König Johann und der Bischof von Canterbury

Nun heb' einen lustigen Schwank ich an,
Ein Märchen von unsrem König Johann,
Mutwillig hat er im Lande regiert,
Ob's recht war, ob nicht – hat ihn wenig geschiert.
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Und erzählen auch will ich zur Stelle hie
Von dem hochweisen Bischof von Canterbury –
Die Küche voll Wildpret, der Keller voll Wein
Und Früchte von London, so mußt' es sein.
Und hundert Diener tagein, tagaus,
Die warteten seiner in Hof und Haus,
Sie trugen Kleider von Sammet schwer
Und goldene Ketten darüber her.
Das hörte der König. »He, Bischof, sprich,
Du hältst ja glänzender Haus als ich,
Ich wett', du betrügst mich um Steuer und Zins
Und beraubst meinen Seckel seines Gewinns.«
»Herr«, seufzte der Bischof, »vor Gott ich bekenn',
Ich hab' nur vertafelt, was mein ich nenn',
Und Ihr könnet und werdet mir krümmen kein Haar,
Weil ich Wein getrunken, der meine war.«
»Doch, Bischof, doch, dein Verbrechen wiegt schwer,
Du stirbst, es kann dich nichts retten mehr,
Es sei denn, du fändest die Antwort schnell
Auf drei winzige Fragen, die ich dir stell'.
Zum ersten: wenn ich auf Englands Thron,
Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
Rat halte mit meinen Grafen und Herrn,
Wie viel ich dann wert bin, wüßt' ich gern?
Und zum zweiten sollst du mir sagen dann,
Wie rasch wohl die Welt ich umreiten kann?
Und zum dritten will ich wissen geschwind,
Was zur Stelle meine Gedanken sind?«
»Herr, Eure Fragen sind viel zu schwer,
Da find' ich nicht Lösung flugs hinterher,
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Gönnt mir drei Wochen vom heutigen Tag,
Daß ich Frag' und Antwort ergründen mag.«
»Wohlan, es sei! doch nutze die Frist,
So lieb dir dein Land und dein Leben ist,
Denn rätst du falsch oder bist du nicht hier,
Sind dein Land und dein Leben verfallen mir.«
Der Bischof hört' es in trübem Sinn,
Gen Oxford und Cambridge ritt er hin,
Da war kein Doktor, den er nicht frug,
Doch die Klugen waren nicht klug genug.
So ritt er denn heimwärts, das Kinn auf der Brust,
Da kam sein Schäfer des Weges just,
Der rief ihm zu: »Willkommen zu Haus!
Was bringt Ihr? Wie sieht es in London aus?«
»Schlecht«, seufzte der Bischof, »drei Tage nach hier
Fällt mein armer Kopf vor die Füße mir,
Es sei denn, daß er auf Antwort verfällt
Auf drei Fragen, die mir der König gestellt.
Zum ersten, wenn er auf Englands Thron,
Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
Rat hält mit seinen Grafen und Herrn,
Wieviel er dann wert ist, wüßt' er gern.
Und zum zweiten soll ich ihm sagen dann,
Wie rasch er die Welt wohl umreiten kann;
Und zum dritten will er wissen geschwind,
Was zur Stelle seine Gedanken sind.«
Da lachte der Schäfer: »Herr, denket daran,
Daß ein Narr einen Weisen lehren kann;
Gebt mir Euer Roß, Euren Stab, Euer Kleid,
Und ich fecht' Euch aus Euren ganzen Streit.
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Sorgt nicht; in Kentshire weiß jedes Kind,
Daß wir zwei wie von einem Vater sind,
Und trag' ich nur erst Euer prächtig Gewand,
Unterscheidet uns keiner im ganzen Land.«
Da beschwor ihn der Bischof: »Nimm Chorrock und Stab,
Nimm Diener und Läufer, so viel ich hab',
Nimm Mitra, Kapuze, nimm was dir gefällt,
Nur löse die Fragen, die er gestellt.«
»Willkommen, Freund Bischof«, rief König Johann,
»Du hältst deine Zeit, das ist wohlgetan,
Und hält nur dein Witz auch so pünktlich Stand,
Belehn' ich aufs neu dich mit Leuten und Land.
Zum ersten: Wenn ich auf Englands Thron,
Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
Rat halte mit meinen Grafen und Herrn,
Wie viel ich dann wert bin, wüßt' ich gern.«
»Unser Heiland wurde, so wahr ich getauft,
Um dreißig Silberlinge verkauft,
Drum neunundzwanzig schätz' ich Euch ein,
Um einen müßt Ihr doch billiger sein.«
Da lachte der König und schwur bei Sankt Velt:
»Ich hab' nicht gedacht, daß so wenig ich gelt'!
Nun aber zum zweiten sage mir an,
Wie rasch wohl die Welt ich umreiten kann?«
»Reit' aus mit der Sonn', immer neben ihr fort,
Bis du andren Tages am alten Ort,
So hast du die Reise in Tag und Nacht
Oder vierundzwanzig Stunden gemacht.«
Da lachte der König und schwur bei Sankt Veit:
»Ich hab' nicht gedacht, daß so rasch ich reit'!
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Nun aber sollst du mir sagen geschwind,
Was zur Stelle meine Gedanken sind.«
Da beugte der Schäfer schnell sein Knie:
»Ihr denkt, ich sei Bischof von Canterbury,
Der sitzet daheim; nur sein Schäfer bin ich
Und bitt' um Gnade für ihn und für mich.«
Da schwur der König und lachte hell:
»Du sollst Bischof sein an seiner Stell'.«
Der Schäfer seufzte: »'s geht halt nit mehr,
Wo nähm' ich das Lesen und Schreiben her?«
»Wohlan denn, so nimm zu Dank und Lohn
Vier Nobel die Woche von mir, mein Sohn,
Und reitst du bei deinem Bischof heran,
So bring ihm Verzeihung vom König Johann.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1898). Lieder und Balladen frei nach dem Englischen. König Johann und der Bischof von Canterbury. König Johann und der Bischof von Canterbury. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AEB5-5