Ein Brief

Das war ein lustig Ziehen
Und Reisen durch die Welt!
Das war ein Fackelsprühen
Von Zürich bis zum Belt!
Aus Herzen und aus Küchen
Stieg Weihrauch dir empor;
Pelotons von Tafelsprüchen
Schlugen knatternd an dein Ohr!
Ein neuer Held Sankt Jürgen
Durch Deutschland zogst du frei,
Im Fluge zu erwürgen
Den Molch der Tyrannei!
Wie kommt es, daß der Grause
Noch züngelt ungescheut?
Verpaßtest du beim Schmause
Vielleicht die rechte Zeit?
Du trotziger Diktator,
Wie bald zerbrach dein Stab!
Dahin der Agitator,
Und übrig nur – der Schwab'!
Verwelkt schon deine Blume!
Dein Kranz, o Freund, hängt schief!
Du schriebst dem eignen Ruhme,
Ach, den Uriasbrief!
Nun können sie dich bänd'gen,
Philister und Zelot:
»Da habt ihr den Lebend'gen!
Er schlug sich selber tot!«
Wen Ruhmeskleider zieren,
Der hüte sie, wie Schnee!
Wahr ist es: Renommieren
Verdirbt die Renommee!
[21]
Wer sagt, er stände Wache
Fürs Recht, der halte Stich,
Und gebe statt der Sache
Nicht immer nur sein Ich!
Der schwinge, wo fürs Ganze
Man ernste Speere bricht,
Ruhmredig nicht die Lanze,
Mit der die Hoffart ficht!
Wer so mit Wein der Ehren
Empfangen ward, wie du,
Wie mocht' er den betören,
Trank auch ein Volk ihm zu?
O Schmach, im Rausch zu fallen,
In Händen noch den Krug!
Berauscht sich zu erlallen
Des Lächerlichen Fluch!
Das ist's – Wohl wird geschlagen
Ein Held im Kriegsgewühl;
In alt und neuen Tagen
Schritt mancher ins Exil;
Doch rings im Volksgetümmel
Kein Höhnen und kein Groll:
Sein Stern erlosch am Himmel –
Doch rein und würdevoll!
Die Freiheit rang die Hände,
Da seine band der Strick!
Wie tote Fackelbrände
Der Freunde düstrer Blick!
Ringsum Gewitterstirnen,
Rings Murmeln durchs Visier,
Ringsum verhaltnes Zürnen –
O, ständ' es so mit dir!
Dir folgt, wie plumpen Schnittern,
Ein Rauschen, hörbar kaum;
Das ist der Triebe Zittern
Am jungen Freiheitsbaum!
Der Knospen und der Triebe,
Die freudig ihn geschmückt!
Die, ach, mit einem Hiebe
Du alle fast geknickt!
[22]
So ziehst du! – Was ich sagte,
Wohl klingt es schonungslos!
Doch wer uns Arndt verklagte,
Zog selber sich das Los!
Du nanntest den alten Riesen
Zu alt zu dieser Frist?
Du hast uns nur bewiesen,
Daß du zu jung noch bist!
Zieh hin, – doch um zu kehren!
Die Freiheit kann verzeihn!
Bring' ein die alten Ehren,
Mit Liedern bring' sie ein!
Der Dichtung Goldstandarte,
Laß wehn sie, doppeltreich: –
Poet, wetz' aus die Scharte,
Wetz' aus den Schwabenstreich!

St. Goar, Januar 1843.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Freiligrath, Ferdinand. Gedichte. Ein Glaubensbekenntnis. 1.. Ein Brief. Ein Brief. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B2F9-0