[82] Erotisches aus einem erzählenden Gedichte »Faust«

1. (Faust)

Selig machet, glaubt es nicht, der Glaube,
Selig nicht die Hoffnung, nicht der Traum,
Selig macht die Mitschuld an dem Raube
Süßer Früchte von des Lebens Baum.
Ist Vertröstung Trost?
Labewein der Most?
Glaube, Hoffnung, Traum ist eitler Schaum.
Stürz o Herrliche in starke Arme!
Aug in Auge glüh und Mund auf Mund!
Hier an meiner treuen Brust erwarme,
Küsse, kose, herze dich gesund!
Im Genuß des Glücks,
In des Augenblicks
Vollgenusse wird nur Wahrheit kund.
Seligkeit ist Siegerbeute dessen,
Der sich köstlichen Besitzes freut,
Aber Seligkeit ist im Vergessen,
Im Empfangen, Geben – Seligkeit!
Weiß ich dies allein,
Brecht ihr Himmel ein!
Liebetrunkenen geschieht kein Leid.

[83] 2. (Faust)

Mein Herz erglüht in Träumen,
Es sprudelt launetoll,
Wie Becher überschäumen
Herrlichen Weines voll.
Von deinem süßen Bilde
Ist es berauscht, beseelt,
Wann hab ich je so wilde
So selige Schläge gezählt!
Die Nacht ist angebrochen,
Die feierliche Nacht,
Von der du mir versprochen,
Daß sie mich glücklich macht.

3. (Faust)

Du schlugest auf die holden Augenlieder,
Da grüßte michs wie junger Frühlingsschein;
Was in mir schlummerte, erwachte wieder,
Und in mich selber zog der Frühling ein.
Verworrener Gedanken wild Getriebe
Arbeitete mir längst die Seele wund,
Ich fühlt es wohl, es fehlte mir die Liebe,
Und deine Liebe machte mich gesund.
[84]
Denn durch die Liebe leben wir im Leben,
Und ohne Liebe bist du ein Gespenst,
Ein ewig Fliehn, ein Niezufriedengeben,
Das ist dein Loos, eh du die Liebe kennst.

4. (Faust)

Es ist der sanften Triebe
Friedfertige Gewalt,
Die brüderliche Liebe
Entschlafen o so bald!
Dein Geist und deine Schönheit
Trafen mein Herz so jäh,
Mit ihrem kühnen Strahle,
Daß ich in Flammen steh.
Nun ist auch der Gedanken
Unbändiger Sturmwind los –
Ich muß ins Meer versinken,
Ins Meer der Wonne sinken,
O Königin der Seele
Ich sinke in deinen Schoos!

[85] 5. (Faust)

Nur einmal noch, bevor ich sterbe,
Möcht ich die Holde wieder sehen,
Die einst mir Liebe zugeschworen,
Und dann verrätherisch entfloh!
Es war ein Weib so räthselhaften
Und süßen Wesens doch so göttlich,
Aus den geheimnißtiefen Augen
Werd ich verwundet, nimmer klug.
Wohin, warum ist sie geflohen,
Die Leidenschaft nur war und Liebe?
O dürft ich, einmal noch, erschauen
Mein Blumenhaupt, mein Elfenkind!

6. (Faust)

Warum umarmst du nicht das schlanke Mädchen?
Sie steht vor dir mit heißem Blick –
So kühn und schön, und du, du liebst das Mädchen,
Und du, Verzagter, bebst zurück?
Sie trägt dein Bildniß in dem weichen Herzen,
Es schlägt für dich so liebewarm;
Den günstgen Augenblick willst du verscherzen,
Sie flöge stolz in deinen Arm!
[86]
Nur für einander wurdet ihr geschaffen –
Rasch, einen Kuß zum süßen Bund!
Ihr Glücklichen, die Edlen und die Laffen
Sie thun euch ihren Beifall kund!
Willst du verglühen ohne heitre Flamme?
Du unternimmst, was dir verhaßt?
Gleichgültigkeit hat solches Thun zur Amme,
Du spürest wie dich Irrsinn faßt.

