Madonna Lucia
1. Teil

1.

Und bist Du wie Marmor so starr und so kalt
Und kennst Du der Liebe Dämonengewalt
Bisher nur vom Sagen und Singen,
So wallet wie siedende Lava mein Blut
Und weckt auch in Dir die verhaltene Glut –
Ich will Deine Lieb' noch erzwingen!
Lagst Du mir nur einmal, nur einmal im Arm,
Und saugten die Lippen nur einmal sich warm,
Im tobenden Aufruhr der Sinne,
Dann bricht auch in Deine gefühllose Brust
Bacchantisch, unzähmbar, für immer die Lust,
Dann schwörest auch Du zu der Minne.

2.

Du mußt in mir versinken,
Mir ganz zu eigen sein,
Ich will Deine Seele trinken
Wie feuerflüssigen Wein;
[93]
Und wenn sich zur Liebesekstase
Die schäumende Wollust gesellt,
In stammelndes Liebesgeflüster
Der Schrei des Genusses gellt,
Und wenn dann – fester und fester –
Dein zitternder Arm mich umschlingt,
Und in die erstickenden Küsse
Lethargisches Röcheln erklingt, –
Dann bist Du für immer mein Eigen,
Du sinneberückendes Weib,
Und mein ist die mystische Seele
Und mein ist der leuchtende Leib ...
Du mußt in mir versinken,
Mir ganz zu eigen sein,
Ich will Deine Seele trinken,
Wie feuerflüssigen Wein.

3.

O laß mich, laß mich umranken
Die schmiegsam volle Gestalt,
Laß Busen mich betten an Busen
Mit stürmischer Glutengewalt.
O laß mich in trunkener Liebe
Durchwühlen Dein flimmerndes Haar,
Wundküssen die zuckenden Lippen,
Der Lider kühles Paar.
Ich liebe Dich übermenschlich,
Du bleiches Medusengesicht,
[94]
Und weiß, daß Deine Seele
Schon für die meine spricht.
Was soll das törichte Weigern,
Das halberstickte »Nein«,
Du wirst in meinen Armen
Noch todeszärtlich sein!

4.

Es schläft in Deinem Auge
Ein Liebeswahnsinn-Atom,
Noch scheut und fürchtet die Seele
Den tosenden Flammenstrom.
Ich aber will ihn entfesseln,
Und sei es mit frevelnder Faust,
Ich will, daß sein Gluthauch betörend
Zwei selige Menschen umsaust.
Auch Deine Seele dürstet
Nach einem Liebesmeer,
Es brennen und glühn Deine Hände, –
Dein Herz glüht tausendmal mehr.
Du schweigst und Du zitterst, Lucia,
Und über Dein Antlitz fliegt
Ein heißes, dunkles Erröten –
Lucia – Du bist besiegt!

5.

Ein fahles Mondlicht zittert
Durchs offene Fenster herein,
[95]
Dein nackter Leib erschimmert
Wie mattes Elfenbein;
Die halbgeschlossenen Augen,
Sie glühen begehrend mich an –
Dann flüsterst Du innig und leise:
Du lieber, Du teurer Mann.
Und Deine kühlen Arme,
Sie reißen mich an die Brust,
Und ich küsse die wogende, heiße,
Und wilder erfaßt uns die Lust.
Von Deinen Lippen ringt sich
Ein jauchzender Liebesschrei, –
Und achtlos rollen die Stunden
In endlosen Küssen vorbei.

6.

Der Tag ist langsam verronnen,
Die Nacht bricht endlich herein,
Zu seliger Liebe Wonnen
Leuchtet der Sterne Schein.
Wie sind Deine schneeigen Glieder
Vom Feuer der Liebe durchloht, –
Und wieder küss' ich und wieder
Die Lippen so heiß und so rot.
Den Haaren die Funken entstieben,
Wenn zitternd die Hand sie durchwühlt,
Ja, Du kannst küssen und lieben,
Wie Du hat noch keine gefühlt.
[96]
Gefangen nimmst Du die Sinne
Das Herz und den Geist und den Leib,
Du bist die Fürstin der Minne,
Du liebegewaltiges Weib. –
– – – – – – – – – – – – – –
Schon brennt die Ampel trüber,
Schon zeigt sich Frührotschein –
Wär' erst der Tag vorüber
Und bräch' die Nacht herein.

7.

Die müden Leiber ruhen
Jedweder Regung bar,
Und um uns beide flutet
Narkotischen Duftes Dein Haar.
Noch sind die heißen Glieder
Einander angeschmiegt,
Noch küssen sich die Lippen,
Bis uns der Schlaf besiegt.

8.

Aus dunklen Seelentiefen
Steigt's herzerschütternd empor,
Es quellen qualengepeitschte,
Wildschmerzliche Tränen hervor.
Wie hab' ich einst empfunden
So lauter, keusch und tief,
[97]
Eh' Dein berückender Anblick
Die schlafende Wollust rief.

