[41] An Herrn ** in P*

Im Mai 1780.


Warum ziehst du junger Mann
Deine Stirne, wie die Alten,
So verdrießlich schon in Falten?
Siehst die Veilchen nicht mehr an?
Hast, wenn Nachtigallen singen,
Nicht, wie sonst, noch Freude dran?
Träumst, wer weiß von was für Dingen?
Wenn wir mit den Gläsern klingen,
Und ein Scherz, ein Einfall, kann
Uns dein Lächeln kaum erzwingen?
Ist ein Mädchen deinen Küssen
Gar zu spröde, trotz dem Mai?
Hat der Tod sie dir entrissen?
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Oder ward sie ungetreu?
Hat man um dein kleines Gut,
Um dein Alles, dich betrogen?
Oder hat den alten Muth
Dir die Schwindsucht ausgesogen?
Nein, du liebst nicht, junger Mann!
Weil die Lieb' und eine Schlange
In dem Busen, keiner lange
Vor dem Freund' verbergen kann.
Nein, du bist noch nicht der Raub
Eines Fiebers; deine Wange
Bleicht noch nicht wie Herbstes Laub.
Und dein Gütchen, wie wir wissen,
Ward von Flammen nicht verzehrt,
Nicht durch Fluthen weggerissen,
Nicht durch Hagelschlag verheert.
Wie? so ist nur deine Rente,
Lieber Jüngling, dir zu klein?
Nicht aus Habsucht! denn wie könnte
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Solch ein Mann mein Freund auch seyn?
Dir versagte die Natur
Bei dem herrlichsten Talente,
Das Talent: zu sparen, nur.
Aber, willst du mich nur hören,
Mich, der nicht mit Sechsen fährt,
Und wohl nie auf eignem Herd'
Wird die Heimchen zirpen hören;
(Sonst auch wären meine Lehren
Dieses Blatt Papier nicht werth!)
O gewiß! der Nachtigallen
Süße Frühlings-Melodein
Sollen wieder dir gefallen,
Und dein Mund bei Scherz und Wein
Wieder lächeln, und von allen
An Gesang der reichste seyn.
Ich, erzogen unter Grafen,
Hüllt' in weiche Seide mich,
Konnt' auf Pflaumenfedern schlafen,
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Und mein Pferdchen, klein wie ich,
Ging bei meiner Schwester Schafen
Auf der Weide, brüderlich.
Wenn mein Lehrer einst für mich,
Mittags, einen Wunsch verrieth,
Fand ich Abends, unterm Teller,
Die Erfüllung schon; wer schied
Je von seinem letzten Heller,
Lieber für sein Kind, und schneller,
Als mein Vater? Dank' o Lied!
Dank' ihm noch in seinem Grabe,
Daß er mir die Weisheit prieß,
Und, was ich im Kopf' itzt habe,
Mir, statt meines Erbtheils, ließ.
Weihrauch soll noch in der Erde
Meinem großen Lehrer 1 glühn!
Was ich bin und was ich werde,
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Ward und werd' ich halb durch ihn.
Daß ich mit gebundnem Flügel
Ruhig sitze hier im Thal',
Da ich sonst dem steilsten Hügel,
Wie der Aar 2 dem Sonnenstrahl',
Gerne zugeflogen wäre,
Zu entfliehen dem Geschmeiß',
Das ich haß': ist größre Ehre,
Als das alles, was ich weiß.
Und woher nun diese Ruhe?
O! mein Vater ließ mich schön,
Trotz der langen Reihe Schuhe,
Auch bisweilen barfuß gehn.
Aus dem weichen seidnen Kleide
Ward oft schnell der gröbste Frieß;
Trotz dem Pferdchen auf der Weide,
Mußt' ich, wenn der Nordwind bließ,
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Hübsch zu Fuß gehn durch die Heide,
Und, statt meines Pfühls von Pflaum,
