[83] An Denselben. 1

Wie? hast du gar gemeint,
Ich würde nun verstummen?
Du sprichst von großen Summen,
Wie ich von Versen, Freund!
Nicht wahr, das ist es Alles?
Doch dieses leeren Schalles
Gewohnt, verschließet sich
Mein Ohr vor deinen Zahlen;
Denn wird zu Kapitalen,
Durch deine Klugheit, sich
Mein Häufchen zehnfach mehren?
Ist's nicht, als wenn ich dich
[84]
Die Dichtkunst wollte lehren?
Versagt hat die Natur
Zum Dichter, dir Talente,
Mir, alles, was mich nur
Zum Freisaß' machen könnte.
Schon immer war's mein Plan,
Auf ehrenvoller Bahn'
Nach Unabhängigkeit,
Dem großen Ziel'! zu laufen.
Fünf Jahre meiner Zeit
Wagt' ich noch itzt daran;
Denn sage selbst, wer kann
Zu theuer sie erkaufen?
Wie? was ich mit ihr machte?
Nun, außer daß ich dann
Noch lieber scherzt' und lachte,
Fing ich im Ernst' recht an –
Zu sammlen? Ei, mit nichten!
Mit nichten, lieber Mann!
[85]
Dann wollt' ich erst recht dichten.
Was ich itzt obenhin
Bei Arbeit und Beschwerden,
Für meine Freunde bin,
Wollt' ich für Deutschland werden:
Der Lehrer unsrer Jugend,
Der Herold stiller Tugend,
Ein Gift für Schmeichelei,
Ein Schrecken solcher Fürsten,
Die nach dem letzten Ey
Des Tagelöhners dürsten,
Ein süßer Labewein
Für unerhörte Liebe:
Was wollt' ich dann nicht seyn!
»Daß ich gut Kegel schiebe
Und Verse mache, sind
Gleich herrliche Talente!«
Sprach Boileau. Gewinnt
Sein Abgott, der ihm Rente
[86]
Und Ehre gab, dabei?
Und solchem Manne drehten
Hof, Stadt und Land – wie klein! –
Noch Kränz'? Ich würd' erröthen,
Nichts besseres zu seyn.
Wenn Popen, als Poeten,
Mit Dichten ihre Zeit
So gut, als Junker Veit
Mit Kegelschieben, tödten:
So geht auf die Galeeren
Und rudert für den Staat!
Ja! müßte diesen Rath
Nicht selbst Homerus ehren?
Zehn Jahre bin ich hier
In Ellrich, doch in allen
Sind, von Gedichten, mir
Zehn Worte kaum entfallen.
Wie? sollt' ich nun mit dir
Mich um den Nutzen zanken
[87]
Der Kunst, o Freund, wofür
Uns Andrer Zähren danken?
Wenn du ihr Freund nicht bist:
Sollt' ich dich minder lieben?
Du siehst, dein Dichter ist
Doch kein so böser Christ,
Als Götz 2 ihn hat beschrieben,
Und kann die Duldung üben,
Die Götz so oft vergißt.
Der ist so gut ein Thor,
Wer seine Kunst zur Laube
Des Himmels hebt empor,
Als wer herab zum Staube
Der Kegelbahn' sie stößt.
Nicht wahr, mein Lieber, flößt
Nur dir der Saft der Traube
Und deines Mädchens Kuß
Vergnügen ein, so preise
[88]
Sich ein Abstemius
Bei Wasser immer weise!
Mein Mädchen und mein Wein,
Das wirst du doch erlauben?
Soll, statt der Küß' und Trauben,
Ein Reim, ein Liedchen seyn.
Heißt das die Zeit verschwenden,
Wenn ich, in meinem Sinn',
Die Leyer in den Händen,
Der Reichst' auf Erden bin?
Heißt das die Zeit nicht nützen,
Wenn, Unschuld zu beschützen,
Und Frevler zu bedräun,
Ich meinen Stachel wetze? –
Und gut, mein Lieber, setze,
Daß nur mein Lied ergötze:
Gewinnst du Land? o nein!
Wirf einen Lilienstengel
