[Die Krone nicht, die dir vom Haupt gefallen]

Die Krone nicht, die dir vom Haupt gefallen,
Und nicht das Scepter, das sich deiner Hand,
Der weichen, jugendwarmen, rasch entwand,
Als du, umringt von kriechenden Vasallen,
Ein deutscher Fürst auf Montezumas Thron,
Als Retter einer siechen Nation
Von Wahrheit, Freiheit, Ruhm und Glück gesprochen,
Nein! – nicht der Gram um den betrog'nen Drang
Des Kaiserherzens – nur dein letzter Gang,
Dein Heldentod hat mir das Herz gebrochen.
Ich bin der Letzte in der Dichter Reihen;
Mein schwaches Wort hat keinen Widerhall, –
Darf ich der Trauer, die sich überall
Zum Himmel wendet, meine Stimme leihen?
Ach! was berechtigt meines Geistes Flug?
Bin ich verblendet, ist es nicht genug,
Wenn ungesehen meine Thränen fließen,
Nicht besser, wenn der Sturm sich langsam legt?
Ich weiß es nicht – was mich so tief bewegt,
Ich kann es nicht in meine Brust verschließen;
Es muß hinaus zu all den Edlen, Guten
Jenseits des Meeres, zu der dichten Schar,
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Die Blumen wirft auf den geschoss'nen Aar,
Und auch zu denen, die sich still verbluten.
Ich grüße jeden, der um ihn geweint;
Sein Tod hat uns gehoben und vereint
In dieser Zeit, der unheilvollen, kranken.
Wohl allen, die ein gleicher Schmerz gebeugt,
Wohl den Betrübten – nur der Schmerz erzeugt
Die großen, die versöhnenden Gedanken!
Nun er dahin, sind sie gestorben beide,
Die den entzückend schönen Traum gelebt
Die Herz an Herz geschwärmt, gehofft, gebebt
Und sich getrennt in namenlosem Leide,
Als durch die Finsternis ein einz'ger Stern
An dem umwölkten Horizonte fern,
Bezaubernd, lockend, unerreichbar glänzte,
Und sie, durch Abschiedsthränen lächelnd, blind
Sich selbst vertrauend, ein verwöhntes Kind,
Ihr dunkles Haar mit Immortellen kränzte.
O Frage, die auf meinen Lippen zittert:
Sind sie vereinigt in des Himmels Glanz?
Die Hochzeitskrone ward zum Dornenkranz,
Die königliche Blume ward zerknittert;
Die letzte Hoffnung hat der Wind entführt,
Ein Dämon hat die Stirne dir berührt;
Ein Geistesmörder, der des Todes Schatten,
Verlass'nes Fürstenkind, heraufbeschwor,
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Daß deine Seele sich in Nacht verlor,
Ach! in die Grabesnacht des fernen Gatten.
Sein Schicksal ist erfüllt, der Kampf beendet,
Der Kelch geleert. Verläumdet und verkannt,
Verraten und im Schlafe übermannt,
Hat seinen Todesgruß er dir gesendet
Und segnend dein gedacht, du holde Fee ...
Sein Lebewohl trug die geliebte See
Hinüber an die heimischen Gestade. –
Das war der großen Laufbahn schönster Schluß:
Für dich sein letzter Hauch, sein letzter Kuß,
Für dich und ihn des Weltenschöpfers Gnade.
Er sprach es selbst, er hat es hingeschrieben,
Dein milder Herr, dein zärtlicher Gemahl:
»Angstvolle Tage, Sorgen ohne Zahl,
Enttäuschung, Not, sind mir allein geblieben,
Seit du, mein guter Engel, nicht mehr hier.
Du warst mein Hort, mein Stolz und meine Zier –
Geduld! – wenn deiner Seele düst'rer Schleier
Zur Erde fällt – dann komm' an Gottes Hand
Hinüber in ein neues Vaterland,
Hinüber zu der neuen Hochzeitfeier.«
O Trost! o süße Zuversicht! Wer solche
Entsagung kennt, wer solche Hoffnung nährt,
Wenn Menschensatzung sich als Trug bewährt,
Der lächelt über die gezückten Dolche,
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Dem schnitt ein and'rer Stahl das Herz entzwei,
Und in die Nacht hinaus ertönt sein Schrei:
»Hier bin ich, bindet mich, ihr Missethäter!
Ich scheide ohne Furcht und ohne Groll;
Ich scheide gerne, denn das Maß ist voll –
Sei mir willkommen, Judas, mein Verräter!«
Und doch! – es ist nicht spielend überwunden,
So lang' es stürmisch an die Schläfen pocht.
Wer ist der Starke, der es stets vermocht,
Zurückzuscheuchen der Verzweiflung Stunden?
Der Tod ist alt, das Leben ewig jung –
Auch Männerstirnen darf Erinnerung,
Darf Todesscheu mit schwerem Tau befeuchten;
Hier nur ein schwarz behangener Altar,
Hier Grabesschauer, drüben Miramar,
Dort Sonnenschein und hier Gewitterleuchten!
So siegessicher war er ausgegangen;
So strahlend, so berauschend schien sein Los;
Das Schicksal warf ihm alles in den Schoß,
Was Menschenkinder kennen und verlangen;
Juwelen blitzten auf der jungen Brust,
Sein war die Welt mit ihrer vollen Lust –
Doch sein der Ruhm bei des Versuchers Rufe:
»Du bist der Auserwählte, du allein;
Erhebe dich! dein Bruder will ich sein;
Auch dir gebührt des Thrones höchste Stufe.
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Und weiter, weiter auf der goldnen Brücke –
