[83] Horch: deine Seele

Vom Vater- und Muttergeist geformt und beschworen,
Aus Nachtmeer und Schweigen, aus Wolkenfall-Schicht,
Aus dem Schoße des ewigen Kreisens geboren:
Fiel ich aufschluchzend stirnlings ins Licht.
Nun bin ich erdereich und bin auch arm:
Ich halte Kiesel prüfend in der Hand,
Mein Schuh trägt Staub von Werk und Land,
Ein Weib ist mir Gefährtin, stark und warm.
Und Volk umspült mich breit im Schreiten –
Doch Brot und Milch ist mir nicht mehr als Glück und Harm
Und Schlacht und Schlaf nicht mehr als Stundengleiten.
Es schwillt der Tag und summt mein Blut,
Was wäre mir nicht atemnah und häuslich gut –
Warum nun immer meine Sehnsucht treibt
Und nach den Flügeln alle Sinne stürzen?
Zu und zu und niemals schlafend bleibt –
Wie nutzlos Tag und Leben sich verkürzen –
Brich auf, flieg auf mit hundert Segelwinden!
Einmal mußt Du die Heimat wiederfinden,
Daraus man Dich ins Leben schuf!
Es wölbt vom Anfang sich der Vater-Ruf
Und groß von Mutterewigkeit umfächelt
[84]
Singt Deine sphärenferne Seele jugendlich
Und singt erlöst und glänzt und lächelt
Und wartet nur auf Dich.

Notes
Entstanden wahrscheinlich um 1917. Erstdruck nicht ermittelt.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Engelke, Gerrit. Horch: deine Seele. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A180-7