14.

Nun auf tagelangen Regen
Endlich sich die Luft erhellt,
Wie begrüßt auf allen Wegen
Holdverwandelt mich die Welt!
Sanft von zitternd grünem Schimmer
Liegt die Talflur überhaucht,
Während Silberduft noch immer
Von dem Schnee der Berge raucht.
Schüchtern lauscht vom Hügelsaume
Goldnen Blicks der Krokus vor,
Und am wilden Mandelbaume
Bebt durchsicht'ger Blütenflor.
Ach, und über Wald und Wiese
Dieses bräutlich zarte Licht,
Das wie Glanz vom Paradiese
Durch geflockte Wölkchen bricht!
Wahrlich, sehnt' ich mich noch eben
Nach dem nord'schen Herd zurück:
Heut empfind' ich hier das Leben
Wie ein mühlos heitres Glück.
Leicht, als ob sie Flügel trügen,
Wiegt sich meine Seele nur
Auf den leisen Atemzügen
Dieser kindlichen Natur;
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Und es fehlt mir nur das eine,
Daß ich solchen Wonnetag
Nicht verklärt im Widerscheine
Deines Auges schauen mag.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. 14. [Nun auf tagelangen Regen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BED5-2