Lord Athol

Lord Athol kniet im Beichtstuhl
Vor dem Bischof von Aberdeen:
»Frommer Bischof, ich fühl' ein Feuer
In Mark und Adern glühn.
O lösch mit Gebet und Gnade
Mir das Feuer im Herzen aus –
Unter weißen Schlehn im Walde
Stand ein einsam Jägerhaus.
Es stand im Wald unter weißen Schlehn,
Seit drei Nächten steht es nicht mehr,
Ich legte Stroh und Reisig
Und Strauchwerk rings umher.
Die Flammen verzehrten alles,
Das Haus und den Mönch und mein Kind,
Sie liebten sich, sie küßten sich,
Ihre Asche hat der Wind.«
Der fromme Bischof von Aberdeen
Hat sich seufzend abgekehrt:
»Lord Athol, ich kann nicht löschen
Das Feuer, das dich verzehrt.
Deiner Tochter stille Asche,
Die hinweht über die Flur,
Sie flüstert von deiner Sünde
Wider Gott und die Natur.
Und die sündige Seele des Mönches,
Die jetzt in Flammen kreist,
Schreit auf über deine Untat
Wider Gott und den heiligen Geist.
[290]
Die Schuld hinweg zu waschen,
Hat die Welt nur einen Strom –
Brich auf und wirf dich nieder
Vor dem heiligen Vater in Rom.«
Lord Athol nahm eines Pilgers Kleid,
Zog hin über Land und Meer,
Er trat in die Peterskirche –
Viel Tausend knieten umher.
Der Papst, in Gold und Purpur,
Stand da mit verklärtem Gesicht-
Es war am Gründonnerstage,
Wo er Worte des Segens spricht.
Und als er der Segensworte
Allerheiligstes nun begann,
Da begann seine Stimme zu beben,
Und ein Schauer faßte ihn an;
Und der Kelch in seiner Rechten
Entglitt seiner zitternden Hand –
Es rollten die roten Tropfen
Hin über den weißen Sand.
Todblaß der heilige Vater,
Vor Entsetzen stand er da,
Dann hob er mit Macht seine Stimme:
»Ein Verfluchter ist uns nah!
Er hat nicht teil am Segen
Und nicht teil an Christi Huld,
Der Kelch mit dem Blute des Heilands
Erbebte vor seiner Schuld.
Unseliger, flieh! diese Wände,
Sie haben für dich nicht Raum!« –
[291]
Lord Athol schwankte von dannen,
Seine Füße trugen ihn kaum.
Er schritt ans Meer, zu Schiffe,
Es kamen Ebb' und Flut,
Die Jahre kamen und gingen,
Im Herzen blieb die Glut.
Er kniete am heiligen Grabe,
Er fuhr über Land und See,
Die Jahre kamen und gingen,
Im Herzen blieb das Weh.
Und heimwärts endlich fuhr er
Über Land und über Meer,
Er trat in Hof und Halle,
Und Hof und Halle war leer.
Im Kamine lag tote Asche,
Drüber hing seines Kindes Bild,
Hing unter Staub und Spinnweb
Und lächelte doch so mild.
Und mild kam's über Lord Athol:
»Ich kenn' eine stille Stell',
Eine einsame Stell' im Walde,
Da bau' ich Kirch' und Kapell'.
Ich bau' sie mit eigenen Händen
Und will schlafen auf Stein und Streu,
Die Stätte, wo ich gefrevelt,
Sei auch Stätte meiner Reu'.«
Und Schloß und Hof und Halle
Verließ er alsobald,
Nacht dämmerte in den Zweigen,
Da schritt er hinab in den Wald.
[292]
Er kam an den Platz; über Trümmern
Blühten wieder die weißen Schlehn –
Auf dem Estrich, in grauer Kapuze,
Sah einen Mönch er stehn.
»Knie nieder zur Stell', Lord Athol,
Ich kenn' deine Beichte schon,
Knie nieder zur Stell', Lord Athol,
Und empfange die Absolution.«
»Wer bist du, dessen Freispruch
An dieser Stätte mich sucht?«
»Wer bist du, dessen Freispruch
Wo der heilige Vater flucht?«
»Bin ein Fremdling worden, Lord Athol,
Mein Land ist fern und weit,
Knie nieder zur Stell', knie nieder
Und bete und sei bereit.«
Lord Athol kniete lange,
Tau fiel und Morgenduft,
Der Fremde zerrann in Nebel,
Und der Nebel zerrann in Luft.
Im Walde sangen die Vögel,
An den Zweigen hing Morgenrot,
Lord Athol kniete noch immer –
Sie fanden ihn kalt und tot.

Notes
Entstanden 1855, Erstdruck 1875.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Lord Athol. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AE7C-5