44. An Herrn Olearien vor Astrachan der Reußen in Nagaien

1636 September.


Ob hier gleich Niemand fast auf dieses Wesen hält,
so bist doch du noch da, der dem mein Fleiß gefällt!
Du sprichst dein Urteil wol, ein rechtgesinnter Richter,
als der du selbsten bist ein hochgeschickter Dichter!
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Drum treibet mich mein Sinn, zu stellen eine Schrift,
wo nur die Feder zu mit dem Gemüte trifft,
die ihren Tod lacht aus, die wider Neid und Zeiten
für deinen Ruhm und mich ohn' Ende möge streiten.
Thalia, reiche mir ein taurendes Papier,
denn seine Schwäche geht dem starken Marmel für!
Mein Denkmal soll ein Brief, ein Blat sein, voll mit Zeilen,
das Trutz beut, Jupiter, auch deinen Donnerkeilen,
das steifer als Demant und Gold im Feuer hält
und endlich mit der Welt in einen Haufen fält.
Wie wenig ihrer itzt noch namhaft sind zu machen,
die etwas Düchtigs tun in dieser neuen Sachen,
die etwas setzen auf, das sich erschwinge frei,
das nach dem Himmel schmeck' und Lebens würdig sei:
du hältst Olympen wert und seine Bürgerinnen,
die unser' Sprache nun auch zierlich reden können
und lieber sind als vor, da Rom nur und Athen
sich durch das schöne Volk so trefflich hört' erhöhn.
Ihr Lob bleibt ewig stehn, ihr Fleiß ist unser worden,
hat glücklich sich gewandt von Süden aus in Norden.
Wir haben wol getauscht. Um unsern Unverstand
gab sich und seine Kunst das kluge Griechenland,
die neue Barbarei. Rom ist nun Rom gewesen.
Das edle Latien wird hochdeutsch itzt gelesen.
Das Volk, das mit der Faust sonst alle Völker trutzt,
sieht nun erst, wie viel mehr die Macht der Zungen nutzt.
Wo würd' Ulyssens Witz, wo Hectors großes Herze,
so vieler Völker Ernst, so mancher Länder Scherze
und alles Alte sein? Wo würde Kunst und Fleiß
und das, von dem man nun auch kaum den Namen weiß,
vorlängst geblieben sein, wenn nichts wär' aufgeschrieben?
Wer glaubts, daß wir erst itzt uns fangen an zu üben
in Manheit und in Kunst? O nein! die alte Welt
wust' eben das und mehr, als was nun uns gefällt.
Diß ist es, das sie hat in tiefe Nacht verschlossen,
diß ist es, das sie hat mit Lethen ganz begossen,
daß sich kein Geist geregt, der durch der Feder Kraft
der ritterlichen Faust recht hätte Rat geschafft,
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wie du auch itzund tust. Die hohen Siegesfanen,
die du hast aufgesteckt dem Helden der Alanen,
die rühmen dich und ihn. Ich weiß nicht, wo ich bin:
es kömpt mir gar zu viel auf einmal in den Sin
von dir, du Sohn der Luft! Der wolgestirnte Himmel
erschallte durch und durch vom frölichen Getümmel
der ganzen Göttlichkeit, als deiner Mutter Mund
dir gab den ersten Kuß. Die fruchtbar' Elster stund
und drückte dich mit Lust an ihre feuchten Wangen.
Die blumichten Napeen, die kamen her gegangen
und satzten einen Kranz dir in das junge Haar,
das schon zu aller Kunst auch da vorsehen war.
Es war ein schöner Zank alsbald bei deiner Wiegen:
es wolt' ein ieder Gott am nächsten bei dir liegen.
Sie drungen sich um dich. Apollo hauchte dir
die Künste lieblich ein, der Maien Sohn die Zier
der Wolberedsamkeit. Uranie, die neigte
dir ihren Himmel zu. Die Mathesis, die zeigte,
wie Luft und See und Erd' und alles sich vergleicht,
bis daß ein Himmelssohn auf Erden wird gezeugt,
als wie du einer bist. Die tausentmal dich küßte,
die Suada, legte dich an ihre weichen Brüste.
