[176] An Herrn von Heß, in Hamburg 1

Berlin, den 1. October 1795.


Ei! Ei! Weil ich nicht bis ans Grab
Im Harzgebirge bin geblieben,
So brichst du über mich den Stab,
Und in dem Urtheil' steht geschrieben:
»Der Ehrgeitz hat ihn weggetrieben!« –
Vielleicht des Herzens edler Drang,
Je mehr, je besser auszusäen? –
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Nein! du gibst deutlich zu verstehen:
»Die Sucht nach Titeln und nach Rang!«
Da haben wir's! Der einst, zum Schein',
Laut gegen Kriecherei gesprochen,
Hat selbst sich Titel nun erkrochen,
Hat schimpflich sich durch Schmeichelein
Zur Sylbe »von« die Bahn gebrochen.
Ja freilich! Wenn dem also wäre,
So wär' es schlimm genug für ihn;
Der Schatten selbst von wahrer Ehre,
Trotz seinem Ehrgeitz', müßt' ihn fliehn.
Doch ist's an sich uns kein Verbrechen,
Empor zu steigen: dann so laßt,
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Wenn Ihr ein Endurtheil verfaßt,
Die Wahrheit auch ein Wörtchen sprechen.
Der Muse Thränen würden zwar
Mit vollem Recht' die Leyer netzen,
Vergäße bei Cujaz Gesetzen
Ein Wieland sie auch nur ein Jahr;
Wer will ihn missen? Wer ersetzen?
Doch ob ich tausend Reime mehr,
Ob tausend minder hinterlasse:
Wen kümmert das? Mich selbst nicht sehr,
Am wenigsten die große Masse
Der Nation.
»Nun gut! Allein
Es macht dem Philosophen Ehre
Mit seinem Glück' zufrieden seyn;
Denn Rang und Titel sind Chimäre!«
Das hab' ich immer selbst geglaubt;
Doch folgt daraus: Es sey erlaubt,
Bloß nach Bequemlichkeit zu leben,
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Bevor um das gesenkte Haupt
Noch dünne Silberlocken schweben?
Soll, wer aus Neigung oder Noth,
Nach irgend einem Ziele strebte,
Der Auster gleich, nur da den Tod
Erwarten, wo er fest sich klebte?
Soll er vom erstern, nahen Ziel',
Wenn edler Muth und Kraftgefühl
Ihm des entferntern Preis verheißen,
Nicht wagen, kühn sich loszureißen?
Erkriecht dieß ferne Ziel der Thor
Um Titel, Rang und Friedrichsdor:
Gibt's darum keine beßre Preise?
Nur Zeit und Kraft bezahlt der Staat,
Durch Selbstbewußtseyn guter That
Bezahlt sich selbst die That der Weise.
Mich schämen sollt' ich billig wohl,
Nun in der Hauptstadt gar zu leben?
Und strenger Moralisten Groll
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Darf, scheint es, mir es nie vergeben,
So hoch hinauf geklimmt zu seyn?
Was aber kann ich für den Schein?
Nie hatte meine Phantasie
Sich beides je zum Ziel' erkohren;
Noch mehr: Um beides hab' ich nie
Ein Wort, selbst keinen Wunsch verloren.
Daß ich dem ehrenhaften Winke
Des Königs folgt': Ist dieß ein Grund,
Daß ich in deiner Achtung sinke?
Und dieses machst der Welt du kund?
Doch sicher wird es dich gereuen,
Und Rang und Titel mir verzeihen,
Kommst du nur selber nach Berlin,
Und findest, daß ich hier geblieben,
Was ich zu seyn in Ellrich schien,
Und daß mich alle die noch lieben,
Die irgend mich geliebt zuvor.
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Wer, vorwärts von dem Glück' getrieben,
Die Weisheit unterwegs verlor,
Hätt' er wie Salomo zuvor
Auch gleich geredet und geschrieben,
Ward drum nicht weniger ein Thor.

Fußnoten

1 Hr. v. Heß hatte in seinen Durchflügen durch Deutschland (1. Th. S. 113.) dem Verfasser vorgeworfen, daß er die Musen abgedankt, daß er sich in Ellrich ennuyrt habe, daß er sich durch seine Verse gern zu einer Ministerstelle hätte aufschwingen mögen, und daß er nun als Herr von Göckingk seinem Ehrgeitze in Wernigerode fröhne. – Diese Epistel, im Berliner Musen-Almanach für 1795. abgedruckt, ist die Antwort auf diese Vorwürfe. Der Verfasser war indessen zum Geheimen Oberfinanzrath in Berlin ernannt worden.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Herrn von Heß, in Hamburg. An Herrn von Heß, in Hamburg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E185-2