9.

Ich könnt' Dich erwürgen, Lucia,
Wie giftige Vipernbrut,
Ich möchte Dein Antlitz zerfetzen,
Zerstampfen in rasender Wut.
Was stachelst Du wieder und wieder
Erlöschende Sinnengier,
Hinweg mir aus den Augen,
Mir ekelt, ekelt vor Dir.

[98] Intermezzo

1.

Durch meine Träume zittert
Der Erde reinste Gestalt,
Die dunklen Augen strafen
Mit göttlicher Gewalt.
Doch eine Träne rieselt
Von ihrem Angesicht,
Die mir von Mitleid, Liebe
Und von Erlösung spricht.

2.

O sieh meine Seele verfaulen
In Elend, Sünd' und Qual,
O neige Dich erbarmend
Zu mir ein einzig Mal.
O lege Deine Hände
Nur einmal weich und mild
Auf meine heiße Stirne,
Du reinstes Frauenbild.
[99]
Dann wird sie von mir weichen –
Die dumpfe Sinnengier,
Aus Elend, Not und Sünde
Schrei' ich empor zu Dir.

3.

O laß bei Dir mich wohnen,
Bei Dir mich immer sein,
Erlösung kann mir werden
Bei Dir, bei Dir allein.
Denn nur bei Dir ist Frieden
Und stilles, tiefes Glück,
O sei nicht grausam, stoß' mich
Nicht in die Nacht zurück.

4.

Dein Name klingt so süß und weich,
Ist ganz und gar Dir selber gleich,
Du blasse, zarte Lilie.
Ich will ihn nicht entweihen,
Nicht an die andern reihen
Aus alter, trüber Zeit,
Wo Sinnengier und Leidenschaft
Mit trotzig ungestümer Kraft
In meinem Herzen wühlte;
[100]
Wo ich verträumt die Tage
Und abends beim Gelage
Der tollste Zecher war.
Mit Deiner Liebe milder Kraft
Hast Du den Bann der Leidenschaft
Zerschmettert und gebrochen.
Ein tiefes, keusches Lieben
Ist alles, was geblieben,
Und das gilt Dir allein.

5.

Und wieder nah'n die düstern,
Hohläugigen Geister der Nacht,
Mit sinnbetörendem Flüstern
Und prüfen gierig und lüstern
Die alte, gewaltige Macht.
O rette, Geliebte, rette!
Hör' meinen verzweifelnden Schrei!
Nicht schreckt sie die heilige Stätte,
Sie schließen um mich ihre Kette,
O hilf, o steh' mir bei!
Auflodert das tollste Begehren,
Der Sünden schlummernde Brunst,
Bei ihrem Gifthauch schwären
Der Seele Wunden und leeren
Ins Hirn ihren krankhaften Dunst.
[101]
Mein tiefes, keusches Lieben
Die flammende Gier durchloht,
Die reinen Gedanken entstieben,
Und nichts ist zurück mir geblieben,
Als wollustrasende Not.
Sieh meine zuckenden Glieder, –
Des Mundes blasigen Schaum;
O neig' zu mir Dich nieder, –
Hinweg das starre Mieder,
Für meine Lippen Raum!
Hinweg von Deinen Brüsten
Das faltige Schleiergewand,
Es ringt mein ganzes Gelüsten
Nach keuschen, ungeküßten,
Hinweg, hinweg Deine Hand!
Ich fühle mein Aug' sich verglasen,
Mein Leib verkohlt, verbrennt,
Jetzt mußt Du mit mir rasen, –
Mußt teilen meine Ekstasen,
Der Seligkeit höchsten Moment.

6.

Auch Dich hab' ich, reinste der Frauen,
Mit Lasterbegierden entweiht.
Nicht darf ich Dein Antlitz mehr schauen
In Ewigkeit.
[102]
Mein Herz ist im Schlamme versunken,
Gespenstig flackert in mir
Nur Sehnsucht, wahnwitztrunken,
Und kranke Gier.
Was soll mein schluchzendes Ringen,
Der Seele Verzweiflungsgebet?
Ich kann die Dämonen nicht zwingen – –
Es ist zu spät.

[103] Madonna Lucia
2. Teil

1.

Ich grüße Dich, Taumel der Sinne,
Hirnzehrendes Autodafé,
Nur Du kannst löschen und dämpfen
In rasenden Wollustkrämpfen
Der Seele schneidendes Weh.
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne.
Mein Hoffen, mein Träumen, mein Sehnen,
Es liegt im Staube zerschellt.
Wer Lust hat, umkreise die Trümmer
Mit tränendem Aug', mit Gewimmer,
Bis selber zusammen er fällt.
Ich aber, ich lenke die Schritte
Zu Dir, Lucia, zurück, –
Du wirst mich gierig umpressen,
Und ich, ich werde vergessen
Mich selber, die Welt und das Glück.
[104]
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne,
Hirnzehrendes Autodafé,
Nur Du kannst löschen und dämpfen
In rasenden Wollustkrämpfen
Der Seele schneidendes Weh.
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne.

