[63] [65]Berg-auf
Brief- und Tagebuchblätter

[65][67]

1. Meiner Mutter

Wozu denn das ewige Sorgen,
lieb Mütterchen! gib es doch auf!
Sorgen macht alles nur schlimmer
und ändert doch nichts im Lauf!
Auf deine alten Tage
möcht ich, daß froh du wärst
und nicht mit Gedanken um uns,
deine Kinder, das Herz dir beschwerst.
Du hast dich in deinem Leben
wahrlich genug gesorgt,
du gabest mit Zinseszins ihm
zurück, was es dir geborgt ...
Du bist bald siebzig Jahre
und mich dünkt, du hättest nun
[67]
nicht bloß ein Recht mehr, nein,
auch die Pflicht, dich auszuruhn.
Du trugest Leid und Schmerzen,
ohn daß sich ein Wort dir entrang,
du gingest mit schwerem Herzen
so manchen schweren Gang ...
und als der Vater erblindet,
die ganze, lange Zeit,
du wurdest nie müde in treuer
frohwilliger Freudigkeit!
Nur als er dann starb, da freilich
wurde merklich weißer dein Haar,
doch deine Liebe zu uns
blieb so jung, wie sie immer war.
Und nun sind wir groß geworden
und wanderten in die Welt,
und ein jedes hat sich fürs Leben
sein gutes Ziel gestellt ...
Du aber, lieb Mütterchen, gib jetzt
dein Sorgen endlich auf,
Sorgen sieht alles nur schwärzer
und ändert doch nichts im Lauf!
Du weißt ja, wir haben niemals
Arbeit und Umtrieb gescheut,
[68]
wir haben, im Gegenteil, immer
uns jeglicher Mühe gefreut,
und wenn auch nicht alles ging,
wie man wünschte, es möchte gehn,
so blieb doch keines mutlos
oder müßig am Markte stehn.
Wir haben uns, Gott sei Dank,
immer selber zu raten vermocht,
und schlug auch vieles fehl,
hat uns doch nichts unterjocht.
Daß einem das Herz einmal schwer
und daß man weniger froh,
das will nichts heißen, Mutter,
das geht einem jeden so.
Man hätte mitunter ja manches
leichter und schneller erreicht,
wenn man weniger.. stolz gewesen
und rücksichtsloser vielleicht,
und wenn ... ja, ja, wenn du früher
nicht immer so abgewehrt,
wenn der Vater warnen wollte:
›Güte hätte gar keinen Wert,
und Bescheidenheit und dergleichen
sei ja ganz schön fürs Haus,
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draußen im Leben doch gälte
nur Vorteil und nur Faust!
Seid ohne Arg wie die Tauben,
sag eine alte Lehr,
aber: auch klug wie die Schlangen,
setze sie gleich hinterher.‹
Es hätte uns manche Enttäuschung
erspart und manche Gefahr ...
und doch, ich möchte nicht anders
gewesen sein als ich war,
denn auf die Dauer ist's doch nichts
mit allzuleichtem Gewinn ...
ich warte gern und möchte
nicht anders sein, als ich bin!
Aber drum laß auch dein Sorgen,
du weißt nicht, wie stark mein Arm!
wie zuversichtfröhlich und reich
mein Herz in der Brust und wie warm!
Und ob auch manche Blüte
von Wetterschlag verheert,
das Lied meiner Jugend hat mir
nicht Blitz, noch Frost zerstört!
und noch grüßt blaurotflammend
der Stern vom leuchtenden Pol,
[70]
wie damals vor Jahren, als ich
zum erstenmal sagte Lebwohl!
Nur zweifeln darfst du nicht, Mutter,
das nimmt die Zuversicht ...
und Siegvertrauen muß haben,
wer da im Kampfe ficht.
In lodernder Schönheit Prangen
liegt offen vor mir die Welt,
verkämpft ist und überwunden
was lang mir die Jahre vergällt,
die Ketten, die mich gebunden,
liegen zersplittert im Grund,
frei bin ich, Mutter, und stark
und freudig und jung und gesund,
und in goldenen Morgenfeuern
glänzt sonnenhell mein Ziel ...
und wer sich so stark fühlt, Mutter,
für den ist Kampf nur Spiel!

