was fehlt' ihr, um so froh,
So gut zu seyn, als jeder, der dieß liest,
Hat er geliebt, wohl auch gewesen ist?
Wenn Adlerkant in sein Gespräch, was gut
Und edel ist, mit feinem Einschlag' webte,
Dann hüpft' in ihr ein jeder Tropfen Blut
Zum Herzen hin, das wie im Himmel schwebte,
Und, feuerfest noch wider jede Glut
Von Leidenschaft zu werden, sich bestrebte;
Selbst Thränen, wie Olint an der Statüe
Des Sokrates geweint hat, weinte sie.
[16]
Ein Mädchenherz muß sehr verdorben seyn,
Das, wenn ein Mann wie Adlerkant es liebet,
Nicht edler fühlen lernt, nicht endlich Schein
Von Wahrheit trennt, und dieser sich ergibet.
Die Blüth' ist schön; wird sie von Dauer seyn?
Ich zweifle sehr. Wie Spreu im Wind' zerstiebet,
So wird auch sie, durch liebe Sinnlichkeit
Und Schmeichelei, früh oder spät zerstreut.
Antonia bestand mit Heldenmuthe
Beinah' ein Jahr in dieser Schwärmerei;
Nur regte sich mit unter wohl im Blute,
Ich weiß nicht, was? Fragt Mädchen, was es sey!
In dieser, ach! so kritischen Minute
Bleibt keine leicht der Tugend noch getreu.
Allein zum Glück', daß unser Adlerkant
Auf Fieber von der Art sich nicht verstand.
Blut hatt' auch er in seinen Adern zwar,
Bei allem Schwall' platonischer Ideen;
Auch wißt ihr schon, was seine Hoffnung war,
[17]
Nur wagt' er's nicht, sie Nettchen zu gestehen.
Errathen wollt' er seyn! Dacht' er doch gar,
Man müsse nicht einmal um Liebe flehen,
Wenn Ehe nicht das Ziel der Bitte sey.
Wie neu war er in unsrer Welt, wie neu!
Das Fräulein schien ihn drum noch mehr zu lieben,
Wenn eben Ebb' in ihrem Blute war;
Doch, kam die Fluth zum Herzen angetrieben,
So deuchtet ihr der Mann ein wenig gar
Zu still und strenge. Die Manier zu lieben
Bringt freilich nicht die Mädchen in Gefahr;
Doch sie verräth den ernsten Ehemann,
Und dieser steht den Damen selten an.
Das Schlimmste war, daß unser Nettchen alle
Maximen, die der gute Adlerkant
Ihr einzuflößen sucht', in keinem Falle
Bei Leuten von bon ton anwendbar fand.
Was, im Gespräch mit jenem, ihre Galle
[18]
Beinahe wie ein Juvenal empfand,
Das sah die feine Welt tagtäglich an,
Und niemand nahm ein Aergerniß daran.
Verzicht zu thun auf alle die Vergnügen,
Worauf das Glück der großen Welt beruht,
An die Natur und Tugend sich zu schmiegen,
Und so, sich selbst genug, mit kaltem Blut',
Die Leute von bon ton wie Gold zu wiegen:
Ja, ja, ihr Herrn, das ist fürwahr ganz gut,
Allein so schwer, daß man's, in Nettchens Stadt,
Den Fräulein noch nicht angemuthet hat.

