[26] Vierter Abschnitt

Solch ein Adon schien der Assessor Zahren,
(Ein Edelmann, versteht sich schon!) zu seyn,
Von schlankem Wuchs' und vier und zwanzig Jahren,
Im Tanzen schwipp, in Komplimenten fein.
Schon die Frisur von seinen blonden Haaren
Eroberte viel Herzen ganz allein;
Doch trug sein Wagen, fein lackirt, und neu
Von Form, wohl auch das Seinige mit bei.
Das seltne Glück, bei allen Frauenzimmern
Gelitten seyn, war Zahrens Eitelkeit
So eben recht. Um Liebe viel zu wimmern,
War nichts für ihn, und mit Verschlagenheit
Erst nach und nach ein gutes Herz verschlimmern,
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Wie Naso räth, erfordert lange Zeit;
Drum paßt' er gern den Augenblick recht ab,
Wenn ihm sein Feind von selber Blöße gab.
So macht' ihm einst, beim Schluß' der Menuet,
Antonia, mit einer solchen Miene,
Die mehr, als man wohl sagen will, verräth,
Den Knicks so tief und achtungsvoll, als Phryne
Vor reichen Britten. »Ei! so hoch am Brett'?
Glück zu! Glück zu!« zischt' ihm der Graf Melüne
Vertraut ins Ohr. »Soll's etwa gar einmal
Ernst werden? so gefällt mir deine Wahl!«
»Ernst? was für Ernst? heirathen? ha, ha, ha!
Da irrst du dich, mein lieber Graf; mich sollte
Der Teufel eher holen, als ich Ja!
Am Traualtar' zu Einer sagen wollte.
Was ist's denn nun, daß ich dem Mädchen da
Ein bißchen mehr Tribut als allen andern zollte?
Ich bin ihr gut! es fällt ihr selbst nicht ein,
Ich würd' ein Narr um ihrerwillen seyn.«
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Man muß, rieth Sancho schon, das Eisen schmieden,
So lang es warm ist. Zahren hatte sich
Von Nettchen kaum mit einem Kuß' geschieden,
Als er den Bart von Daunen wacker strich,
Am Schnupftuch' sog, und ohne zu ermüden,
Zehn Plan' erfand, betrachtete, verglich,
Ja! was selbst Eulern sauer werden mag,
So saß und sann, bis an den hellen Tag.
Denn Phöbus brachte seinen goldnen Wagen
Schon aus dem Meer' und wieder in den Gang,
(Zu deutsch, Madam, es hatt' acht Uhr geschlagen!)
Als Zahren auf vom heißen Sopha sprang,
Und endlich nun herab in seinen Magen
Den Schokolat so selbstzufrieden schlang,
Als Schweppermann, wenn Hübner sonst nicht log,
Nach einer Schlacht, zwei Eyer in sich sog.
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Denn ausgedacht war nun der große Plan,
An Nettchen sich nach Herzenslust zu letzen. –
»Zum Glück' ist jetzt die schönste Schlittenbahn;
Sie darf sich nur in meine Muschel setzen,
Ich, hinten auf; fort geht's nach Heideplan 1!
Und, um doch nicht den Wohlstand zu verletzen,
Soll der und die von der Partie mit seyn;
Das übrige bleibt meine Sorg' allein.«
Hier trat la Fond im Müllerweißen Rocke
Zur glücklichen Minnt' in Zahrens Thür.
»Hör, Kerl! sitzt heute mir nach Wunsch die Locke,
So – siehst du! – dein ist dieser Gulden hier;
Sonst –« Hier wieß Herr von Zahren nach dem Stocke.
Der Franzmann war ein sehr gelehrig Thier;
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Denn, ehe noch zwei Stunden ganz entflohn,
Saß Zahren, wie ein Prinz, im Wagen schon.
Itzt hielt er still. Der Alte stürzt' hervor,
Umarmt' ihn fest mit drei herzhaften Küssen.
Der Jüngling bat; allein des Alten Ohr
War taub. Er brummt' im Baß' von Hindernissen,
Dem Zahren so im schmeichelnden Tenor'
Akkompagnirt: »Herr Kriegesrath, Sie müssen!
Denn, mon Dieu! 's ist wahrlich nicht erlaubt,
Daß man so jung uns die Plaisirs schon raubt.«