Von Kind auf wurdest du mit süßer Kost gespeist,
die Pindens Volk erhält und vom Parnassen fleußt.
Du wuchsest lieblich auf. Der Witz kam vor den Jahren.
Du gingest allen vor, die deinesgleichen waren,
warst jung an Klugheit alt. Die gütige Natur
zog nach sich deinen Fleiß auf ihre schöne Spur.
Wem Phöbus macht ein Herz' aus tüchtigem Geblüte,
dem leibt er gleichsfals ein ein lebendes Gemüte,
das Lust zur Weisheit hat, die uns der Himmel leiht,
durch die es treten kan den Weg der Ewigkeit,
die du nun hast ereilt. Die Elster ruft der Pleiße
und die der Parden zu von deinem hohen Fleiße,
den du gewiesen hast der dreibeströmten Stadt,
die nicht den letzten Preis von dreien schönsten hat,
so unser Deutschland rühmt. Ach! daß ichs nun sol nennen,
das liebe Vaterland, das kaum noch ist zu kennen,
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von Wehmut ungestalt, von Wehmut aller Not,
in der es ohne Tod nun ist so lange tot,
sein eigen Schwert und Grab. Diß sahst du so geschehen,
bis daß du länger nicht der Angst zu kontest sehen.
Da namest dir den Weg weit in den Aufgang für,
den Weg, den viel' versucht, und keiner noch vor dir,
du edles Holstein du, so weit hat können kommen.
Da hast du, mehr als Freund, auch mich mit dir genommen,
ein Zeuge meines Tuns, das, wie gering's auch ist,
iedoch mein Deutschland itzt nicht ohne Liebe liest.
Ich weiß, wie hoch ich dir für dieses bin versessen,
daß ich nach meinem Tod' auch werde nicht vergessen.
Kein Dank, der stirbt mit uns. Bei solcher langen Zeit
hab' ich mich neben dir betrübet und erfreut.
Dreimal hat Sirius gebrant den Kreis der Erden,
itzt wils das drittemal nun wieder Winter werden,
seit wir zusammen tun den schweren, langen Zug,
den Fama schon vorlängst bis ans Gestirne trug.
Du bist die rechte Hand der edlen Abgesandten,
ihr Willen und ihr Sin, den sie in dir erkanten.
Du hältst das hohe Werk, das auf zwo Schultern ruht,
und sprichst der deutschen Welt ein einen sichern Mut,
auf Alles gutes Heil. Inzwischen solcher Sachen,
die dir den Tag zur Nacht, die Nacht zu Tage machen
und dich erfordern ganz, so denkst du noch an mich
und meinen Helikon. »Auf«, sprichst, du, »rege dich!
Ich liebe deinen Fleiß.« Dank habe deiner Ehren!
Was soll ich aber dich hier Lieblichs lassen hören
und des du würdig bist? Ich zwinge meinen Sin.
Ich weiß nicht, wie ich itzt so laß zum Dichten bin,
zu Ruhme nicht gedacht. Auch ich hab' um Parnassen
und sein gelehrtes Volk mich ofte finden lassen,
hab' allen, Fleiß getan um Phöbus seine Gunst,
bin Nacht und Tag gerant nach seiner duppeln Kunst,
des Dichtens und des Heils; auch ich kenn' Amathusen
und ihr verschlagnes Kind, den listigen Empusen.
Das Kunstwerk kan auch ich, das Deutschland edel macht,
das Schlesien bei uns zuerst hat aufgebracht,
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das nun fleugt überweit. So hab' ich auch mit Ehren
um meiner Mulden Rand mich ofte lassen hören,
so daß Apollo selbst mir bote seine Hand
und mir der erste Kranz daselbst ward zuerkant,
der ander' an der Paar, auf der berühmten Schulen,
da alle Gratien mit allen Künsten buhlen.
Das war zu jener Zeit, da für mein würdigs Haar
der dritte Lorbeerkranz schon halb geflochten war.
Ein Geist muß in der Lust der sichern Freiheit leben,
der etwas Freies tun und an den Tag sol geben,
muß still' und seine sein und dieses fassen wol,
was Zedern würdig sein und ewig bleiben sol.
Sol einer, der da schifft, sein Gut wol übertragen,
so muß ein guter Wind die leichte Muschel jagen.