[19] Dritter Abschnitt

»Hör, Nettchen!« – sprach der gnädige Papa,
Als Nettchen einst bewies: es sey doch Schande,
Mamselln zu sehn in Stoff, Batavia,
Und Atlas, ach! und sie, bei ihrem Stande,
In Zindeltafft! – »Hör, Nettchen, hätt' ich da
Den Schrank voll Geld: in unserm ganzen Lande
Trügst du gewiß die besten Kleider dann;
So aber – weißt du was? nimm einen Mann!«
»Der Sekretär ist zwar kein Edelmann; –
'S ist Schade drum! – doch Geld hat er bei Haufen.
Das wag' er nur am rechten Ort' daran,
Man kann für Geld Rang, Titel, Alles kaufen.
Hielt nicht ich Narr vergebens zehnmal an,
[20]
Um einen Dienst? Ich müßte noch drum laufen;
Allein des Herzogs Favoritin bat
Zum Glück' um meinen Hund, und – ich ward Rath.«
Antonia empfand bei dieser Lehre,
So liebreich sie auch war, doch manchen Schreck.
Stumm saß sie da, und spielte mit der Scheere,
Und klebte mit dem Blick' an einem Fleck'.
»Ha! wenn der Mann doch nur von Adel wäre!
Und wär' er gleich im übrigen ein Geck!« –
So übersetz' ich Nettchens leises Ach!
Denn dieser Laut war alles, was sie sprach.
Laßt's überhaupt den Autor nicht entgelten,
Wenn er noch oft zu übersetzen wagt;
Die handelnden Personen haben selten,
Was sie geheim für sich gedacht, gesagt.
Ich hab' indeß noch kürzlich Jungfer Velten,
Des Fräuleins Zof', umständlich ausgefragt:
Wie war der Blick? die Stellung? Mien' und Ton?
Und hieraus füllt' ich manche Lücke schon.
[21]
»Kommt Zeit, kommt Rath!« sprach Nettchen. »Adlerkant
Wird selbst noch nicht an eine Heirath denken.
Ich bin so alt noch nicht, um meine Hand
Gleich jedem, der sie nur verlangt, zu schenken.«
Der Kriegesrath, vergnügt, den Widerstand
So klein zu finden, hofft' ihn noch zu lenken,
Wohin er will. Was aber Nettchen fein
In Petto noch behielt, weiß ich allein.
»Soll ich so jung zu Hause schon versauern?
Was plack' ich mich mit Wirthschaft Tag und Nacht?
Was hör' ich dran, wenn oft ein Trupp von Bauern
Papa halb taub mit Lärm und Schreien macht?
Und immer mich bei Büchern einzumauern,
Da würd' ich doch mit Recht wohl ausgelacht?
Nein! klüger ist's, daß man die Welt genießt,
Eh' noch die Zeit, die beste Zeit, verfließt.
Quält' ich mich nicht, bis ich erträglich sang,
Und Bachs Konzert' auf unserm Flügel spielte?
[22]
Ein Liebesgott nach Preißler mir gelang?
Und jeden Spott im Moliere fühlte?
Wo ist denn wohl nach allem dem ein Drang?
Wenn Adlerkant nicht etwas darauf hielte –
Ha! ha! wenn der auch noch so viel drauf hält,
Was schiert um den sich unsre feine Welt?
Er lebt so still für sich, so unbekannt;
Der Adel weiß kaum mehr als seinen Namen,
Und dennoch ist er ihm schon ein Pedant,
Der nichts versteht, als Steuerwust und Dramen.
Daß er bei mir so vielen Zutritt fand,
Darüber muß ich schön der Herrn und Damen
Gespötte, Tag für Tag, am Spieltisch' seyn. –
Was soll ich thun? ich weiß nicht aus noch ein.«
Das Resultat von diesem Monolog'
Räth jeder leicht: daß falsche Scham, Vergnügen,
Kurz, Weiblichkeit, empor die Schale zog,
Worin Vernunft, Moral und Tugend liegen.
Kein Wunder, daß sie in die Höhe flog;
[23]
Ein weiblich Herz pflegt immer so zu wiegen;
Drum, wenn ein Weib, du Weiser oder Thor,
Dein Schicksal wiegt, gewinn ihr Herz zuvor!
»Ach! denken Sie, mein lieber Adlerkant,«
Hieß es nunmehr, »ich soll zu Assembleen
Und Bällen, und wie sonst der Narrentand
All' heißen mag, mit meinem Vater gehen,
Bloß, weil es so – aus Vorurtheil – mein Stand
Erfordern soll. Wär's dort nur auszustehen,
So ging' ich gern, aus Achtung für ihn, hin;
Doch sehn Sie selbst, wie ich verlegen bin.« –
»Warum denn nicht? man muß die Thoren ja,
Früh oder spät, einmal ertragen lernen.
Was kümmern Sie die süßen Herrchen da?
Und steife Herrn mit Kreutzen und mit Sternen?
Wenn man Sie sonst in Assembleen sah,
Wie könnten Sie sich jetzt daraus entfernen?
Man würde Sie, als sonderbar verschrein:
Wem wäre dann die Schuld am Ende? mein!« –
[24]
Zureden hilft; Zureden half auch hier.
Antonia zeigt wieder nach gerade,
Im deutschen Tanz', dem jungen Kavalier,
Den kleinsten Fuß, die schönste volle Wade.
Das fade Zeug der Grafen deuchtet ihr,
Trotz dem Geschmack' am Molier', nicht fade,
Und ihr gefällt des Geigers Dur für Mol,
Trotz dem Geschmack' an Bachs Konzerten, wohl.
Im Grunde war das Ding dem alten Rath',
Was Nettchen auch versichert, ungelegen.
Aus Wohlstand, (nicht, weil ihn das Fräulein bat,
Auch nicht zur Hut, wie andre Väter pflegen,)
Begleitet' er sie bloß; und, in der That,
Wer gerne schläft, und sich, des Wohlstands wegen,
Drei Stunden Schlaf, wie er, entziehen muß,
Entzieht sie sich wahrscheinlich mit Verdruß.
Dem Sekretär war auch nicht wohl dabei;
Vernunft bezwang indeß bei ihm die Liebe.
Ihm träumte nicht, daß gar die Heuchelei
[25]
Ihr loses Spiel in Nettchens Herzen triebe;
Er glaubte fest, daß seines Mädchens Treu'
In Jahren, selbst ein Prinz, nicht untergrübe:
Doch fern vom Ball', wo Nettchen tanzt, zu seyn,
Bloß weil das von ihm fehlte – welche Pein!
Voll Edelmuth faßt Nettchen den Entschluß,
Trotz Spiel und Tanz! dem Mann' getreu zu bleiben,
Zum wenigsten, bis einst ihr Genius
Was Bessers ihr zu Netze würde treiben.
An Freiern ist zwar selten Ueberfluß,
Doch weiß sich klug ein Mädchen so zu sträuben,
Daß Hoffnung selbst noch ein Thersit behält,
Bis ein Adon in ihre Netze fällt.

