25.

Es kommt der Lenz, es schmilzt der Schnee,
Der Rhein hebt an zu brausen,
Mit Jauchzen wirft er vom Geklipp
Hinab sich bei Schaffhausen.
Und als er fürder wallt im Tal,
Den Wasgau sieht er winken;
»Nun grüß' dich Gott, du deutsches Land
Zur Rechten und zur Linken!
Nun grüß' dich Gott, du Münsterturm!
Was schaust du trüb hernieder?
Die Wunden, die die Liebe schlug,
Die Liebe heilt sie wieder.«
Und als er kommt hinab zum Main,
Da sieht er hoch im Bogen
Die Brücke zwischen Nord und Süd,
Der Eintracht Mal, gezogen.
[352]
Mit Blut gekittet steht der Bau
Aus tausend Heldenwunden:
»Nun scheidet keine Macht fortan,
Was Not und Tod verbunden.«
Und als er kommt zum Königstuhl
An Rhenses Traubenhügeln,
Da donnert's hoch aus blauer Luft,
Da rauscht es wie von Flügeln.
»Glückauf, das ist der Flügelschlag
Des Adlers vom Kyffhäuser,
Das ist der Donnerhall des Siegs,
Erstanden ist der Kaiser.
Nun jauchze, jauchze, deutsches Volk,
Dem jungen Reich entgegen,
Und Friede sei mit dir und Heil
Und aller Freiheit Segen!«

März 1871.


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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. 25. [Es kommt der Lenz, es schmilzt der Schnee]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B70A-D