[71] 2. Einem Freunde

»Lege das Ohr an die Erde

und höre! ...

und du wirst Hufgestampf hören,

in weiter Ferne nur, aber näher

und näher kommend!«

Es liegt etwas in der Luft, mein Freund,
es liegt etwas in der Luft!
Hörtst du den Wettersturm zur Nacht,
wie's in den alten Eichen gekracht?
wie es die Fensterläden schlug
und heulend im Kamin sich fing?
Sahst du den Himmel heute früh,
wie Blut so rot, brandfackelglüh?!
Es liegt etwas in der Luft, mein Freund,
es liegt etwas in der Luft!
Es ist eine seltsame Zeit, mein Freund,
es ist eine seltsame Zeit!
ein immer toller Gehaste von Jahr zu Jahr!
nichts soll mehr bleiben, wie es war!
[72]
nichts soll im alten Gleis mehr gehn
und ruhig, fest und sicher stehn!
Ein jeder redet und redet drein,
und jeder will der Klügere sein!
Der eine hofft dies, der andere das,
und keiner aber weiß recht: was?!
Es ist eine seltsame Zeit, mein Freund,
es ist eine seltsame Zeit!
Und wie es gestalten sich wird, mein Freund,
und wie es gestalten sich wird?
in welcher Richtung? in welchem Sinn?
ob zu Verderben? ob zu Gewinn?
Die Jungen haben es in der Hand ...
die Jungen mit ihrem Jugendmut,
mit ihrem Glauben, mit ihrer Glut!
und wenn sie furchtlos festen Blicks
hinaussehn über ihr kleines Heut
und über Parteigezänk und Neid ...
dann, glaub ich, gestaltet sich's gut, mein Freund,
dann, glaub ich, gestaltet sich's gut!

[73] 3. [Das ist das einzige aber]

»Und wenn wir ohne Glanz und Ruhm

der Dämmerung erliegen,

es werden andere nach uns sein,

und diese werden siegen!«

Das ist das einzige aber, das ihr tun könnt
für eure Söhne und für eurer Söhne Kinder:
wachen, wachen und wachen,
daß sie dereinst in freieren Zeiten
ihr Leben leben ...
in Zeiten,
da man endlich aufgeräumt mit all dem Schutt,
da man die Trümmer abgetragen endlich,
die mit Einsturz drohn
und uns den Weg versperren nach den Höhn,
von denen
die Banner goldner Königstage wehn! ...
Daß ihnen einst in lichtem Glanze sich erfülle,
was unsere eigene Sehnsucht träumt und hofft ...
[74]
Wir selber, ach,
wir sind ... in Kampf und Müh und Streit
nur Vorbereiter, Schuttabräumer nur, Wegebner einer Zeit,
die wir aufdämmern ahnen über unsere Nacht
mit osterlichter Morgenpracht,
und der ein Tag dann folgen wird,
ein Tag, von hallenden Glocken überläutet,
ein Tag, an dem der Mensch
abgürten von den Lenden darf das Schwert ...
ein Tag des Friedens,
und ein Tag der Freude ...
da all die Qual,
die uns zu Grabe nagt,
da all die Ketten fallen der Erbärmlichkeit,
die jeden Morgen uns aufs neue
die Krone reißt vom Haupt
und uns zu Sklaven unseres eigenen Lebens macht ...
ein Tag,
an dem der Mensch zum Herrn wird endlich
und mit freier Stirne
als König schreiten darf auf seiner Erde ...

[75] 4. [Du fragst, was uns not tut, Freund]

Du fragst, was uns not tut, Freund,
und was uns fehlt? ... O, so viel!
Ideale vor allem wieder
und ein festes großes Ziel!
Ideale, wie unsere Väter gehabt –
die selbst freilich taugen nicht mehr
und sind unmöglich geworden
die vergangenen Jahre her ...
wie sich das meiste, das man
uns in der Kindheit gelehrt,
im Getriebe der Welt von heut
zu Spott und Torheit verkehrt.
Die uns erzogen, sie meinten
es alle ja herzlich gut;
wenn ich zurückdenke aber,
schwillt mir noch heute das Blut
[76]
ob all der Weisheiten, die man
so mühvoll uns eingepaukt,
Weisheiten, von denen nicht eine
zu wirklichem Leben getaugt!
Und was in Büchern und Schriften
als Vorbild uns hingestellt,
mein Gott, das war doch erst recht
eine ganz unmögliche Welt!
Und als es dann hieß: nun geh,
und was du willst, nun erring's! ...
da stand man mit all seinem Wissen
und wußte nicht rechts noch links!
Den Kampf aber, den's dann gekostet,
und die Kraft, o die schöne Kraft,
wenn Enttäuschung über Enttäuschung
einem das Herz erschlafft ...
und bis man abgeschüttelt
allmählich den ganzen Zwang
und Schritt für Schritt wieder Mut sich
und festeren Boden errang!
Auch die Alten freilich nun lassen
uns ab und zu einmal recht
[77]
und erklären nicht alles mehr
von vornherein gleich für schlecht!
Ja, in gutgelaunten Stunden
gestehen sie sogar:
daß manches, das sie bestritten,
doch ganz vernünftig war!
Wenn sie kommen aber und sagen:
Einreißen sei kinderleicht!
doch, ohne Ersatz zu wissen,
was damit viel erreicht?!
so müssen wir still sein und schweigen –
denn das ist ja doch unser Leid,
die Not unseres ganzen Lebens,
der Jammer der ganzen Zeit:
Daß wir zerdacht und zerzweifelt
alles, was bisher war,
und was wir selber wollen,
noch nicht wie das Frühere klar ...
wie zwischen Charfreitag und Ostern
fehlt Freude und Zuversicht:
der alte Gott ist gestorben,
der neue erstand noch nicht!
[78]
Die Nacht, die lag, ist gewichen,
doch mit erloschen sind auch
die Sterne, die ihr geleuchtet,
und es weht ein frostiger Hauch ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
In Erfüllung ging ja soviel schon,
wofür das Herz uns schwoll,
und doch weiß niemand so recht,
was nun weiter kommen soll ...
ein jeder steht auf dem Platze,
ein jeder kämpft und ringt,
doch es ist nur ein Tasten und Suchen,
und keiner weiß, was gelingt ...
Du fragst, was uns not tut, Freund,
und was uns fehlt?! ... O, so viel!
Ideale vor allem wieder
und ein festes, großes Ziel!