Ins Meer von Albion,
[89]
So wird vielleicht ein Engel
Die Wirkung noch davon,
Trotz aller Winde Wehn,
An Frankreichs Küsten sehn.
Selbst er kann aber nicht
Der Wirkung Summe fassen,
Die bloß durch ein Gedicht
Homer zurück gelassen.
Zwar bin ich kein Homer,
Doch gibt von guten Leuten
Ein Häufchen, mir Gehör;
Mit diesen mußt du streiten,
Nicht aber, Freund, mit mir.
Denn wird durch meine Lieder,
Kein Herz voll Falschheit, bieder:
Was kann denn ich dafür?
Ja freilich will der Staat
Von mir ganz andre Pflichten,
Als Lieder für ihn dichten,
[90]
Um die er nie mich bat.
Wer aber sah mich schon
Auf meinem Posten schlafen?
War's nöthig, mir mit Strafen
Auch nur von fern zu drohn?
Sieh, Lieber, ob ich nicht
Im Augenblick der Weihe,
Den Sand auf ein Gedicht
Geschwind und willig streue,
Sobald zum Untertauchen
In einen Akten-See,
Der Staat mich will gebrauchen,
Um Perlen in die Höh'
Zu fischen, die versteckt
In tiefem Schlamme liegen?
Auch Arbeit wird Vergnügen,
Wenn Pflicht uns dazu weckt.
Und wenn ich, Freund, der Schwere
Der Bürde, die die Ehre
[91]
Vom Staate auf sich nahm,
Zu schwach, zu kraftlos wäre:
Dann würde mir die Scham
Wohl heißen, tief gebückt
Sie durch die öden Steppen
Stillschweigend fort zu schleppen,
Bis sie mich hätt' erdrückt.
Kann ich mit raschen Schritten
Auf einem Pfade gehn,
Worauf bald Andre glitten,
Bald still, ermüdet, stehn;
Und wenn ich eh' am Ziele,
Als man erwartet, bin:
Dann leid' es immerhin,
Daß ich die Leyer spiele.
Du Reicher nimmst mit Fug
Zur Tafelzeit drei Stunden,
Doch wenige Sekunden
Sind mir dazu genug.
[92]
Indeß ich ruhig dich
Champagner trinken lasse,
Verstatte, daß ich mich
Dem weisen Narrn im Fasse
So ähnlich, als es nur
Die Sitt' erlaubet, mache,
Mich freue der Natur,
Der Menschen aber lache.
Durch die Philosophie
Werd' ich nicht reicher werden,
Denn Schätze sammlet sie
Im Himmel, nicht auf Erden.
Gab mir das Glück Talente,
Daß glücklicher ein Land
Durch mich einst werden könnte?
Nein! bloß für meinen Stand!
Doch was sind Rang und Rente,
Wenn Glück nicht auf das Land
Durch sie herabfließt? Tand!
[93]
Wohl mir, daß nicht das Glück
Mich auf dem Schiff': die Welt,
Ans Steuer hat gestellt,
Wenn's sah, daß mir Geschick
Und Muth in Stürmen fehlen;
Genug! daß selten ich
Darf als Matrose mich
An meinem Ruder quälen;
Für meine Hand ein Spiel!
Um Winde, Bänk' und Klippen
Bekümmr' ich mich nicht viel.
So lang auf meinen Lippen
Sich Freud' und Weisheit paart,
Mag meinethalb die Fahrt
Nach Peru's goldnem Strande,
Nach Grönlands Felsen gehn;
Ich werd' in jedem Lande
Mein Abentheur bestehn.

Fußnoten

1 Diese Epistel ist eine Antwort auf die Einwürfe, die Hr. v.U. dem Verfasser auf die vorige gemacht hatte.

2 In Hamburg.

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Episteln. Zweiter Teil. An Denselben [1]. An Denselben [1]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DFAF-0