2.

Der Traum der keuschen Liebe,
Längst ist er ausgeträumt,
Es tanzen und toben die Nerven,
Das Blut zum Hirne schäumt;
Es bricht sich in wilden Kaskaden
Am Herzen, verdorrt und versteint,
Das seine verbissenen Qualen
Verschüttet und ausgeweint.
Ich will meine Zähne vergraben
In Deinem knirschenden Haar,
Im Blutrausch will ich vergessen,
Daß ich ein Anderer war.
Ich weiß, Du kannst genießen,
Unfaßbar, riesenhaft stark,
Wohlan, so genieß' mich, Lucia –
Es schreit nach Fäulnis mein Mark.

3.

Im Herzen wühlt und lodert
Die wüsteste, tollste Begier
Und reißt und stößt und peitscht mich,
Madonna Lucia, zu Dir.
[105]
Die Glieder schauern und beben,
Das Auge Flammen sprüht,
Wie kochende Lavaströme
Das Blut meine Adern durchglüht.
Ich flehe Dich an, o gebrauche
Die göttlich dämonische Macht,
Die meine zerfaserten Nerven
Zum rasendsten Taumel entfacht.
Und wenn an Deinem Busen
Zum Wahnwitz schwillt die Lust,
Dann, üppigste, geilste der Schlangen,
Erwürg' mich an Deiner Brust.

4.

Und wieder umpreßt und umschnürt mich
Das grauenhaft herrliche Weib,
Es brennt und zuckt und zittert
Morphiumgesättigt ihr Leib.
Jedwede Muskelfaser
Sich zum Zerreißen dehnt,
Die schrankenlosesten Freuden
Das trunkene Hirn ersehnt.
Es hebt in wilden Stößen
Schweratmend sich die Brust,
Durch jede Fiber rieselt
Bewußtseinertötende Lust.
[106]
Dein Feuerauge funkelt
In brünstiger Liebesgier,
Jetzt ist die Zeit gekommen, –
Geliebte, – jetzt sündigen wir.

5.

Die bläuliche Haarflut umschattet
Dein müdes, entfärbtes Gesicht,
Aus dem mit unendlichem Zauber
Schwermütige Grausamkeit spricht.
Wenn auch der gemarterte Körper
Sich gegen die Liebe schon bäumt,
Von qualengeborenen Wonnen
Die trotzige Seele noch träumt.
Ihr wühlendes Flammenbegehren
Höhnt jeglicher irdischen Glut;
Du wirst noch die brennende kühlen
In des Geliebten Blut.

6.

Du hast mit krampfigen Griffen
Die dampfenden Glieder enthüllt,
Du hast bei meiner Umarmung,
Eine brünstige Wölfin, gebrüllt.
[107]
Dein fieberglühendes Auge,
Von rötlichen Linien durchsprengt,
Im Überreize tränend,
Blutgierig an meines sich hängt.
Festklammern sich knirschend die Zähne, –
Jetzt sprengt ihren Wall ein Gekreisch –
Ein Aufschrei, – und sie graben
Und wühlen mir im Fleisch.

7.

Ich hab' in Deiner Seele
Das schlafende Feuer entdeckt,
Und seine verheerenden Gluten
Mit tollem Jauchzen geweckt.
Die Flammen lodern und steigen,
Mein Leib versiecht und verfällt,
In Schande, Blut und Vernichtung
Dein schmetterndes Lachen gellt.
Die blutige, blasse Madonna,
Mit Augen bräunlich umringt,
Die stachlichte Knute der Liebe
Ins Herz mir, ins zuckende schwingt.
Die dunkelroten Tropfen,
Sie perlen langsam zu Tal,
Und Leib und Seel' durchschüttert
Die tödlichste Wonne der Qual.

[108] 8.

Du bist meine Herrin geworden,
Bacchantisch berauschendes Weib,
Trink' aus, trink' aus meine Seele,
Zerstör' den vergifteten Leib.
Ich kann nicht mehr heißer empfinden,
Ich reiche zu Dir nicht hinan,
Du bist der Dämon der Liebe
Und ich – ein sterblicher Mann.

9.

Leb' wohl, Madonna Lucia.
Dem Untergang bin ich geweiht,
Ich habe geliebt und genossen,
Verflossen
Ist meines Lebens Zeit.
Leb' wohl, Madonna Lucia.
Der todeswunde Adler
Nach öden Felsen kreist,
Er kann kein Mitleid brauchen,
Verhauchen
Will einsam er den Geist. –
Leb' wohl, Madonna Lucia.

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TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Madonna Lucia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8044-4