[79] 5. Einem Rinde

Sei nicht traurig,
sei nicht traurig ...
es ist heute nur
so trübe,
es ist heute nur
so schwer!
Morgen lacht die Sonne wieder,
leuchten Rosen, weiß und rot,
und mit lauter Lerchenliedern
jubelt's in den hellen Morgen,
jubelt's in den blauen Himmel
siegreich über Leid und Not ...
Quillt und schwillt mit jungen Kräften,
quillt und schwillt mit junger Lust
lebenswarm dir in die Brust;
weckt und wappnet deine Seele
glaubensfroh zu neuer Wehr ...
[80]
Sei nicht zag drum,
sei nicht traurig ...
es ist heute nur
so trübe,
es ist heute nur
so schwer!

[81] 6. [Man findet's auch]

Man findet's auch ... mit langem Suchen,
viel Rechtes aber ist es kaum!
Es muß an deinem Wege liegen,
es muß aufleuchten wie ein Traum!
Du sitzst am Strand und sinnst auf Reime,
und einer Woge frohe Hast
muß flimmernd es dir zu Füßen tragen,
daß du dich nur zu bücken hast!
Du darfst ihm nicht nachwandern müssen,
du darfst nicht lange müssen flehn,
nein, wie ein Bettler, Einlaß bittend,
muß es vor deiner Türe stehn!
Und wie ein Sklave muß es folgen
auf jeden Ruf, auf jeden Blick,
und wie ein Hund muß es dir treu sein ...
alles andre ... ist kein ... Glück!

[82] 7. [So drängt und treibt sich alles vorüber]

So drängt und treibt sich alles vorüber ...
unmerklich kommt es und verblinkt,
Welle auf Welle hebt sich und sinkt,
was trüb, wird hell, was hell war, trüber.
Du selber trittst dir als Fremder entgegen,
und was dir hochheilig einst schien und groß,
du frägst dich und lächelst und spottest fast drüber:
wie war es nur möglich! wie konnte man bloß!
wie konnte man zweifeln dabei und zögern,
es lag doch so einfach, so glatt und so klar,
wie konnte man sich darüber erregen,
da alles doch selbstverständlich war!
Schon aber drängt auch das vorüber ...
du merkst kaum, wie es versinkt und verrinnt,
wie es leise zu anderem übergaukelt,
wie schon eine neue Welle beginnt
und dich auf ihre Höhe schaukelt!

[83] 8. [Lebwohl, Kind!]

