2.

Unweit von Sorocaba hatte
Garcia sein behäbig Haus;
Er wohnte dort jahrein jahraus,
Ein ernster Mann, ein treuer Gatte.
Ihm war das Glück nicht zugeflogen,
Es kam als wohlverdienter Lohn:
Zwei Kinder, beide gut erzogen,
Ein Mädchen und ein muntrer Sohn
Verjüngten seine Lebensgeister,
Und sonder Gram, in stillem Glücke,
Vergaß er, daß der Nachbarn Tücke
Ihm mit Prozessen, immer dreister,
Ein Stück bestritt von einem Felde,
Das er mit selbsterworbnem Gelde
[43]
Gekauft, nicht um es zu verschenken.
An kleine Plagen nicht zu denken
Ist für den Weisen schon Gewinn;
Doch ein Ereignis, grausenhaft,
Vermochte dieses Mannes Sinn
Und seines Zornes Riesenkraft
Auf blut'ge Thaten hinzulenken.
In früher Morgenstunde war
Sein Sohn zum Pirschen ausgegangen;
Er wollte, als ein junger Aar,
Nicht an der Mutter Schürze hangen.
Der Vater, ohne Furcht zu nähren,
Ließ seinen Sprößling gern gewähren,
Doch bleibt er heute – schon erschrocken,
Als er beim Klang der Vesperglocken
Den Jäger, wie es sonst geschah,
Nicht an der Abendtafel sah –
Nicht länger unter seinem Dache.
Gedanken steigen in ihm auf
An Hinterlist und Feindesrache,
Und Angst beflügelt seinen Lauf.
Er hat sie nicht umsonst empfunden.
Zwar ist der Knabe bald gefunden,
Doch traut er seinen Augen kaum –
Wie? – Das sein Kind? – An einen Baum
Gelehnt, die Hände festgebunden,
[44]
Und auf den Lippen roter Schaum?
Ach! – und der Busen klafft von Wunden,
Von sieben, sieben Messerstichen!
Garcia ist zurückgewichen,
Entsetzten Blicks, das Haar gesträubt –
Von ungeheurem Schmerz betäubt,
Entfesselt er die teure Leiche
Und hält sie bebend in den Armen
Und küßt die Stirn, die marmorbleiche;
Dann schluchzt er: »Jungfrau, gnadenreiche,
O für den Mörder kein Erbarmen!«
Und seiner Seele, die verwirrt
Bald den, bald jenen Feind verdächtigt
Und wieder sucht und wieder irrt,
Hat bald die Wahrheit sich bemächtigt.
Garcia schlägt sich vor die Stirn,
Und ruft: »Hier fängt es an zu dämmern.
Es soll mein thörichtes Gehirn
Nicht Wölfe suchen unter Lämmern;
Nicht heulen will ich um mein Kind!
Ha, diese sieben Wunden sind
Von Buben mir geschlagen worden,
Die gestern logen, heute morden,
Von Nachbarn – nein! Von sieben Dieben,
Gebrüder Silva heißt ihr sieben
Dämonen, schon seit langer Zeit
[45]
In meinem Schuldbuch eingeschrieben.
Verflucht in alle Ewigkeit
Sei euer Handwerk, das infame,
Sei euer Stamm und euer Name,
Verflucht das ganze Schlangennest,
Verflucht der Bauch, der euch geboren!
Mein Arm ist stark, mein Wille fest –
Zu Gott im Himmel sei's geschworen:
Ich, der noch kein Gelübde brach,
Nicht ruhen will ich, bis vernichtet
Die Teufel, die mit sieben Bissen
Ein schuldlos, kindlich Herz zerrissen,
Die meinen Knaben – o der Schmach! –
Gepackt – gefoltert – hingerichtet. – –«
Und als er nun, in wilder Hast,
Den Mantel um sein Kind geschlagen,
Hat keuchend unter solcher Last
Den Leichnam heimwärts er getragen.
Nacht ist's – er sieht sein Haus erhellt.
Nicht lange war er fortgeblieben,
Und doch, sobald der Hund gebellt,
Begleitet jetzt, von Angst getrieben,
Garcias Weib das treue Tier
Und fragt: »Bist du's, bringst du ihn wieder?«
Er naht, er legt die Bürde nieder
Und spricht: »Hier ist dein Junge – hier!
[46]
Sieh her und zähle diese Löcher!
Es griffen sieben Ungeheuer
In ein Besteck, in einen Köcher;
Doch solche Späße sind zu teuer,
Wenn sie Garcia nicht gefallen,
Gebrüder Silva! Maß für Maß
Ist meine Losung und mein Spaß,
An eure Fersen mich zu krallen
Und eure Herzen zu durchbohren.
Den Tigern werf' ich hin den Fraß –
Für sie sind eure Eingeweide;
Ich fordre nichts als ein Geschmeide:
Um einen Schmuck von sieben Ohren,
O Weib, zu deinem Trauerkleide
Will, wo ich sie ereilen kann,
Ich eines jeden Leiche schänden.
Sie heißen Silva, und dein Mann
Kehrt nicht zurück mit leeren Händen.
Wenn ich die ganze, weite Erde
Barfuß durchwandern muß – es sei!
Die Tochter rufe mir herbei:
Ein Lebewohl, und dann zu Pferde!«
Was hilft des Kindes zärtlich Flehn,
Was hilft der Gattin lautes Weinen?
Er segnet, er umarmt die Seinen,
Vielleicht auf Nimmerwiedersehn.
[47]
Doch ob sie um den Toten jammern,
Sich zitternd an den Vater schmiegen,
Ob sie verzweifelnd ihn umklammern
Und trostlos ihm zu Füßen liegen,
Umsonst! – Schon wird sein Roß gebracht.
Gesattelt hat er's und bestiegen;
Es treibt ihn fort mit Höllenmacht.
Sternlos und frostig ist die Nacht;
Weib, Tochter hängen an den Bügeln.
Umsonst! – Wer will den Reiter zügeln,
Wenn Blutdurst ihm das Herz versengt?
Garcia reißt sich los und sprengt
Von dannen wie auf Windesflügeln.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Wanderbuch. 11. Januario Garria. 2. [Unweit von Sorocaba hatte]. 2. [Unweit von Sorocaba hatte]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-822E-8