7. (Faust)

In ihren Träumen wird die Trübsal wohnen,
Gib Acht, daß dir nicht einmal bangt!
Du kannst die stumme Treue ihr nicht lohnen,
Wie es dein stolzes Herz verlangt.
Du kannst vom Schlaf ihr nicht den Treuen beschwören,
Der ihr ein Schreckensende malt,
Du hast kein Recht die Thränen ihr zu wehren,
Hast über Thränen nicht Gewalt!
Und dennoch, willst du feig dich selber narren!
Weil ewige Treue dir nicht frommt,
In jedem Lenze klügelnd weiterharren,
Ob nicht ein bessrer Frühling kommt?
[87]
Willst du, solange noch die Augen blitzen,
So lang dich Jugend noch durchbraust,
Ein angestaunter Weiser trauernd sitzen,
Bis endlich vor dir selbst dir graust?
Und siehst du nicht der Hoffnung Sterne schimmern
Am Wolkenhimmel fern herauf?
Entschlossen baue, wenn auch über Trümmern,
Der Liebe goldnen Tempel auf!

8. (Faust)

Vertraue mir, du Einzige,
Und glaub an mich den Mann,
Dem du zum Tode Treue schwurst,
Der dich nicht missen kann;
Der jeder Hoffnung, jedem Wunsch
Der heißgeliebten Braut
Erfüllung kühn versprechen darf,
Weil er sich selbst vertraut.
Verzage nicht, o Seele du,
Und halt an Einem fest,
Der, weil er deine Treue weiß,
Sich selber nicht verläßt;
Der auch dem härtesten Geschick
Und dessen schwerstem Schlag
Ein stählern Herz entgegensetzt,
Woher es treffen mag!
[88]
Seit ich das erste Lächeln sah
Für mich auf deinem Mund,
Seitdem die erste Thräne dir,
Der Lieb im Auge stund,
Seit du zum ersten Mal dich warfst
Mit Küssen an mein Herz,
Seitdem ergreift mich nur um dich
Um dich nur Freud und Schmerz.

9. (Faust)

Du glaubest nicht an meine Liebe,
Und kannst mich weinend gehen sehn!
Und wenn ichs mit dem Herzblut schriebe,
Du willst mich nimmer mehr verstehn.
So lasse dir noch Eines sagen –
So schmieg an meine Brust dein Haupt,
Hör dir mein Herz entgegenschlagen,
Und fühle, was du nicht geglaubt.
Dann lasse mich die Lippen drücken,
Die dürstenden, auf deinen Mund,
Und seine Süßigkeiten pflücken,
So wird dir meine Liebe kund!
[89]
Laß dich umschlingen, laß umfangen
Dich, die nicht häßlich wie der Zwang,
Und büßen mein gerecht Verlangen
In deinen Armen heiß und lang!
Dich lieb ich – und der Erdengötter
Sei über uns nicht Einer Herr!
Ach, um Zeloten oder Spötter
Bekümmert sich kein Glücklicher.
Du mußt den Zweifel überwinden,
Vertrauen ist Entschluß und That,
Wirst du kein ander Herz doch finden,
Der solche Kraft des Liebens hat!

10. (Gotthilde)

O bis zum Vermessen
Liebt ich dich so sehr,
Du, hast mich vergessen,
Du, liebst mich nicht mehr.
Deine Küsse zünden
Noch so tief und süß,
Und es sollte schwinden,
Was sie zünden hieß?
[90]
Glut, du bist verglommen,
Flamme, du bist todt,
Die mich einst benommen
Aller Erdennoth;
Als wir treu zusammen
Theilten Freud und Leid,
Und die heilgen Flammen
Schürte nur – der Neid!
O wer kann ihn messen
Diesen bittern Schmerz?
O wer kann vergessen
So ein treues Herz!
Eine Seele schicken
In das dunkle Nichts,
Und zum Himmel blicken
Frischen Angesichts!
Paradiese schenken
Heute seelengroß,
Morgen tödtlich kränken,
Ruhig reuelos;
Unter Menschen wandeln,
Heischen ihre Huld,
Leben, wirken, handeln,
In der Brust die Schuld!