Lebwohl, Kind! ... die Fahrt, die du wagst,
ist weit!
Mein Wunsch, daß es gut dir gehe,
geb dir getreulich Geleit!
Leb wohl! den Kopf immer hoch
und fröhlich und unverzagt,
und nie zuviel auch bei andern
um Rat und Meinung gefragt!
Raten ist leicht, doch es geht schon
nicht alles im rechten Gleis,
wenn man Rat braucht, Kind, und sich
nicht selbst zu helfen weiß!
Es trägt ein jeder zudem schon
so viel an eigener Last,
daß er sich meist nur ungern
mit fremden Sorgen befaßt!
[84]
Es kommt auch selten etwas
dabei heraus und ich mein:
man müsse für Glück und Unglück
immer selbst verantwortlich sein.
Wer seines Zieles klar ist,
erreicht, was er erstrebt,
und wer ein Ziel errungen,
hat nie vergebens gelebt!
Lebwohl, Kind! und wenn es wettert
und Blitze und Wolken dräun,
es kommen auch Tage wieder,
die Blüten und Rosen streun.
Es ging ja uns beiden im Leben
nie noch besonders gut,
wir erfuhren niemals, wie schön es
ohne Sorge sich ruht;
wir haben von früh an in fremde
Launen uns schicken gemußt
und hatten niemand, zu teilen,
weder bei Leid noch bei Lust;
und gerade in Jugendtagen
ist das wohl der herbste Schmerz:
man träumt da von Wunderdingen
und hat so voll das Herz,
[85]
man möchte jubeln und jauchzen
und möchte glücklich sein
und denkt, das Leben bestünde
aus lauter Sonnenschein.
Es kann ja nun alles sich ändern,
ich glaubte für dich es so gern:
es kann vom Himmel fallen
wie ein rotblitzender Stern,
es kann auf schimmerndem Flügel
herrauschen im Windeswehn,
es kann mit jauchzendem Liede
urplötzlich vor dir stehn! ...
Dichter sind's, die das sagen,
auch hört man es sonst dann und wann,
im wirklichen Leben aber ...
ich glaube nicht recht daran!
Ich glaube viel eher, es wird
so sein, wie es bisher war:
von allem, was man sich wünscht,
wird nur das Wenigste wahr!
ja ich glaube beinahe, das große
Glück, von dem man so träumt
und an das ein jeder so viel
seines besten Lebens versäumt:
[86]
daß es das gar nicht gibt ...
als festes dauerndes Gut,
daß alles Glück nur in kleinen
ganz flüchtigen Dingen beruht!
Es ist wie Gold, das man auch nicht
in Klumpen und Blöcken hebt,
das man nur staubkorngroß
aus Geröll und Getrümmer gräbt.

[87] 9. [Alles längst nun, längst vorüber!]

Alles längst nun, längst vorüber!
Fünfmal schon ward's Winter drüber!
immer andres drängte her!
Neue Jahre, neue Ziele!
Selten spiel ich jene Spiele
und noch seltener sing ich mehr!
Wie die Zeit es eben ändert:
jener landet, dieser kentert,
der liegt windstill wo auf See ...
bleibt man nur auf seinem Posten
und läßt Kopf und Herz nicht rosten,
geh es immer, wie es geh!
Meist wohl ist's ja dummer Plunder;
manchmal doch glückt auch ein Wunder,
noch viel eher aber fällt's!
Was drum rinnt, laß ruhig rinnen!
nur wer aushält, wird gewinnen ...
nicht ein jeder freilich hält's!

[88] 10. Bleistiftskizzen

1. Rügen

Tief und still
in grauem Regen
liegen Wald und
liegen Wiesen ...
tief und still
mit müden, schweren
Wellen
schleppt das Meer zum Strand ...
graue Möwen
flügelschlagend
schreien um die Kreidefelsen,
und im weißen
Dunst der Ferne
zieht in breitgeballter Wolke
dicken Qualmes,
wie der schwarze
Schwan des Todes,
horizontentlang ein Dampfer,
tief und still
in grauem Regen.

[89] 2. Herbst

Ueber den See hin
braut der Nebel
lautlos leise ...
Wie große weiße
seltsame Spinnen
rinnt und spinnt es
über die Wasser,
lautlos leise ...
und im Schilf
die großen
Rosen
schließen fröstelnd ihre Kelche.
Lautlos leise
rinnt und spinnt es
Uferholz-entlang
und höher
durch die Gitter
[90]
in die Gärten,
über spielzertretene Rasen,
über welke Blumenbeete ...
Am Verandafenster, lauschend,
tief in weichen, weißen Kissen,
träumt ein Mädchen ...
und von ihres sonnenlosen
Gartens herbstverfallenen Rosen
suchen ihre sehnsuchtgroßen
stillen Augen
weit in's weite
letzte müde Abendrot ...
Und
lautlos leise
rinnt und spinnt es
um das Fenster
durch das Weinlaub ...
und lautlos leise
küßt es die weiße
Stirn ihr
und den lächelnden Mund.

[91] 3. Totensonntag

Trostlos traurig grau in grau:
Himmel,
Dächer,
Straßen,
Menschen ...
trostlos traurig grau in grau ...
wie mit hungergieriger Lippe
saugt ein ungeheures Schweigen
Licht und
Luft und
Leben an sich
und mit grauenstummer Marter
überschleicht es
und bekriecht es
herzblut-tief- und tiefer-saugend
Himmel,
Dächer,
Straßen,
Menschen,
qualvoll hilflos grau in grau.