[26] Vierter Abschnitt

Solch ein Adon schien der Assessor Zahren,
(Ein Edelmann, versteht sich schon!) zu seyn,
Von schlankem Wuchs' und vier und zwanzig Jahren,
Im Tanzen schwipp, in Komplimenten fein.
Schon die Frisur von seinen blonden Haaren
Eroberte viel Herzen ganz allein;
Doch trug sein Wagen, fein lackirt, und neu
Von Form, wohl auch das Seinige mit bei.
Das seltne Glück, bei allen Frauenzimmern
Gelitten seyn, war Zahrens Eitelkeit
So eben recht. Um Liebe viel zu wimmern,
War nichts für ihn, und mit Verschlagenheit
Erst nach und nach ein gutes Herz verschlimmern,
[27]
Wie Naso räth, erfordert lange Zeit;
Drum paßt' er gern den Augenblick recht ab,
Wenn ihm sein Feind von selber Blöße gab.
So macht' ihm einst, beim Schluß' der Menuet,
Antonia, mit einer solchen Miene,
Die mehr, als man wohl sagen will, verräth,
Den Knicks so tief und achtungsvoll, als Phryne
Vor reichen Britten. »Ei! so hoch am Brett'?
Glück zu! Glück zu!« zischt' ihm der Graf Melüne
Vertraut ins Ohr. »Soll's etwa gar einmal
Ernst werden? so gefällt mir deine Wahl!«
»Ernst? was für Ernst? heirathen? ha, ha, ha!
Da irrst du dich, mein lieber Graf; mich sollte
Der Teufel eher holen, als ich Ja!
Am Traualtar' zu Einer sagen wollte.
Was ist's denn nun, daß ich dem Mädchen da
Ein bißchen mehr Tribut als allen andern zollte?
Ich bin ihr gut! es fällt ihr selbst nicht ein,
Ich würd' ein Narr um ihrerwillen seyn.«
[28]
Man muß, rieth Sancho schon, das Eisen schmieden,
So lang es warm ist. Zahren hatte sich
Von Nettchen kaum mit einem Kuß' geschieden,
Als er den Bart von Daunen wacker strich,
Am Schnupftuch' sog, und ohne zu ermüden,
Zehn Plan' erfand, betrachtete, verglich,
Ja! was selbst Eulern sauer werden mag,
So saß und sann, bis an den hellen Tag.
Denn Phöbus brachte seinen goldnen Wagen
Schon aus dem Meer' und wieder in den Gang,
(Zu deutsch, Madam, es hatt' acht Uhr geschlagen!)
Als Zahren auf vom heißen Sopha sprang,
Und endlich nun herab in seinen Magen
Den Schokolat so selbstzufrieden schlang,
Als Schweppermann, wenn Hübner sonst nicht log,
Nach einer Schlacht, zwei Eyer in sich sog.
[29]
Denn ausgedacht war nun der große Plan,
An Nettchen sich nach Herzenslust zu letzen. –
»Zum Glück' ist jetzt die schönste Schlittenbahn;
Sie darf sich nur in meine Muschel setzen,
Ich, hinten auf; fort geht's nach Heideplan 1!
Und, um doch nicht den Wohlstand zu verletzen,
Soll der und die von der Partie mit seyn;
Das übrige bleibt meine Sorg' allein.«
Hier trat la Fond im Müllerweißen Rocke
Zur glücklichen Minnt' in Zahrens Thür.
»Hör, Kerl! sitzt heute mir nach Wunsch die Locke,
So – siehst du! – dein ist dieser Gulden hier;
Sonst –« Hier wieß Herr von Zahren nach dem Stocke.
Der Franzmann war ein sehr gelehrig Thier;
[30]
Denn, ehe noch zwei Stunden ganz entflohn,
Saß Zahren, wie ein Prinz, im Wagen schon.
Itzt hielt er still. Der Alte stürzt' hervor,
Umarmt' ihn fest mit drei herzhaften Küssen.
Der Jüngling bat; allein des Alten Ohr
War taub. Er brummt' im Baß' von Hindernissen,
