Johanna Gray

Lady Gray fährt auf vom Schlummer (der Morgen dämmerte kaum):
»Gott woll' uns nicht versuchen! Ich hatt' einen bösen Traum.
Ich sah einen Purpurmantel treiben auf offner Flut –
Ich bückte mich nach dem Mantel, da war es mein eigen Blut.«
Sie spricht's. Auf klingt vom Hofe verworrener Stimmen Schall,
Sieben Reiter steigen vom Rosse und schreiten in die Hall',
Sie harren entblößten Hauptes, Lady Gray tritt vor sie hin,
Sie sprechen aus einem Munde: »Wir grüßen dich, Königin!«
»Und starb mein Herr und König, was sucht ihr die Erbin hie?
Die Erbin seiner Krone, das ist Prinzessin Marie!«
Da sprach der sieben einer, der stolze Northumberland:
»Wir wollen keine Papistin auf dem Throne von Engelland.«
[126] »Und wollet ihr nicht Maria, welch Recht auch immer sie hätt',
So lebt Anna Bulens Tochter, Prinzessin Elisabeth!« –
»Anna Bulen war ein Buhlweib«, rief da Northumberland,
»Wir wollen keinen Bastard auf dem Throne von Engelland!«
»Und weigert ihr beiden die Krone, Elisabeth und Marie,
So traget die Krone selber, ich aber trage sie nie.«
Da lachte der stolze Herzog: »Täubchen, schlag ein, schlag ein,
Der Habicht ist über der Taube, du sollst unsre Königin sein.«
Sie legten ihr um den Mantel, sie hoben sie leicht aufs Roß,
Ihrer Locken goldne Fülle über den Purpur floß,
Sie rief ihr Hausgesinde: »Lebt wohl und gedenket mein!«
Sie sprengte weinenden Auges in den lachenden Morgen hinein.
Und als sie kamen gen London, horch, Glocken- und Feierklang,
Sie sprach: »Wer ist gestorben? Wer tut seinen letzten Gang?«
Northumberlands Stirn erblaßte, die eben so rot noch glomm:
»Die Glocken gelten dir selber und klingen willkomm, willkomm!«
Und als sie kamen zur City, bis nieder gen Tempel- Bar,
Einen goldnen Schlüssel reichte die goldne Stadt ihr dar –
Ein Kranz von dunklen Eichen umfaßte des Goldes Glanz,
Sie rief: »Mein ist der Schlüssel!« Sie dachte: ›Mein ist der Kranz!‹
Und als sie kamen zum Tower und die Zugbrück' niederschlug,
Da bäumte hochauf ihr Leibroß, das sonst so sicher sie trug,
Northumberland riß es am Zügel – wie hat da das Roß geschäumt;
Sie streichelte seinen Nacken: »Ich weiß, warum du gebäumt.«
Sie trat in die Krönungshalle, Bischöfe waren bereit,
Zwei Lords mit Zepter und Krone standen an Thrones Seit',
Sie nahm die Perlenkrone und fragte: »Wer trug sie schon?«
Die Lords verneigten sich beide: »Es ist Anna Bulens Kron'!«
[127] Und nieder aus der Halle schritt sie zur Tower-Kapell',
Inbrünstig warf sie sich nieder an Altars heiliger Schwell',
Auf stand sie leichteren Herzens; noch einmal sah sie herab:
»Auf wessen Grabstein kniet' ich?« »Es ist Anna Bulens Grab.«
Und draußen im Hof des Towers, da lagen weiße Stein',
Alle gefügt zum Kreise, drauf fiel der Sonnenschein,
Sie trat in die schimmernde Rundung: »Gnädige Königin, um Gott,
Auf diesen weißen Steinen stand Anna Bulens Schafott.«
Und als das Wort gesprochen, da horch, Trompetenklang,
Über des Towers Zugbrück' der Rappe Marias sprang,
Maria Tudors Rappe – seht, wie sie im Sattel sitzt!
Eines Scheiterhaufens Flamme aus ihrem Auge blitzt.
Sie hebt sich rasch aus dem Sattel, nach wallt ihrer Schleppe Samt,
(Lady Gray, wo sind deine Freunde? tot oder zum Tode verdammt!) –
Sie schreitet hinan zum Throne, triumphierend schaut sie drein,
Ihre festen Schritte sprechen: Diese Stufen sind mein.
Lady Gray erwacht im Kerker, sie spricht: »Gott Ehr' und Preis! «
Drei Tage kommen und gehen, die Steine sind nicht mehr weiß,
Die Steine sind schwarz verhangen, eine Leiter muß Treppe sein,
Zwei lächelnde Augen sprechen: Diese Stufen sind mein.
Sie neigt sich vor dem Volke: »Gott segne die Königin!«
Sie neigt sich zum Gebete: »Mein Heiland, nimm mich hin!«
Sie neiget sich zum dritten – da war das Beil bereit – –
Lady Gray trägt ihren Purpur an Anna Bulens Seit.
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Bilder und Balladen. 2. Englisch-Schottisches. Johanna Gray. Johanna Gray. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B17C-3