[Doch dann an einem Wintertag]

Doch dann an einem Wintertag
Königin sprach: »Ich nicht mehr mag.
Frau Holle wohnt jetzt weiß im Land,
Und schön ich stets ihr Bettuch fand.
Will auf dem Land mir Ruhe holen,
Die Ruhe, die man mir gestohlen.
Wir sind ja beide dick voll Sorgen,
Ich reise noch an diesem Morgen.
Drei Tag' geb' ich dir zu bedenken,
Ich kann mich länger nicht verrenken.
Und soll ich dich nur halb stets haben,
Werf' ich mich lieber vor die Raben.«
Kaum ging Königin aus dem Haus,
Da wollt' ich selber auch hinaus.
Aus Angst vor dem Entscheidungsruck
Trieb ich am hellen Tage Spuk.
[676]
Mir schien, an jedem Droschkenstand
Gingen die Gäul' aus Rand und Band,
Fühlte, wenn ich vorüberkam,
Selbst Droschkengäule sind dir gram.
Der Gaul, der auch ein edles Pferd,
Denkt: Du bist keine Droschke wert.
Wie man in alter Zeit schon frug,
Befragte ich der Vögel Flug
Und sah durch meine Fensterscheiben
Vögel im Flug weissagend schreiben,
Doch Tauben, Spatzen, Kirchenraben
Verschiedene Weissagung gaben.
Wahrsagt so viel das Vogelreich,
Meint man zuletzt, 's ist alles gleich.
Es drängte mich hinaus aufs Land,
Dort, wo mein Puppenhäuschen stand.
Dort tat ich durch die Räume steigen,
Einsamkeit war auch hier mein eigen.
In Stuhl und Bett fehlt was hinein,
Das Fehlende soll weiblich sein.
Ich tat bestürzt die Augen senken,
Denn man erschrickt auch bei dem Denken.
Am nächsten Tage kam ich wieder,
Gezupfter Schnee flog wie Gefieder.
Ich trat vor meine Ahnen hin,
Trotzdem ich längst volljährig bin.
Sie sitzen an der Wand in Rahmen,
Wie Menschen, die schon höher kamen.
[677]
Doch da sie auch aus dieser Welt
Und nur durchs Totsein hochgestellt,
Fragte ich: »Sagt mir, liebe Väter,
Nennt ihr mich einen Missetäter,
Wenn ich mein Liebesleid abkürze
Und jemand in die Arme stürze?«
Sie sahen unbestimmt mich an,
Was man sich ja auch denken kann.
Ich sprach: »Sie hat schon zugesagt,
Ich hab' proforma nur gefragt.
Das Mohrle kommt zur Nacht zu mir,
Und morgen früh ist sie noch hier.
Verzeiht, daß zuviel ich mich freue,
Und später kommt auch keine Reue.
Ich muß es endlich klar bekommen,
Hat sich mein Herz zwei Fraun genommen.«
Die Ahnen blieben mäuschenstill.
Was bei Ahnen nichts heißen will.
»Ihr habt also gar nichts dagegen,
So nehm' ich sie mit eurem Segen.
Ist's schlecht, so konnt' man mich ja mahnen.
Weshalb hält man denn sonst auf Ahnen?«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Bänkelsang vom Balzer auf der Balz. 2. [Doch dann an einem Wintertag]. [Doch dann an einem Wintertag]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-74D7-A