[83] Epistel

Fastnachtsverse wünschen Sie, verehrter Doktor?
Leider hab ich nichts dergleichen mehr auf Lager,
Meine Muse, die in diesen Tagen dreimal
Schon ich darum anging, aber ist ein sprödes,
Knauseriges Frauenzimmer, voller Launen,
Wie ja alle Evastöchter, und seit vielen
Wochen wendet schon die »Himmlische« mir schmollend
Ihren »hehren« Rücken zu. Was fang ich an jetzt?
Giebt es Mitleidswerteres als einen Dichter,
Dem die Muse den berühmten Kuss verweigert?
Viele zwar von meinen Herrn »Berufskollegen«
Wissen sich in solchem Falle schon zu trösten
Und versuchen's kecklich ohne ihre Muse,
Und die Menge merkt es, beim Apoll, den glatten
Feinen Versen, die ins Ohr wie Öl ihr träufeln,
Manchmal nimmer an, dass sie der Herr Verfasser
»Ganz allein« gedichtet, ohne höhere Hülfe.
Ich doch kann nicht eine einzige Zeile schreiben,
Wenn die gute Muse mit mir »mault«, und gar noch
Faschingsverse – nein, dazu bedarf's der ganzen
Närrisch übermütigen Laune, die mit buntem
Flitter sich behängt, hinweg zu täuschen klüglich,
Sich auf Stunden dieses Lebens graues Elend,
Oder auch bedarf's des grauen Elends selber,
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Aschermittwochstimmung, die in Sack und Asche
Und mit hängenden Ohren Bußelieder dichtet.
Beides liegt mir fern. Ganz nüchtern werkeltäglich
Trott ich meines Lebens immer gleichen Pflichtweg,
Der mich abseits führt von Maskeradensälen.
Ach, wie lange schon ist's her, dass mich auch einmal
Einer Maske klug gewählte Hülle freundlich
Barg vor meiner lieben Nächsten Späherblicken,
Dass der weiße, kreuzbestickte Rittermantel,
Und der kecke Hut mit weithinwallender Feder,
Und der Degen und die großen Sporenstiefel,
Diese ganze Heldenmummerei, mich einmal
Wenige schöne Götterstunden ließ vergessen,
Dass mit vielen tausend Adamssöhnen sonst ich
Ohne Rittermantel muss mein Kreuzlein tragen.
Nun, man trägt es schon. Kommt einmal doch die Stunde,
Wo auch dieses Kreuz mit anderm, wie entlieh'nes
Faschingsballkostüm, dem großen Allesleiher
Wieder wir zurück in die Garderobe liefern.
Masken! Larven! Ach, wir tragen alle Tage,
Nicht zum Fasching nur, die wunderlichsten Hüllen.
Masken! Larven! Bis die Stunde schlägt, Erlösung
Schlägt? und alle Hüllen fallen. Oder geht es
Weiter drüben, weiter so in aller, aller
Ewigkeit? Ein immer neues Mausern? Immer
Nur ein Kleiderwechseln?
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Aber werter Doktor,
Welche alte, abgedroschne Kinderfragen
Stell ich. Sehen Sie, so geht es mir nun, wenn ich
Ohne den berühmten Musenkuss Episteln
Schreib, wie jene Afterdichter, jene kleinen
Flinken Fexen unseres lyrischen Parnasses,
Die sich ihre lyrische Begeistrung jeweils,
Wenn nicht anders, holen her aus dem Kalender.
Darum Schluss denn, keine lahme Zeile weiter.
Fort vom Schreibtisch, von dem heute sehr missbrauchten,
An den Flügel. Aufgeschlagen winkt vom Pult mir
Robert Schumanns immer junges, frühlingshaftes,
Buntes Faschingssträußchen: »Papillons« benamset.
Wenn die Finger mit den Tasten Zwiesprach halten:
Druck und Gegendruck, auf leises Fühlen Antwort,
Dann vielleicht, dass sachte, von den herzensechten
Tönen Schumanns angelockt, die Muse hinter
Meinen Stuhl sich stellt und lauscht, denn Schumann liebt sie,
Und dass sie zum Lohn hernach vielleicht ein Verschen
Wieder mir ins Ohr mit ihrem wunderbaren
Lächeln, wie von einer andern Welt her, flüstert.
Thut sie's, schreib sofort ich's nieder auf mein bestes
Weißestes Papier und schick es »eingeschrieben«
Schleunigst an die Redaktion mit nächster Post.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Vermischte Gedichte. Epistel. Epistel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A4DB-3