3.

Und zum dritten Mal kochte die Mittagsglut
Die Palmenwipfel, da lichtete sich
Der Wald, und wir fanden den Weg hinaus
Aus dem Pflanzengewirr und atmeten tief,
Wie befreit aus langer Gefangenschaft Graus.
Die Hoffnung zog ein, die Furcht entwich,
Und grün lag das Land in des Friedens Hut,
So lag es vor uns, und in Mitten lief
Die Quelle, der Bach, das Wasser blank.
Da weinten wir und stammelten Dank
Und sanken aufs Knie und schöpften mit Händen
[153]
Das kühle Nass, den entbehrten Trank.
Und wie wir gekräftigt zum Gehen uns wenden,
Da sehn wir im Gras, fußbreit, einen Pfad,
Einen richtigen Pfad und fast schnurgerad
Und fleißig betreten. Dem folgen wir dann,
Ich hinter dem Mädchen, Jens Jensen voran.
Und wie wir es hofften ein jeder, und doch
Zu sagen sich niemand getraute, so fanden
Wir's wirklich, als eine Strecke noch
Den Pfad wir gingen. Vier Palmen standen,
Und weiter noch sechs oder sieben, als Posten
In die grünende Ebne vorgeschoben,
Und unter den ersten vier ragende Pfosten
Mit Zweiggeflecht an den Seiten und oben,
Ein Haus, eine Hütte, von Menschen erbaut.
Wer mochte hier in der Wildnis wohnen?
Wir standen von Weitem und schauten und schauten.
Wer schilt uns, dass wir nicht gleich uns getrauten?
So standen wir lauschend und spähten umher,
Und jedem ging hastig der Atem und schwer,
Und klopfte das Herz. Doch alles blieb stumm.
Kein menschliches Wesen, kein menschlicher Laut,
Nur Rauschen des Windes im Grase ringsum
Und kräftiger hoch in den Palmenkronen.
Da fassten wir Mut und gingen gradaus.
Jens Jensen trat zuerst in das Haus
Und spähte und winkte uns näher. Wir fanden
[154]
Halb offen die Thür, und wir traten ein
Und waren im niedrigen Raum allein.
Eine leere Hütte. Nichts war vorhanden,
Sie wohnlich zu machen. Kein Stuhl, kein Tisch
Und kein Bett. Nur vier kahle Wände. Frisch
Aus dem Seitengeflecht, hier, da, ein Spross,
Ein lustig grünender, schwankender Schoss
In den dämmrigen Raum hineingestreckt,
Armlang und mit leichtem Gespinnst überdeckt.
In der Ecke ein Haufe trocknen Laubes,
Unter der Decke zollhohen Staubes,
Schien als Lager gedient zu haben.
Nichts weiter! Und doch, im Dunkel dort,
Nur zögernd nahm ich's vom Boden fort,
Ein Trinkgefäß, eine hohle Nuss.
Wen musste die ärmliche Schale erlaben?
Schon lange nicht mehr mit dem staubigen Rand
Sich durstige Lippe zusammenfand.
Und schnell mit geheimem Grauen, als säß
Ein Zauber drin, warf ich hin das Gefäß.
Und suchend setzte ich weiter den Fuß
Und ging um die Hütte und weiter noch,
Nach den Palmen, den sieben, hinüber, zehn Schritte.
Und wie ich betrete den schattigen Raum,
Ich trau' den entsetzten Blicken kaum,
Und fahre zurück, und stiere doch
Gebannt auf das Schreckliche hin und stier'.
[155]
Da saß in des friedlichen Wäldchens Mitte
Ein Toter, ein menschlich Gerippe hier:
Kein Kleid, kein Fleisch, nur bleichende Knochen.
Und ich sah, der lag da nicht Tage, nicht Wochen,
Der saß da, gelehnt an den Palmenbaum,
Wohl Monde und schlief den Schlaf ohne Traum,
Den ewigen Schlaf in der Wildnis hier.
Und über die Knochen kroch Tier an Tier,
Und aus den Höhlen der Augen, der Nase
Sah Würmer ich schlüpfen und sah im Grase
Die eklen Geschöpfe in Reihen, in Haufen
Das einsame, bleiche Gerippe umlaufen.