[91] 11. (Gotthilde)

An deinen frischen Lippen
Hing ich so glühend und so bang –
So manches liebe manches Mal –
Da ging mir durch die Seele tief
Ein wunderbarer Drang.
In deinen schönen Gliedern
Entschlummert ich mit heißem Blut
So manches liebe manches Mal,
Da ward mir, o so todessüß,
So überwohl zu Muth.
Warum in deinen Blicken
Kein hold Verlangen nimmermehr?
O wehe mir, ach, nimmermehr!
Da zieht es auch in meine Brust
So todt, so freudenleer.

12. (Gotthilde)

Wenn nur ein Gefühl der Liebe
Noch zu mir dich zieht,
Einer jener Triebe
Deine Brust durchglüht,
O so küsse, Theurer, mich denn noch einmal,
O so sende deiner Augen einen Strahl
In mein armes krankes Herz!
[92]
Schmerz um dich und wilde Qualen
Hab ich heiß gepflegt,
Mich zu tausendmalen
Schlummerlos gelegt.
O verstehe du den ausgeweinten Blick,
O nicht ganz zusammen brich mein zitternd Glück
Und mein armes krankes Herz!
Du nur kannst mir neubeleben
Den erloschnen Muth,
Du nur wiedergeben
Heitre Lebensglut.
O so küsse, Theurer, mich denn noch einmal,
Nur dein Kuß erweckt und nur dein Augenstrahl
Dieses arme kranke Herz!

13. (Faust)

Ach! die vergangenen Freuden
Die waren wohl so schön!
Jetzt will mir Alles verleiden
Verwehen und vergehn.
Es bricht mir überm Haupte
Die finstre Zeit herein,
Und was ich niemals glaubte,
Das trifft allmälig ein.

[93] 14. (Faust)

Was ist, daß allerorten
Mich meidet Lieb und Lust,
Ich glaube mir verdorrten
Die Rosen in der Brust.
Es fallen so viele Sterne
Vom Firmament herab,
Es gähnet aus der Ferne
Mich an wie Nacht und Grab.

15. (Faust)

Ich hatte Freund und Feinde,
Schuf mir und ihnen Weh,
Ich bin so müd, ihr Freunde,
Gebt mir die Hand, ade!
Ich möchte gerne schlafen
In einem wiegenden Kahn,
Der endlich in dem Hafen
Der ewigen Ruh hielt an.

[94] 16. (Faust)

Es war doch nur im Spielen,
Was ich bis heut errang,
So wenig von dem Vielen,
Was ich gewollt, gelang.
Ich trat in einen Orden,
Der Trost und Antwort hat,
Ich bin mir untreu worden,
Ich bin des Lebens satt.

17. (Faust)

Wie, rosig in Nacht und Schlummer,
Die Abendwolken verblühn,
So will ein stiller Kummer
In meiner Brust verglühn.
Der Abendstern der blanke
Steigt in das Blau herauf,
So steht ein heller Gedanke
In meiner Seele auf.

[95] 18. (Faust)

Nun hab ichs endlich überstanden,
Ich fühle mich so frei und froh,
Weil ich aus den verruchten Banden
Mit einer kühnen That entfloh;
Ich hab auf ewig sie verschworen
Die schmähliche Vergangenheit.
Von heute bin ich neu geboren.
Und morgen kommt die bessre Zeit.
Schon hat das Glück mir hergesendet
Aus seiner Sonne einen Strahl,
Ich jauchze, denn sie ist geendet,
Die tausendfache Seelenqual.
Dich, goldne Freiheit, hab ich wieder,
Mir schickt die Freude ihren Gruß,
Und zu mir selber kehr ich wieder
Und meinem heitern Genius!

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TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Erotisches aus einem erzählenden Gedichte »Faust«. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A04C-5