[27] An Detlev von Liliencron

Heute hatt' ich einen Festtag, einen Frohtag.
In den Federn lag ich noch, ich Siebenschläfer,
Als erschreckend mich, an meinem Klingelzug schon
Stürmisch riss der brave, schnauzige Stephansjünger,
Er, so mancher meistens unverhoffter Freuden
Unbewusster, mürrisch kalter Botenträger.
An die Thüre stürz' ich eins zwei drei auf Socken,
Stürze, stolpre, rutsche. Durch die schmale Spalte
Eine Handvoll »Post« reicht mir herein der Brave:
Briefe, Bücher, eine lange Notenrolle.
Ei, verflog der Schlaf, der halbwegs mich umfing noch.
Dennoch zog ich schnell zurück ins warme Bett mich.
In des Wintermorgens mattem trübem Frühlicht
Überflog ich schnell die reiche Stephansspende,
Brach das Brieflein: »Viel zu kalt ist's heute,« schrieb mein
Mütterchen, »für unsre Domfahrt, und ich schone
Lieber mich zum Feste.« – Aus der schlanken Rolle
Zog die ersten fünf ich von den dreiundfünfzig
Mörikegesängen Hugo Wolfs, den unlängst
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Du begeistert mir gepriesen und in deinem
Neusten, prächtigen Versebuch: »Der Haidegänger«
Kräftiglich in deiner kernigen Art besungen.
Und da war er selbst in seinem gelben Kleide,
Kam mit einem gelben Zettelchen, auf welchem
Zier geschrieben: »Mit ergebenster Empfehlung
Vom Verleger überreicht.« Schon hatt' am Abend
Fröhlich ich für ihn das Portemonnaie gezogen
Und mit meinem Federmesser alsogleich ihn
Untersucht nach wahren, echten Dichtergaben.
Zwei der edlen »Gänger« stehen nun im Stall mir,
Bücherstall: so nenn' ich meinen kleinen gelben
Schrank. Einst war es Mutters Wäscheschrank. Jetzt stehen
Drin in Reih und Glied geordnet (Schöne Ordnung!)
Groß und kleine und berühmt und unberühmte
Teutsche Dichter, die ja, wie bekannt, nur schreiben
Tapfer fleißig für ihr Volk, auf dass es schmunzelnd
Sie und stolz als höchste nationale Güter
In den Schrank stellt! Aber Freund, sei ohne Sorge,
Eins von deinen Haidegängerbüchern mag drin
Neben Goethe, Schiller, Platen, Lenau, Reuter
Neben Bibel und Fürst Bismarck Ruhe pflegen,
Von dem Schreibtisch kommt mir nicht das andre eher,
Bis ich Vers für Vers zu eigen mir gemacht hab'.
Kommst du, wie du ja versprochen, gleich nach Neujahr
Auf die Bude mir, so will für alles Schöne,
Das seit letztem Sommer ich dir danke, herzlich
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Beide Hände ich dir drücken. Und dann singst du
– Denn mir ahnt: Du singst, verstehst zu singen – jene
Schönen Lieder mir vom neuen Liederkönig
Hugo Wolf. Vor allem das entzückend lust'ge
Lied vom Knaben mit dem Immlein. Ach, ich selber
Singe nur in Tönen wie ein Nebelhorn, das
Mitternächtig ruft bei trübem, dickem Wetter
Angst und Graun im Herzen wach der Passagiere,
Die mit Zagen denken der Gefahr, davon sie
Einzig nur des Schiffes dünne Planken trennen.
Heute noch dazu quält mich ein Riesenschnupfen:
Schnaufend, niesend, kröchelnd, ächzend schreib ich diese
Seltsame Epistel an dich nieder, während
Draußen, Omeletten gleich dick überzuckert,
Alle Dächer tragen frischen Winterschmuck, denn
Schon seit frühem Morgen schneit es unaufhörlich
Auf die Dächer, Straßen, Plätze und die grünen
Waldentführten Weihnachtsbäume. Wenige Tage
Noch, und auch in meiner kleinen Klause leuchtet
Solch ein lichtgeschmücktes Bäumchen mir zum ersten
Frohen Christfest an dem eignen Herd. Wie köstlich!
Und du Böser wolltest einst mich sorglich warnen
Keinem Weib zu fest ins schlaue Garn zu gehen,
Denn die leidigen Ehefesseln brächten wenig
Freude einem teutschen Dichter. Nun, am Ende
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Bin ich gar kein Dichter, denn fürs erste schmeckt mir
Noch die Ehe wie ein Honigkuchen, d'rauf mit
Weißen Mandeln eingelegt ein schönes Herz ist.
Doch, gewiss, ich weiß ja, Ehe ach und Ehe!
Aber dass nun meine Frau so übel gar nicht
Und ein dichterfreundlich Herz hat, zeigt allein schon,
Dass trotz jener Warnung sie nicht schmollt mit dir und
Ihren »Ersten« – wenn das Störchlein nicht vergisst drauf –
Detlev nennen will: Hans Detlev. Heute schickt sie
Dir besondern Gruß und Dank durch mich für deinen
Allerliebsten »Puppenhimmel«. Damit, Bester,
Gott befohlen. Und ein frohes, schönes Christfest.
Gleich nach Neujahr hoff' ich dir die Hand zu drücken.

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TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Vermischte Gedichte. An Detlev von Liliencron. An Detlev von Liliencron. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A50E-B