[175] 8.

Die Georginen schütteln sich im Wind;

gefallnes Obst liegt auf den Gartensteigen.

Am Straßenzaun steht scheu ein armes Kind

unter den brausenden Pappelzweigen

vor einer Frau; sie schenkt ihm von den Früchten.

Selig rennt's weg, als müßt es flüchten.

Sie tritt zu einem Mann, sie sagt gelind:


Jetzt stand gewiß dein Töchterchen vor dir,

ob ich wohl reif sei, ihm zuzureden

zu seinem Glück – o glaube mir:

ein rechtes Kind vergißt für jeden

Apfel den ganzen Garten Eden,

[176] drum ist es glücklicher als wir.

Wir schwelgen ewig im Geist und putzen

zu Vorbildern einander aus,

Einbildung träumt von ihrem Nutzen,

bis wir verdutzt im Lebensbraus

zum Sinn des alten Gebotes erwachen:

du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen!

Statt uns getrost an allen neuen

Reizen wie Götter frei zu freuen –


Ein fallender Apfel macht sie stocken.

Er liegt zerplatzt. Der Mann sagt trocken:


Du hast sehr reizend gepredigt – aber

mich sticht nicht mehr der Götterhaber.

Im Geist zwar geht's schön glatt vom Fleck

auf dem beliebten hohen Pferde;

aber der Leib liebt halt die Erde,

und eh man's denkt, liegt man plattweg

– pardon – im Dreck.

Bis wir nicht lenkbare Luftschiffe bauen,

wohnen wir nicht auf Wolkenauen;

inzwischen zeigt uns jeder Kinderdrachen,

der Mensch muß Alles zum Gleichnis machen.


Die Georginen schütteln sich im Wind;

zwei Menschen spüren, der Herbst beginnt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Zwei Menschen. Dritter Umkreis: Die Klarheit. Vorgänge: 3.. 8. [Die Georginen schütteln sich im Wind;]. 8. [Die Georginen schütteln sich im Wind;]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/