[70] 12. Gebet

Nun ist es Nacht – und kommt das Morgenrot,
Dann wird Bedrängnis an mein Fenster pochen,
Wie sie noch nie so grausam mich bedroht.
Allmächt'ger, der du meinen Stolz gebrochen,
Errette mich aus dieser Todesnot;
Laß der Verleumdung Gift mich nicht erreichen!
Ich weiß nicht mehr, wo aus noch ein –
Laß Sorgen meine Haare bleichen,
Doch laß mein Herz nicht trostlos sein!
Wenn du zu neuen Schmerzen mich erkoren,
Zu meinem Heile mich erniedrigt hast,
Nur jetzt sei gnädig, mehre nicht die Last –
Noch eine Prüfung und ich bin verloren!
Ich kann, wenn tausend Pfeile mich durchbohren,
Genesen; doch ich brauche kurze Rast.
O süße Ruhe, wie verlang' ich dein!
Was du gefügt, Allweiser, das geschehe;
Nur gönne mir die Frist, um die ich flehe,
Laß mich noch einmal glücklich sein!
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Das Kreuz des Südens leuchtet überm Meer;
Fern in der Heimat schlummern, die mich lieben;
Ihr Herz ist mir geblieben,
Und ihr Gebet ist meine beste Wehr.
Willst du es nicht erhören?
Soll mein Verderben auch das ihre sein?
O laß die Unschuld den Orkan beschwören,
Allgüt'ger, – ich vermag es nicht allein.

(1858.)


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TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). 12. Gebet. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-834D-7