Dem Zahren so im schmeichelnden Tenor'
Akkompagnirt: »Herr Kriegesrath, Sie müssen!
Denn, mon Dieu! 's ist wahrlich nicht erlaubt,
Daß man so jung uns die Plaisirs schon raubt.«
»Ei! welch Plaisir, mein lieber Herr Assesser,
Wenn man da braun und blau im Schlitten friert?
Da ist es hier beim warmen Ofen besser!« –
»O ho! fiel Zahren ein, der Grund verliert
Sich von sich selbst. Wär' auch die Kälte größer,
Als sie itzt ist: im Pelz' und Fußsack' friert
Man nicht so leicht.« – Stopft ein, Johann, stopft ein,
Rief, voll Verdruß der alte Brunnenhain.
[31]
Itzt war es Zeit, die Art Beredsamkeit,
Die ihres Zwecks nie fehlet, anzuwenden,
Durch die verführt, vor noch nicht langer Zeit,
Ein Priester selbst es wagte, den zu schänden 2,
Vor dem er sonst in Unterthänigkeit
Sich bückte, bis an seines Mantels Enden:
Denn gestern war der Mann der Erst' im Reich',
Und heute früh dem Dieb' im Kerker gleich.
Kurz, Zahren nahm dem wartenden Lackein
Sein Päckchen ab, und, denkt euch das Entzücken!
Die dickste Rolle Knaster, suprafein,
In Zahrens beiden Händen zu erblicken.
Der Alte saß und stotterte: »Nein! nein!«
Fing aber doch mit unter an zu nicken,
Und rascher zog der Rauch ihm um den Bart,
Doch stand's so so noch um die Schlittenfahrt.
Denn Nettchen sah ein wenig schnippsch dazu,
Daß man ihr so Erlaubniß kaufen wollte,
[32]
Als aber sich, vom Busen bis zum Schuh',
Aus Zahrens Hand ein Pelz von Grauwerk rollte,
(Ach! Adlerkant! du armer Schlucker, du!)
Der mit dem Pelz' von Hamster tauschen sollte,
Sah sie so hold den Pelz und Geber an,
Wie manche Frau den Sarg, und drinn – den Mann.
(Der Assessor).
»Viktoria! die Schlittenfahrt ist richtig!«
(Das Fräulein).
»Gefangen ist der reichste Kavalier!«
(Der Kriegsr.).
»Die Roll' ist doch wahrhaftig ziemlich wichtig!«
(Jungf. Velten).
»Nun! jedem was! ist bald die Reih' an mir?«So komponir' ich diesesmal nur flüchtig
Ein Quadro, das nach eigener Manier
In Partitur ein jeder setzen kann;
Ich gebe nur den Generalbaß an.
[33]
Wie, wenn im Klub der Geldentblößte Zecher
An einen, morgen zahlbarn, Wechsel denkt,
Und, eben noch der Schwänkereichste Sprecher,
Mit einem Mal' den Kopf verstummend senkt:
So senkte sich auch Fräulein Nettchens Fächer,
Als sie die Einbildung zur Unzeit kränkt,
Und Adlerkanten ihr am Fenster zeigt,
Wie er zurück vor ihrem Schlitten fleugt.
Unedel gradezu dem edlen Mann'
Begegnen, das wagt selbst ein König selten;
Denn, selbst bei dem, der ihn nicht lieben kann,
Wird doch sein Werth, wie alte Thaler gelten.
In Nettchens Aug' ist Zahren schon ihr Mann,
Und dennoch muß sofort noch Jungfer Velten
Zu Adlerkant, und klagen, daß der Rath
Ihr Fräulein zwingt, bloß weil ihn Zahren bat.
Die Nachricht wollt' ihm nicht so recht behagen;
Ein süßer Herr, wie Zahren, war ihm schier
[34]
In der Natur am schwersten zu ertragen:
Und diesen, auf den Schlitten, hinter ihr,
Den Arm vertraut um ihren Arm geschlagen,
Sich vollends denken! Himmel, ach! wofür
Hatt' er geseufzt, gerechnet und geschwitzt!
Allein, gemach! denn künftig ist nicht itzt.