Ein Schritt, ein Jawort, und es ist geschehn,
Daß dort, wo Palmen dir entgegenwehn,
Cäsaren-Purpur deine Schultern schmücke?«
Und dann? – Nichts als ein Trugbild, schnell entflohn,
Fata Morgana, Blendwerk, schnöder Lohn,
Der Siegesmarsch ein bloßes Abenteuer;
Und gestern? – des Patroclos Treuebruch,
Und heute? – der Barbaren Urteilsspruch,
Und morgen? – Ach! – das mörderische Feuer.
Erhabne Bilder, hehre Traumgestalten
Umwallten ihn. Verloren war das Spiel;
Sein Einsatz war zu groß, er gab zu viel,
Er gab es selbstbewußt, seit in der kalten
Nordischen Nebelnacht sein Stern erblich;
Seit die Erkenntnis dessen ihn beschlich,
Was er gelobt, erstrebt, was er besessen.
Erschüttert schritt er hin zur Totenschau,
Und ihm war nicht vergönnt, die bleiche Frau
Noch einmal an das arme Herz zu pressen.
Vorbei! – Er hat sich mannhaft aufgerichtet,
Und wessen seine Jugend sich erkühnt,
Mit diesen Worten ist es nun gesühnt:
»Verzeihung dem, der mir die Bahn gelichtet!
Da hinter mir die Schiffe abgebrannt,
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Nun ich mich ganz geopfert und verbannt,
Dem Volke, das uns tötet, meinen Segen!
Gefährten, Brüder! Alles ist bereit
Zu süßer Ruhe in der Ewigkeit,
Zu Licht und Freiheit nach dem Kugelregen.« –
Der Tod befreit von sehnsuchtsvoller Reue.
Dein früher Hingang war dein schönster Sieg;
Ein Engel, der empor zum Aether stieg,
Rief aus den Wolken: »Stirb für deutsche Treue,
Für das zerriss'ne, blutige Panier!
Betrogner Fürstensohn! dein Platz ist hier,
Nicht in verblaßter Rosen schlaffen Ketten.
Es schützt dich fürder keine Menschenmacht,
Und was du selbst empfunden und gedacht,
Das sagtest du den fremden Bajonetten.«
Als Deutschlands Hamlet, aber ausgestattet
Mit jenem Willen, der ins Weite schweift,
Der an des Firmamentes Leuchten streift,
Doch in der Erde Dunkel rasch ermattet,
So stand der Jüngling an der Väter Gruft;
Nicht in der Königssäle Kerkerluft
Hat er als Mann ein Lorbeerblatt erworben;
Er war der Träumer und der Held zugleich,
Der in der neuen Welt ein neues Reich
Verkündet und für seinen Wahn gestorben.
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Gestorben, weil der Freund ihn überlistet,
Der ihm den Degen von der Seite riß?
Gestorben – nur an einer Schlange Biß,
Die sich in seinem Busen eingenistet?
Nein! – Mit dem Wahne kam das Strafgericht;
Ein Herrscher sieht die finstern Mächte nicht,
Die ihre sich're Beute stets umlauern –
Er wollte Samen auf Ruinen streun
Und an der reichen Ernte sich erfreun
In einer Kaiserburg mit morschen Mauern.
O Sterne dort am dunklen Himmelsdome,
Säuselnde Palmen, ungestümes Meer!
Selbst eure Grüße scheinen inhaltleer,
Wenn wir, beirrt durch gaukelnde Phantome,
Verschmäh'n, was unser ist, was uns beschränkt;
Wenn wir vernichten wollen, was uns kränkt! –
Wir sind bestimmt, zu straucheln und zu büßen;
Doch wenn ein König hingeht, voller Huld,
Vergessen wir die allgemeine Schuld
Und stürzen weinend hin zu seinen Füßen.
Ich bin gewohnt, einsam um dich zu ringen,
O Geistesfreiheit! – Laß, was mich entsetzt,
Vorübergeh'n; ein Schleier decke jetzt
Den Mann des Jammers mit den Silberlingen
Und jenen Indier auf dem Richterstuhl,
Und den Versucher in dem Sündenpfuhl,
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Der so viel Perlen in den Staub getreten;
Verhülle meinen Augen ihr Geschick!
Nicht allumfassend ist des Dichters Blick,
Und nur sein Herzschlag macht ihn zum Propheten.
Die Trauerfackeln kommender Geschlechter
Hat eine Flintensalve angefacht
Tief in der Wildnis, in der Tropenpracht,
Wo ein Verwaister, Edler und Gerechter,
Ein blonder Cäsar sich als Held erprobt.
Und wenn die Leidenschaften ausgetobt,
Dann werden reine Thränen nur die Kunde
Begleiten von des Träumers Golgatha,
Und dann sind Hamlet und Ophelia
Unsterblich in des deutschen Volkes Munde.
Der Wiege eingedenk, der du entsprossen,
Gingst du getrost dahin, als deine Frist
Zerronnen war. Wohl dir, mein Fürst! noch ist
Der Doppeladler nicht durchs Herz geschossen;
Dein Blut verleiht ihm neuen Lebenssaft:
Des Schmerzes Stolz, des Unglücks hohe Kraft –
O Tau des Himmels für die Stirn des Denkers!
Du bist gestorben für der Völker Heil;
Dir ward des Menschenstrebens bester Teil:
Verklärung an der Brust des Weltenlenkers.

(Rio de Janeiro, August 1867.)

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Kaiser Maximilian. [Die Krone nicht, die dir vom Haupt gefallen]. [Die Krone nicht, die dir vom Haupt gefallen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-825D-B