[161] 3. Marilia de Dirreo 1

(Thomas Antonio Gonzaga.)


Ich bin kein obdachloser Hirtenknabe
Von rauhen Worten und von groben Sitten,
Marilia, ohne Herd und andre Habe,
Der heute Hitze, gestern Frost erlitten;
Nein, ich besitze selber Haus und Weide
Und ziehe mir Gemüse, Oel und Wein;
Ich hüte Schafe, doch die Milch ist mein,
Die Wolle auch, mit der ich mich bekleide.
Mein Antlitz sah ich jüngst in einer Quelle
Und brauchte nicht vor Runzeln zu erschrecken;
Kommt einer mir zu nahe – auf der Stelle
Bedien' ich ihn mit meinem langen Stecken.
[162]
Gut bin ich auf der Flöte unterrichtet,
Zu meines eignen Meisters Neid und Grimm;
Auch sing' ich – meine Stimme ist nicht schlimm –
Nur solche Lieder, die ich selbst gedichtet.
Doch bin ich deshalb glücklich? – Gott behüte!
Jetzt mußt du das Geständnis mir verzeihen:
O süße Schäferin, nur deine Güte
Kann meinen Schätzen wahren Wert verleihen;
Nimm alles, alles hin, Marilia, throne
Als Herrin über Herden, Haus und Land;
Schön ist der Reichtum, – doch für deine Hand
Gäb' ich mit Freuden eines Königs Krone.
Aus deinen Augen strahlt des Himmels Wonne,
Wie frischgefallner Schnee sind deine Wangen,
Die in der vollen Glut der Mittagssonne
Wie junger Mohn, wie zarte Rosen prangen;
Die Locken wie gedreht aus feinstem Golde,
Balsamisch duftet deine Nähe – nie,
Marilia, rief des Dichters Phantasie
Ein Bild hervor wie deins, du Einzigholde.
Wenn auch der Fluß aus seinem Bette träte,
Daß meine wohlbestellte Saat verdürbe;
Wenn sich die Pest bei mir zu Gaste bäte,
Daß mir ein Schäfchen nach dem andern stürbe –
[163]
Das würde jetzt mir wenig Sorgen machen;
Und blendet mich der Glanz der Städte? – Nein!
Marilia, reich und glücklich werd' ich sein,
Wenn deine Augen mir entgegenlachen.
Wie wird fortan, am Arme deines Gatten,
Der Wälder Einsamkeit dein Herz erquicken!
Zur Mittagsstunde mußt du mir gestatten,
In deinem Schoße leise einzunicken.
An Lustbarkeiten, die ich gern versäume,
Ergötze sich der Nachbarn wilde Schar –
Ich flechte Blümchen in dein blondes Haar
Und schneide deinen Namen in die Bäume.
Wenn einst erlöschen unseres Lebens Flammen,
Hier oder wo wir sonst uns niederließen,
Wir bleiben doch, wir bleiben doch beisammen;
Ein gleiches, gleiches Grab wird uns umschließen.
Ein Monument, umgrünt von Trauerweiden,
Dem Hirtenvolke sichtbar, trage dann
Den kurzen Text: »Wahrhaft beglücken kann
Die Liebe nur – das wußten diese beiden.«

Fußnoten

1 Brasilianisches Idyll aus dem vorigen Jahrhundert. – Obige Uebersetzung bildet den Anfang des in Brasilien und Portugal sehr geschätzten Gedichts. – Gonzaga, einer der Urheber der Minasverschwörung, wurde im Jahre 1792 von Rio de Janeiro nach Mozambique deportiert und starb daselbst 1809.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Nachbildungen. 3. Marilia de Dirreo. 3. Marilia de Dirreo. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-826C-9