[107] 19. Febre amarella

Rein die Luft, der Himmel spiegeleben;
Nur daß über jener Berge Kranz
In der Abendsonne mattem Glanz
Weiße Wolken langsam sich erheben.
Unter mir die Schlucht,
Palmengruppen, schwellende Bananen,
Steingerölle, Häuser mit Altanen
Und die vielbesungne Inselbucht.
Rio de Janeiro! In der frühen
Dämmrungsstunde ruhst du, schon besiegt,
Um die Hügelkette hingeschmiegt,
Sterbend nach des Tages heißen Mühen.
Bis der Morgen graut,
Bis die Hähne von den Dächern krähen,
Wird der Tod die Opfer auserspähen,
Die das Los ihm heute angetraut.
[108]
O des Schattens auf dem Zauberbilde! –
Dunkle Färbung liegt auf Wald und Flur;
Kräftig weht der Odem der Natur
Durch der Tropen blühende Gefilde;
Und den Herrscherstab
Führt in diesem Reiche kein Herodes;
Doch ist dies das Land des jähen Todes
Und des Fremdlings nimmersattes Grab.
Eden, wo des Geistes Blüten sterben,
Schönes, aber unwirtbares Land,
Wildnis, von verschwenderischer Hand
Auserwählt, um elend zu verderben.
Durch die reine Luft
Zittern unsichtbare Fieberschauer,
Und der Denker schaut, in tiefer Trauer,
Nieder auf die große Totengruft.
Schleichend kam der Feind; doch immer fester,
Immer rascher, kühner ward sein Gang.
Seine Herkunft ist ein Schreckensklang,
Pest die Mutter, Cholera die Schwester;
Mitleidslos sein Blick,
Der aus schwarzen Augenhöhlen zündet.
Unerwartet, ach! und unergründet
Kam er, wie ein rächendes Geschick.
[109]
Ausgespieen von Guineas Küste,
Deren arme Kinder Ihr geraubt,
Ihr, die an Vergeltung nie geglaubt,
Stillt er jetzt dämonische Gelüste;
Aber selten bricht
Er mit kecker Faust des Sklaven Ketten,
Geht vorüber an der Henker Betten,
Nur die fremden Gäste schont er nicht.
Für den Frevel muß die Unschuld büßen;
Hier ist Untergang ihr sichrer Lohn.
Flehend krümmt des Nordens blonder Sohn,
Todesengel! sich zu deinen Füßen;
Doch dein Atem haucht
Trübe Wolken vor des Tages Helle,
Wenn in unsers Lebens tiefste Quelle
Ein Vergifter seine Finger taucht.
Schiffe dort! Was heimischen Gestaden
Ihr entrissen, fordern sie zurück:
Frisches Hoffen, jugendliches Glück,
Und ihr geht verwaist und grambeladen.
Welche Kunde fliegt
In die fernen, heimatlichen Gauen,
Zu den Bräuten, zu den holden Frauen
Von der Mannschaft, die im Sterben liegt?
[110]
Mutvoll in die weite Welt gegangen
War der Jüngling – und die erste Fahrt
Hat ihn vor Enttäuschung nicht bewahrt,
Nicht vor hohlen Augen, fahlen Wangen,
Seit er dich erreicht,
Schlachtfeld ohne Ruhm und ohne Ehre;
Denn vor Seuchen schützt ihn keine Wehre,
Wenn das Glück von seiner Seite weicht.
Eitel war der Kampf, umsonst befeuchten
Der Verzweiflung Thränen seinen Pfühl – –
Nervenzucken nennt ihr das Gefühl,
Den Gedanken bloßes Phosphorleuchten?
Keine Ewigkeit
Wartet derer, die der Staub geboren? –
Wohl! – Doch alle Weisheit ist verloren,
Wenn die Kreatur zum Himmel schreit,
Wenn kein Lichtstrahl aus den stummen Räumen
Niedergleitet in die grause Nacht. –
Fort von hier! – Hinunter in die Schlacht!
Besser das, als unter Palmen träumen.
Brüder, nicht allein
Will des Fiebers Krallen ich enteilen;
Besser ist es, euer Los zu teilen;
Euer Grab soll auch das meine sein.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Wanderbuch. 19. Febre amarella. 19. Febre amarella. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-835B-7