Lübecks Bedrängnis

1844.


Nun reich', o Muse, den Pokal,
Doch laß von hellem Zorn ihn schäumen!
Ein Lied gib, das wie Blitzesstrahl
Die Schläfer schreck' aus ihren Träumen!
Wie Ruf der Glocke zur Gefahr
Erschall' es weit im deutschen Lande;
Es gilt der Stadt, die mich gebar,
Der Mutter, die man schlägt in Bande!
Wie steigst, o Lübeck, du herauf
In alter Pracht vor meinen Sinnen
An des beflaggten Stromes Lauf,
Mit stolzen Türmen, schart'gen Zinnen!
[200]
Dort war's, wo deiner Erker Zahl
Der Hansa Boten wartend zählten,
Dort, wo die Väter hoch im Saal
Ein Haupt für leere Kronen wählten.
Denn eine Fürstin standest du,
Der Markt war dein, und dein die Wege,
Du führtest reich dem Süden zu,
Was nur gedieh in Nordens Pflege.
Es bot dir Norweg seinen Zoll,
Der Schwede bog sein Haupt, der Däne,
Wenn deine Schiffe segelvoll
Vorüberflohn, des Meeres Schwäne.
Und jetzt? - Verhüll' ihn nicht im Lied,
Den Schmerz, daß solcher Glanz zerronnen;
Nur leis um deine Stirn noch zieht
Die Glorie der versunknen Sonnen.
Wohl beugt sich still, wen eh'rnen Schritts
Ein groß Geschick im Gang versehret,
Doch das empört, wenn Menschenwitz
An alter Größe hämisch zehret.
Jetzt trägst du das. Der Schwingen Zier
Zerpflückt man deinem Aar mit Hadern,
Durchschneidet kleinen Ingrimms dir
Die Straßen, deines Lebens Adern.
O Schmach und Scham! Das Land hindurch
Ist tiefer Fried' in Süd und Norden,
Du aber bist wie eine Burg,
Die man umlagert hält, geworden!
Du zahlst es spät uns heim fürwahr,
O Dänemark, mit bittrem Leide,
Daß einst vor uns dein Waldemar
Erzittert' auf Bornhöveds Heide:
Daß er, der kaum noch trunknen Muts
Geprunkt im Schwarm der Bogenspanner,
Auf flücht'gem Renner, wund, voll Bluts
Heimsprengte nach verlornem Banner.
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Doch sei's. Du warst uns ewig feind;
Und magst du Bündner auch dich wähnen:
Von Herzen hast du's nie gemeint,
Es taugt der Deutsche nicht zum Dänen.
Wir sahn uns bei der Dörfer Brand
Zu oft ins Aug' auf blut'gem Pfade,
Als unsrer Bürger Schar noch stand
Des Reiches Wall am Nordgestade.
Und als du jüngst in finsterm Mut
Dem Franken dich, dem Feind, verbündet:
Da ward des alten Haders Glut,
Die kaum erloschne, neu entzündet.
Wir aber stürzten zornentfacht
Zur Fahne bei der Trommel Dröhnen;
Es tauft' als Priest'rin uns die Schlacht
Mit Blut zu Deutschlands freien Söhnen.
Bei dieser Weihe, die uns ward,
Und bei dem Geiste, den wir tragen,
Der heute noch so deutscher Art
Sich rühmt wie in der Väter Tagen,
Bei jenem Band, das Pfeilen gleich
Umwindet alle deine Stämme,
O hör' uns rufen, deutsches Reich,
Und unsres Feindes Trutzen dämme!
O wär' ein Hauch Bertrands de Born,
Des Troubadours, in meinen Zeilen,
Daß grollend eines Königs Zorn
Sie waffneten mit Blitzeskeilen!
O naht' uns einer jetzt, ein Hort!
Es drängt die Not - o daß er käme
Und spräche deutsch das Römerwort:
»Sorgt, daß die Stadt nicht Schaden nehme!«
Doch ist's umsonst, verweht ein Blatt
Im Wind der Ruf, den wir entsenden:
Dann naht dein Letztes, alte Stadt,
Dann wiss' in Schweigen groß zu enden.
[202]
Geharnischt, stehend wie der Cid,
Zusammenbrich mit deinem Ruhme,
Und deines letzten Dichters Lied
Nimm mit hinab als letzte Blume!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Zeitstimmen. Lübecks Bedrängnis. Lübecks Bedrängnis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B92A-8