Sol die erstickte Glut recht geben einen Schein,
so muß sie nach und nach recht aufgefechelt sein.
Es hätte Maro nicht sein ewigs Buch vollfüret,
hätt' ihn Augustus nicht mit Ehren so gezieret.
So hätte Flaccus auch es nicht so weit gebracht,
wenn sein Mäcenas ihm nicht hätte Lust gemacht.
Bei uns auch gehts noch so. Der Fürst der deutschen Lieder,
der Bundslau Mutter heißt, legt seine Laute nieder,
bis Hannibal ihm winkt, den er so hoch erhebt,
daß er auch seinen Tod nun recht hat überlebt.
Hier muß kein Zwang nicht sein. Die sanften Pierinnen
sind Hartes nichts gewohnt, sie haben blöde Sinnen,
tun nichts nicht als mit Lust. Und wenn ein weiser Mann,
der sie mit Ehren liebt, sie freundlich nur spricht an,
so stehn sie fertig schon. Nun kanst du leicht ermessen,
was ich seit jener Zeit von aller Lust vergessen.
Mein Wundsch ist größer nicht, als ich bin und mein Stand.
Ich nehm' es willig an, was mir wird zuerkant
von meines Glückes Hand, das sich noch schlecht erweiset,
wie weit ich ihm nun bin, wie lange nachgereiset,
nun meine Jugend mir in ihrer Blüte stirbt
und mit der Ernte selbst die Hoffnung mir verdirbt.
Ich traue meinem Gott und lasse mich begnügen,
der wird es alles wol nach seinem Willen fügen.
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Sol denn das schlechte Tun, des ich zu dieser Zeit
nicht denken darf noch wil, ja, das mich fast wie reut,
daß ichs gefangen an, (ich meine Meditrinen,
mein ander Heiligtum) noch künftig iemand dienen,
so wird er gnädig auch mir schaffen an die Hand,
dardurch mir Rat geschieht und Tat wird zugewandt.
Ich fürchte meinen Gott und ehre meinen Herren,
der mir nächst ihm gebeut, gewohnt mich nicht zu sperren,
was er mir auch befielt, auf seinen Dienst bereit,
auch ehe was zu tun, als er mirs noch gebeut.
Ich bin von Jugend an in Sanftmut auferzogen,
von mir ist niemand noch belogen, noch betrogen.
Viel Wesens mach' ich nicht. Läßt man mir meinen Glimpf,
so müste mirs sein leid zu bringen einen Schimpf
auf diesen oder den. Ich aber wil nur schweigen
und mich auf allen Fall mir ähnlich stets erzeigen.
Ich kehre mich nicht dran, was jener von mir zeugt,
der mündlich mich hat lieb und herzlich doch betreugt,
ein freundgestalter Feind. Mein redliches Verhalten
wird zeugen, wer ich bin, bei Jungen und bei Alten.
Mein Sin ist ohne Falsch, in stiller Einfalt klug,
kan dem auch nicht sein gram, zu dem er wol hat Fug.
Immittelst will ich mich nur selbst zufrieden sprechen.
Der Höchste, der es sieht, wird alle Unschuld rächen.
Ich wil zufrieden sein, wil leben, wie ich sol.
Was heute nicht ist da, das kommet morgen wol.
Ich will mich unter mich mit allem Willen bücken,
bis mein Verhängnüß mich hinwieder wird erquicken.
Wer weiß, was Honig ist, der Wermut nicht versucht?
Ie bittrer ist der Stamm, ie süßer ist die Frucht.
Laß diß ein Zeugnüß sein der ungefärbten Treue,
die ich dir schuldig bin, o Freund, des ich mich freue
in dieser Traurigkeit! Es kömpt mit mir dahin,
daß ich mit mehr nun nicht als Worten dankbar bin,
an keinem Mangel arm. Du wirst vor Willen nemen,
bis ich mich meines Glücks nicht mehr so werde schämen,
von dem du schweigend sagst. So komm doch schöner Tag,
daß ich mich gegen ihn recht dankbar halten mag!
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TextGrid Repository (2012). Fleming, Paul. 44. An Herrn Olearien vor Astrachan. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A90C-9