Fußnoten

1 Ein Wirthshaus im Felde, eine halbe Stunde von **, wohin nicht selten Spatzierfahrten geschehen und Bälle gegeben werden.

2 Den Grafen Struensee.

[35] Fünfter Abschnitt

Vorüber war nunmehr die große Stunde,
Für die der Rath des Landes Wohl betreibt,
Ailhaud 1 geschickt durch seine Kunst, Gesunde
Zu Kranken macht, Babill Journale schreibt,
Der Obrist Hundsrück, zitternd vor dem Schlunde
Der donnernden Kanonen stehen bleibt,
Und – kurz, ein jeder hatte seinen Bauch,
Von zwölf bis eins, gefüllt, und Zahren auch
St! stille! still! ich höre Schellenklang!
He! aufgeschaut! da kommt er angefahren!
O, billig ist, du Roß, so stolz dein Gang!
[36]
Denn ziehst du nicht den wackern Herrn von Zahren?
Wer ist, der so wie er die Peitsche schwang?
Wer räuchert so die Stadt mit seinen Haaren?
Wer ruft, wie er, volltönend sein Hop! hop!
Seht! selbst die Hund' entsetzen sich darob.
Nun glaubt ihr wohl, bei der Gelegenheit
Würd' ich die Schlitten, Stück für Stück beschreiben?
Nein, wahrlich nicht! Schaut, wie der Krittler dräut,
Mich zu dem Vieh' Horazens hinzutreiben!
Und sollte mein Gemälde gleich so weit,
Von Thümmels 2 Schilderei verschieden bleiben,
Als eine Ros' und eine Hyazinth:
Was schiert ihn das, wenn beides Blumen sind?
Burr! rief er nur, da stand das Roß, da that
Die Thür sich auf, da knarrte Nettchens Treppe
Von ihrem Fuß', da rappelte der Rath
Vom Mittagsschlaf' sich auf aus seinem Bette,
[37]
Und kratzt' am Ohr', als wenn beim Amtsetat
Ein Minus sich statt Plus geäußert hätte,
Und Velten sucht', als jagte sie ein Brand,
Des Fräuleins Pelz, und hielt ihn in der Hand.
»Erkälte dich nur nicht, mein liebes Kind,
Und trinke nicht, wenn« – doch, das kann ich sparen.
Ihr Herren wißt ja wohl wie Väter sind,
Wenn ihre Töchter weg zum Balle fahren;
Sie reden da viel Gutes in den Wind.
Doch wär's genug, sie meinem Herrn von Zahren
Anzuvertrauen; denn in seinem Arm'
Und seinem Pelz' fährt sich's so gut und warm.
Von Mädchen ist's – wie meine Base sagt,
Die mit an Beaumont's Magazin geschrieben –
Auf diese Art zu fahren, viel gewagt;
Denn es ist leicht, dabei sich zu verlieben.
Ihr Herren aber, denen nichts behagt,
Was nicht ein autor classicus geschrieben:
[38]
Persuasit amor, vinum, nox – so les't
Ihr im Terentius – humanum est.
Schwatzt was ihr wollt! Mein Nettchen saß im Schlitten,
Blinzt' um sich her, wie alles Augen macht',
Als sie dahin, schnell wie auf Schrittschuhn, glitten.
Der Alte rief noch in der Thür': Sacht! sacht!
Da aber half kein Rufen und ein Bitten,
Denn an den Alten ward nicht mehr gedacht;
Das klügre Pferd hemmt' aber seinen Lauf
Gar bald von selbst; ein Wagen hielt es auf.
Der Fuhrmann hielt gerade vor dem Hause
Des Sekretärs, und sein Bedienter Klas
Versichert uns, daß, während dieser Pause,
Das Fräulein an der Haut der Lippen fraß,
In ihrem Schlitten, wie zur Zeit der Mause
Ein Vogel im Gebauer, traurig saß;
»Denn,« sagt er, »sie sah Zahren gar nicht gern,
Und sucht' am Fenster sehnlich meinen Herrn.«
[39]
Doch, dieser war bereits bei einem Freund'
Am Markt', um hier den Zug mit anzusehen.
Itzt wußt' Antonia sich, wie es scheint,
Nach Zahren, ha! so freundlich umzudrehen,
Daß Adlerkant, der sonst so leicht nicht weint,
Mit Thränen weg vom Fenster mußte gehen;
Selbst seines Vaters Grabgeläut durchdrang
Nicht tiefer ihn, als dieser Schellen Klang.
»Je!« sprach sein Freund, »was fehlt dir? wie die Wand
Wird dein Gesicht! wie ist dir? doch nicht schlimmer?« –
»Ach! Liljenthal!« erwiedert' Adlerkant,
»Ach! sahst du nicht, wie sie mit Zahren, immer
Bald was zu sprechen, bald zu lachen, fand?« –
»Ho ho! sonst nichts? du kennst die Frauenzimmer,
Das merk' ich wohl, von Einer Seite nur;
Und kommst du nun erst auf die rechte Spur?
[40]
Hab' ich dir nicht schon tausendmal gesagt:
Laß doch den Adel! denn, von Vorurtheilen,
