[39] 11. Januario Garria

»Ich glaube, daß du weinst; du bist gerührt;

Ich habe solchen Tau seit vielen Jahren

In diesen dürren Höhlen nicht verspürt.«

(Ryléjew.)

1.

»Entartet ist die junge Brut,
Und – Gott verzeihe mir die Sünde –
Ich habe sehr gewicht'ge Gründe
Und manchen Anlaß, mehr als gut,
Mit meinem eignen Fleisch zu hadern;
Denn Wasser, anstatt heißes Blut,
Rinnt meinen Söhnen durch die Adern,
Seitdem ich, auf der Mutter Bitte,
Den Rechtsverdrehern sie gebracht,
Zu Advokaten sie gemacht
Dort in Sanct-Paul, nach heut'ger Sitte.
Jetzt sind sie modisch angekleidet
Mit engen Hosen und Krawatten;
Doch wilde Hengste abzumatten
Ist ihnen lange schon verleidet;
[40]
Statt dessen wird von Politik,
Von Menschenrechten viel gesprochen,
Und von Theater und Musik.
Was soll's? Die Keckheit ist gebrochen –
Verrostet sind der Alten Messer;
Es gilt ihr Wort nur dann und wann,
Denn Kinder wissen alles besser.
Habt Ihr's verstanden, junger Mann?
Vielleicht gehört Ihr auch zu jenen
Spaßvögeln, die mit schlaffen Sehnen
Herüberfliegen, uns zu mahnen
An Fortschritt und an Eisenbahnen
Und andre solche Narrenspossen?
Gleichviel! Laßt die gelehrten Leute,
Und wenn Ihr wollt, erzähl' ich heute
Von einem Freund und Zeitgenossen;
Garcia hieß er als der Sohn
Ehrbarer Eltern (wohlgeraten
War dieser Sprosse – mir zum Hohn!)
Und Januario von dem Paten.
Garcia! – Ha, Ihr sollt erfahren,
Wie der gewußt, sein Recht zu wahren,
Was der auf diesem Grund und Boden
Gethan, um Unkraut auszuroden,
Was der geschworen und gelitten!
Schon gestern hatt' ich's auf der Zunge,
Als wir die kleine Strecke ritten
[41]
Von Sorocaba nach Itù;
Staub aber lag auf meiner Zunge
Und klebte mir die Lippen zu.«
Nach solchen Eingangsworten floß
Die Rede von des Alten Munde.
Wir lagen schweigend in der Runde,
Und wenn uns mancher Wink verdroß,
Wir mußten dies und jenes hören,
Es wagte keiner ihn zu stören.
Ein Fazendeiro 1 war's, ergraut
In harter Arbeit, heißem Schaffen,
Der seine blankgeputzten Waffen
Zuweilen grimmig angeschaut,
Ein halber Gaucho, rauh und zähe. – –
Wir ruhten aus am Lagerfeuer;
Die Pferde grasten in der Nähe,
Und daß Garcias Abenteuer
Uns, deren Herzen nicht gestählt,
Den Schlaf verscheuchten, glaube jeder,
Der lesen mag, was meine Feder
Mit leichten Strichen nacherzählt.
Denn ich bekenne meine Schwäche,
Die Scene schildern kann ich nicht.
Der Vollmond goß sein Silberlicht
Auf eine waldumkränzte Fläche,
[42]
Hier Gräser, von Demanten funkelnd,
Felsblöcke dort auf Blumenmatten,
Mit ihren langgestreckten Schatten
Das wunderbare Bild verdunkelnd.
Des Alten Stimme, bald erschallend
Wie Sturmestoben, bald verhallend
Wie Todesseufzer, dumpf und hohl –
Das alles läßt sich nicht beschreiben;
Mir aber wird die Scene wohl
Auf immer im Gedächtnis bleiben!

Fußnoten

1 Brasilianischer Landbesitzer.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Wanderbuch. 11. Januario Garria. 1. [»Entartet ist die junge Brut]. 1. [»Entartet ist die junge Brut]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-82D7-A