Lieder und Balladen
frei nach dem Englischen

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Jung-Musgrave und Lady Barnard

Jung-Musgrave trat in die Kirche,
Sein Kleid war gold und blau;
Er grüßte die schönen Frauen,
Nicht so Unsre liebe Frau.
Er sah sich um im Kreise,
Nur eine fehlte noch;
Ein trat da Lady Barnard,
Das war die schönste doch.
Ihr Auge fiel auf Musgrave,
Ihr Auge wie Sonnenschein,
Da fühlte des Knaben Herze:
Der Lady Herz ist dein.
Sie flüsterte: »Jung-Musgrave,
Ich liebe dich seit lang!«
»So tat ich, liebe Lady,
Nur war mein Wort zu bang.«
»Ich hab' ein Haus im Walde,
Verschwiegen und bewacht,
Und willst du kommen, Jung-Musgrave,
Jung-Musgrave, so komm heut nacht!«
Den Knaben überlief es,
Als habe sie ihn geküßt,
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Er sprach: »Ich komme, lieb' Lady,
Und wenn ich sterben müßt.«
Das hörte der Lady Läufer,
Nicht lang er so stund und sann:
»Und bin ich Myladys Läufer,
So bin ich Mylords Mann!«
Er sprach es und lief waldeinwärts,
Lief über das Heideland;
Die Sterne standen am Himmel,
Als vor dem Schloß er stand.
»Wach auf, wach auf, Lord Barnard,
Deine Ehr' ist krank und wund;
Jung-Musgrave und deine Lady,
Die küssen sich zur Stund'.
Sie küssen sich im Walde
In deines Försters Haus –
Laß satteln, Mylord Barnard,
Und komm und reite hinaus.«
Der Lord fuhr auf vom Lager:
»Lieber Läufer, sprichst du wahr,
Mein Forst und meine Äcker
Sind deine auf ein Jahr.
Doch hast du falsch gesprochen,
Oder trog dich falscher Schein,
An den höchsten Baum im Walde
Sollst du gehangen sein!
Auf, auf, meine Mannen alle,
Und sattelt mein schnellstes Tier,
Oft sind wir rasch geritten,
Heut reiten rascher wir.«
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Hin ging es über die Heide,
Lord Barnards Horn erklang –
Jung-Musgrave küßte die Lady,
Er küßte sie so bang.
»Ich hör' es von fernher klingen, –
Das ist keine Wachtel im Korn,
Das ist kein Häher im Walde,
Das ist Lord Barnards Horn!«
»Gib mir die Hand, Jung-Musgrave,
Deine Lippen sind so kalt –
's ist Pfeif' und Horn des Hirten,
Was über die Heide schallt.
Dein Falk' hat Schellen und Bänder,
Dein Roß hat Streu und Korn,
Und du – du hast mich selber,
Was kümmert dich Pfeif' und Horn?‹«
Und als sie das gesprochen,
Lord Barnard hält davor –
Er hatte drei silberne Schlüssel,
Die schlossen Tür und Tor.
Er schob zurück den Vorhang,
Zorn schüttelte seinen Leib;
»Sag an, sag an, Jung-Musgrave,
Wie findest du mein Weib?«
»Ich finde sie süß, Lord Barnard,
Ich finde sie süß und traut,
Und schliefe doch lieber im Walde
Bei Ginster und Heidekraut.«
»Steh auf, steh auf, Jung-Musgrave,
Leg Kleid und Waffen an,
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Steh auf, ich mag nicht töten
Einen unbewehrten Mann.
Und hast du keine Waffen,
Ich hab' zwei Klingen hier,
Nimm du die beste und längste
Und laß die kürzeste mir.«
Jung-Musgrave schlug zum ersten,
Er traf Lord Barnard gut,
Lord Barnard schlug zum zweiten,
Da lag der Knab' im Blut.
Die Lady warf sich auf ihn:
»Leb wohl mein süßer Knab',
Will beten für deine Seele,
Solang' ich Leben hab'.«
»Dann bete schnell, lieb' Lady,
Und bete für dich mit!«
In ihren weißen Nacken
Die rote Klinge schnitt.
Lord Barnard stieg zu Rosse,
Auf glomm der erste Schein:
»Begrabt sie beieinander-
Ein Grab und einen Stein!«
Lord Barnard ritt von dannen,
Sah starr ins Morgenlicht:
»Die Ehre ist genesen,
Mein Herze ist es nicht!«
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Lieder und Balladen frei nach dem Englischen. Jung-Musgrave und Lady Barnard. Jung-Musgrave und Lady Barnard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B05C-4