[297] [107]Leichen- und Trost-Gedichte

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Auf den Tod Seines seligen Vaters, Herrn Johann Martin Drollingers/ Hochfürstl. Baden-Durlachischen Rechnungsrahts und Burgvogts in der Herrschaft Badenweiler

Mein Vater, gute Nacht! Es ist um Dich geschehen.
Ich werde Dich nicht mehr in diesem Lichte sehen.
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Mein trübes Auge hat den schwarzen Tag erblickt,
Der Dich, o Seliger! den Deinigen entrückt.
O Tag! verworfner Tag! o düstre Sonnenblicke,
Welch Denkmahl lasset ihr meinem Geist zurücke!
Welch trauriges Gesicht! Die Stunde war nun da:
Des Schreckens König kam dem Sterbbett endlich nah,
Und ließ sein ganzes Heer den Kranken überfallen.
Erkalten, Todesschweiß, der Zunge schwäres Lallen
Erschienen auf einmal. Der Kinder Hauff erbleicht,
Und rief: Allmächtiger! ach, unser Vater weicht!
Du höchster Vater, schau auf uns Verlaßne nider!
Schenk uns den Sterbenden zu unserm Troste wieder!
Ist deinen Frommen denn so kurze Frist bestimmt?
Umsonst! der Himmel war zu sehr auf uns ergrimmt,
Und sein gerechter Schluß bestund auf unsrer Strafe.
Der Kranke lag bereits, als wie im Todtenschlafe;
Doch goß sein werter Geist sich noch zum letzten mal
Durch seinen Körper aus, den die erlidtne Qual,
Der Schmerzen grimmes Heer, schon halb entseelet hatten,
Und hieß Ihn seinem Gott die letzte Pflicht erstatten.
Bald kam dem Sterbenden ein neües Leben zu.
Er schien, als wie erwacht, aus einer tiefen Ruh,
Er hub so Hand als Haubt nach den gestirnten Höhen,
Und winkt uns ins gesamt den Schöpfer anzuflehen.
Der ganze Hauffe stund mit kalter Furcht beeist,
Und schry: Erlöser hilf! Empfang den werten Geist;
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Herr, ende seinen Kampf! Er hat genug gerungen.
Her Halberstorbne brach das Band der schwären Zungen,
Und seüfzte noch einmal ein feürigs Amen aus.
Er sprach. Der freye Geist verließ sein sinkend Haus;
Und mein bestürzter Blick sah meines Vaters Leiche.
Weh mir! ich sehe noch, ich seh es, und erbleiche,
Wie seine blasse Hand mir meine Hand gedrückt;
Wie sein gebrochnes Aug uns sehnlich angeblickt;
Wie meine Trähnen Ihm die Seinen ausgetrieben;
Wie seine Liebe fest bis in den Tod geblieben.
O Liebe, deren Wert ich nie genug beweint!
Mein Vater! fleüchst Du mich? Mein allerbester Freünd!
Vergönne, Seligster! daß, wenn ich dich bedaure,
Ich so um einen Freünd, wie einen Vater, traure!
Wie mancher, dessen Herz von blinder Liebe brennt,
Und nur den tummen Trieb verwöhnter Neigung kennt,
Bringt seine Kinder oft aus Liebe zum Verderben!
Du aber, Seligster! Du zeigtest bis zum Sterben,
Daß Witz und Frömmigkeit der Deinen Zügel war;
Daß einem wahren Freünd auch an der Seinen Schaar
Das Laster häßlich scheint, und nur die Tugend schöne.
Du liebtest, wie man soll. Du liebtest deine Söhne,
Doch ihre Fehler nicht. Und, wenn ihr leichter Schritt
Den rechten Weg verließ, und mit verkehrtem Tritt,
Verführt auf falscher Bahn, begunnte hinzurennen,
So sah ich deinen Zorn, wie sonst die Liebe brennen.
Dein ganzes Denken gieng auf unser Wolergehn.
Dein Wandel ließ mich stets das beste Muster sehn:
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Ein Muster, das mich mehr, als Tausend Worte lehret.
Zwar, was ein grosser Hauff der leichten Welt verehret,
Das hast Du nie gelernt. Geschmückt mit leerem Schein,
An Worten reich und mild, an Werken spahrsam seyn;
Sich nach geschickter Art vor einem Jeden bücken;
Dem, den man nie geliebt, die Hände freündlich drücken;
Und, was die Blösse mehr für Larven sich erdicht:
Wenn dieses Tugend heißt, so kanntest Du sie nicht.
Die deütsche Redlichkeit, der Eifer fürs Gesätze,
Die Folge strenger Pflicht, das waren deine Schätze.
Es macht ihr wahrer Wert sich ohne Schminke kund.
Dein Ruhm erschallet selbst aus unsers Fürsten Mund,
Der deine Treü erkannt, und deinen Tod bedauert.
Ich schau noch, wie um Dich die ganze Gegend trauert;
Ich schau ihr Volk bestürzt um deine Bahre stehn,
Die Fremden trähnenvoll, die Deinen fast vergehn.
O allzu schwärer Fall; was hast du mir entrissen?
Was muß ich Armer nicht mit meinem Vater missen!
Verzeihe, Seligster, wenn eine späte Schrift
Nach deiner Asche geht, und Dir ein Denkmahl stift,
Das meine Dankbarkeit Dir eher bringen sollen!
Es fehlte nicht an mir und meinem ernsten Wollen;
Ich wollte mich so bald um diesen Dienst bemühn:
Ich wollte; doch umsonst! Die Kräfte waren hin.
Ich fiel, als selbst erblaßt, auf deine Leiche nider.
Fünf Jahre sind es schon, daß deine werten Glider
In ihrer Grube ruhn. Doch mein bestürzter Muht
Hat von dem ersten Sturm noch wenig ausgeruht.
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Mein Schmerze währet noch. Er wird unendlich währen.
Nimm, Werter, eine Flut von Tausend, Tausend Zähren
Zu einem Denkmahl an, das Dir ein Sohn geweiht,
Der voll von treüer Pflicht nach seinem Vater schreyt!
Ich weiß Dir sonsten nichts zu deiner Gruft zu bringen.
Genug! die Hand erstarrt; und mein betrübtes Singen
Erstummet allbereit. Mein altes Leid erwacht.
Genug! Ich kan nicht mehr. Mein Vater gute Nacht!

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TextGrid Repository (2012). Drollinger, Carl Friedrich. Gedichte. Gedichte. Leichen- und Trost-Gedichte. Auf den Tod Herrn Johann Martin Drollingers. Auf den Tod Herrn Johann Martin Drollingers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-83CB-D