[161] An die Dichterin Karschin, in Berlin

Magdeburg, im December 1787.


Du glaubst, ich hätte dich vergessen?
Ein wahrer Freund vergißt uns nicht!
Gestehen muß ich es indessen
Mit hell erröthendem Gesicht':
Zu lange hab' ich schon geschwiegen,
Zu schlecht gehalten dir mein Wort!
Ach! drei von deinen Briefen liegen
Laut mahnend, leise zürnend, dort!
Weg sollte längst die Antwort fliegen,
Ist aber leider! noch nicht fort.
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Doch hab ich Ursach' zu erröthen?
War denn das Schweigen meine Schuld?
Wie? Hatten mich so tief die Flöten
Der Liebesgötter eingelullt,
Daß ich im Sybaritenschlummer
Von meiner alten Freundin Kummer
Auch selbst in Träumen nichts empfand?
Lag ich, von ihrer zarten Hand
Gestreichelt, in Fortunens Schooß,
Und dachte: Hast das große Loos,
Was kümmern dich der Freunde Nieten?
Und konnt' ich, (wie die Henn' im Brüten
Nicht einen Augenblick ihr Nest,
Trotz allen Lockungen, verläßt,)
Mein Pult so lange nicht verlassen,
Um dich, die wartend vor mir stand,
Bei der von Sorgen welken Hand,
Die so viel Schönes schrieb, zu fassen?
Wenn ich der Karte Matador
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Weit mehr als meine Leyer schätzte,
Und einen Hasen lieber hetzte,
Als durch ein Lied der Freundin Ohr,
Wie vor zwei Jahren noch, ergötzte;
Wenn nicht, wie sonst, ich inniglich,
Noch deine Sorgen jetzt empfände:
O dann vergiß, verachte mich!
Denn mit der Freundschaft wär's am Ende.
Mein waren freilich tausend Stunden,
Seitdem von meinem letzten Laut'
Der Nachhall deinem Ohr' entschwunden;
Doch war ich, wann der Abend graut',
An meinem Geiste so geschunden,
Wie Marsias an seiner Haut.
Streich' diese Zeit von meinem Leben,
Wie billig, auf der Rechnung aus,
Dann kommt vom ganzen Jahr' nur eben
Ein voller freier Tag heraus.
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Nicht wahr: Nun wirst du mir vergeben?
Doch sag' ich nicht: Bedaure mich!
Nein, nein! denn diese Spanne Leben
Zu nehmen wie sie ist, wird Pflicht.
Dieß, dieß nur kann den Muth erheben,
Bedauren aber hebt ihn nicht.
Sprich lieber: »Drückt dich da der Schuh?
O laß den Blick umher nur wandern!
Schließt Unabhängigkeit nicht andern,
Die alle besser sind, als du,
Das Pförtchen vor der Nase zu?
Darf manches Lied, das ich gesungen,
Vergleich mit Sappho's Liedern scheun?
Und dennoch ließe sich's verzeihn,
Wär' ich, die Leyer fest umschlungen,
Vom Felsen in das Meer gesprungen.
Ich blieb, und bin doch nur ein Weib!
Trag du denn auch dein Joch durchs Leben!
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Kannst du mir schreiben? Wohl! so schreib!
Wo nicht? Ei nun! In jenem Leben
Wird's keine Sorgen für den Leib
Und keine Kanzeleien geben.«
So, liebe Freundin, hör' ich's gern!
Mir wird ein solches Wort zum Stern',
Auf dunkelm Pfad' nicht zu verzagen;
Doch würdest du mich bloß beklagen:
Unglücklicher möcht' ich vielleicht
Als ich schon wirklich bin, mich halten;
Denn ach! die Eigenliebe schleicht
Sich in des Herzens engste Falten,
Und ist die letzte, die entweicht.
Der Freund, der uns nicht helfen kann,
Mag auch sein Mitleid an sich halten,
Und ruf' uns mit anscheinend kalten
Humor, statt dessen zu: Sey Mann!
Der Feige nur wird drum ihn hassen,
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Ihn, der als Freund erprobet war,
Und für uns – könnt' er es – gelassen
Gern trotzen würde der Gefahr.
Soll das, was Weisheit von uns heischt,
Ein Freund von uns zu heischen, zagen?
Ein solches Mitleid, Freundin, täuscht
Das Herz, wie Schneemilchschaum den Magen.
Und ach! der letztere Betrug
Wird allemal der schlimmste werden.
Nur Muth! Nur Muth! So ist auf Erden
Der Mensch sich selbst noch Trost genug.
Darum bewahr' dich Gott, (dein Joch
Ist schwer genug!) vor Leutchen doch,
Die dich mit kaltem Troste kosen,
Und dir so leicht mit Myrth und Rosen,
Zum wenigsten mit Thimian,
Wenn andern sie, als sich, ihn gönnten,
Den kurzen Rest der Lebensbahn'
Bis an das Grab bestreuen könnten.
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O! liebst du dich, und mich dazu,
So wirst du nichts von ihnen hoffen.
Gleim lebt noch; überlebst ihn du,
So steht mein Arm, mein Haus dir offen.
Leb' wohl! der Morgen kommt! Betroffen
Schließt er mein müdes Auge zu.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An die Dichterin Karschin, in Berlin. An die Dichterin Karschin, in Berlin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E0FE-9