Eh' die Vernunft in düstern Köpfen tagt,
Den, dessen Werth von ihnen abhängt, heilen:
Das heißt so was wie Don Quichott gewagt,
Und wer Windmühlen stürmt, empfänget Beulen!
Nun siehst du selbst, wie bald die falsche Scham
Aus Nettchens Kopf und Brust dein Bildniß nahm.« –
»Ach! alles wahr! und alles gäb' ich drum,
Wenn Brunnenhain nur nicht von Adel wäre!
Doch, da er's ist, so sey es auch darum!
Und Nettchen wandte sich, bei meiner Ehre!
Aus Welt, aus Höflichkeit nach ihm nur um;
Denn, lieber, bester Liljenthal, ich schwöre
Dir zu, sie liebt so sehr, so herzlich mich,
Und mich allein, als ich vielleicht kaum dich!« –
»Gut, Adlerkant! sie mag von Adel seyn!
Ist sie erst deine Frau, und aus dem Kreise
Des Adels weg, so machen Schmeichelein
[41]
Mit Ernst gemischt, sie endlich noch wohl weise;
Doch fällt mir – sieh nicht sauer – manches ein,
Warum ich Nettchens Liebe noch nicht preise.
Ich sehe wohl, das Ding verdrießt dich baß;
Das macht dein Ideal; doch weißt du was?
Die Mädchen besser glauben, als sie sind,
Macht nicht dem Kopfe, nur dem Herzen, Ehre.
Wächst denn beim Mann' die Tugend so geschwind
Ohn' alle Pfleg' und Wartung? Pa! Schimäre!
Wie denn bei Mädchen, welche, bloß dem Wind'
Und Wetter überlassen, nur die Scheere
Der Mod' und der Verstellung, für die Welt
In gleicher Piramidenform erhält?
Was ist ihr Herz? ein Sieb für Kleinigkeiten!
Was schätzen sie? Verstand vielleicht, und Witz,
Und Sitten ohne Tadel? Albernheiten!
Das sinnliche Vergnügen ist der Blitz,
Der sie entzündet. Glaub' mir, hundert streiten
Mit Ränken sich um eines Narrn Besitz,
[42]
Indessen selten nur ein edler Mann
Von stillem Werth' sich geltend machen kann.
Sey lang von Wuchs, beblecht, und voll von Wade:
Das gibt Verdienst!« – – Hier hielt er plötzlich ein.
Ein Mysogyn wird sagen: das ist Schade!
Doch sollt' er nur an meiner Stelle seyn;
Man reimt, und reimt, und doch will die Tirade
Kein Ende nehmen. Komm denn nur herein,
Du guter Klas! willkommen ist dein Brief,
So deinem Herrn, der weint', als mir, der schlief.
»Ha Liljenthal, sieh! ich bin Steuerrath
Mit tausend Thalern! lies hier selbst das Schreiben
Von dem Minister! Soll ich nun zur That
Das, was mein Herz beschloß, gleich morgen treiben?
Ich hoffe ja, der alte Kriegesrath
Wird wider mich so sehr sich wohl nicht sträuben;
Und Nettchen – o, die Musen schmückten nie
Ein Mädchen schon so herrlich aus, als sie!« –
[43]
»Nun! meinethalb! Wem nicht zu rathen steht,
Dem steht auch nicht zu helfen. Zwar ich hätte
Noch einen Vorschlag.« – »Gut! laß hören! geht
Er irgend an, so –« – »ja! was gilt die Wette?
Komm mit mir gleich nach Heideplan. Versteht
Die Wirthin Spaß, so ist im Kabinette,
Dem Saal' wo Nettchen tanzet neben an,
Gelegenheit, daß man sie sehen kann.« – –
»So warte doch! Ist das nicht eine Wuth?
Erst mußt du noch dir eine Wildschur borgen,
Wie Zahren hat, hier ist mein Federhut 3;
Fürs übrige, da laß du mich nur sorgen.
Genug, ich bin dir heilig dafür gut:
Entweder soll dein liebes Mädchen morgen
Schon deine Braut – nicht wahr, das gehst du ein? –
Wo nicht, gleichgültig dir wie jede seyn!« –
[44]
Mit Riesenschritten ging der Sekretär
Nach Hause, zu dem Abenteuer, eilig
Sich anzukleiden, als von ungefähr
Der Kriegsrath ihm begegnet. Sehr erfreulich
War's unserm Alten, daß mit einmal der,
Den er dem Fräulein Tochter nur noch neulich
Zum Manne vorgeschlagen hatte, schon
In Wurf ihm kam zu seiner Gratulation.
Und Adlerkant fing schon zu stottern an:
»Wenn nun mein Glück nur gleich vollkommen wäre –«
Als er sich noch zu rechter Zeit besann,
Da Liljenthal zum Handel mit gehöre.
»Doch,« fuhr er fort, »Herr Kriegesrath, ich kann
Itzt nicht verziehn; ich hab' indeß die Ehre
Noch morgen früh« – »Recht gerne, in der That,
Herr Steuerrath! recht gern, Herr Steuerrath!«

