Das Fensterkreuz

Zu Neuhaus in dem Schlosse war's: – der Kurfürst 1 hielt ein Jägermahl;
Die Gäste saßen dichtgereiht, und Hörner schmetterten im Saal.
Der Mundschenk goß die Gläser voll, die Diener drängten sich zuhauf –
Es war ein schwüler Sommertag, die Fenster alle standen auf.
Und durch die offnen Fenster rings sah man den kühlen, grünen Wald;
Der Wald, das war zu dieser Zeit des Fürsten liebster Aufenthalt!
In dem vergaß er, hell umtönt von Hirschgeschrei und Rosseshuf,
Den Ärger, den zu Königsberg der böse Landtag dreist ihm schuf.
Ei, dieses starre Königsberg! Ei, dies verwegne Preußenland!
Ei, wie beharrlich und beherzt auf seinen Rechten es bestand!
Und nicht sein Adel bloß! O nein, auch seine Städte sprachen mit!
Wer war's, der die Leibeigenschaft des armen Bauernvolks bestritt?
O frischer, freier Bürgertrotz! O Erbteil, das der Ostsee blieb!
Du sprudelst aus der Flut hervor, mehr als den Brandenburgern lieb!
Wie heute noch der Krone Schein bei deinem Brausen zag erblaßt,
So warst du auch dem kurhut schon in deiner Freudigkeit verhaßt! –
[81] Der Kurfürst saß beim Jägermahl! Schweinsköpfe dampften Rheinwein floß!
»Was kümmern mich die Stände heut zu Neuhaus hier auf meinem Schloß?«
Da stapfte klirrend in den Sall ein Reiter mit entblößtem Haupt;
Ein Bote war's von Königsberg, Blut an den Sporen und bestaubt.
Briefschaften knöpft' er aus dem Wams: – Ei, wiederum ein Ostseestreich? –
Der hohe Jäger riß sie auf; er flog sie durch; er wurde bleich.
Auf seiner Stirne zuckt' empor gehemmter arger Groll:
»Das war dein letzter Widerspruch! Hochnasig Volk, dein Maß ist voll!
So wahr ich jetzt den Apfel hier« – Und siehe da, vom vollen Tisch
Rafft'er mit ungestümer Hans sich einen Apfel rot und frisch! –
»So wahr ich den durchs fenster jetzt fortschleudre weit ins Freie hin,
So wahr noch brech' ich Preußens Trotz, brech' ich der Ostsee Eigensinn!
So wahr noch soll als Oberherrn mich diese Bersteinküste sehn!
So wahr noch unterwerf' ich mir dies übermüt'ge Polenlehn! 2
So wahr noch –« Und er sprang empor! Ausholt' er wild zum Wurfe dann!
Wer mit am Tisch saß, duckte sich und hielt gespannt den Atem an.
Der Apfel flog – fort in den Wald? – Nicht doch, fehl warf die hohe Kur!
Hinflog er sausend durchs Gemach und – traf das Kreuz des Fensters nur!
Traf's, prallte machtlos dann zurück! – So recht! Nur festen Widerstand!
Laß dir dies Kreuz ein Vorbild sein und einen Trost, mein Vaterland!

Asmannshausen, Mai 1844.

Fußnoten

1 Georg Wilhelm von Brandenburg, Vater des Großen Kurfürsten, † 1640.

2 Preußen was damals noch Lehn, von der Krone Polen an Kurbrandenburg gegeben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Ein Glaubensbekenntnis. 2.. Das Fensterkreuz. Das Fensterkreuz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B34B-1