[92] 11. Was müde macht!

Das ist es,
was müde macht:
dieses heimliche Warten,
dieses ruhelose
stille Horchen nach der Treppe,
dieses Aufspringen,
wenn es klingelt ...
statt der erwarteten Freude aber
mit blitzendem Aug
und lachendem Mund
steht ein frierendes Kind draußen,
verhärmt und elend,
und bittet weinend
um ein Stückchen Brot.

[93] 12. [Ich habe Nächte dafür geopfert]

Ich habe Nächte dafür geopfert,
ich habe Herzblut daran gegeben,
und feige Buben nun kommen und heben
die Hand auf gegen das fertige Werk.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das schmerzt!
Und doch:
glückt euch, es wirklich zu zertrümmern, ... gut!
dann war's nicht echt!
dann glückte mir nicht, was ich wollte ...
und ... ihr ... habt ... recht!

[94] 13. [Schlaf', müde Seele]

Schlaf', müde Seele,
daß nichts dich mehr quäle!
schlaf und vergiß
deines Tagewerks Last!
schlaf und vergiß,
wie viel du auch heute
an Lieb und Freude verloren hast,
wie viel es wieder dir
Rosen zerriß ...
schlaf, müde Seele,
schlaf und vergiß!
Was dir zerrann
an Glauben und Glück,
in seligem Traum
träum es zurück! ...
Ob die Welt dich auch verdamme,
deiner Sehnsucht heilige Flamme
zwingt die Nacht, durch die du wanderst,
zwingt die Furcht, die dich umdroht,
lodert auf zu frühlingslichtem
ostergoldenem Morgenrot!

[95] 14. [Und so zerbröckelt]

Und so zerbröckelt sich Monat um Monat
und Jahr um Jahr
in sonnenlosem Sich-müde-Hoffen ...
und nirgends auch nur ein Schimmer von Schein,
daß es irgend einmal würde anders sein!
Man gibt das Beste, das man kann,
man gibt sein glühendstes Herzblut dran,
mit Leben bezahltes Leben ...
und hat man etwas fertig gebracht ...
dann ist der ganze Dank dafür,
daß ein paar Freunde freundlich sagen:
Freut mich, das hast du gut gemacht!
Und damit ist die Sache dann erledigt!

[96] 15. [O ja, wir sind Phantasten]

O ja, wir sind Phantasten,
Narren und Schwärmer
und kindertörichte Toren ...
ihr habt recht!
wir sind es! ...
unsern Träumen nachzuhängen
und unsere Kraft an Dinge zu vertrödeln,
so wert- und zwecklos!
ihr habt recht! ...
anstatt praktisch zu sein
und Geld zu verdienen!
oder ... wenn schon:
Bücher zu schreiben,
wie der Verleger will,
und wie sie gekauft werden ...
ihr habt recht:
es ist Narrheit,
sich seine Jugend derart zu verquälen
und freiwillig
als Bettler sich durch's Leben zu schlagen,
und in den besten Jahren dann
[97]
gebrochen und müde zu sein,
erschöpft und leer!
und ... gebrochen ... wodurch?
und ... müde ... wovon? ...
von nichts!! ...
und mit verflackerndem Auge
zurückzusehn
und sich sagen zu müssen,
daß alles Mühn und alles Ringen,
daß aller Kampf ... umsonst war!
und nicht bloß umsonst,
daß es lächerlich war:
törichter Träume wegen
sein bestes Leben lang sich
von der Gnade anderer abhängig zu machen
anstatt ... anstatt ...
anstatt ...
und doch ... und doch:
nur Starke können solche Narren sein!

[98] 16. [Es lohnt sich nicht!]

Es lohnt sich nicht! ...
weiß Gott, es
lohnt
sich
nicht!
Es ist alles nur
Kauf!
es ist alles nur
Handwerk!
es ist alles nur
Mache! ...
Es ... lohnt ... sich nicht!

[99] 17. Lied des Wanderers

Abend-rot schon gegen Westen
lenkt die Sonne ihren Lauf,
immer neue Gipfel aber
steigen vor dem Wanderer auf!
Ach, es ist ein mühsam Ringen!
und was lohnt am letzten Schluß?!
Immer steiler führt es weiter,
immer müder wird der Fuß ...
Immer neue Gipfel ragen
über den erklommenen auf!
ach, und immer abendtiefer
senkt die Sonne ihren Lauf!

Notes
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TextGrid Repository (2012). Flaischlen, Cäsar. Berg-auf. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B55C-9