Einen harten Sack voll Kernen
Unterm Kopfe, ohne Traum,
Ohne Wälzen, schlafen lernen.
Alle Freuden dieses Lebens,
Die ein reicher Mann genießt,
Und um die ein Thor vergebens
So viel Thränen oft vergießt,
Lernt' ich, weil sie doch das Glück
Wenigen nur kann gewähren,
Nicht, verachten, nur entbehren:
Eines Lehrers Meisterstück!
Wär' ich nicht ein armer Wurm,
Wenn ich auf dem Harz nicht Sturm,
Schnee und Reif ertragen könnte?
Wär' ich nicht ein armer Tropf,
Wenn mein Auge mir im Kopf'
Ueber Kutsch' und Pferde brennte?
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Ha! sieh her! den Gemsen gleich,
Kann ich unter Donnerwettern,
Ruhig auf den höchsten Zweig
Der gezackten Felsen klettern.
In dem Frack' von Bergopzoom
Lach' ich mehr in einem Jahre,
Ja vielleicht in einer Nacht,
Als der Vater Pabst zu Rom
In dem purpurnen Talare
Während seines Lebens lacht.
Keinen Heller bin ich schuldig:
Ist denn das nicht reich genug?
Sahst du je mich ungeduldig,
Wenn das Glück mir Knipchen schlug?
Besser ist's, die Menschen sagen:
Dreimal mehr verdientest du!
Als daß Weise spöttisch fragen:
Sagt, wie kam der Narr dazu?
Sieh! ich zwing' im schlichten Kleide
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Selbst dem Wuchrer Achtung ab,
Denn gewiß, wir fühlen beide,
Daß mein Herz mir manche Freude,
Ihm sein Gold nur Sorge gab.
Sieh! vor meines Herzens Kälte
Und der Flamm' in meinem Blick',
Tritt, verlegen, er zurück,
Weil ich für sein Bubenstück,
Schweigend einen Schelm ihn schelte.
Niemals drängt' ich mich hinan
Zu den Großen dieser Erde;
Aber wenn ich einem Mann'
Etwa zugestoßen werde,
Der nicht Rang verläugnen kann:
O der bleib' ein Thor für sich!
Ich, ich komm' ihm niemals wieder.
Schätzest du, o Großer, mich?
Wohl! so laß dich auch hernieder,
Und so habe Muth genug,
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Mich, wie ich da bin, zu nehmen,
Und dich meiner nicht zu schämen,
Weil auf seinem Kriegeszug'
Nicht auch meinen Urgroßvater
Kaiser Karl zum Ritter schlug,
Und, wie dich, mich in den Prater 3
Nie ein goldner Wagen trug.
Aber mehr als Stolz der Großen,
Haß' ich, Stolz der Reichen, noch.
Liebes Glück! du wollest doch
Nur so weit mich nicht verstoßen,
Wie so karg du sonst auch bist,
Daß mich der, nur der nicht rette,
Wenn die Sorg' am Herzen frißt,
Dem die Weisheit ein Gespötte
Und Talent ein Ekel ist.
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O wie leicht ist's, wenn der Noth
Edelmuth, zu fliehn gebot,
Unsern Dank ihm aufzudringen;
Doch, der Eitelkeit ihn bringen,
Das ist schwerer als der Tod!
Sieh! wenn gleich von meiner Wiege
Bis zu meinem Traualtar',
Größtentheils mein Pfad zur Gnüge
Ueberstreut mit Rosen war,
Doch mit unter nun auf Schollen
Oder Stoppel sich verliert,
Dennoch hörst du nie mich schmollen,
Denn ich weiß, wer mich ihn führt.
Wenn ich auch auf jene Höhe,
(Ach! nach der ich Thor sonst hin
Gierig sah, doch nicht mehr sehe,)
Gleich nicht halb gekommen bin:
Dennoch sitz' ich hier am Hügel,
Lächelnd, wenn sich mißvergnügt
[51]
Unter eines Adlers Flügel,
