12. An Herrn Martin Christenien über Ableben dessen Vatern, Mutter und Schwester

1633.


Liebster nach dem Liebsten du,
o du meiner Freunde Seele,
gieb doch, Bruder, gieb doch zu,
daß ich mich mit dir auch quäle,
der du in viel Toden stirbst
und in keinem doch verdirbst!
Ach! was ist das Leben doch,
in dem nichts als Sterben lebet?
Ärger ist es, ärger noch
als der Tod, der vor uns schwebet,
der, wie sehr man nach ihm greift,
stetigs weicht und von uns läuft.
Über das so große Leid,
das der ungestüme Würger
nun so eine lange Zeit
gegen dich und seine Bürger
ausgeübt und noch hält an,
war dein größtes nicht getan.
Dein Raub aus so mancher Not,
dein Trost, deiner Jugend Freude,
Alles ist auf einmal tot,
ihm zur Ruh' und dir zu Leide.
Deine Liebsten von der Welt
hat das strenge Recht gefällt.
Drei auf einmal ist zu viel:
Vater, Mutter, Schwester fallen.
Was ist deiner Hoffnung Ziel,
du Betrübtster unter Allen?
Eine Gruft hat sie und dich
und den andern Dich auch, mich.
Wie ist aber ihm zu tun?
Was so hin ist, kömmt nicht wieder.
Wol dem, der in sich kan ruhn,
der läßt seine Segel nieder,
[272]
wenn das Wetter hat sein Spiel
und der Wind nicht fugen wil.
Laß den Zeiten ihren Lauf!
Was der Himmel heißt geschehen,
das hält man vergebens auf.
Auf den Höchsten muß man sehen,
der uns dreifach oft betrübt,
weil er uns auch dreifach liebt.
Tröste dich und schau auf mich!
Ich verzeihe mich der Meinen.
Heute trifft das Elend dich;
ich vielleicht muß morgen weinen,
bevoraus weil ich forthin
weit von euch, ihr Lieben, bin.
Mutter Deutschland und auch ihr,
Vater, Mutter, Schwester, Freunde,
mein! erlaubet diß doch mir,
das ihr mehr wündscht eurem Feinde,
daß ich ferner Länder Zier
unserm Meißen setze für!
Ist mir Gott und Glücke gut,
daß ich mit gelehrten Küssen,
wie mein Opitz täglich tut,
euch hinwieder soll begrüßen,
denn soll meiner Verse Lust
auch bei Fremden sein bewußt.
Meint nicht, wie der Pöfel spricht,
Mitternacht sei ganz ohn' Ehren,
Persien, das habe nicht,
was uns könne Weisheit lehren!
Denkt, daß in der Barbarei
Alles nicht barbarisch sei!
Meine Poesie steht hier
und verpflichtet sich bei Treuen:
dermaleins soll ihre Zier
nur zu eurer Lust gedeien;
euer ists, was sie begehrt
und in fremder Welt erfährt.
[273]
Du indessen denk an dich,
o du Herze voller Sorgen,
denk an dich und auch an mich
und an jenen lieben Morgen,
da dein Leid und meine Pein
erst soll recht betauret sein!

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TextGrid Repository (2012). Fleming, Paul. Gedichte. Deutsche Gedichte. Oden. 2. Von Leichengesängen. 12. An Herrn Martin Christenien. 12. An Herrn Martin Christenien. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A92E-E