[211] An Kästner, in Göttingen 1

Im Juli 1777.


Friedfertig, Kästner, wie ich bin,
Bin ich nur erst seit wenig Jahren.
Doch ist mein Muth noch nicht dahin,
Die See der Schlachten zu befahren.
Denn sieh! mein wackrer Brauder liegt
Noch segelfertig hier im Hafen,
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Sein purpurfarbner Wimpel fliegt,
Und droht, den Kecken zu bestrafen,
Der bloß aus Ehrsuchts-Kitzel kriegt.
Der Kaper, der statt reicher Beute,
Nur Aufsehn zu erregen sucht,
Und laut von dem Verdecke, heute
Den lobt, auf den er morgen flucht;
Und jen' undeutsche Landesleute,
Die stracks auf ihrem plumpen Kahn',
Mit Schnörkeln, wie zu Otaheite,
Staffirt, nachrudern auf der Bahn',
Worauf sie Klopstoks Schiff zum Streite
Mit dem Homerus fliegen sahn;
Die Herrchen, welche neues Land
Entdeckt zu haben, uns verkünden,
Sobald auf einer Bank von Sand
Sie nur zwei neue Blümchen finden;
Die Männerchen von Zuckerguß,
Die gleich auf jedem Nautilus
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Auch eine Venus schiffen sehen,
Für die der Gott der Liebe stehen
Und ewig Pfeile wetzen muß:
Kurz, diese Narrn und Närrchen alle,
Verdienen, daß man auf sie kreuzt;
Daß aber keiner meine Galle,
Wie sonst, zum Ankerlichten reitzt,
Das sey gedankt der guten Seele,
Die nun am Steuerruder wacht,
Und die Kajüt' aus einer Höhle
Zur Myrtenlaub' auf Paphos macht.
Mit ihr geh' ich am Strand' spatzieren,
Und schau' hinaus aufs hohe Meer,
Und sehe Furcht- und Hoffnungsleer
Den Krieg auf gut korsarisch führen.
Neutral zu seyn in jedem Streit',
Ist feine Politik bei allen,
Die beiden Theilen gern gefallen;
Bei mir ist's bloß Gemächlichkeit.
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Gelehrt' und große Herrn vertreiben
Durch ihre Kriege sich die Zeit,
Und Ruhm, sogar Unsterblichkeit,
Läßt sich erfechten und erschreiben,
Doch nimmermehr Zufriedenheit.
Vielleicht könnt' ich auch, durch Satyren,
Noch späten Ruhm, wie Juvenal,
Gewinnen: doch bedenk einmal!
Was müßt' ich itzt dafür verlieren?
Dann könnt' ich nicht so süß, wie itzt,
Am Bach' auf harten Rasen schlafen;
Denn, wen ein Satyr erst besitzt,
Wird selbst im Traum' das Laster strafen.
Dann könnt' ich meine Limbach 2 nicht
So oft, wie diesen Sommer sehen,
Nicht mehr bei vollem Mondenlicht'
Noch Stunden lang am Fenster stehen,
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Und durch ein süßes Traumgesicht
In andre Welten übergehen;
Und ach! nicht halbe Wochen lang
Mit unserm Freund' von Wöllmershausen 3
Bei unsrer Weiber Rundgesang,
Und unsrer Kinder Lärmen, schmausen.
Ich machte, seh' ich nun genau,
Zur halben Wittwe meine Frau,
Und meinen Fritz zur frühen Waise,
Mich selbst, mit vierzig Wintern grau,
Mit fünfzig schon zu einem Greise.
Es ist denn offenbar vergebens;
Aus mir wird nie ein Juvenal.
Genießen will ich meines Lebens,
Denn ach! man lebt ja nur einmal!
Wer gäbe zwanzig seiner Jahre
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Für Cäsars Ruhm und Crösus Geld?
Ich nicht! so lange von dem Staare
Des Wahns, sich frei mein Aug' erhält.
Je weniger ich von der Welt
Und ihrer Hudelei erfahre,
Je besser! weil ich manche Nacht,
Die ich voll Unmuth sonst verwacht,
Und manche Thräne mir erspare.
Hätt' ich den Corsen helfen können:
Die Corsen wären itzt noch frei!
So aber, hör' ich itzt sie nennen,
Wünscht' ich der Armen Sklaverei
Bis diese Stunde nicht zu kennen.
Und ach! stand es in meiner Macht,
Belohnung dem Verdienst' zu geben:
Michälis, der itzt in der Nacht
Des Todes schläft, sollt' itzt noch leben!
So aber, kann ich itzt der Macht
Der Thränen noch nicht widerstreben,
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Wenn sein Portrait, wie er im Leben,
So freundlich, trotz dem Kummer, lacht.
Die Welt gefällt mir täglich besser,
Seit, um den Lug und Trug darin,
Bewohn' er Hütten oder Schlösser,
Ich nicht wie sonst bekümmert bin;
Und, von der Seufzer Heer darin,
Wünscht' ich so viele nur zu hören,
Als ich in Lächeln umzukehren,
(Was hilft sonst Mitleid?) fähig bin.
Wer aber edler Thaten Eine
Mir aus der Welt erzählen kann:
O wohl! der ist so recht mein Mann!
Der trinke mit von meinem Weine,
So lang er trinken mag und kann.
Was ich da hör, erzähl' ich wieder
An Bürger, der den braven Mann
Und seine That, durch hohe Lieder
Zur Nachwelt übertragen kann.
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Du aber, Kästner, sey das Schrecken
Der frechen Kaper, weit und breit!
Schleichhandel mit Gelehrsamkeit
Wird sich vor dir umsonst verstecken,
Und, wer dem Orlogschiff' gebeut,
Das Kästner führt, wie leicht zerstreut
Der eine Flotte von Schebecken!

Fußnoten

1 Folgendes Epigramm von Herrn Kästner, an den Verfasser, als Herausgeber des Göttingschen Musen-Almanachs:

Von unsern Dichter-Sekten allen,

Wünscht sich dein Almanach, ja keiner! mißzufallen.

Friedfertig, wie du Göckingk bist,

War noch kein Epigrammatist.

gab zu dieser Epistel Gelegenheit, die eigentlich eine Antwort auf das Sinngedicht ist.

2 Ein Waldbach bei Ellrich.

3 Bürger, der damals noch in Wöllmershausen wohnte.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. An Kästner, in Göttingen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DF60-D