»Ei! welch Plaisir, mein lieber Herr Assesser,
Wenn man da braun und blau im Schlitten friert?
Da ist es hier beim warmen Ofen besser!« –
»O ho! fiel Zahren ein, der Grund verliert
Sich von sich selbst. Wär' auch die Kälte größer,
Als sie itzt ist: im Pelz' und Fußsack' friert
Man nicht so leicht.« – Stopft ein, Johann, stopft ein,
Rief, voll Verdruß der alte Brunnenhain.
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Itzt war es Zeit, die Art Beredsamkeit,
Die ihres Zwecks nie fehlet, anzuwenden,
Durch die verführt, vor noch nicht langer Zeit,
Ein Priester selbst es wagte, den zu schänden 2,
Vor dem er sonst in Unterthänigkeit
Sich bückte, bis an seines Mantels Enden:
Denn gestern war der Mann der Erst' im Reich',
Und heute früh dem Dieb' im Kerker gleich.
Kurz, Zahren nahm dem wartenden Lackein
Sein Päckchen ab, und, denkt euch das Entzücken!
Die dickste Rolle Knaster, suprafein,
In Zahrens beiden Händen zu erblicken.
Der Alte saß und stotterte: »Nein! nein!«
Fing aber doch mit unter an zu nicken,
Und rascher zog der Rauch ihm um den Bart,
Doch stand's so so noch um die Schlittenfahrt.
Denn Nettchen sah ein wenig schnippsch dazu,
Daß man ihr so Erlaubniß kaufen wollte,
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Als aber sich, vom Busen bis zum Schuh',
Aus Zahrens Hand ein Pelz von Grauwerk rollte,
(Ach! Adlerkant! du armer Schlucker, du!)
Der mit dem Pelz' von Hamster tauschen sollte,
Sah sie so hold den Pelz und Geber an,
Wie manche Frau den Sarg, und drinn – den Mann.
(Der Assessor).
»Viktoria! die Schlittenfahrt ist richtig!«
(Das Fräulein).
»Gefangen ist der reichste Kavalier!«
(Der Kriegsr.).
»Die Roll' ist doch wahrhaftig ziemlich wichtig!«
(Jungf. Velten).
»Nun! jedem was! ist bald die Reih' an mir?«So komponir' ich diesesmal nur flüchtig
Ein Quadro, das nach eigener Manier
In Partitur ein jeder setzen kann;
Ich gebe nur den Generalbaß an.
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Wie, wenn im Klub der Geldentblößte Zecher
An einen, morgen zahlbarn, Wechsel denkt,
Und, eben noch der Schwänkereichste Sprecher,
Mit einem Mal' den Kopf verstummend senkt:
So senkte sich auch Fräulein Nettchens Fächer,
Als sie die Einbildung zur Unzeit kränkt,
Und Adlerkanten ihr am Fenster zeigt,
Wie er zurück vor ihrem Schlitten fleugt.
Unedel gradezu dem edlen Mann'
Begegnen, das wagt selbst ein König selten;
Denn, selbst bei dem, der ihn nicht lieben kann,
Wird doch sein Werth, wie alte Thaler gelten.
In Nettchens Aug' ist Zahren schon ihr Mann,
Und dennoch muß sofort noch Jungfer Velten
Zu Adlerkant, und klagen, daß der Rath
Ihr Fräulein zwingt, bloß weil ihn Zahren bat.
Die Nachricht wollt' ihm nicht so recht behagen;
Ein süßer Herr, wie Zahren, war ihm schier
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In der Natur am schwersten zu ertragen:
Und diesen, auf den Schlitten, hinter ihr,
Den Arm vertraut um ihren Arm geschlagen,
Sich vollends denken! Himmel, ach! wofür
Hatt' er geseufzt, gerechnet und geschwitzt!
Allein, gemach! denn künftig ist nicht itzt.

Fußnoten

1 Ein Wirthshaus im Felde, eine halbe Stunde von **, wohin nicht selten Spatzierfahrten geschehen und Bälle gegeben werden.

2 Den Grafen Struensee.


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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Vierter Abschnitt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E081-1