Mancher Zäunert 4 schlau verkriecht.
Aber du? was willst du machen?
Willst du dich hier neben mich
Setzen, und mit Göckingk lachen?
Oder mit dem Zäunert dich
Auf zur Höhe tragen lassen? –
Um dem Reichen gleich zu prassen,
Ist dein Gütchen kaum das Spiel
Zweier Jahre; um dem Leben
Reitz durch frohen Muth zu geben,
Hast du wahrlich schon zu viel.
Lerne, so wie ich, entbehren,
Und genießen was du hast.
Fort vom Tische mit dem Gast',
Dem du ihn mit einer Last
Von Gerichten, sollst beschweren;
[52]
Fort von Leuten, die dich nicht
Länger auf der Zunge tragen,
Als so lang ein goldner Wagen
Und ein Sammtrock für dich spricht.
Wer dich dann noch immer schätzet,
Wenn dein Frack von Bergopzoom
Sich vertraulich zu ihm setzet,
Lieber sich am Napf' voll Rohm
In der Laube mit dir letzet,
Als, zur Statue versteint,
Wenn da gleich Champagner brauset,
An der Fürsten Tafel schmauset:
Der allein war nur dein Freund!
Wer, wie du, der Großen Gnade
Nicht bedarf, auf seinem Pfade
Aus dem Thoren beugen kann,
Und mit Freunden durch das Leben
Wie in einem Tanze schweben:
O wie glücklich ist der Mann!
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Freilich muß an dem Vergnügen
Froher Weisheit, ihm genügen;
Denn was ist sonst wahres Glück?
Aber wirfst du deinen Blick
Von des Nachbars sammtnem Kleide
Schnell auf deinen Frack zurück:
Weg ist alle deine Freude!
Sammt ist freilich warm und weicher,
Und auch ich, macht mich das Glück
Ohn' ein großes Opfer reicher,
Trage, wenn mich friert, ihn wohl;
Aber, wenn ich sorgenvoll,
Um das Sammtkleid zu erwerben,
Nur ein Jahr mich plagen soll,
Will ich gern im Fracke sterben.
Für Bedürfniß hat ein jeder
Seinen eignen Maßstab, Freund.
Wahre Noth drückt ihn entweder,
Oder nur was nöthig scheint.
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Aber, Freund! was ist dir nöthig?
Muß dein Silber vierzehnlöthig,
Muß aus Bacharach dein Wein,
Muß dein Porzelan aus Meißen,
Und ein Rebhuhn nur aus Preußen,
Um recht zart zu schmecken, seyn?
Alles das kannst du dir geben,
Wenn die Klugheit, ohne Rast,
Nur nach diesem Ziel' soll streben;
Doch wie lange wirst du leben,
Wenn du das erlaufen hast?
Wann zum erstenmale wir
Beid' in einem Schauspiel' wären,
Ohne Hoffnung, jemals hier
Noch ein zweites auzuhören:
Würdest du wohl Zeit und Witz,
Aemsig, nur damit versplittern,
Einen recht bequemen Sitz
In den Logen auszuwittern?
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Denn, mein Freund, verlörest du
Deine Zeit mit diesen Possen,
Und der Vorhang fiele zu:
Sag', was hättest du genossen?
Spielt man etwa dir zu Liebe
Noch einmal? Nein! aus ist aus!
Und, kaum hingesetzt, so triebe
Dich der Pförtner schon hinaus.
Dieses Schauspiel ist das Leben,
Und der Sitz ist unser Glück.
Ein Billet ward uns gegeben,
Gültig für ein einzig Stück.
Laß das unsre uns, das binnen
Wenig Stunden schon, vielleicht,
Ein zu frühes End' erreicht,
Im Parterr' mit allen Sinnen
Froh genießen; nicht, vernarrt
In den Rang, die Loge suchen;
Denn was hilft es, ist er hart,
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Noch so sehr den Sitz verfluchen?