Fußnoten

1 Ein durch sein Universalpulver bekannt gewordener Arzt.

2 Der auch eine Schlittenfahrt in der Wilhelmine beschreibt.

3 Liljenthal war selbst von Adel.

[45] Sechster Abschnitt

Kaum hüllt' in Dunkel sich der Abend ein,
Als sie vermummt die Stadt zu Fuß verließen.
Am Thore schon sah Adlerkant den Schein
Des Lichts von Heideplan; auf einmal ließen
Sich die Trompeten hören, dießmal kein
Ganz angenehmer Ton; an Händ' und Füßen
Fing Adlerkant vielmehr zu zittern an,
Und stand, und wollte näher nicht heran.
Sein Freund indeß sprach frischen Muth ihm ein,
Zog an der Hand ihn durch die Hinterpforte
Ins Haus, traf just die Wirthin hier allein,
Und gab ihr gleich so süße gute Worte
Aus seinem Beutel, daß sie Hals und Bein
[46]
Fast auf der Treppe brach, sie nach dem Orte,
Den wir schon wissen, zu begleiten. – Still!
Ihr Herren, still! wer mit uns horchen will!
»Sieh hier durchs Schlüsselloch! dort an der Wand
Steht Nettchen und ihr süßes Närrchen, Zahren.
Sie reibt zum Punsch' mit ihrer zarten Hand
Zitronen ab, er aber preßt bei Paaren,
Der schwache Tropf! sie aus, und beugt galant
Sich über die Terrin', herabzufahren
In Nettchens Busen mit dem frechen Blick'!« –
»Sie zieht sich doch,« sprach Adlerkant, zurück?« –
»Den Teufel auch!« rief Liljenthal. »Sie steht –
Doch komm nur her, und sieh du selbst statt meiner!« –
Indem er nun zum Schlüsselloche geht,
Setzt' eben sich aus der Gesellschaft Einer
Gerade vor die Thür. »Ei! seht doch, seht!
Ich glaube fast, du Schelm, du spottest meiner!
[47]
Denn, Liljenthal, dort flimmert wohl so was;
Doch sehen kann ich, wahrlich! auch nicht das!« –
»So bist du blind! Laß sehn! – Ha wie sie wehrt,
Er soll zum Punsch' doch keinen Rack mehr gießen;
Er aber läßt sie immer, ungestört,
Die Flasche halten, trippeln mit den Füßen,
Und böse thun.« – Wie Adlerkant das hört,
Scheint es ihn schier ein wenig zu verdrießen;
Als er es aber selbst mit Augen sieht,
Erzittert ihm vor Wuth ein jedes Glied.
Und Nettchen ward von Zahren aufgezogen
Zum Tanze, den der wilde Deutsch' erfand.
Schnell hüpfte zwar der leichte Fiedelbogen
Auf Zahrens: »Presto!« in des Geigers Hand,
Doch selbst zuvor den Sechszehntheilen flogen
Des Fräuleins Füßchen; wie ein Kräusel wand
Sie sich herum, und einem Segel glich
Ihr seidner Rock, so bläht' im Wind' er sich.
[48]
Doch Adlerkant vermocht' es länger nicht
Mit anzusehn, sank auf der Wirthin Bette,
Sprang aber, so verstört im Angesicht',
Als wenn er einen Freund ermordet hätte,
Mit einmal auf. »Nun thu' ich gern Verzicht,
Mein lieber Liljenthal, auf die Kokette,
Die Schlange die! Komm! komm und laß uns gehn!
Ich mag sie nie mit Augen wieder sehn.« –
»Nun? welche Fliege mag so arg dich stechen?
Ich sehe wohl, sie walzt mit Zahren hier;
Doch ist denn das ein Kapitalverbrechen?
Gesetzt den Fall, sie walzte nun mit dir?
Ist's weiter nichts, so wirst du anders sprechen,
Sind wir nur erst zweihundert Schritt' von hier.« –
»So wahr« – Was? schwöre nicht darauf!
Ich kenne – still! still! die Musik hört auf!« –
Und keuchend ließen beide Tänzer sich
Auf Stühlen vor der Kammerthüre nieder.
»Ich muß gestehn, Sie übertreffen mich!«
[49]
Sprach Nettchen, als sie kaum zu Athem wieder
Gekommen war. »Schachmatt, schachmatt bin ich!
Doch Sie, Sie tanzten noch drei andre nieder.« –
»Soll ich?« rief Zahren. »'S schlimmst' ist nur dabei,
Die übrigen sind wie ein Klumpen Blei.«
»Sie loser Mann! wer will so medisiren?
Dafür gehört sich Strafe!« – und ein Schlag
Von ihrem Fächer mußt' ihn überführen,
Die Schmeichelei, die in dem Klumpen lag,
So plump sie war, sey, Weibes Herz zu rühren,
Noch fein genug. Man kommt damit im Tag'
Auch weiter, als Herr Adlerkant im Jahr'
Mit seinem stillen Blick' gekommen war.
Doch Schmeichelei bringt nicht allein ans Ziel;
Musik und Tanz hilft schon ein wenig weiter;
Erregt, in Spröden selbst, so ein Gefühl,
Das sehr behagt, macht ihre Stirnen heiter,
Ihr Auge stralend, und ein Pfänderspiel
[50]
Beim Punsch' – kurz, sehet da die Leiter,
Auf der geschwind, ohn' offenbaren Krieg,
Mein Zahren still ins Herz des Fräuleins stieg.
»Wie wär' es? gnäd'ge Frölen,« sagte Zahren,
»Wir warteten heut' Abend bis zuletzt?
Am sichersten ist's hinterher zu fahren;
Denn, was ich nicht befürchte, doch gesetzt,
Der Schlitten fällt, so wird, Gott soll bewahren!
Der gleich zu Muß getreten und zerfetzt,
Wer in dem Wege liegt.« – »Ach! nein denn, nein!
So lassen Sie uns ja die Letzten seyn.« –
Kaum hörte dieß der Herr von Liljenthal,
Als er geschwind noch einen Plan erdachte,
Den armen Adlerkant von seiner Qual
Schnell zu befrein. Doch, was ihm Sorge machte,
War, daß sein blöder Freund zum erstenmal
Ein Ding, woran er schon mit Zittern dachte,
Mit eigner Hand thun sollt', und (Wunder! schreit
Der Autor hier, weil's reimt,) er war bereit!
[51]
Des Steuerraths Veränderung ist zwar,