Und ich rief die Gefährten, und schaudernd standen
Und schweigend wir. Wer war's, den wir fanden?
Ein Wilder? ein Weißer? ein Seemann? wie wir
Von den Stürmen verschlagen, gestrandet hier,
Ohne Hülfe, ohn' Rettung in langer Qual
Dem Würger Tod zum Opfer gefallen?
Drohte ein Gleiches nicht auch uns allen?
Und plötzlich erblasste der letzte Strahl
Der Hoffnung in mir, und ich dachte, wann mag,
Wie bald mag kommen der schreckliche Tag,
Wo hingegeben den Würmern zum Fraß
Du liegst und die andern am Boden, im Gras,
In der Sonne Glut, und über euch gehen
Die Tage, die Jahre, die Winde verwehen
Den Staub, und die drüben warten und weinen,
Und weiß keine Seele, wo Kreuz und wo Grab,
Und wer euch die letzte Tröstung gab.
[156]
Und wie wir gefürchtet, so war es nachher:
Die Insel war einsam und menschenleer,
Von Felsen ummauert ein stilles Thal,
Und auf dem Felsen, der langsamen Qual
Des Hungertodes war preisgegeben,
Wer dort, zu retten sein elend Leben,
Von Klippenhöhen mit Hoffen und Graun
Sich blind nach rettenden Schiffen wollt' schaun.
Hier boten die Früchte, die Wurzeln, der Bach
Doch spärliche Speise, hier war doch ein Dach,
Eine Hütte von einem aufgezimmert,
Dem nie wohl im Hirn eine Ahnung geschimmert,
Er könnte für andre sein Häuschen errichten,
Es gegen die Glut und die Winde dichten,
Für andre, für Erben, die nie er gesehn,
Sein notgeborenes Werk lassen stehn.
Auch uns zwang die Not nun, uns einzurichten.
Uns schien es so viel, als auf Rettung verzichten,
Doch hofften wir dennoch von Tag zu Tage,
Wochen, Monde vergingen, doch
Wir hofften, hofften immer noch
Und hofften und zagten und hofften, ich sage
Ein Jahr und noch eins, und es kam kein Schiff,
So oft wir auch standen auf ragendem Riff,
Wohl Tage lang oft und spähten uns blind.
Doch nichts als Wellen und drüber der Wind,
Die Sonne, die Sterne, ein Kommen und Gehn,
Und die Wolken, doch niemals ein Segel zu sehn,
Kein Segel, kein Segel! – Da gaben wir's auf
[157]
Und ließen dem Zufall allein den Lauf
Und schickten uns drein. Vielleicht aus der Bahn
Geschleudert gleich uns, wie ein Ball vom Orkan,
An die Klippen geworfen gleich uns, dass Genossen
Wir fanden im Elend. Doch Stürme schlugen
Auf Stürme das Eiland im Herbst und im Winter
Und brausten im Frühling, doch niemals trugen
Die Wellen ein Fahrzeug an unsern Strand.
Keine Hülfe, keine Rettung, so schien es beschlossen.
Wir waren ergeben. Das Heimatland
Fern, fern, und die Freundschaft, die Liebe, und hinter
Uns allen die Hoffnung verblasst längst. So sahn
Die Zeit, eine Schnecke, vorüber wir schleichen.
Wir hungerten nicht und blieben gesund
Und lebten so hin, bis uns würde erreichen
Die letzte Ruhe, die Todesstund'.
Wir fürchteten nicht und ersehnten sie nicht,
Weil immer, trotz allem, ein Schimmer ja bricht,
Und wär's auch ein blasser, todblasser nur,
Ein Schimmer der Hoffnung durch schwärzeste Nacht.
Es ist einmal so, ist Menschennatur,
Mit Hoffnung wird der Mensch groß gemacht,
Und hofft bis zum Grab und drüber hinaus,
Doch der Tod sticht mit Trumpf, und das Spiel ist aus.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Die Schiffbrüchigen. 3. [Und zum dritten Mal kochte die Mittagsglut]. 3. [Und zum dritten Mal kochte die Mittagsglut]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A60F-1