Ist die Vorstellung vorüber,
Dann so ist es gleich, mein Lieber,
Ob wir sanft auf Eyderdaun,
Oder hart auf Holz gesessen.
Der auf Daunen, hatte traun!
Die fünf Akte durch, gegessen:
Doch wie wird er nun verdaun?
Gähnen wird er, Freund! indessen
Wir mit den Sokraten nun
In Elysium, an Bächen,
Sanft auf Moos und Veilchen ruhn,
Und vom Vorspiel' uns besprechen.
Würden wir noch itzt so alt,
Wie zu Adams goldnen Zeiten:
O von selber würde bald
Mich der Sammlungsgeist verleiten.
Fünfzig Jahr' schätzt' ich geringe,
Könnt' ich, bei gespartem Wein'
[57]
Noch fünf hundert, guter Dinge
Mit den Ururenkeln seyn.
Aber so, mein Lieber, gucken
In die Welt wir kaum hinein',
Und sind fröhlich: Ach! so schlucken
Uns die Gräber hurtig ein.
Wer von diesem Augenblick'
Viel um Gold verkaufen kann,
Ist ein Mann für großes Glück,
Aber, Freund, für mich kein Mann.
Froh beim Napf' voll Rohm zu singen,
Und zum Fuß' des Stolzes, Freund,
Nur das Rauchfaß nicht zu schwingen:
Das ist leichter, als es scheint.
Ein Vergnügen sich versagen,
Um die Hälfte von dem Joch'
Eines Freundes, mit zu tragen:
Das ist zehnmal leichter noch.
Doch auf Meißens weiße Teller,
[58]
Bacharacher in dem Keller,
Und ein weit gereis'tes Huhn,
Einem Weibe zu gefallen
Das uns liebt, Verzicht zu thun:
Ist das leichteste von allen.
Freund! so leb' ich itzt als Gatte,
Zwar nicht prächtig, doch bequem,
Mit vier Andern, fast von dem
Was ich ganz allein sonst hatte.
Dennoch hatt' ich nie genug.
Bücher hatt' ich zwar bei Haufen,
Doch sie machen, höchstens, klug;
Aber Freude mußt' ich kaufen.
Damals wollt' es nichts bedeuten,
Tag und Nacht Courier zu reiten,
Um zu sehn, wie Sara 5 weint;
Itzt kann ich so was entbehren,
[59]
Meine Kinderchen gewähren
Mir das beste Schauspiel, Freund!
Um die Mara nur zu hören,
Hätt' ich damals obenein
Für die Stadt bezahlt; allein
Ob mir itzt – die Stimm' in Ehren! –
Ihre Triller lieber wären,
Als das bloße Trarara!
Meines Weibes, das den Jungen
Eben itzt hat eingesungen:
Daran zweifl' ich doch beinah.
Ach! das freundliche Gesicht
Dieses Jungens, tauscht' ich nicht
Gegen Danzigs volle Speicher,
Oder Hamburgs Hafen um.
Dennoch wär' ich gerne reicher!
Aber, weißt du auch, warum?
Ich, der sehr das Geben liebt,
Gebe mehr, als ich wohl sollte,
[60]
Aber dennoch, wie betrübt!
Nie, was gern ich geben wollte.
O wie sollte der sonst lachen,
Der noch weinend von mir ging!
Denn, mein Lieber, glücklich machen,
Ist ein gar zu köstlich Ding.
Wohl mir, daß durch mich auf Erden
Wenigstens ein Weib es ist!
Willst du auch durch mich es werden?
Folge, wenn du weise bist!

Fußnoten

1 Niemeyer, ehemaliger Inspector des Königlichen Pädagogiums zu Halle.

2 Adler.

3 Die Leser werden sich erinnern, daß dieser öffentliche Spatziergang bei Wien nur dem Adel offen stand, bis der Kaiser Joseph jedermann den Zutritt erlaubte.

4 Zaunkönig.

5 In Lessings Trauerspiele.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Herrn ** in P*. An Herrn ** in P*. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E00E-5