Wie der Verfolg die Herren selbst wird lehren,
So ziemlich rasch und deßhalb sonderbar.
Doch wißt ihr, Lieb' und Eifersucht verkehren
In einen Tiger, was ein Lämmchen war.
Hier durften sie, was euch vielleicht Schimären
Und Possen sind, im Herzen nur zerstreun. –
Doch seht! sie brechen auf und steigen ein!
Der Herr Assessor stand bereits und neckte
Antonien, die gern geschehen ließ,
Daß er ihr Füßchen in den Fußsack steckte,
Als Liljenthal, der dieß dem Bräut'gam wieß,
Herab flog in den Hof, und ihm entdeckte:
Sein Tod und Leben, Höll' und Paradies,
Hang' ab von einer wichtigen Heimlichkeit;
Sie zu entdecken sey die höchste Zeit.
Und Zahren bat sich einen Augenblick
Erlaubniß aus von Nettchen. Jene sprangen
Ins Haus hinein. Wir gehn indeß zurück
[52]
Zu Adlerkant. Mit glühend rothen Wangen
Kam er, als Liljenthal sein Meisterstück
Gelungen war, die Trepp' herabgegangen,
Und Zahren gleich gekleidet (wie vorhin
Wir schon bemerkt,) zu Nettchens Schlitten hin;
Sprang auf die Pritsche, nahm die Zügel, gab
Dem Gaul' die Zung', und fuhr mit lautem Klange
Antonien davon in vollem Trab'.
Als Zahren das vernahm, ward seine Wange
Bald blaß, bald roth; urplötzlich brach er ab,
Und lief und schrie, (denn ihm war mächtig bange,
Das Pferd sey durchgegangen,) »He! ho! he!
Ho! Männchen ho!« und fiel, bardauz! in Schnee.
Ich denk', ihr Herrn, wir lassen ihn da liegen;
Er findet so vielleicht, vom Tanz' erhitzt,
An dieser Art von Abkühlung Vergnügen.
Auch Liljenthal, der weiter uns nichts nützt,
Mag immer gehn, und andre mögen's rügen,
Daß er die Bolzen listig zugespitzt,
[53]
Die Adlerkant, der sonst nicht leicht Verdruß
Im Herzen lange nährt, verschießen muß.
Als er so saß, den weißen Federhut
Ins Aug' herabgedrückt, um Mund und Ohren
Ein Tuch gebunden, hatt' er allen Muth,
Den Liljenthal ihm einsprach, fast verloren;
Auch war er, wahrlich! lange nicht so gut,
Als Zahren, zu der Rolle auserkoren.
Zum Glück', daß ihm die Nacht zu Hülfe kam,
Und Nettchen ihn für den Assessor nahm.
»Nun? was war das? was gab's denn dort? wen schickte
Der Kuckuck da noch?« – Adlerkanten schlug
Das Herz zwar sehr, doch was er sprach, erstickte
Zum guten Glück', sein vorgebundnes Tuch.
»Ei!« sagte Nettchen, als sie dieß erblickte,
Das machen Sie, bei meiner Treue, klug!
Die Lippen springen Einem leicht sonst auf.« –
»Ja freilich!« murmelt' Adlerkant darauf.
[54]
Itzt ist es Zeit, dacht' unser Adlerkant,
Denn die Gelegenheit kommt niemals wieder!
Rasch ausgeführt, was Liljenthal erfand!
Hier sank sein Mund in Nettchens Nacken nieder.
Mit Seufzen drückt' er ihre warme Hand,
Und zärtlich drückte sie die sein' ihm wieder;
Drob brummt' er einen halb erstickten Fluch
Auf Nettchen her, und biß vor Wuth ins Tuch.
Itzt fühlt' er Muth, das letzte noch zu wagen,
Was Liljenthal ihm rieth. Er schlich empor
Zu Nettchens Busen, kam auch ohne Zagen,
(Denn nur die Lieb' ist zaghaft,) an den Flor:
Doch fühlt' er kaum ihn sanfte Wellen schlagen,
Als sich beinah so Muth als Wuth verlor;
Doch der Gedanke: Zahren ist's, nicht du!
Führt seine Hand rasch auf den Busen zu.
Als erst der Feind auf dem Glacis nur stand,
Da setzte Nettchen mit dem halben Heere,
(Das andre war in des Belagrers Hand)
[55]
Sich freilich auch, nur, halb beherzt, zur Wehre;
Doch als er alle Schanzen überwand,
Rief sie dem Sieger zu: »Bei meiner Ehre!
Ich werde böse; Herr von Zahren! – Nein!
So gehn Sie doch! – Wie? heißt das artig seyn?« –
Doch Liljenthal hatt' ihm das auf ein Haar
Vorhergesagt, sonst würd' ihm ziemlich bange
Geworden seyn; itzt aber küßt' er gar
Noch oben drauf des Fräuleins heiße Wange;
Und, weil es nun einmal nicht anders war,
Gab Nettchen, voller Großmuth, selbst, dem Zwange
Gutwillig nach, und legt' aufs Bitten sich;
Und dabei blieb's, bis er von selber wich.
Drauf fuhr der Schlitten vor des Vaters Thür'.
»Ei!« rief der Alte, »guten Abend, Nette!
Denk, Adlerkant – die Freude wollt' ich dir
Erst machen, und ging drum nicht eh' zu Bette –
Ist Steuerrath mit tausend Thalern! dir
Ist das doch auch wohl angenehm? ich wette! –
[56]
Nun, Herr Assessor! kommen Sie herein!
Sie werden so wohl halb erfroren seyn.«
»Ich bin nicht, wie Sie sehn, der Herr vonZahren,«
Sprach Adlerkant, und band sein Tuch sich ab,
»Doch ist mir's lieb, daß ich beim Schlittenfahren,
Mir, gnäd'ges Fräulein, seine Rolle gab.
Die weitr' Erklärung, denk' ich, kann ich sparen.«
Drauf wischt' er sich geschwind die Thränen ab,
Und ging, ohn' einmal noch sich umzusehn,
Und ließ, gerührt vom Blitze, Nettchen stehn.

Notes
Erstdruck: Wien (Gerold) 1783, unter dem Titel »Adlerkant und Nettchen« und unter dem Pseudonym J. C. Meißner.
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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Die Schlittenfahrt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E208-1